Protocol of the Session on December 13, 2012

Auch unser kompetenter und mutiger Staatsminister Ulbig verweigerte die Unterschrift und schob den Interimspräsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz vor. Der aber wird längst nicht mehr im Amt sein, wenn es in Karlsruhe zum Schwur kommt.

Anfang Dezember forderte schließlich die Innenministerkonferenz den Bundesrat, den Bundestag und die Bundesregierung auf, ein neues Verbotsverfahren einzuleiten. Der Bundesinnenminister und die Länder sind sich aber keineswegs einig, denn Bundesinnenminister Friedrich, das Saarland und Hessen haben zu Protokoll gegeben, dass sie nicht an einen Erfolg glauben.

Ich zitiere aus der Protokollerklärung: „Über die Erfolgsaussichten eines Parteiverbotsverfahrens gibt es im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nach wie vor erhebliche Risiken. Dabei ist zu bedenken, dass bei einem Scheitern, wie schon das erste Verbotsverfahren im Jahre 2003 gezeigt hat, die Gefahr besteht, dass die NPD letztlich gestärkt aus einem solchen Verfahren hervorgeht.“

Meine Damen und Herren! Recht haben sie: der Bundesinnenminister, die Länder Saarland und Hessen. Aber gleichwohl wollten sich Hessen und das Saarland im Interesse der „Geschlossenheit der Demokraten“ und im Interesse eines „deutlichen Signals an alle verfassungsfeindlichen Kräfte“ einem Verbotsverfahren nicht entgegenstellen.

Meine Damen und Herren! Ich komme nun zu einer Schlussfolgerung. Die Innenminister des Bundes und der Länder haben sich wie die Lemminge über die Klippe eines neuen Verbotsverfahrens gestürzt. Die wohlbekannten Risiken können nicht mit forcierter Entschlossenheit und demonstrativer Geschlossenheit weggewischt werden. Die Entscheidung zur Einleitung eines neuen Verbotsverfahrens ist kein antifaschistischer Lackmustest, zu dem er hochstilisiert wurde; vielmehr sollten die rechtlichen Voraussetzungen und die politischen Folgen rational und mit kühlem Kopf bedacht werden.

Neben Innenpolitikern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion haben sich jüngst auch Bundestagspräsident Lammert wie auch Kanzlerin Merkel kritisch zu einem neuen Verfahren geäußert. Auch die Kommentatoren des „Spiegel“ und der „F.A.Z“ warnen eindringlich. Ich möchte an dieser Stelle gern und alleinig nur den Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt zitieren – auch ein Gegner eines NPDVerbotsverfahrens. Bei unserem Forum am 19. Juli 2012 zu diesem Thema resümierte er zugegeben etwas launig: „Als Katholik, der ich bin, werde ich mir überlegen, welches das wirksamste sächsische Marienheiligtum ist. Dort werde ich mit einer sehr großen Kerze bewaffnet hingehen, sie entzünden und meine flehentlichsten Gebete zum Himmel schicken, dass dieses risikoträchtige Unterfangen einer Verbotsklage gegenüber der NPD beim Verfassungsgerichtshof unterbleibt; denn die Folgen dürften dramatisch schlecht sein. Und vielleicht hilft uns dann bloß noch der Himmel.“

In den letzten Tagen ist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer, der im Jahr 2003 mitverantwortlich für die Einstellung des ersten Verbotsver

fahrens war, oft als Befürworter eines neuen Anlaufs zitiert worden. Liest man aber das „Spiegel“-Interview vom Montag dieser Woche, so bleibt eines hängen: Auch Herr Hassemer weist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hin und möchte dezidiert keine Prognose über die Erfolgsaussichten abgeben.

Meine Damen und Herren! Die Verbotsbefürworter – egal, welcher politischen Couleur – haben bisher eine öffentliche Debatte über die Voraussetzungen eines NPDVerbotes verweigert. Auf unseren detaillierten Antrag zu den Voraussetzungen haben Sie, Herr Staatsminister Ulbig, nur mit knappen Floskeln geantwortet und auf die Bundesebene verwiesen. Offensichtlich haben Sie sich überhaupt keine eigenen Gedanken über das Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen gemacht.

(Christian Piwarz, CDU: Nicht schreien!)

Die Innenminister behandeln die eingeholten Rechtsgutachten als geheime Verschlusssache. Auch die Bundestagsabgeordneten sollen offenbar nur im Geheimhaltungsraum Einsicht in die Materialsammlung erhalten. Ich sage ganz klar: Dies spricht nicht für die Überzeugungskraft der Argumente der Verbotsbefürworter.

Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Scheinargument, man wolle gegenüber der NPD nicht die Karten aufdecken. Spätestens in Karlsruhe sind alle Argumente öffentlich vorzutragen und öffentlich zu erörtern.

Mein Eindruck bleibt: Sie verhindern eine öffentliche und rationale Debatte, weil Sie sich Ihrer Argumente nicht sicher sind.

