Herr Kollege Krauß, hören Sie bitte einmal zu. Es ist vor allem eines: ein bürokratisches Monstrum. Es ist vor allem eines nicht: eine geeignete Maßnahme gegen Kinderarmut.
Ich habe den Kollegen Krauß direkt angesprochen, weil er immer sagt, dass er gegen Bürokratie ist. In der Anhörung wurde von einem Vertreter eines Landkreises, der für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets zuständig ist, gesagt, dass es sich um ein bürokratisches Monstrum handle.
Der zweite Punkt Ihres Antrags zielt darauf, das Bildungs- und Teilhabepaket zu qualifizieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist zwar nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Antrag im Mai letzten Jahres geschrieben wurde. Danach – am 21. Mai – wurde unser Antrag „Bildungs- und Teilhabepaket sinnvoll umsetzen – verlässliche Rahmenbedingungen für Kommunen und Betroffene schaffen“ im Sozialausschuss angenommen. Ich empfehle allen, die hier zuhören, sich dringend die Anhörung noch einmal durchzulesen. Dort sind auch Schritte skizziert, die Sachsen gehen kann. Diese sind nötig, um dem bürokratischen Monster wenigstens etwas Sinnvolles entspringen zu lassen.
Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie jetzt – ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl – der Meinung sind, dass die Staatsregierung im Bund tätig werden könnte, um dieses Bildungs- und Teilhabepaket zu qualifizieren. Weshalb sollten wir annehmen, dass eine schwarz-gelbe Koalition, die dieses Paket verbockt hat, es unseren Vorstellungen entsprechend nachbessert? Das wurde auch in der Anhörung deutlich: Sachsen steht im Vergleich gar nicht so schlecht da und ist nicht das Bundesland, dass im Bund zuerst agieren könnte.
Besser wäre es, danach zu fragen, wie die Staatsregierung mit den in der Anhörung formulierten offenen Fragen und Aufgaben umgegangen ist. Drei davon möchte ich nennen. Frau Mohr vom Städte- und Gemeindetag hatte mitgeteilt, dass sich das SMS mit den kommunalen Spitzenverbänden auf eine abgestimmte Landesstatistik und eine damit verbundene Datenerhebung verständigt hat. Meine Frage dazu lautet: Liegt diese Statistik vor und – wenn sie vorliegt – welche Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen?
Eine zweite Aufgabe resultierend aus der Anhörung ist die Forderung nach einer umfassenden Einbeziehung und Abstimmung mit dem Kultusministerium. Diese wurde von vielen Sachverständigen erhoben. Dabei geht es um die Lernförderung, die Verwaltungsvorschriften zu Schul- und Klassenfahrten und die Konten für die Schulen.
Als dritte Aufgabe haben die Sachverständigen Folgendes geäußert: Rechtssicherheit für die Kommunen herzustel
len. Es geht um das Mittagessen in den Horten oder die Abgrenzung der Leistungen für Lernförderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, die jede Schule für Kinder bereithalten muss. Das sind die Fragen, auf die wir Antworten brauchen.
Ich möchte noch ein paar Zitate anführen. Das sind Zitate von jemandem, der nicht verdächtig ist, den GRÜNEN besonders nahe zu stehen. Ich möchte Herrn Jürgen Neumann vom Landkreistag zitieren. Er hat unter anderem Folgendes gesagt – es ging um die Schulkonten –: „Kultus ist im Moment nicht bereit, sogenannte Schulkonten einzurichten. Es ist nur dem Agieren der Vertreter aus den Landratsämtern, kreisfreien Städten und Schulen vor Ort geschuldet, dass dort Lösungen gefunden werden.“ Das ist ein Punkt, den wir in Sachsen durchaus lösen könnten.
Zur Lernförderung hat er Folgendes gesagt: Die Schule ist nach dem sächsischen Schulgesetz zuvörderst für die Erreichung der Lernziele verantwortlich. Kann das nicht erreicht werden, muss man schauen, dass man mehr Lehrer einstellt und Stunden zur Verfügung hat, damit die Schüler das Lernziel erreichen.
