Das heißt, Deutschland wird nicht von der Europäischen Union beschenkt. Deutschland wird fast regelrecht ausgeplündert.
Herr Hähnel, stellen Sie sich einmal vor, was mit den 146 Milliarden Euro möglich gewesen wäre, wenn sie im Lande geblieben wären,
wie man einen echten Strukturwandel hätte einleiten können, wie man Forschung und Entwicklung hätte fördern können, wenn wir nicht schon immer, seit dem Jahr 1958, seit den Römischen Verträgen, seit der Gründung der sogenannten EWG Nettozahler gewesen wären und hohe Summen an Brüssel hätten überweisen müssen.
Es ist eine Farce, dass Herr Tillich und Sie sich hier hinstellen und so tun, als müssten wir dafür dankbar sein, dass wir der Hauptzahler der EU sind, dass wir die Melkkuh der EU sind. Das ist absurd.
Sachsen auch. Wäre das Geld im Land geblieben, dann hätten wir es für uns verwenden können. Es ist alles falsch, was Sie erzählen!
(Christian Piwarz, CDU: Ich weiß nicht, was Sie zu Hause essen! Sie müssen die Dinge auseinanderhalten!)
Das war eine Kurzintervention von Herrn Schimmer von der NPD-Fraktion. Jetzt besteht die Möglichkeit zur Reaktion, Herr Kollege Hähnel. Möchten Sie?
Also, Herr Schimmer, ich weiß nicht, anscheinend sind Sie blind. Ich habe die Entwicklung in Sachsen seit der friedlichen Revolution miterlebt. In Sachsen hat sich wirklich viel bewegt. Wir sind ein Land, das sich immer weiter entwickelt. Sie verwechseln vielleicht die Bundesrepublik mit Sachsen. Sie werfen alles durcheinander. Das muss ich Ihnen ehrlich sagen.
Sachsen hat von der Europäischen Union wirklich intensiv profitiert. Das soll auch so weitergehen. Wir lassen uns den europäischen Gedanken von Ihrer Partei nicht kaputt reden!
Das war die Reaktion. Nun ergreift in der weiteren Rednerreihung Kollege Jurk für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen profitiert von der Europäischen Union –
nicht nur finanziell, sondern besonders erheblich in wirtschaftlichem, politischem und kulturellem Maße.
So beginne ich gern eine Rede zu Europa, da beim Thema Europa allzu oft der Fokus nur auf nackten Zahlen liegt, ohne die viel größere Dimension des gemeinsamen Europas zu erkennen. Europa ist mehr als nur der kleinste gemeinsame Nenner seiner Staaten, und die EU ist mehr als eine reine Transferunion.
Hatten Sie vor, Bundeskanzlerin und Sächsische Staatsregierung zu loben und zu preisen? Wollten Sie ein machtvolles Wort von der Elbe an den Rhein nach Straßburg senden, wo gerade das Europäische Parlament tagt? Zumindest Letzteres dürfte Ihnen misslungen sein.
Zur Sache! Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich am 8. Februar 2013 auf den Mehrjährigen Finanzrahmen für die Zeit von 2014 bis 2020 verständigt. Die Zahlen sind von den Vorrednern genannt worden. Ich verhehle nicht, dass das Ergebnis für Sachsen durchaus beachtlich ist. Ich danke daher auch allen Vertretern von Regierungen und Parlamenten, die sich in den letzten Monaten auf europäischer Ebene für Sachsen verwendet haben. Es ist schon von besonderem Wert für uns, dass es eine so erfahrene Europaabgeordnete wie Constanze Krehl, Koordinatorin und Berichterstatterin für die Allgemeine Verordnung zur Regionalpolitik, im Regionalausschuss des EU-Parlamentes geschafft hat, die Region Leipzig sogar in das Sicherheitsnetz zu hieven.
Es wird jetzt viel von einem Kompromiss gesprochen, den das EU-Parlament „bloß nicht gefährden“ darf. Richtig ist: Was vorliegt, ist ein Kompromiss der Staats- und Regierungschefs. Der Mehrjährige Finanzrahmen wurde zwischen den Staats- und Regierungschefs ohne Beteiligung des Parlaments ausgehandelt. Es ist daher kein Kompromiss mit dem EU-Parlament.
Ich habe deshalb großes Verständnis dafür, dass die EUAbgeordneten nunmehr, nachdem der Entwurf der Staats- und Regierungschefs vorliegt, von ihrem im Vertrag von Lissabon verbrieften Recht Gebrauch machen und in Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission eintreten.
Nach Artikel 312 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union bedarf der Mehrjährige Finanzrahmen der Zustimmung des Europäischen Parlamentes. Es steht nicht geschrieben, dass Verhandlungen
ausgeschlossen sind und nur die Möglichkeit zur bedingungslosen Zustimmung oder Ablehnung besteht. Dies wäre dann auch ein eigenartiges Verständnis von Demokratie und Parlamentarismus.
Ich bitte Sie, sich einmal vorzustellen, es ginge jetzt nicht um den Haushalt der EU im vermeintlich fernen Straßburg, sondern um unseren Staatshaushalt hier in Sachsen. Die Staatsregierung legt einen Haushaltsentwurf vor und wir als Abgeordnete des Sächsischen Landtages dürften nur noch zustimmen oder ablehnen – ohne jede Möglichkeit zu Änderungen.
