Protocol of the Session on March 13, 2013

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir haben weiterhin: „Die Festlegung von Einzelheiten und weiteren Differenzierungen obliegt der Kommission.“ Man kann darüber sprechen, welche Differenzierungsmöglichkeiten das sind. Ich bin dafür, sie relativ begrenzt zu halten. Aber wir haben es auch in anderen Ländern wie Frankreich, wo eine hohe Jugendarbeitslosigkeit existiert, dass man sagen kann: Wenn es langzeitarbeitslose Jugendliche gibt, dann kann man vielleicht auch nach unten abweichen. Das ist eine Möglichkeit, die helfen und sinnvoll sein könnte.

Herr Krauß, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte schön.

Folgende Frage ergibt sich aus Ihren Ausführungen: Was empfehlen Sie den 80 % Beschäftigten in Sachsen, die nicht in tariflich organisierten Bereichen arbeiten,

(Christian Piwarz, CDU: Sie haben nicht zugehört!)

wenn Sie eine Lohnuntergrenze über Tarifpartner erreichen wollen? Was empfehlen Sie diesen 80 % Beschäftigten in Sachsen, die nicht tariflich entlohnt werden, wie der Weg gehen soll?

Es ist die Hälfte, weil es auch Anlehnung an Tarifverträge gibt; darauf will ich nicht weiter eingehen. Um es noch einmal verständlich zu machen: Derzeit ist es bei den Verhandlungen zu den Mindestlöhnen so, dass sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einer Branche hinsetzen – nehmen wir die Abfallwirtschaft – und miteinander verhandeln und die Arbeitgeber mindestens 50 % der Beschäftigten umfassen. Sie handeln einen Mindestlohn aus und dann sagt man, dieser Mindestlohn wird für allgemeinverbindlich erklärt, und zwar durch die Bundesregierung, durch die Veröffentlichung in dem entsprechenden Amtsblatt.

Dieser gilt dann für alle und nicht nur für die 50 % der organisierten Unternehmen, die mit verhandelt haben. Natürlich wird auch ein Mindestlohn, so wie ihn die Kommission verhandelt, für allgemeinverbindlich erklärt werden, aber der Staat würde als Justitiar auftreten und nicht noch einmal darin herumrühren und sagen, wir machen es noch etwas anders.

Wir finden, dass der Staat dazu nicht geeignet ist. Wenn die Tarifpartner über Tausende Tarifverträge verfügen, dann haben sie dort schon das große Wissen. Woher sollen wir wissen, wo eine sinnvolle Lohnuntergrenze liegt? Warum überlassen wir es nicht denen, die etwas davon verstehen? Und das sind nun einmal die Tarifvertragsparteien.

Das ist auch noch einmal der Kern, wenn Sie den letzten Satz nehmen: Wir wollen eine marktwirtschaftlich organisierte Lohnuntergrenze und keinen politischen Mindestlohn.

Eines muss klar sein: Wir wollen, dass sich Arbeit lohnt. Es muss sich lohnen, dass ich früh aufstehe, dass ich 40 Stunden pro Woche arbeite. Wenn ich dann sehe, wie viel ich bekomme, wenn ich Hartz-IV-Empfänger bin, dann ist klar: Ich habe automatisch einen Lohn von mindestens 5 Euro, ohne dass ich aufstehe. Das heißt, ich brauche, damit sich Arbeit lohnt, einen Lohn, der darüber liegt.

Ich sage auch noch einmal, Herr Kollege Hahn, man darf den Mindestlohn nicht so als Allheilmittel, wie Sie es dargestellt haben, betrachten. Nehmen wir mal Ihre

10 Euro an, die Sie avisiert haben. Wenn ich die ansetze und jemanden habe, der heute 45 Jahre alt ist und noch 22 Jahre arbeitet und dann mit 47 Arbeitsjahren in den Ruhestand geht, dann erhält er eine Rente von 653 Euro, also letzten Endes unter dem Hartz-IV-Niveau.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Sie akzeptieren es doch!)

Dann ist es eben kein Allheilmittel, Herr Kollege Hahn, sondern eine Unterstützung. Man muss im Rentensystem noch andere Veränderungen vornehmen, die von der Bundesregierung auch vorgeschlagen wurden und die sinnvoll sind. Aber, stellen Sie es, bitte schön, nicht als Allheilmittel dar.

Zum Abschluss: Es gibt eine große Mehrheit in der Bevölkerung, die Mindestlöhne möchte. Es gibt in der politischen Arena eine Mehrheit dafür. Ich halte es mit Michael Sommer, dem DGB-Vorsitzenden, der gesagt hat, einen Mindestlohn würde es 2013 auf jeden Fall geben – ob vor der Wahl oder nach der Wahl, das liegt jetzt in unserer Hand. Ich bin der Ansicht – so wie die Kanzlerin es heute auch gesagt hat –, dass der Mindestlohn noch in dieser Legislaturperiode eingeführt werden sollte.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Dr. Hahn, Sie möchten gern eine Kurzintervention starten? – Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit.

