Protocol of the Session on January 20, 2010

Herr Bartl hat noch eine Nachfrage.

Nein. – Meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf leistet Abhilfe bei den Problemen, die wir eben besprochen haben, indem er den gebotenen Schutz der Opferwürde konsequent an der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausrichtet. Hierbei handelt es sich, anders als die Opposition uns das weismachen will, um eine traditionelle Schranke der Versammlungsfreiheit, die durch die Verfassung gestützt und durch die Verfassungsrechtsprechung seit Langem bestätigt ist. Die Menschenwürde ist entgegen der Darstellung der Opposition keine neue Schranke des Versammlungsrechts. Die Menschenwürde ist ein in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschriebenes Element der Rechtsordnung, vielleicht sogar das wichtigste Schutzgut überhaupt. Sie ist ein selbstverständlicher Bestandteil der öffentlichen Sicherheit.

Selbst die Änderungsanträge von DIE LINKE und den GRÜNEN, die sie nachher hier begründen werden, sehen dies genauso. In ihren Regelungen wird selbstverständlich weiterhin der Opferschutz als Schutzgut und Eingriffsschranke des Versammlungsrechts beibehalten.

Insofern ist es ziemlich seltsam, welche Auffassung Sie hier im Angesicht des Koalitionsantrages vertreten, während Sie selbst einen Änderungsantrag hereinreichen, der in gleicher Weise den Opferschutz als Schranke des Versammlungsrechtes beibehält. Da sollten Sie sich erst einmal ehrlich machen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Das Gesetz erleichtert den Versammlungsbehörden die Arbeit, indem es den Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit näher ausformt, übrigens anhand von Kriterien, wie sie bereits seit Langem durch die gefestigte Rechtsprechung von Obergerichten ausgeformt worden sind. Das betrifft zum einen verschiedene Orte der Erinnerung an die Opfer von Gewaltherrschaften und Kriegen, die den Behörden verbindlich vorgegeben sind. Zum anderen wird ein wichtiger Anknüpfungspunkt für eine Gefährdung besonders betont, wenn nämlich in der Vergangenheit vergleichbare Versammlungen zu einer Gefährdung oder tatsächlichen Störung geführt haben und es voraussichtlich zu Wiederholungstaten kommen wird.

Im Übrigen bleibt es bei den bewährten Vorschriften des Versammlungsgesetzes des Bundes, die nur in Landesrecht umgegossen werden. Der sächsische Gesetzgeber, meine Damen und Herren, muss insoweit nichts Neues erfinden.

Lassen Sie mich zu einzelnen Punkten etwas anmerken.

Das Gesetz enthält keinerlei Versammlungsverbote, wie hier behauptet worden ist. Auch weiterhin entscheidet die zuständige Behörde nach eigenem Ermessen über die Ergreifung versammlungsrechtlicher Maßnahmen. Das können verschiedenartige Maßnahmen sein, verschiedenste Auflagen bis hin zu einem Verbot – dieses allerdings immer nur unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit als Ultima Ratio, meine Damen und Herren.

Dazu muss die Behörde in jedem Einzelfall nach wie vor eine eigene Prognose anstellen, ein eigenes Ermessen ausüben, dieses begründen, und das vor allen Dingen gerichtsfest. Einen Handlungsautomatismus, wie von manchen Rednern hier in den Raum gestellt, gibt es tatsächlich nicht.

Es gibt auch keine Erinnerungsorte, die zu Tabuzonen für Versammlungen ernannt werden. Die gegenteilige These wird durch ständige Wiederholungen nicht besser. Jede Versammlung – zu welchem Thema auch immer – bleibt dort zulässig; auch im Kernbereich um die Frauenkirche.

Herr Kollege Lichdi, nehmen Sie zur Kenntnis: Sie ist zulässig, solange sie nicht die Würde der Opfer der genannten Gruppen beeinträchtigt oder solange sie nicht gewalttätig zu werden droht. Das bleibt so.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte eine.