Es kann nicht angehen, dass, wenn ein zuvorderst Verantwortlicher seiner Pflicht aus verschiedensten Gründen nicht mehr nachkommt oder nachkommen kann, andere Leistungen dafür herhalten müssen. Zuallererst sind die Schulen für das Erreichen des Bildungsziels verantwortlich. Das Bildungs- und Teilhabepaket, das die Lernförderung aufgrund bestimmter Punkte auch noch einengt, zum Beispiel Versetzungsgefahr, kann nur eine ergänzende Leistung sein.
Die anderen Sachverständigen haben sich dem Grunde nach bei allen Punkten gleich geäußert, auch die, welche von Ihnen eingeladen worden sind. Das wäre die Aufgabe gewesen, die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Sachsen zu qualifizieren. Der Aufgabe sind Sie bis jetzt nicht nachgekommen.
Danke, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was uns die LINKEN hier vorgelegt haben, ist ein Aufguss bekannter Themen, die sie unter dem Titel „Maßnahmen gegen die Kinderarmut“ zusammengefasst haben. Dabei hat DIE LINKE in diesem Haus die soziale Situation von Kindern bereits an anderer Stelle mit mehr Sachlichkeit und viel interessanter diskutiert. Dieser Antrag hier wirkte auf uns wie eine schnell zusammengeschusterte Initiative, die nur das Ziel hat, die ideenlose Politik der Bundesministerin Ursula von der Leyen aufs Korn zu nehmen und zum dritten Jahrestag der Entscheidung zum Hartz-IV-Regelsatz für Kinder dieses Thema noch einmal ins Plenum zu ziehen.
Dabei sind wir inhaltlich voll auf Ihrer Seite. Die soziale Situation von Eltern und Kindern in Sachsen ist ein entscheidender Grund dafür, warum wir demografisch auf der Strecke bleiben. Eine wirkliche Existenzsicherung für junge Familien, eine gesicherte Schülerbeförderung, für alle bezahlbare Schulausflüge und kostenfreie Mittagessen sind die tagtäglichen Problemstellungen von Eltern und Kindern im Freistaat, deren wir uns annehmen müssen. Umso verwerflicher ist es, wenn man diese Themen so nebenbei einbringt, um sie als Kritik Richtung Berlin zu benutzen, zumal Sie es der Staatsregierung auch ziemlich leicht gemacht haben, Ihr inhaltlich wichtiges Anliegen mit wenigen Worten abzutun.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es in der Stellungnahme angenommen wird – Sie nennen es in Ihrem Punkt 1 jedenfalls nicht so –, können wir nicht mittragen, wohl aber die Kritik an dem verunglückten Teilhabepaket. Schuldig geblieben sind Sie ein schlüssiges Konzept zur Existenzsicherung von Kindern und Jugendlichen.
Zum Punkt 2 a, diverse Leistungen in den Regelsatz einzuführen, antwortet die Staatsregierung lapidar mit vorhandenen Anlaufschwierigkeiten, derzeit stattfindenden Beobachtungen der anlaufenden Maßnahmen oder der noch ausstehenden Evaluation des Bildungs- und Teilhabepakets.
Wenn Sie neben der NPD als soziale Opposition in diesem Haus auftreten wollen, hätten Sie genau hier nachlegen müssen und der Regierung und den Koalitionsparteien an diesen Beispielen aufzeigen können, wie sie die Menschen im Freistaat hängen lassen und immer wieder auf später vertrösten.
Trotz aller Fehler werden wir aber Ihrem Antrag zustimmen, weil für uns nicht nur die soziale Kinderarmut in Sachsen ein Thema ist, sondern uns auch die quantitative Kinderarmut mit Sorge erfüllt. Sie kennen ja unsere zahlreichen Initiativen, die sich mit den Problemen rund um den demografischen Wandel befassen, und unsere Lösungsvorschläge dazu.