Der im Herbst letzten Jahres im Landtag verhandelte Haushalt war Gegenstand vieler Änderungsanträge, von denen zahlreiche ihren Weg in den letztlich beschlossenen Haushalt gefunden haben. All das soll es in Brüssel nicht geben? Ich denke, alle Demokraten hier im Landtag sind sich einig, dass solch ein Rückschritt in das
19. Jahrhundert mit unserem Parlamentarismus der jetzigen Zeit nichts zu tun hat und deswegen auch nicht hinzunehmen ist.
Kein Haushalt kommt aus dem Parlament so heraus, wie er hineingegangen ist. Das ist in einer parlamentarischen Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Dies gilt freilich nicht nur in Dresden und Berlin, sondern auch in Brüssel und Straßburg. Es steht einem Ministerpräsidenten daher nicht gut zu Gesicht, wenn Sie, Herr Tillich, in Briefen an die EU-Abgeordneten aus Sachsen versuchen, Druck aufzubauen, und Verhandlungen zwischen Parlament und Rat unterlaufen. Herr Tillich, was Sie als ehemaliger Abgeordneter des EU-Parlamentes damit suggerieren, ist einfach heuchlerisch. Wer es schöner formuliert haben will, könnte dieses Verhalten auch als „sehr geschmeidig“ bezeichnen.
In diesen Minuten macht das EU-Parlament von seinen legitimen demokratischen Rechten Gebrauch und steckt mittels einer fraktionsübergreifenden Resolution den Verhandlungsrahmen mit dem Rat ab. Die Resolution, welche von Sozialdemokraten, GRÜNEN, Liberalen und Konservativen im Europäischen Parlament unterstützt wird, nennt jene Punkte, bei denen am dringendsten Handlungsbedarf besteht. Es geht heute also gerade nicht darum, ob das Parlament den Mittelfristigen Finanzrahmen ablehnt oder nicht, sondern es geht allein um den Einstieg in die Verhandlungen mit dem Rat – ein ganz normaler Vorgang in jeder parlamentarischen Demokratie.
Der nun vorliegende Entwurf des Europäischen Rates hat Änderungen auch dringend nötig. Diese betreffen Höhe, Struktur und politische Prioritäten sowie Flexibilität des Haushaltes.
Erstens braucht es mehr Flexibilität unter Nutzung von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit zwischen den Jahren und zwischen den Ausgabenkategorien. Ein
Zweitens bedarf es einer verpflichtenden Überprüfungsklausel mit qualifizierter Mehrheitsabstimmung im Rat, die es erlaubt, den Finanzrahmen in zwei oder drei Jahren zu überarbeiten. Zu einem modernen Mehrjahresrahmen gehört auch, dass endlich eine Form der Finanzplanung entwickelt wird, die nicht an starren, unflexiblen Haushalten festhält. Die Europäische Union braucht – wie jeder Mitgliedsstaat auch – die Möglichkeit, auf sich verändernde wirtschaftliche und politische Bedingungen flexibel reagieren zu können.
Drittens fehlen neue, echte Eigenmittel für den europäischen Haushalt, die das bestehende System der Beitragszahlungen schrittweise ablösen können.
Viertens können die Abgeordneten des EU-Parlamentes keinen Haushalt akzeptieren, der sich nur an den Prioritäten der Vergangenheit misst. Es müssen zukunftsorientierte Schritte gegangen werden, um Europas Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft zu sichern. Das Ergebnis dieses Haushaltes wird mit darüber entscheiden, ob wir uns an das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts als Zeit weiterer Integrationsschritte zum Wohle aller Europäer erinnern oder als Zeit des Stillstands in Europa oder gar eines Zurückfallens – und dies obendrein in einer immer weiter globalisierten Welt.
Fünftens kann der vorgelegte Haushaltsentwurf zu einem strukturellen Defizit führen, da die geplanten Einnahmen sage und schreibe um 52 Milliarden Euro – also rund 6 % – unter den jetzigen Ausgabenverpflichtungen liegen. Als Lösung bliebe zum einen nur Sparen, wobei die Staats- und Regierungschefs schon vage durchblicken lassen, wo dies zukünftig geschehen soll: etwa bei der Verkehrsinfrastruktur, bei Breitbandnetzen, bei „Erasmus“ und bei der ländlichen Entwicklung. Diese Kürzungen würden viele Menschen unmittelbar in ihrem täglichen Leben spüren. Wollen wir das?
Zum anderen bliebe nur das Eingehen von Schulden. Es ist schon eine absurde Situation: Wir kämpfen hart, um auf nationaler Ebene aus der Schuldenfalle zu kommen, und auf europäischer Ebene laufen wir sehenden Auges hinein. Hinzu kommt, dass bereits 2013 16 Milliarden Euro im aktuellen EU-Haushalt fehlen, ohne dass klar ist, wie die Gegenfinanzierung aussieht.
Völlig aus den Augen verloren wird zudem, dass der EUHaushalt eines der größten Investitionsinstrumente in Europa ist, ein Investitionsinstrument, das die Menschen in Europa derzeit mehr brauchen als je zuvor. Der EUHaushalt ist kein Geld für Brüssel, sondern Geld für die Menschen in Europa. 94 % des EU-Haushaltes fließen direkt in die Länder, in die Regionen und zu den Menschen zurück und werden in außenpolitische Prioritäten investiert. Man hilft doch hoch verschuldeten europäischen Mitgliedsstaaten nicht mit immer neuen Spardiktaten, sondern mit Investitionen in Wachstum und Beschäftigung!
Wir könnten aus sächsischer Sicht versucht sein zu sagen: Bloß nicht verhandeln, schnell zustimmen, und alles wird gut! Am Ende bekommen wir vielleicht weniger, als im Entwurf vorgesehen.