Protocol of the Session on March 13, 2013

(Beifall bei der FDP – Torsten Herbst, FDP, und Jürgen Gansel, NPD, stehen am Mikrofon.)

Herr Herbst, eine Kurzintervention.

Ich möchte mich auf den Redebeitrag des Kollegen Zastrow beziehen, weil er Ausführungen zum Vergleich von Brandenburg und Sachsen gemacht hat. Nach meinem Kenntnisstand gab es im Februar in Sachsen eine Arbeitslosenquote von 10,7 % und in Brandenburg von 11 %. Ich glaube, Herr Pellmann, damit ist Ihre Argumentation widerlegt.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Es geht um prekäre Beschäftigung, mein Lieber! – Holger Zastrow, FDP: Sie müssen schon sagen, worum es geht, wenn Sie hier sprechen!)

Herr Gansel.

Herr Präsident, ich möchte noch einmal die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen, weil mein Vorredner, Herr Zastrow, beklagt hat, dass er von seinen Vorrednern keine Antworten bekommen habe. Der NPD-Fraktion ist Herr Zastrow allerdings auch eine Antwort schuldig geblieben. Wir hätten uns gewünscht zu erfahren, wie sich Herr Zastrow die Bekämpfung der drohenden Altersarmut in Sachsen vorstellt. Das Lohndumping, das wir in Sachsen besonders eklatant zu beklagen haben, führt nämlich dazu, dass spätestens ab dem Jahr 2030 jeder zweite heutige Arbeitnehmer in Sachsen unterhalb der Armutsgrenze leben wird. Das sind übrigens keine Propagandazahlen aus der NPD-Küche, sondern das sind die Zahlen, die vor einigen Monaten Ihre Bundesarbeitsministerin präsentiert hat.

Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen. Von der Leyen hat ausrechnen lassen, dass im Jahr 2030 ein Arbeitnehmer 35 Jahre lang im Schnitt 2 500 Euro brutto verdient haben muss, um eine Rente oberhalb der Sozialhilfesätze zu beziehen. Das müsste eigentlich die Vertreter der Koalitionsfraktionen dazu bringen, einige rentenpolitische Überlegungen darüber anzustellen, wie man durch Einführung eines armutsfesten gesetzlich verankerten Mindestlohns den Rutsch in die Altersarmut bekämpfen kann. Sie verschweigen nämlich permanent, dass jeder zweite heutige sächsische Arbeitnehmer sich in 20 Jahren auf eine Rente unterhalb des Sozialhilfeniveaus einstellen kann. Das ist aus Sicht der NPD ein sozialpolitischer Skandal, und dazu sind Sie, Herr Zastrow, die Antworten schuldig geblieben.

(Beifall bei der NPD)

Wir fahren fort. Herr Jennerjahn für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Rede meines Kollegen Zastrow war nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ angelegt, und ansonsten gilt in Sachsen: Hier ist die Welt offensichtlich noch in Ordnung; hier wissen Staatsregierung und FDP noch, dass Mindestlöhne Teufelszeug sind und dass man Lohnarmut, Fachkräftemangel und Abwanderung am besten mit Niedrig

löhnen bekämpfen muss. Mit dem gleichen Patentrezept kann man dann natürlich auch die Attraktivität des Standortes Sachsen steigern.

Meine Damen und Herren, ich war ein bisschen unsicher, welchen Wert diese Aktuelle Debatte heute haben würde. Das liegt nicht daran, dass ich das Thema unwichtig finden würde, sondern ich kann mich halt des Eindrucks nicht erwehren, dass die Koalition wenig Interesse hat, sich mit diesem Thema ernsthaft auseinanderzusetzen.

Mit Interesse habe ich den Ausführungen des Kollegen Krauß gelauscht. Ich habe das eine oder andere gehört, dem ich durchaus zustimmen könnte. Allerdings habe ich auch bemerkt, dass seine Reden bei den Abgeordneten von CDU und FDP nicht auf allzu viel Widerhall gestoßen sind.

