Protocol of the Session on March 13, 2013

(Einzelbeifall bei der CDU und der FDP)

Im Bereich Verkehr, Energie, Telekommunikationsinfrastruktur werden unter dem Schlagwort „Connecting Europe“ rund 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Davon entfallen 23 Milliarden Euro auf den Bereich Verkehr. Wir wollen dabei insbesondere vom Ausbau der Bahnstrecke Prag – Dresden – Berlin profitieren. Auf dieses Projekt haben wir gemeinsam mit Tschechien hingearbeitet.

Überhaupt wird die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit unseren europäischen Nachbarn Polen und Tschechien weiter von den Hilfen der Europäischen Union profitieren. Die Aufstockung der Mittel ist ein gutes Signal dafür. Somit können wir an eine Reihe von guten Projekten der letzten Zeit anknüpfen. Denken Sie nur an die Fußgängerbrücke über die Neiße in Görlitz. Um diese Brücke haben wir über zehn Jahre gerungen. Nun schafft diese Brücke wie selbstverständlich Verbindungen zwischen Polen und Deutschen, von Mensch zu Mensch. Das ist der Kern dessen, was Europa, was die Europäische Union ausmacht. Wie viel mehr wert ist das als eine Autobahnbrücke?

Solche Beispiele gibt es viele: der Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau als grenzüberschreitendes UNESCO

Weltkulturerbe, das „Festival Mitte Europa“ im Dreiländereck Sachsen–Bayern–Tschechien und die sächsischen Hilfen zur Ausstattung der tschechischen Polizei im Kampf gegen die Kriminalität, um nur einige zu nennen.

Nicht zuletzt helfen solche Projekte, das soziale Gefälle zwischen den Regionen abzubauen. Aus sächsischer Sicht bedeutet dies: Wohlstand hinter der Grenze bringt Sicherheit vor der Grenze.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, der vorliegende Mittelfristige Finanzrahmen der Europäischen Union ab 2014 ist ein faires Ergebnis für alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Und einmal mehr zeigt sich die Stärke des geeinten Europas, die Stärke der Europäischen Union. Meinungsunterschiede sind kein Hindernis für einen Dialog, der zu einem guten Ergebnis führt.

Und deshalb darf über den Verhandlungen zum Finanzrahmen – so überhaupt in den Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate – eines nicht vergessen werden: Bei Europa geht es eben nicht nur um Geld. Europa bedeutet mehr als manchmal endlos erscheinende Verhandlungsrunden. Europa, das ist eine Region des Friedens, der Demokratie und vor allem der Freiheit.

Europa, die Europäische Union steht genauso für Solidarität. Diese Solidarität erleben wir Sachsen seit mehr als zwei Jahrzehnten. Wir sind dafür dankbar, dass wir sie auch in Zukunft erfahren können.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Arne Schimmer, NDP: Das sind doch alles Steuergelder! – Jürgen Gansel, NPD: Das sind alles unsere Steuergelder, Herr Tillich!)

Sie sind jetzt noch nicht dran, Herr Gansel.

Meine Damen und Herren, werfen Sie mit mir einen Blick in die Zukunft. Um das Jahr 2020 stehen uns große finanzpolitische und haushaltspolitische Schritte bevor. 2020 wird der Solidarpakt II ausgelaufen sein. Bis 2020 muss es einen Ersatz für den Länderfinanzausgleich geben. Die Schuldenbremse greift auch in allen Bundesländern. Gleichzeitig dürften in allen EU-Staaten Schuldenbremsen installiert und wirksam werden. Und 2020 wird wiederum der Startpunkt für einen EU-Finanzrahmen sein. Jeder Punkt für sich allein ist eine große Herausforderung, eine Zäsur. Alle zusammengenommen haben sie entscheidenden Einfluss auf die Zukunft des Freistaates Sachsen.

Aber wir Sachsen sind erprobt im Umgang mit solchen Umbrüchen. Das zeigt unsere Leistung der letzten zwei Jahrzehnte deutlich. 2020 wird es genau eine Generation – also 30 Jahre – her sein, dass wir in Sachsen die größten Herausforderungen mit Mut und Zuversicht angepackt und gemeistert haben. Es gilt, diese Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte weiterzuleben und weiterzugeben. Denn auch künftig lautet unser Ziel: Sachsen ist eine gute Heimat. Das bleibt eine Generationenaufgabe, und der Mittelfristige Finanzrahmen der Europäischen Union ab 2014 ist uns dabei eine große Unterstützung.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Langanhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich danke dem Ministerpräsidenten für seine Regierungserklärung. Wir kommen nun zur Aussprache. Folgende Redezeiten wurden für die Fraktionen festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 14 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, NDP 12 Minuten. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NDP. Es eröffnet für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Gebhardt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werter Herr Ministerpräsident Tillich! So kühn wie bei der Anmeldung dieser Regierungserklärung haben wir Sie eigentlich noch nie erlebt: „EU-Haushalt ab 2014 sichert Sachsen weiter gute Perspektiven“.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Unter diesem Titel haben Sie gerade zu uns gesprochen – Herr Schiemann, ich komme gleich dazu –, und das, obwohl über eben diesen europäischen Etat heute erst im Europaparlament abgestimmt wird.