Herr Präsident, vielen Dank! Da Herr Krauß mich direkt angesprochen hat, möchte ich gern zwei Punkte aufgreifen:

Erster Punkt – die Kompetenz der Tarifpartner. Das sehen wir ganz genauso. Natürlich haben die Tarifpartner die entsprechende Erfahrung, und sie sollen verhandeln. Es soll jedoch eine untere Grenze eingezogen werden, die wir zunächst bei 8,50 Euro sehen. Darüber hinaus können die Tarifpartner alles an Rechten für die Beschäftigten aushandeln. Aber es muss diese untere Grenze geben. Das kann man auch politisch vertreten.

Zweiter Punkt: Herr Krauß, Sie haben ebenso wie wir darauf hingewiesen, dass mit 10 Euro Mindestlohn nicht alle Probleme gelöst sind. Deshalb habe ich vorhin gesagt: Die 8,50 Euro sind ein Einstieg. Wir haben in Sachsen immer noch Löhne, beispielsweise im Friseurgewerbe, von unter 5 Euro. In anderen Bereichen sind es 6 oder 6,50 Euro. Das ist völlig indiskutabel. Ich bin nicht bereit, diese niedrigen Löhne auf Dauer fortbestehen zu lassen. Insoweit hat die Politik die Pflicht einzugreifen. Wir haben den Mut, und wir wollen das.

(Beifall bei den LINKEN – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Herr Krauß, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten? – Bitte.

Punkt eins: Keine Gewerkschaft wird einen Tarifvertrag abschließen, der ein Entgelt unterhalb des Mindestlohnniveaus vorsieht. Das kann ich mir nicht vorstellen.

Punkt zwei: Wenn Sie den Mindestlohn von 8,50 Euro vorgeben, dann haben Sie doch den Handlungsspielraum der Gewerkschaften schon eingeschränkt. Sie können denen und auch den Arbeitgebern nicht vorher sagen, was herauskommen soll. Das müssen Sie offenlassen.

Punkt drei: Sie halten sich eine weitere Tür offen, indem Sie die Möglichkeit vorsehen, dass der Bundesarbeitsminister – selbst wenn die Partner verhandelt und ein Ergebnis erzielt haben – davon abweichen und sagen kann: Es ist zwar schön, dass ihr etwas ausgehandelt habt. Aber ich bin der Ansicht, dass es 1 Euro mehr sein sollte.

Das funktioniert nicht. Wenn Sie Tarifautonomie wirklich leben wollen, dann müssen Sie es den Tarifvertragsparteien überlassen, auf welcher Höhe sie einen Mindestlohn festlegen.

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner folgt Herr Brangs für die SPD-Fraktion. Herr Brangs, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier im Landtag über das Thema „Mindestlöhne“ reden. Ich gehe davon aus: Es wird auch nicht das letzte Mal sein. Wir können also davon ausgehen, dass die Debatte auch pädagogische Züge hat. Mir fällt der Spruch ein, dass man durch fortwährende Wiederholung am Ende doch zum Lernerfolg kommt. Vielleicht kann man – insbesondere für die Staatsregierung – einige Argumente wiederholen, sodass es in einer Bundesratssitzung nicht wieder so eine unterirdische Rede des Wirtschaftsministers zum Thema „Mindestlöhne“ gibt. Aber darauf komme ich später zurück.

Wir haben in Sachsen – leider – nach wie vor einen ausgeprägten Niedriglohnbereich. Ebenso ist der Arbeitsmarkt in Sachsen tief gespalten. Wir verzeichnen ein Anwachsen des Anteils prekärer Beschäftigung. Gesamtdeutsch betrachtet sind es über sieben Millionen Menschen, die auf der Basis von 400-Euro-Jobs arbeiten müssen.

Es ist auch so – das ist schon gesagt worden –, dass zahlreiche Beschäftigte – man spricht von 2,5 Millionen – weniger als 6 Euro pro Stunde bekommen. Knapp 1,4 Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 5 Euro pro Stunde.

Man kann nun gebetsmühlenartig sagen – wie Kollege Krauß es getan hat –: Daran sind wir nicht schuld. Das haben andere zu vertreten.

