Herr Lichdi hat völlig recht. Er hat nämlich den Kerngedanken begriffen. Es geht bei der Parteienverbotsproblematik eben nicht darum, Ideen aus dem Prozess der öffentlichen Meinungsfindung auszuscheiden. Die NPD orientiert sich nicht am Nationalsozialismus, sondern an der nationalen demokratischen Revolution von 1848.
Aber, in einem Parteienverbotsverfahren geht es eben nicht darum, Ideen aus dem politischen Prozess –
– auszuscheiden, sondern die Gewaltschwelle ist entscheidend. Hier hat sich die NPD strikt am staatlichen Gewaltmonopol orientiert, und von der NPD ist nie Gewalt ausgegangen.
Wir fahren in der Aussprache in der ersten Runde fort. Für die CDU-Fraktion Herr Schiemann. Bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben ja einen engagierten Vortrag meines Vorredners zur Kenntnis genommen.
Ich kann nur eines sagen: Ich gehe davon aus, dass die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht festgelegt hat, ein Parteienverbotsverfahren zu ermöglichen, auch von den zuständigen Innenministern entsprechend geprüft und abgewogen worden sind und dann erst dazu geführt haben, den Ministerpräsidenten der Länder zu empfehlen, dieses Verbotsverfahren anzustrengen. Davon gehe ich aus,
denn alles andere wäre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes überhaupt nicht denkbar und möglich.
Es wäre töricht, Frau Kollegin, wenn man einen solchen Weg gehen und das fachlich nicht prüfen würde. Deshalb kann ich nicht daran zweifeln, dass die Innenminister diese sachlich notwendige Prüfung durchgeführt haben. Ansonsten, denke ich, hätten die Ministerpräsidenten diesen Weg nicht mitgehen können.
Mich erstaunt ein wenig, dass ein Land, das sich in der letzten Woche an der Vorbereitung des Verbotsverfahrens beteiligt hat – das Land Hessen – am heutigen Tag erklärt, dass es an einem Verbotsantrag im Bundesrat nicht teilnehmen wird. Das erstaunt mich sehr, zumal die Innenminister viele Monate Zeit hatten, diese Abstimmung durchzuführen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die NPD hat in den zurückliegenden Jahren mit vielen Aktionen bewiesen, dass sie eine menschenverachtende, antisemitische und rassistische Politik verfolgt. Mehrfach hat die Partei bewiesen, wie die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, wie Rassenhass geschürt wird
und Freiheitsrechte hier lebender Bürger verschiedener Hautfarbe und verschiedenen Glaubens beschnitten werden sollen.
Der NPD geht es schon lange nicht mehr darum, die Verfassung, das Grundgesetz, zu ändern. Sie will ihre Ideologie umsetzen und in einer Diktatur dieses Grundgesetz mit den entsprechenden Grundrechten,
Die Bekenntnisse ihrer Führungskräfte zum Grundgesetz, die wir immer wieder hören, sind vorgetäuscht und rein taktisch begründet, da sie wissen, dass es jetzt eng wird. Nicht nur hier im Sächsischen Landtag haben wir erschreckende Beispiele des tatsächlichen Denkens dieser Partei erlebt. Wir werden es daher nicht zulassen, dass sie ihr Gedankengut dazu nutzen, die Demokratie und den Rechtsstaat abzuschaffen.
Deshalb werden wir auch alle Mittel einsetzen, um die Umsetzung ihrer Pläne zu verhindern. Hierzu gehört selbstverständlich auch die Möglichkeit der Prüfung eines Parteienverbotsverfahrens gemäß Artikel 21 Abs. 2
Wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei ausführt, hat der Verfassungsgesetzgeber vor dem Hintergrund der historischen Erfahrung hinsichtlich des Umgangs mit verfassungsfeindlichen Parteien eine klare und deutliche Entscheidung getroffen.
Auf der einen Seite wird durch Artikel 21 garantiert, dass die Gründung von Parteien frei ist. Auf der anderen Seite sieht das Grundgesetz die Möglichkeit vor, die Tätigkeit verfassungswidriger Parteien zu verhindern. Der Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz ist, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum KPD-Verbot ausgeführt hat, ein Bekenntnis zu einer in diesem Sinne streitbaren Demokratie. Die Weimarer Verfassung enthielt diese Möglichkeit nicht. Das Ergebnis ist bekannt.