(Zuruf von den LINKEN: Hört, hört!)

Ihr Redenschreiber musste also einen belobigenden Text über etwas verfassen, was es noch gar nicht gibt. Nun führen wir heute noch auf Antrag der Koalition eine große Drogendebatte, der ich zwar nicht vorgreifen möchte, mich jedoch frage, was man genommen haben muss, um aus einem quer durch alle Parteien und Fraktionen auf europäischer Ebene höchst umstrittenen Haushaltsentwurf sichere Perspektiven für den Freistaat abzuleiten.

(Einzelbeifall bei den LINKEN und der NPD – Zuruf von den GRÜNEN)

Nach dem Entwurf des mehrjährigen Finanzrahmens 2014/2020, über den wir heute sprechen, können wir feststellen: Sachsen ist mit einem blauen Auge davongekommen. 66 % Weiterförderung im Vergleich zur jetzigen Höchstförderung haben EU-Kommission und -Parlament vorgeschlagen – 64 % nun der Rat. Die Kofinanzierungsrate von bis zu 80 % – auch für Leipzig – ist ein guter Erfolg. Das ist vor allen Dingen dem Engagement der sächsischen Europaabgeordneten Hermann Winkler,

Constanze Krehl und Cornelia Ernst zu verdanken.

(Einzelbeifall bei den LINKEN und der SPD – Oh! von der CDU – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

So viel Zeit muss sein, Herr Piwarz.

Die erreichten Ergebnisse sind aber nur vor dem Hintergrund des befürchteten höheren Ausfalls von Fördermitteln als positiv zu bewerten, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Die eigentliche Herausforderung nämlich, die jetzige Debatte um Fördermittel angesichts der sich völlig verändernden Finanzierungsgrundlagen in der nahen Zukunft – also EU-Förderung, Solidarpakt, Länderfinanzausgleich und Ähnliches – als Weckruf für ein strategisches Umdenken zu verstehen wurde gar nicht erst angenommen, und ich habe auch dazu von Ihnen, Herr Ministerpräsident, kein Wort vernommen.

Wir als LINKE bekennen uns zur gesamteuropäischen Solidarität. Wir haben 28 Mitgliedsstaaten. Seit 2004 sind vor allem arme oder bitterarme Länder neu zur EU hinzugekommen. 80 % aller Infrastrukturleistungen in Rumänien beispielsweise werden zurzeit aus EU-Mitteln finanziert. Das ist auch gut so, denn wir wollen, dass die Menschen überall in ihrer Heimat eine Perspektive haben. Ich wiederhole heute gern, was ich hier schon einmal gesagt habe: Man kann sich nicht einerseits über Armutsflüchtlinge aus diesen Ländern beklagen und andererseits die Bekämpfung der Armut in diesen Ländern unterlassen.

(Beifall bei den LINKEN)

Genauso wenig seriös ist es übrigens, wenn Deutschland seinen Beitrag zum EU-Haushalt deckelt, obwohl der Bedarf des sozialen Ausgleichs in Europa gestiegen ist und gleichzeitig kritisiert wird, dass deutsche Regionen weniger als früher erhalten.

Bei der Sächsischen Staatsregierung wiederum kollidiert das Selbstvermarktungsbedürfnis des Kabinetts Tillich mit der Interessenvertretung für den Freistaat. Nachdem

der Ministerpräsident unser schönes Sachsen in den Medien schon in die Zielgerade hin zu den zehn wirtschaftsstärksten Regionen des Kontinents hineingeredet hat, können wir eigentlich froh sein, dass die EU bei uns überhaupt noch Förderbedarf wahrnimmt. Auch hier gilt: Etwas mehr Bescheidenheit wäre klüger und brächte der Bevölkerung im Freistaat mehr.

Für den EU-Haushalt gilt sowieso das Gleiche, was wir für den sächsischen Haushalt stets anmahnen. Es geht nicht um eine möglichst wundersame Geldvermehrung, sondern um eine vernünftige Verwendung der Steuergelder. Die EU-Kommission hat gerade erst den Regierungen empfohlen, mehr in den sozialen Zusammenhalt zu investieren. Als konkretes Beispiel wird die Verminderung der Zahl der Schulabbrecher genannt. In Leipzig haben wir 15 % Jugendliche ohne Schulabschluss. Die Lösung solcher Probleme, Herr Tillich, interessiert die Menschen mehr als das Jonglieren mit abstrakten Förderkategorien.

