Wenn man, wie es auch Kollege Herbst eben richtig gesagt hat, über ein Jahr hinweg zwischen fünf demokratischen Fraktionen vertrauensvoll arbeitet und es mehrfach auch glasklare Absprachen gibt, die deutlich machen, dass man da keine Nebenkriegsschauplätze aufmachen soll, dass man nicht versuchen soll, das Ganze durch Änderungsanträge, neue Anträge etc. zu konterkarieren, und dies auch mehrfach am Anfang sowie am Ende deutlich formuliert wird, dann aber plötzlich mit so einem Antrag, noch während das eigentliche Verfahren läuft, dieses konterkariert und dann alles leugnet und sich plötzlich nur noch vier demokratische Fraktionen daran erinnern und die andere sagt, sie wisse nichts davon, wobei am Ende bei Diskussionen, die man gemeinsam führt, einfach nur die Erklärung kommt – ich zitiere – „tja, so ist das Geschäft“, offenbart sich, das muss ich sagen, dass es hier nur darum geht, mediale Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Ich finde, das ist zutiefst unanständig, und deshalb bin ich der Meinung, dass man sich hier maximal enthalten kann, auch wenn eine Überweisung ein vornehmes Recht einer Fraktion ist.
Danke, Herr Präsident! Ich erkläre für die Fraktion DIE LINKE: Wir haben uns der Stimme enthalten, obwohl wir an sich große Probleme mit der Regelung in § 45 Abs. 6 haben. Wir sind der Auffassung, dass es tatsächlich, auch von der Öffentlichkeit in Sachsen verfolgt, über einen langen Zeitraum, über fast ein Jahr, Verständigungen zwischen fünf Fraktionen gab. Es ist zwischen den Fraktionen unstreitig, dass es nach einer Entwicklung von über 20 Jahren einen Bedarf gibt, bestimmte Änderungen in der Verfassung vorzunehmen. Diese Debatte ist zwischen Fraktionen eröffnet worden, und es ist nach einem längeren Verständigungsverfahren festgelegt worden, dass man sich zunächst – ich sage es einmal so – im engeren Bereich mit der Finanzverfassung und angrenzenden Fragen befasst und sich dann in einer weiteren Etappe über die ansonsten anstehenden Fragen zur Modernisierung, zur Ergänzung der Verfassung verständigt, auf welcher Basis und in welcher Breite auch immer.
An dieses Verfahren – davon gehen wir aus – halten sich alle, die in diese Verhandlungen einbezogen gewesen sind. In diesem Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind Regelungen enthalten, die wir im Grunde genauso anstreben, die wir teilweise schon in der vergangenen Legislaturperiode mit Änderungsgesetzen zur Verfassung angemahnt haben, die aber nie eine Mehrheit fanden. Wir meinen, wenn die Ernsthaftigkeit der Änderung der Verfassung in solchen Fragen, wie sie
jetzt gegenständlich sind, eine Chance haben will, bedarf es einer Verständigung zwischen den demokratischen Fraktionen, und diese Verständigung wird exakt durch die jetzige Vorgehensweise in Gefahr gebracht. Es gibt auch Gesetzentwürfe, die einfach zur Unzeit eingebracht werden. Genau diese Situation sehen wir hier.
Die Erklärungen zum Abstimmungsverhalten verdeutlichen nochmals, warum es diese sehr, sehr große Zahl von
Stimmenthaltungen gegeben hat, die uns am Anfang etwas in Diskussionen zur Geschäftsordnung brachten. Aber ich stelle noch einmal eindeutig fest: Mit einer deutlichen Stimmenmehrheit bei sehr, sehr vielen Stimmenthaltungen, die durch persönliche Erklärungen hier begründet worden sind, ist die Drucksache 5/12162, 1. Gesetz zur Modernisierung der Verfassung des Freistaates Sachsen, an die hier aufgeführten Ausschüsse überwiesen, und dieser Tagesordnungspunkt ist damit abgeschlossen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Thomas S. aus Dresden, Führungsmitglied der sächsischen Sektion von „Blood & Honour“, hat dem späteren NSU Sprengstoff geliefert. Bezogen hat er ihn von Jörg W., ebenfalls Mitglied von „Blood & Honour“ in Sachsen und außerdem bei den „Hammerskins“ aktiv. Jan W. aus Chemnitz – so die bisherigen Erkenntnisse – war nicht nur führend bei „Blood & Honour“ Sachsen, sondern wollte dem damals schon untergetauchten Trio Waffen besorgen. Liefern sollte diese Carsten Sz. aus Brandenburg, eine zentrale Figur von „Blood & Honour“ Deutschland. Antje P. aus Limbach-Oberfrohna, die – muss ich es wirklich noch einmal betonen? – führend bei „Blood & Honour“ Sachsen war, wollte Beate Zschäpe ihre Ausweispapiere überlassen.