Herr Abg. Lichdi, bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Jetzt sind wir wirklich an einem hochinteressanten Punkt.

Ich frage Sie: Würden Sie, wenn Ihr Gesetzentwurf Gesetz werden würde, eine Versammlung, angemeldet meinetwegen von Herrn Apfel, der leider hier in diesem Raum sitzt, an der Frauenkirche oder im Bereich der Frauenkirche zum Thema – keine Ahnung, ich weiß es nicht, irgendwas, also jedenfalls etwas Unverfängliches –, diese Demonstration auf der Grundlage dieses Gesetzes für verbietbar halten: ja oder nein?

Mit dem, was Sie nicht wissen: Wie soll ich Ihnen eine Frage beantworten, von der Sie nicht einmal wissen, wie sie lautet?

(Lachen und Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege Lichdi, ich bitte wirklich um Entschuldigung; aber diese seherischen Fähigkeiten habe ich nicht.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Wer etwas anderes behauptet, der hat entweder den Entwurf nicht gelesen oder will bewusst die unrichtige Behauptung von einer angeblichen Aufhebung der Versammlungsfreiheit verbreiten.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich eines sagen. – Der Kollege Lichdi ist noch vollkommen schockiert.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, hat sich noch nicht wieder zu seinem Platz begeben.)

Vielleicht finden Sie ja die Frage. Dann können Sie noch einmal nach vorn kommen und fragen.

Lassen Sie mich eines klar festhalten: Das Gesetz sichert die Grundrechte für alle Bürger mit nur einer Einschränkung, und die passt offensichtlich manchen nicht. Diese Einschränkung lautet: Die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit aller Bürger werden geschützt, sofern sie sich friedlich versammeln und gewaltfrei demonstrieren und dies unbehelligt von den würdelosen Parolen mancher Naziaufmärsche tun wollen.

Wer sich den Zielen der friedlichen Revolution von 1989 verpflichtet fühlt, der muss zur Kenntnis nehmen, dass es gerade auch die Gewaltlosigkeit war, die diesen Versammlungen ihre historische Kraft, so kann man sagen, verliehen hat. Wer diesen Prinzipien weiterhin anhängt, der wird dem Entwurf der Koalitionsfraktionen, der nationalsozialistische Propaganda wie gewaltbereite Chaoten in Grenzen hält, seine Zustimmung geben, meine Damen und Herren.

Aber lassen Sie mich eines anfügen: Das Gesetz allein reicht nicht. Es muss auch von den dafür zuständigen Behörden mit aller Entschlossenheit und Konsequenz angewendet werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das neue Versammlungsgesetz ist aber nicht nur in seinem Kerngehalt, sondern auch in Einzelaussagen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Konzept der Bewahrung der Opferwürde an bestimmten Erinnerungsorten folgt dem Beispiel des bisherigen Bundesge

setzes, mit dem das Holocaust-Mahnmal in Berlin geschützt wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat die entsprechende Vorschrift nicht einmal im Ansatz für verfassungsrechtlich bedenklich gehalten.

Die gesetzlich geregelte Befugnis der Behörde, zum Schutz der Opferwürde auch an anderen als den im Gesetz genannten Erinnerungsorten einzugreifen, kann ebenfalls nicht ernsthaft in Abrede gestellt werden. Sie würde sich letztlich schon aus der Generalklausel der Gefahrenabwehr zum Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergeben, was auch noch einmal im Gesetz – dort steht das Wort „insbesondere“ – verdeutlicht wird. Das war auch bisher schon so.

Die Rede der Opposition von einem unzulässigen Verwaltungsvorbehalt, unter den das Versammlungsrecht gestellt würde, enthält nichts weiter als eine gezielte Irreführung. Ich habe bereits erklärt, wie die Behörden mit diesem Gesetz zu arbeiten haben. Von Willkür ist dabei nicht die Rede. Es ermöglicht sie auch nicht einmal nur im Ansatz.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass Gesetze von Behörden ausgeführt werden und diese zunächst die Verantwortung für ihre Interpretation und ihr Ermessen tragen, zumal anschließend eine Kontrolle durch die Richter erfolgen kann.