Kollege Brangs hat das angesprochen. Wir debattieren regelmäßig zu diesem Thema. Das letzte Mal haben wir vor etwa sechs Monaten eine Aktuelle Debatte zum Thema „Faire Arbeit fördern – Altersarmut in Sachsen verhindern“ gehabt. Ich könnte die Rede von damals im Grunde eins zu eins wieder halten, doch ich schließe mich dem Kollegen Brangs an: Man kann immer hoffen, dass beständige Wiederholung auch einen pädagogischen Wert hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir aber den Lernfortschritt von CDU, FDP und Staatsregierung seitdem betrachten, stellen wir fest, dass alle drei akut versetzungsgefährdet sind.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Bundesweit gibt es allerdings Bewegung bei diesem Thema. Die Frage lautet, glaube ich, nicht mehr, ob Mindestlöhne eingeführt werden sollen, sondern die Diskussion dreht sich um das Wie. Frau Lieberknecht, Frau Dr. von der Leyen von der CDU, Herr Dirk Niebel von der FDP – alle reden immer wieder vom Mindestlohn, und selbst Philipp Rösler ist mittlerweile der Meinung, man müsse an die Lebensqualität der Menschen anknüpfen, und die lautet eben einfach, dass 6,5 Millionen in Deutschland im Niedriglohnsektor arbeiten. Die Zahlen sind ein bisschen verschieden. Ich kenne die Zahl, dass 3,4 Millionen Menschen weniger als 7 Euro pro Stunde verdienen. Kollege Hahn hat ungefähr vier Millionen genannt. Auf die letzte Person heruntergebrochen kann man das wahrscheinlich nicht ganz genau beziffern, aber das dürfte der Rahmen sein. Die Zahl 3,82 Euro im Friseurhandwerk ist ebenfalls schon gefallen. Das sind die Realitäten.

Statt sich konstruktiv an dieser Debatte zu beteiligen, versteckt sich die Staatsregierung nach wie vor hinter altbekannten Stereotypen. Herr Morlok war in der Bundesratssitzung am 1. März der Meinung, ein Mindestlohn würde eine umfassende Deindustrialisierungskampagne für Ostdeutschland bedeuten.

(Zuruf des Abg. Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE)

Da stellt sich natürlich die Frage, was wir tatsächlich über die Wirkung von Mindestlöhnen wissen. Da gibt es zum einen eine Studie des Prognos-Instituts. Sie kommt zu dem Schluss, dass dem Staat nach der Einführung eines Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro Mehreinnahmen in Höhe von über 7 Milliarden Euro zur Verfügung stehen würden. Die Arbeitseinkommen von über fünf Millionen Menschen würden steigen, und daraus resultierend würden die Steuereinnahmen um 2,7 Milliarden Euro ansteigen. Im Gegenzug würde der Bedarf an Unterstützungsleistungen natürlich abnehmen, beispielsweise bei Arbeitslosengeld II oder Wohngeld.

Zugegeben, die Studie geht von der Annahme aus, dass die Einführung eines Mindestlohnes beschäftigungsneutral ist. Es ist ein zentrales Argument der Gegner eines Mindestlohnes, heute auch mehrfach gefallen, dass durch die Einführung eines Mindestlohnes Arbeitsplätze in großem Umfang vernichtet würden. Wenn man sich aber im europäischen Ausland umschaut, so stellt man fest, dass die realen Erfahrungen ein anderes Bild zeichnen. Herr Kollege Zastrow, neuere empirische Studien belegen ganz eindeutig, dass die Einführung eines Mindestlohnes im Regelfall beschäftigungsneutral ist oder sogar leicht positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt hat.

Herr Jennerjahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Herr Herbst, bitte.

Herr Jennerjahn, weil Sie gerade Studien zitieren: Was sagen Sie denn zu den Untersuchungen, die feststellen, dass Mindestlöhne unter anderem in Frankreich mit dafür zuständig sind, dass die Jugendarbeitslosenrate bei 25 % liegt?