Lassen Sie mich aus einer hoffentlich für Sie unverdächtigen Quelle zitieren, der Sendung „heute“ des ZDF: „Zum Neonazi-Netzwerk ‚Blood & Honour‘ gehören rund 20 Personen aus dem Umfeld des NSU, unter ihnen mindestens fünf V-Leute oder Informanten deutscher Sicherheitsbehörden.“ Und weiter: „Verbindung zwischen NSU und ‚Combat 18‘: da sind Thomas Starke, Marcel Degner und Carsten Szczepanski. Alle drei arbeiteten als V-Männer für deutsche Sicherheitsbehörden. Alle drei hatten Verbindung zur NSU oder Informationen über das Terror-Trio. Alle drei waren Anhänger von ‚Blood & Honour‘, einem europaweiten Neonazinetzwerk, das Gewalt gegen Ausländer und Andersdenkende propagiert. Szczepanski warb sogar für ‚Combat 18‘. Der bewaffnete Arm von ‚Blood & Honour‘ rechtfertigt politische Morde und stellt Anleitungen zum Bombenbau zur Verfügung.
Die Anschläge sollen von Terrorzellen ausgeführt werden, die auf eigene Faust unabhängig voneinander operieren, der sogenannte führerlose Widerstand.“
Diese bereits damals nicht zu übersehenden Zusammenhänge zwischen „Blood & Honour“ und dem NSU veranlassten uns als Linksfraktion im Februar 2012 zu einem Antrag – nachzulesen in der Drucksache 5/8218 –, mit dem die Staatsregierung aufgefordert wurde, nicht nur über „Blood & Honour“ sowie die sächsischen „Hammerskins“ zu berichten, sondern vor allem – ich zitiere aus unserem Antrag – „unverzüglich geeignete Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, um die Aktivitäten von Nachfolge- und Ersatzgruppen der sächsischen Sektion von ‚Blood & Honour‘ sowie des Netzwerks ‚Hammerskin Nation‘ in Sachsen wirksam zu unterbinden; eingeschlossen die umfassende Prüfung der Möglichkeiten und Erfolgsaussichten eines Verbots des sächsischen Chapters der ‚Hammerskins‘ und dem Landtag“ – damals Antrag vom Februar – „bis Ende des Jahres über die Ergebnisse der von ihr eingeleiteten und veranlassten Schritte zu berichten.“
Bereits die damals vorliegenden Erkenntnisse zu den Verbindungen zwischen NSU und „Blood & Honour“ rechtfertigten einen solchen Antrag und machten ihn eigentlich zwingend notwendig. Das damalige Wissen wurde in der Zwischenzeit durch weitere Ermittlungen zum NSU sowie durch die Arbeit von vier parlamentarischen Untersuchungsausschüssen untermauert. Aber
„Blood & Honour“ wurde 2000 bundesweit verboten, aber das Netzwerk war damit keineswegs zerschlagen. Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Vereinsverbot lässt sich kaum noch
überbieten. Man hätte also eine sachgerechte Stellungnahme des zuständigen Innenministers erwarten dürfen.