Die soziale Situation von jungen Familien und die kinderunfreundliche Politik der Bundes- und Staatsregierung wurden von uns schon vielfach thematisiert. Diese Kinderunfreundlichkeit, die erst kürzlich, zu Weihnachten, in einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung bestätigt wurde, macht sich allerdings nicht allein an finanziellen Hilfen fest. Auch mit den von Ihnen geforderten Maßnahmen gegen Kinderarmut werden wir nicht aus der demografischen Falle herauskommen.
Wir stimmen dem Antrag nur deswegen zu, weil eine bundespolitische Initiative Sachsens zur Existenzsicherung von Kindern, einer geregelten Schülerbeförderung, zu bezahlbaren Schulausflügen und kostenlosem Mittagessen ein Schritt in die richtige Richtung wäre, auch wenn der vorgelegte Antrag handwerklich noch sehr ausbaufähig ist.
Meine Damen und Herren! Mir liegt noch eine Wortmeldung für eine zweite Runde vor, Frau Dr. Franke für die Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten! Die Kinderarmut ist aktuell die am weitesten verbreitete und mit Abstand brisanteste Armutsform in der Bundesrepublik Deutschland. Rund ein Sechstel aller Kinder lebt in Haushalten mit Hartz IV. Rechnet man die übrigen Betroffenen dazu, also Sozialhilfehaushalte und auch Flüchtlinge, so leben 20 % aller Kinder unter Sozialhilfeniveau. Dabei wird das Problem durch das Ost-West-Gefälle auch für Sachsen noch weiter verschärft. Das größte Armutsrisiko haben Kinder aus Hartz-IV-Familien und Eltern in prekären Arbeitsverhältnissen.
Die Armut der Kinder wird flankiert durch fortwährende Diskriminierung der Eltern und Ausgrenzung der Kinder, durch Mangel an Schulmaterial und das zunehmende Fehlen von sinnvollen Freizeitmöglichkeiten. In DresdenProhlis gibt es zum Beispiel von vorher drei Freizeiteinrichtungen nur noch eine einzige.
Nicht wenige Familien bangen um ihre Mietwohnungen. Das ist eine Folge des Verkaufs des gesamten kommunalen Wohnungsbestandes in Dresden. Die Energiekosten für die Familien steigen. Stromabschaltungen sind bereits an der Tagesordnung.
Die Deformation des Sozialstaates in den letzten zehn Jahren hat zugleich einen strukturellen Wandel von der Armut ohne Arbeit zur Armut trotz Arbeit vollzogen. Hier sind die prekären Arbeitsverhältnisse gemeint, die in Deutschland und auch in Sachsen Einzug gehalten haben.
Die Höhe von Hartz IV deckt das Existenzminimum nicht annähernd und entspricht nicht der Lebenswirklichkeit von Familien mit Kindern.
Die unsägliche Praxis der Bedarfsgemeinschaften und Sanktionen abzuschaffen muss der erste Schritt zur Beseitigung von Hartz IV sein.
Die meisten Eltern in prekären Verhältnissen kämpfen verbissen um Normalität für ihre Kinder. Sie sichern ihre Ernährung und Kleidung, auch mit Hilfe der Tafeln. Sie fördern Begabungen. Sie geben den Kindern Wärme und Halt. Sie sind so stolz, wenn ihre Kinder herausragende Leistungen vollbringen. Man kann es sich überhaupt nicht vorstellen, mit welchem Hochgefühl sie dann daherkommen und es allen, die es wissen wollen oder auch nicht, erzählen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Kind aus einer solchen Familie mit Erfolg das Abitur erreicht hat.