Herr Kollege Herbst, ich glaube, es gibt eine Vielzahl von Studien, die sich mit diesem Thema beschäftigen, mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen. Das Spannende ist allerdings, dass es insbesondere ältere Studien sind, die zu der Auffassung kommen, dass Arbeitsplätze vernichtet würden und dass die Jugendarbeitslosigkeit durch Mindestlöhne steige. Aber noch einmal: Die jüngeren empirischen Studien, die sich mit der tatsächlichen Istsituation auseinandersetzen, zeichnen jedoch das genaue Gegenteil. Darauf habe ich eben in meinem Redebeitrag abgestellt.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Herr Jennerjahn, es gibt gleich noch eine weitere Zwischenfrage. Lassen Sie diese zu?

Herr Krauß.

Herr Jennerjahn, sind Ihnen die Studien des Bundesarbeitsministeriums oder auch des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit bekannt, die die Mindestlöhne, die es in Deutschland gibt, untersucht haben und zu dem Ergebnis kamen, dass damit keine Beschäftigung verloren gegangen ist, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer das sehr gute Maß gefunden haben, sodass man die Schwelle nicht überschritten hat, wo Arbeitsplätze wegfallen?

Mir sind natürlich diese Studien bekannt, auch die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Wie gesagt, ich kann mich da nur wiederholen. Ich beziehe mich auf das aktuelle Studienmaterial. Natürlich muss man darüber diskutieren, wo eine Grenze für Mindestlöhne liegt, wo es möglicherweise gefährlich wird und auf welche Art und Weise man Mindestlöhne einführt. Aber die generelle Behauptung, dass Mindestlöhne in großem Umfang zur Arbeitsplatzvernichtung führen würden, ist einfach nicht wahr. Nicht mehr und nicht weniger habe ich an dieser Stelle gesagt.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Übrigens, an diesem Punkt war ich gerade stehen geblieben: Dieser Befund gilt auch für Mindestlöhne in westeuropäischen Staaten, die deutlich über 8 Euro oder über 10 Euro liegen. Es ist also nicht so, dass hoch industrialisierte Staaten dort ein Problem hätten. Natürlich muss die Einführung eines Mindestlohnes mit Augenmaß erfolgen. Aber ich bin auch der Meinung, dass die Forderungen nach mindestens 8,50 Euro in der Stunde und nach der konkreten Ausgestaltung von Mindestlöhnen durch eine unabhängige Kommission nicht unangemessen sind, sondern mit Augenmaß erfolgen.

Jetzt läuft leider meine Redezeit ab. Ich hätte gern noch einen Schlenker zum geschönten Armutsbericht der Bundesregierung gemacht. Das erspare ich mir jetzt angesichts von 10 Sekunden Redezeit. Aber auch dazu wäre noch einiges zu sagen gewesen.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Für die NPD-Fraktion Herr Apfel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesratsinitiative für einen Mindestlohn ist zweifellos ein richtiger Schritt. Nicht von ungefähr hat die NPD schon 2006 eine Initiative für einen solchen Mindestlohn gestartet. Aber wie wenig ernst es den LINKEN ist, haben wir im Jahr 2006 schon daran gesehen, dass man aus antifaschistischen Reflexen heraus diesen Antrag einfach abgelehnt hat.

Richtig ist: Von Arbeit muss man leben können. Doch die Realität sieht so aus, dass heute über 125 000 Sachsen ihren Lohn durch den Staat aufstocken lassen müssen, damit es für ein halbwegs würdiges Leben ausreicht. Das,

meine Damen und Herren, ist nicht nur ungerecht, sondern eine politische Bankrotterklärung für die Regierung Tillich.

(Beifall bei der NPD)

CDU und FDP begründen die Ablehnung des Mindestlohnes mit den vielen Arbeitsplätzen, die im Niedriglohnsektor neu geschaffen wurden. Dabei verschweigen sie aber, dass die Masse dieser Arbeitsplätze schon heute durch Billiglöhner aus Osteuropa wahrgenommen wird. Es handelt sich dabei um nichts weiter als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Polen, für Tschechen, für Ukrainer, während gleichzeitig sächsische Arbeiter stempeln gehen müssen.