Aber wir leben im Freistaat Sachsen, und folglich hieß es in Ihrer Stellungnahme, Herr Ulbig: „Der immense Aufwand wäre ohne eine unvertretbare Einschränkung der Arbeitsfähigkeit der betroffenen Stellen nicht zu leisten und ginge zu Lasten der aktuellen Prioritäten, die nicht nur das Staatsministerium des Innern in der Aufklärung der rechtsterroristischen Strukturen und Verbrechen und in der Prüfung der Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotes sieht.“ Da bleibt selbst Leuten, die die Arbeitsweise des Innenministeriums seit Jahren kennen, glatt die Spucke weg.
Die Behauptung, die Auseinandersetzung mit „Blood & Honour“ ginge zulasten „der Aufklärung der rechtsterroristischen Strukturen und Verbrechen“, ist doch ungefähr so sinnvoll wie die Behauptung, der Einbau von Alarmanlagen in Autos fördere die Diebstahlsanfälligkeit oder -häufigkeit von Pkws. Ja, geht es denn eigentlich noch unsinniger?
In diesem Fall ist es auch nicht strafmindernd, dass solche Stellungnahmen in der Regel nicht vom Minister persönlich geschrieben werden, sondern von einem seiner 17 000 Mitarbeiter des Ministeriums. Aber zumindest selbst lesen sollte es der Minister wenigstens. Ich will dem Herrn Minister nicht unrecht tun. Es gibt nämlich Anlass zu der Vermutung, dass er dies tatsächlich getan hat.
Im Entwurf für den Staatsminister – verfasst von Dr. Falk – heißt es, dass „zu vermuten ist, dass es der Fraktion DIE LINKE auch gar nicht darum geht, eine Plenarbefassung herbeizuführen, sondern nur darum, eine Anhörung zu erreichen.“ Und weiter: „Da das Thema eine besondere Herzensangelegenheit der Abgeordneten Köditz darstellt, wird es vor allem ihr Wunsch sein, der Staatsregierung erneut zu demonstrieren, dass sie auf dem rechten Auge blind ist.“
Anlass ist zwar nicht der Antrag, sondern unsere Große Anfrage. Die parlamentarische Mehrheit hatte den Antrag abgewiesen, und uns, der LINKEN, und nicht nur mir ist das Thema eben Herzensangelegenheit. Deshalb folgte die Große Anfrage.
Zweitens: Ja, wir haben dieses besondere Interesse an diesem Themenkomplex. Für uns gebietet es nämlich der Respekt vor den Opfern der Mordserie des NSU und auch das Mitgefühl für die Hinterbliebenen, dass überall alles nur Mögliche getan wird, damit die Hintergründe der Verbrechen dieses Terrornetzwerkes aufgeklärt werden.
Drittens. Ich bin nicht der Ansicht, dass die Staatsregierung auf dem rechten Auge blind ist. Es gibt vielmehr eine Reihe von Hinweisen darauf, dass sich ein Teil der Staatsregierung zwei der berühmten drei Affen zum Vorbild nimmt: nichts sehen, nichts hören. Jedenfalls sagt man gelegentlich etwas.
Allerdings ist die Beantwortung dieser Großen Anfrage ein Beleg dafür, dass es an den entscheidenden Stellen eine Verweigerungshaltung gibt. Sie zeugt implizit davon, dass es durch die Staatsregierung beim Umgang mit „Blood & Honour“ in der Vergangenheit eine Reihe sträflicher Defizite gegeben hat.
Die Frage 3 unserer Großen Anfrage hat „Combat 18“, den bewaffneten Arm von „Blood & Honour“, zum Thema. Wohl niemand wird bestreiten, dass dieser Komplex im Zusammenhang mit dem NSU von besonderer Bedeutung ist. Ich gehe davon aus, dass uns die Staatsregierung vollständig, umfassend und wahrheitsgemäß geantwortet hat. Deshalb erschreckt mich die Antwort in diesem Bereich besonders. Sie besteht nämlich aus einem einzigen Satz: „Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor.“
Dank einer Kleinen Anfrage des Kollegen Henning Homann wissen wir über die Literaturanschaffung des Landesamtes für Verfassungsschutz und die Lesefreude der Mitarbeiter dort, dass diese nicht sonderlich ausgeprägt ist.