Wir alle wissen aber, dass ein Parteienverbot sehr engen Voraussetzungen unterliegt. Das ist auch gut so. Politische Parteien haben nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes eine hervorgehobene Stellung in der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes. Sie werden in Artikel 21 Abs. 1 als verfassungsrechtlich notwendig für die politische Willensbildung des Volkes anerkannt. Deshalb genießen Parteien eine erhöhte
Schutz- und Bestandsgarantie. Dies äußert sich darin, dass nur – ich betone: nur – das Bundesverfassungsgericht mit qualifizierter Mehrheit eine Partei für verfassungswidrig erklären kann. Auch reichen allein die Bestrebungen einer Partei, die obersten Prinzipien einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht anzuerkennen oder gar abzulehnen, für ein Verbot nicht aus.
In dem schon zitierten KPD-Verbotsurteil fordert das Bundesverfassungsgericht, dass eine aktiv kämpferisch aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen muss. Sie muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf selbst beseitigen wollen, wobei – das ist entscheidend – die Absicht bereits ausreicht, um ein Parteienverbot zu rechtfertigen. Dabei muss klar die Bedrohung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erkennbar sein. Auch ist als Ergebnis des gescheiterten Verfahrens von 2003 darauf zu achten, dass das Material nicht von V-Leuten, die im Dienst staatlicher Stellen in Führungsebenen der zu verbietenden Partei tätig sind oder waren, stammt.
Eine Staatsfreiheit der Führungsebenen ist erforderlich. Ein Parteienverbotsverfahren erfordere weiter – so das Bundesverfassungsgericht – ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, ein Höchstmaß an Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Herr Dr. Ole Schröder, hat auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Beck am
25. November 2011 geantwortet: „Im Rahmen der Prüfung eines NPD-Verbotsantrages sind alle in diesem Zusammenhang maßgeblichen Aspekte mit heranzuziehen. Hierzu gehören auch die Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie mein Vorredner es bereits ausgeführt hat, einschließlich der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes sind diese Anforderungen von allen staatlichen Organen auch bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der relevanten Sachverhalte zu berücksichtigen.“
Dies – ich gehe davon aus, dass ich auf meine Eingangsworte zurückkommen kann – setzt eine große Verantwortung bei der Erstellung und Vorbereitung des Verbotsantrages voraus. Deshalb ist selbstverständlich auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu beachten und zu würdigen. Alles andere wäre fahrlässig. Die Maßstäbe des EGMR sind klar. Voraussetzung ist entsprechend Artikel 11 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskommission, dass das
Entsprechend der Rechtsprechung des EGMR ist dies dahingehend zu verstehen, dass nachvollziehbare Hinweise dafür vorliegen, dass die Demokratie hinreichend bedroht ist. Anders als das Grundgesetz enthält die Euro
päische Menschenrechtskonvention keine ausdrückliche Regelung zur Stellung und Funktion politischer Parteien. Deshalb wird im Fall eines Parteienverbotes geprüft, ob Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt sind. Dabei kommen vorrangig in Betracht Artikel 9 die Gedankenfreiheit, Artikel 10 die Meinungsfreiheit, Artikel 11 die eben schon zitierte Vereinigungsfreiheit, wobei der Schwerpunkt der Prüfung regelmäßig auf Artikel 11 gelegt worden ist.
Daneben spielt die Frage der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des EGMR eine erhebliche und damit bedeutende Rolle. Der EGMR wägt ab, ob der Eingriff in die Vereinigungsfreiheit im Verhältnis zur Bedrohung durch die zu verbietende Partei erforderlich und angemessen ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ministerpräsidenten haben auf Empfehlung der Innenministerkonferenz letzte Woche einstimmig beschlossen – ich betone: einstimmig beschlossen –, dem Bundesrat vorzuschlagen, erneut einen Antrag auf Verbot der NPD zu stellen. Ich gehe davon aus, dass das diesem Beschluss zugrunde liegende Material intensiv geprüft worden ist und unter Beachtung der von mir zuvor skizzierten Maßstäbe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäisches Gerichtshofes für Menschenrechte für Parteienverbote sorgfältig bewertet wurde.