Wir tragen aber auch in sozialpolitischer Hinsicht Verantwortung; dieser müssen wir nachkommen. Wir sehen, dass in unserem Land etwas schiefläuft. Die Schere

zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander. Hier gibt es Menschen, die von ihrer Arbeit nicht leben können und dauerhaft auf soziale Transferleistungen angewiesen sind. Daher bin ich der Auffassung, dass die Politik handeln muss.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Nichts anderes machen wir mit der Diskussion über einen flächendeckenden Mindestlohn als Grenze, unterhalb derer in Deutschland niemand arbeiten darf. Das ist nach wie vor die Position der SPD, die ich auch richtig finde.

Der Verweis auf die Tarifpartner ist richtig; aber er beschreibt auch das Problem. Auf die Antwort auf folgende Frage bin ich gespannt: Heißt das im Umkehrschluss, dass Sie es gut und richtig finden, Kolleginnen und Kollegen der CDU, dass eine Friseurin hier 3,82 Euro verdient? Sagen Sie: „Das ist nicht unsere Verantwortung, sondern die der Tarifparteien“? Oder erkennen auch Sie an, dass wir in Sachsen nur eine geringe Tarifbindung haben? Das führt übrigens dazu, dass immer weniger Tarifverträge geschlossen werden. Es gibt Menschen, die für so niedrige Löhne arbeiten müssen. Die Politik muss doch darauf reagieren, nach dem Motto: Das wollen wir nicht mehr verantworten. Wir müssen eine gesetzliche Untergrenze einziehen. Genau das ist Ziel der in den Bundesrat eingebrachten Initiative. Sie ist unterstützenswert.

Ich komme wieder auf den Bundesrat zu sprechen. Die Rede des Wirtschaftsministers dort zeigt, in welchen Dimensionen er denkt und wes Geistes Kind er ist. Wir sind schon oft aneinandergeraten, aber immer in netter Form. Aber diese Rede hat mich wirklich schockiert. Ich will Ihnen sagen, warum.

Herr Minister, in Ihrer Rede haben Sie ausgeführt, es sei legitim, dass es unterschiedliche Betrachtungen über die Lohnhöhe gebe, nämlich abhängig davon, ob es sich um eine ländliche oder eine städtische Region handele. Sie haben davon gesprochen, dass es beim Lohn Unterschiede zwischen Land und Stadt geben müsse, weil – ich zitiere – „wir in den Städten tendenziell höhere Lebenshaltungskosten haben als in den ländlichen Regionen“. Sie kommen zu dem irrwitzigen Schluss, Mindestlöhne trügen dazu bei, dass mehr Menschen in die Städte ziehen.

In welchem Land leben Sie eigentlich?! Die Situation ist doch eine vollkommen andere. Das Problem ist doch nicht, dass die Menschen in die Städte ziehen wollen, sondern dass in Sachsen Löhne gezahlt werden, von denen die Menschen nicht leben können. Das ist das grundsätzliche Problem.

Sie glauben doch nicht allen Ernstes, dass die Pendlerströme, die es heute schon gibt, beendet würden, wenn wir in Bautzen einen anderen Mindestlohn als in Dresden oder in Görlitz einen anderen als in Niesky hätten. Die einzige Folge wäre vielmehr, dass die Ungerechtigkeit manifestiert würde.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Deshalb geht es gerade nicht darum, regional- und branchenspezifisch unterschiedliche Mindestlöhne festzulegen. Wir brauchen deutschlandweit – flächendeckend! – einen Mindestlohn. So verstehe ich auch die Initiative. Insofern danke ich noch einmal für die Debatte. Aber wir führen sie nicht zum ersten Mal – leider Gottes wahrscheinlich nicht zum letzten Mal. Wir können die unterschiedlichen Positionen gern immer wieder austauschen. Vielleicht haben wir dann endlich einmal die Gewissheit, dass wir auch hier in Sachsen eine Regierung haben, die den Willen der Menschen in unserem Land umsetzt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Herr Gansel, Sie möchten gern eine Kurzintervention vornehmen? – Dazu haben Sie Gelegenheit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte aus NPD-Sicht auf meinen Vorredner eingehen. Wir haben wieder einmal eine Kostprobe sozialdemokratischer Heuchelei erlebt.

Wir alle wissen, dass die Verhältnisse mit prekärer Beschäftigung und Niedriglohnausbeutung direkte Folge der rot-grünen „Agenda-2010“-Politik sind, die Gerhard Schröder noch dieser Tage verteidigt hat; er hat sogar eine „Agenda 2020“ gefordert. Das heißt, in der Spitze der Sozialdemokratie gibt es kein Fehlerbewusstsein, was die „Agenda 2010“ angeht. Insofern ist es abgrundtief heuchlerisch, wenn sich die sächsische SPD hier hinstellt und jetzt einen Mindestlohn fordert, den sie in ihrer Regierungszeit – unter dem sozialen Raubbaupolitiker Gerhard Schröder – auch hätte einführen können.