Überhaupt nicht nachvollziehbar ist die Annahme, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem jüngst ergangenen Beschluss zur Verfassungsmäßigkeit des § 130 Abs. 4 StGB mit der Feststellung, das Grundgesetz sei der Gegenentwurf zum Nationalsozialismus, die Eingriffsmöglichkeiten zum Schutz der Würde anderer Opfergruppen eingeengt oder gar beseitigt, meine Damen und Herren. Eine solche Annahme ist Unfug.

Die Gegenentwurfsthese des Grundgesetzes kann auch auf die Sächsische Verfassung Anwendung finden, die sie übrigens auch noch einmal selbst klarstellt. Diese Sächsische Verfassung dürfte – das erschließt sich auch allein mit Blick auf die zeitliche Abfolge – weniger unter dem unmittelbaren Eindruck der zu Ende gegangenen Nazidiktatur als vielmehr als konsequenter Gegenentwurf zur unmittelbar zuvor beendeten kommunistischen Gewaltherrschaft verstanden werden, meine Damen und Herren. Dass man diesem Verfassungsgrundsatz in einem Sächsischen Versammlungsgesetz nicht Rechnung tragen soll, das werden Sie doch nicht ernsthaft behaupten wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Regelungen, die wir hier vornehmen, sind Ausprägungen einer Verfassungsautonomie des Freistaates, die ohne Weiteres mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Sie wollten doch nicht ernsthaft behaupten, dass diese Bezugnahme auf die kommunistische Gewaltherrschaft nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Das wäre nämlich die logische Konsequenz. Daran sehen Sie selbst, wie absurd Ihre Argumentation hier ist.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Menschenwürde, meine Damen und Herren, ist unteilbar und bezieht alle Opfer von Diktaturen ein. Bei der Opferwürde gibt es keinen Unterschied zwischen den Opfern verschiedener Diktaturen. Das wird auch offensichtlich in Ihren Beiträgen verkannt. Dort geht es um die historische Bewertung in der Gesamtschau verschiedener Diktatursysteme, aber nicht um den subjektiven Opferschutz des einzelnen Opfers. Das verkennen Sie in dieser Diskussion, und zwar in erheblichem Umfang.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das Sächsische Versammlungsgesetz ist ein allgemeines Gesetz und damit eine zulässige Schranke der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit, weil es auch dem Schutz der Opferwürde an einzelnen Orten dient und nicht nur bestimmte Meinungen verbietet.

Dass demgegenüber vor allem, Herr Bartl, von der Linksfraktion, wie in den Änderungsanträgen geschehen, feinsinnige Unterscheidungen von Opfergruppen vorgenommen werden, ist in der Tat bedauerlich. Sie blenden die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft am liebsten ganz aus ihrer Wahrnehmung aus und legen damit immer wieder den Verdacht nahe, dass Sie sich letztlich doch schwer damit tun, bestimmte Prinzipien des Rechtsstaates anzuerkennen.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Klaus Bartl, Linksfraktion, steht am Mikrofon.)

Herr Staatsminister, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Meine Damen und Herren! Ich komme sofort noch einmal darauf zurück. Das hat die tragische Konsequenz, dass Sie – ebenso wie die anderen den Entwurf ablehnenden Fraktionen – versagen, wenn es gilt, der Infiltration der Gesellschaft mit nationalsozialistischem Gedankengut nicht nur durch Gesundbeten oder im schlimmsten Fall durch Krawall zu begegnen, sondern dem auch mit klaren gesetzlichen Ansagen und ihrer Vollziehung Einhalt zu gebieten.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Eine Frechheit!)

Dazu sollten Sie sich vorbehaltlos bekennen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Staatsminister, ich frage Sie noch einmal.