Aus politischem Kalkül wird hier verschwiegen, warum heute Lohndumping herrscht. Dank internationalem Raubtierkapitalismus und der schrankenlosen Öffnung des Marktes findet heute zunehmend ein Wettbewerb um den niedrigsten Preis, um den niedrigsten Lohn statt. Osteuropäische Billiglöhner vernichten hierzulande

reguläre Arbeitsplätze, indem sie zum Beispiel in Schlachthöfen für 2 Euro die Stunde arbeiten, Skandaltariflöhne in der Fleischerbranche also noch einmal unterbieten – Tariflöhne, die seit 1996 gelten und die auf Arbeitgeberdruck bis zum heutigen Tage unangetastet bleiben.

Weitere Lehrstücke – das ist schon angesprochen worden – schwarz-gelber Tarifgerechtigkeit haben wir im Friseurhandwerk mit einem Stundenlohn von 3,82 Euro – umgerechnet nicht einmal 600 Euro Monatseinkommen – erlebt. Allein im Friseurhandwerk gibt es 15 000 Menschen, die auf Zuschüsse vom Staat angewiesen sind. Mein Kollege Gansel hat es bereits angesprochen: Bundesweit sind das über vier Millionen Menschen, die mit Niedriglöhnen von unter 7 Euro zurechtkommen müssen. Eine solche Politik ist nicht nur ungerecht, sie ist leistungsfeindlich.

Die Koalition hierzulande hat immer wieder propagiert: Arbeit muss sich lohnen. – Aber, meine Damen und Herren, misst man das Leistungsvermögen von CDU und FDP an ihren eigenen Versprechen, gehören sie eher heute als morgen abgewählt.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren, statt auf Leistung, auf Arbeitsanreize, auf soziale Gerechtigkeit setzt die schwarz-gelbe Regierung lieber auf Niedriglöhne, bei denen mit Steuergeldern Löhne aufgestockt werden. Sie betreiben keine Politik mehr für den Mittelstand oder für unsere Landsleute, die am untersten Existenzminimum arbeiten und um dieses fürchten müssen, sondern Sie betreiben nur noch Politik für Konzerne und Lobbyistengruppen.

Aber auch DIE LINKE mit ihren „Reichtum für alle“Phrasen betreibt nur noch Klientelpolitik, weil sie als nützliche Idioten des internationalen Großkapitals immer mehr der Zuwanderung von Lohndrückern nach Deutschland das Wort reden. Im Gegensatz zur politischen Linken

fühlen wir uns tatsächlich nicht der Heerschar von Ausländern verpflichtet, sondern den Interessen unserer deutschen Landsleute. Das gilt sowohl den Arbeitnehmern wie auch dem Schutz der heimischen Wirtschaft. Denn was die Linke immer wieder ausblendet, ist, dass durch den globalen Verdrängungswettbewerb heute viele kleine und mittelständische Unternehmen doch überhaupt nicht in der Lage wären, einen solchen Mindestlohn zu zahlen. Hier ist es notwendig, dass der Staat als Ordnungsfaktor der heimischen Wirtschaft eintritt, um für die Beschäftigung hier in Deutschland diese Beschäftigung zu sichern.

Zum Schutz unserer Wirtschaft ist es notwendig, dass wir endlich dem internationalen Freihandelsextremismus seine Grenzen aufzeigen. Was wir brauchen, ist eine moderne Schutzzollpolitik. Nur so kann der ruinöse Wettbewerb um den niedrigsten Preis mit Billiglohnländern in Osteuropa, in China, in Rumänien usw. unterbunden werden. Es sollte ganz natürlich sein, wenn wir feststellen: Wer in Deutschland Profite erwirtschaften will, der soll gefälligst auch in Deutschland produzieren und in Deutschland Steuern zahlen, oder er muss eben bei der Einfuhr seiner Produkte mit drastischen Schutzzöllen rechnen, so wie das in den Vereinigten Staaten von Amerika gang und gäbe ist.