Es gibt zahlreiche Initiativen, vorwiegend im Ehrenamt, die Hilfe leisten, ohne damit das Armutsproblem lösen zu können. Auch die von mir vor 18 Jahren gegründete Dresdner Tafel gehört dazu. Es ist für die Betroffenen ein Segen, dass es Tafeln gibt. Aber für das reiche Deutschland ist es eine Schande, dass es Tafeln geben muss.
In Dresden sind von den wöchentlich 12 000 bei der Tafel versorgten Bedürftigen ein Drittel Kinder. Ihnen eine Zukunft ohne Armut zu sichern erfordert Veränderungen und Lösungen aus gesamtgesellschaftlicher Sicht. Dazu gehört der politische Wille aller Fraktionen in diesem Landtag.
Ich frage die Abgeordneten: Gibt es noch Wortmeldungen in der zweiten Runde? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Clauß, Sie haben das Wort. Bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Zum wiederholten Male fordern Sie eine Kindergrundsicherung. Zum wiederholten Male debattieren wir hier im Plenum darüber.
Das Primat der deutschen Sozialleistungen ist: Es wird zuerst geschaut, was der Einzelne hat. Wenn das nicht reicht, unterstützt der Staat, eigentlich der Steuerzahler, mit Transferleistungen. Das ist solidarisch.
Im Gegensatz dazu gehen die meisten Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens davon aus, dass dies die einzige Einnahme wäre und andere Transferleistungen wie beispielsweise steuerliche Freibeträge und Kindergeld reduziert oder abgeschafft werden sollen. Das gilt auch im Kontext der Kindergrundsicherung.
Schauen wir noch einmal kurz auf das Bildungs- und Teilhabepaket, welches 2011 auf den Weg gebracht wurde.
Mit diesen wurde innerhalb der Transferleistungen eine neue Priorität gesetzt, hin zu den besonderen Bedarfen unserer Kinder, hin zu individuellen Bedarfen. Das war ein wichtiger und auch ein richtiger Ansatz. Aber es gab genügend Rufer, die gesagt haben: Das Geld reicht nicht für Schul- und mehrtägige Klassenfahrten, für schulische Angebote und ergänzende Lernförderung, die Teilhabe an der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung und vieles andere mehr: eine hitzige Debatte hier bei uns, aber auch auf Bundesebene und in verschiedenen Bundesländern.
Fakt ist: Es ist genügend Geld da. Aber wir müssen dafür sorgen, dass das Geld bei den Kindern ankommt, wenn auch nicht immer als Geldfluss bzw. Geld zu den Eltern. Es ist kein Geheimnis, dass die Leistungen mit sehr viel Verwaltungsaufwand verbunden sind. Deshalb haben sich alle Bundesländer auf der vergangenen Arbeits- und Sozialministerkonferenz im November 2012 entschieden, eine Bundesratsinitiative zu starten.
Ziel des Änderungsgesetzes ist es, den Zugang zu diesen Leistungen zu erleichtern. Die Grundsätze des Bildungs- und Teilhabepaketes werden dabei bewusst nicht infrage gestellt. Hierzu nenne ich kurz das Beispiel der Schülerbeförderung. Es war bisher sehr schwierig, den Eigenanteil zu ermitteln. Deshalb ist im Änderungsgesetz der Eigenanteil in der Regel auf 5 Euro festgeschrieben. Das ist zumutbar und erleichtert nun das Verwaltungsverfahren. Es wären auch noch andere Beispiele zu nennen.
Selbstverständlich setzt sich die Staatsregierung auch weiterhin in den entsprechenden Gremien auf Bundesebene für die Verfahrenserleichterung und den Abbau von bürokratischen Hemmnissen ein. Wir prüfen weiterhin Optionen. Gemeinsam mit den Kommunen werden wir evaluieren und uns länderübergreifend nochmals positionieren.
Meine Damen und Herren! Eines steht fest: Im Zentrum unserer Politik stehen Familien mit Kindern, denn Kinder haben Eltern. Wir unterstützen unsere Familien dort, wo sie Unterstützung brauchen, und handeln so zum Wohle unserer Kinder.