Reden wir also weiter über die Realitäten: Sie, Herr Ministerpräsident, haben in einem Brief an die Europaabgeordneten um Zustimmung zum Vorschlag des Europäischen Rates geworben. Dieser Vorschlag umfasst Verpflichtungen für Ausgaben in Höhe von 960 Milliarden Euro, wobei die Mitgliedstaaten bisher nur 908 Milliarden Euro einspeisen wollen.

Stellen Sie sich also einmal vor, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir würden als Sächsischer Landtag einen Landeshaushalt beschließen, in dem jeder 18. Euro nicht gedeckt ist, also mehr als 5 % aller Einnahmen. Bei aller Kritik, die ich sonst am Finanzminister Unland äußere, so etwas würde er uns wahrscheinlich nicht vorlegen. Dafür aber wirbt der Ministerpräsident jetzt bei den EUAbgeordneten.

Zur Realität in Europa gehört aber auch, dass die europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bisher 4,5 Billionen Euro für die Rettung maroder Banken aufgebracht haben. Zugleich ist es für Unternehmer immer schwieriger, bei diesen Banken Kredite für Investitionen zu bekommen. Nach einer Studie von Ernst & Young kämpft in Deutschland jedes zehnte Unternehmen ums Überleben, und das, obwohl das Lohnniveau seit über zehn Jahren vor sich hindümpelt.

Ja, wir als LINKE sagen – und finden dafür immer mehr Zustimmung auch in Kreisen, die von Wirtschaft mehr verstehen als die FDP –: Dem Mittelstand fehlt die Nachfrage. Das ist Folge des flächendeckenden Lohndumpings. Deshalb braucht Deutschland und insbesondere auch das Niedriglohnland Sachsen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn – und vor allen Dingen jetzt.

(Beifall bei den LINKEN)

Bevor Frau Windisch mich wieder mit Zwischenrufen traktiert, dass ich nicht zum Thema rede, möchte ich ausdrücklich um Verständnis für die Komplexität des

Themas dieser Debatte werben, weil wir sonst nicht über Worthülsen hinauskommen.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Die OECD hat unlängst darauf hingewiesen, dass viele Konzerne in Europa Steuerquoten von 5 % haben, also weit weniger als ein kleiner Angestellter. So kann Europa nicht funktionieren. Auch dazu muss eine Sächsische Staatsregierung das Wort erheben, die wirklich einen politischen Beitrag leisten und gute Rahmenbedingungen für die Menschen im Freistaat Sachsen schaffen will.

Die EU hat den Friedensnobelpreis bekommen. Aber der soziale Frieden steht auf der Kippe. Wenn in Südeuropa halbe Jahrgänge von Jugendlichen arbeitslos sind und in Osteuropa Menschen Hunger leiden und in Slums dahinvegetieren, werden wir keine Insel der Seligen aufschütten können. Herr Schiemann forderte bereits die Wiedereinrichtung der Grenzen zu unseren Nachbarn. Ich bin gespannt, wann der erste CDU-Abgeordnete Zäune und Mauern haben will. Spätestens dann kann ich ihm den Beinamen „SED-Nachfolgepartei“ unentgeltlich abtreten.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir hatten hier in Sachsen einmal einen Ministerpräsidenten, der sich mit der EU-Kommission angelegt hat, wenn es um faire Entwicklungschancen für Industriestandorte in Sachsen gegangen ist. Das war Kurt Biedenkopf. Herr Tillich dagegen wagt es nicht einmal, Frau Merkel zu widersprechen, außer dass er einen Spagat bei ihr entdecken konnte.

Deshalb spielt Sachsen außerhalb der Landesgrenzen zurzeit politisch auch keine Rolle mehr. Ein Ministerpräsident, von dem man im eigenen Land fast nichts hört, kann sich natürlich weder gegenüber der Bundesregierung noch auf europäischer Ebene Gehör verschaffen. Das tut uns nicht gut.

Ich werde Sie mit all den Zahlen verschonen, über die aus sächsischer Perspektive noch zu sprechen wäre. Damit wird Sie mein Kollege Scheel nachher noch erfreuen.

Ich möchte versuchen, Ihnen stattdessen abschließend noch einige Gedanken nahezubringen, die aus meiner Sicht der Schlüssel für eine gute Zukunft Sachsens in Europa sind. Wir sind schließlich das Bundesland mit der längsten EU-Außengrenze gewesen, also allein schon geografisch das europäischste aller Bundesländer.

Die jetzige europäische Fördermitteldebatte sollte tatsächlich als Weckruf für ein strategisches Umdenken verstanden werden, weg vom Nachbarn West auf niedrigem Niveau hin zu einem sozial-ökologischen Umbau. Die Nachhaltigkeit, die kürzlich hier Gegenstand der Debatte über eine Fachregierungserklärung war, lässt sich nicht durch ein bisschen Umverteilen hier und da erreichen. Die langfristige Sicherung der sozialen, ökologischen, materiellen und ideellen Lebensgrundlagen in Sachsen bedarf eines selbstbewussten regionalen Auftretens im Sinne von „Sachsen in Europa“.