Das Buch „White Riot – Die Combat 18-Story“ des britischen Experten Nick Lowles gehört jedenfalls nicht zum Bibliotheksbestand, leider. Der Autor beschreibt das Umfeld eines Konzertes in Chemnitz im Herbst 1996. Hauptattraktion des Abends war „No Remorse“ (Kein Vergeben), die im gleichen Jahr in Anspielung auf die rassistischen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen die CD „Barbecue in Rostock“ veröffentlicht hatte. Kopf dieser Band war Will Browning, zugleich Führer von „Combat 18“ in Großbritannien. Am Rande des Auftrittes sollte es ein Treffen mit NS88 aus Kopenhagen und einigen ostdeutschen Labels geben. Der Mann hinter NS88, der inzwischen verstorbene Marcel Schilf, steht unter Verdacht, für einen Bombenanschlag 1992 verantwortlich zu sein, bei dem ein Antifaschist umgebracht wurde.
Nick Lowles in seinem Buch wörtlich: „Währenddessen verhörten die anderen einen Deutschen, den sie für einen Polizeispitzel hielten. Überzeugt von der Schuldigkeit des Mannes schlug Darren Wells ihm eine Champagnerflasche ins Gesicht.“ Der Zwischenfall hatte einen Polizeieinsatz zur Folge, müsste eigentlich aktenkundig und somit auch der Staatsregierung bekannt sein. Veranstalter solcher Konzerte in Chemnitz war „Movement Records“ um die NSU-Unterstützer Jan W., Thomas S. und Antje P. Inzwischen ist bekannt, dass es in der Szene Spitzel gab. Trotzdem soll kein Wissen über die Verbindung zwischen „Blood & Honour“ Sachsen und „Combat 18“ vorhanden sein? Entweder wird nicht wahrheitsgemäß und umfassend berichtet, oder dieses Landesamt für Verfassungsschutz ist vollkommen unfähig. Eine dritte Möglichkeit sehe ich nicht.
Ich will noch ein zweites Beispiel nennen. Im Herbst 1998 trat die sächsische Sektion von „Blood & Honour“ aus der deutschen Division aus, versicherte aber gleichzeitig, weiterhin den Grundsätzen des internationalen Netzwerkes zu folgen. Die bisherigen Mitglieder trafen sich weiterhin als Struktur, kassierten sogar Mitgliedsbeiträge ein und führten weiterhin Konzerte durch. Alle Voraussetzungen für eine Einstufung als Organisation waren somit erfüllt. Es wäre gemäß der Verbotsverfügung des Bundes problemlos möglich gewesen, diese regionale Struktur durch den damaligen sächsischen Innenminister als Nachfolgeorganisation von „Blood & Honour“ verbieten zu lassen. Dies ist bekanntlich leider nicht geschehen. Wäre ein solcher Schritt allerdings erfolgt, dann wären die Unterstützungsleistungen für das flüchtige Trio aus diesem Spektrum zumindest deutlich erschwert worden.
Herr Innenminister Ulbig, ich bin aus Ihrem Hause inzwischen allerhand gewohnt. Auch diese irreführende Einstufung von „Blood & Honour“ als „subkulturell“ ist ja keineswegs neu. Trotzdem müsste ich eigentlich nahezu entsetzt sein über die Dürftigkeit Ihrer Antworten. Ich bin es, offen gestanden, nicht. Ich verstehe jetzt vielmehr etwas besser, warum sich die sächsischen Ämter so schwer mit der Aufarbeitung des NSU tun. Es handelt sich nicht nur um das Wissen um die eigenen Versäumnisse, sondern auch um das Wissen um nicht wahrgenommene politische Verantwortung. Insofern, Herr Innenminister, sind Sie ein würdiger Nachfolger Ihrer Parteifreunde in diesem Amt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde vorausschicken, dass die Strukturen von „Blood & Honour“ in Sachsen durchaus ernst genommen werden. Sie werden vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Das geht aus der Antwort auf die Große Anfrage der Staatsregierung deutlich hervor.