Die Debatte um die Voraussetzungen eines Parteiverbots ist bisher von vier Irrtümern geprägt. Irrtum 1: Der Nachweis verfassungsfeindlicher Ziele einer Partei reicht für ihr Verbot aus. Noch einmal: Wir zweifeln nicht, dass die NPD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, und dazu haben gerade wir im Sächsischen Landtag die Materialsammlung der Innenminister wahrlich nicht benötigt.

Diese Aussage ist aber falsch. Man darf in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes auch die Abschaffung dieses Grundgesetzes fordern. Ja, die NPD darf sogar die Wiedereinführung des Nationalsozialismus in Deutschland fordern. Ich zitiere das Bundesverfassungsgericht aus dem Wunsiedel-Beschluss aus dem Jahre 2009: „Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die der Verfassung zugrunde liegenden Wertsetzungen persönlich zu teilen.“

(Staatsminister Markus Ulbig: Wir reden von der Partei und nicht vom Bürger!)

„Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Geschützt sind damit von Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz auch Meinungen,“

(Staatsminister Markus Ulbig: Artikel 21, nicht Artikel 5!)

„die auf eine grundlegende Änderung der politischen Ordnung zielen, unabhängig davon, ob und wieweit sie im Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung durchsetzbar sind. Das Grundgesetz vertraut auf die Kraft der freien Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Dementsprechend fällt selbst die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts als radikale Infragestellung der geltenden Ordnung nicht von vornherein aus dem Schutzbereich des Artikels 5 Abs. 1 Grundgesetz heraus.“

Vielleicht haben Sie es nicht gehört, der Herr Staatsminister hat dazwischengerufen, das gelte nicht für Parteien. – Wenn Sie sich die Rechtsprechung zum Versammlungsrecht anschauen, dann sehen Sie ganz genau, dass hier eine Parallelisierung zwischen der Reichweite der Meinungsfreiheit und der Reichweite der Versammlungsfreiheit gezogen wird. Dies gilt nach meiner Überzeugung auch im Lichte des Artikels 21.

(Vereinzelt Beifall bei den GRÜNEN)

Kurz zusammengefasst: Man darf in der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes auch Nazi sein, wie es die Herren und die eine Dame hier drüben sind.

(Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Ich sage noch eines: Das kann auch gar nicht anders sein; denn ein Staat, der sich anmaßt, über die Richtigkeit und Zulässigkeit der Gesinnungen und Meinungen seiner Bürger zu entscheiden, der hat seine Freiheitlichkeit bereits aufgegeben.

Irrtum 2: Karlsruhe wird nach den Maßstäben des KPDUrteils von 1956 entscheiden. Offenbar legt die Materialsammlung der Innenminister die Rechtslage zugrunde, wie sie das Bundesverfassungsgericht 1956 anlässlich des KPD-Verbots festgestellt hatte. Karlsruhe hatte damals ausreichen lassen, dass die Kommunisten eine Diktatur des Proletariats als Fernziel anstreben. Entsprechend wurde die Voraussetzung des aggressiv Kämpferischen weit ins Vorfeld einer konkreten Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung verlagert.

Diese Rechtsprechung, meine Damen und Herren, ist schon unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten überholt und allein und nur durch die Blockkonfrontation in den Zeiten des Kalten Krieges zu erklären.

Irrtum 3: Karlsruhe würde allein über ein Verbot entscheiden. Es ist wohl erst in den letzten zwei Wochen in das Bewusstsein der allgemeinen Öffentlichkeit gedrungen: Karlsruhe wird nicht das letzte Wort in einem Parteiverbotsverfahren haben. Die von Deutschland gezeichnete Europäische Konvention für Menschenrechte schützt die Vereinsfreiheit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg – nicht zu verwechseln mit dem EuGH der EU – hat sich in jüngster Zeit mehrfach mit Parteiverboten beschäftigt.

Der EGMR verlangt für ein Parteiverbot eine konkrete Gefahr für die demokratische Ordnung. Dafür müsse eine dringende gesellschaftliche Notwendigkeit – auf Eng

lisch: pressing social need – bestehen. Er hat ein Parteiverbot in zwei Fällen gehalten: Im Falle der Baskischen Partei Herri Batasuna konnte nachgewiesen werden, dass diese unmittelbar von der Terrororganisation ETA gesteuert wurde, und natürlich war das Verbot gerechtfertigt.

Im Fall der türkischen Wohlfahrtspartei Refah – übrigens die Vorläuferorganisation der türkischen Regierungspartei AKP – stellte der Gerichtshof fest, dass diese die Scharia einführen wollte, also ungleiche Rechtssysteme für die Staatsbürger. Dies verstößt selbstverständlich gegen die Prinzipien einer Demokratie.

Der EGMR stellte aber zweitens fest, dass die RefahPartei aufgrund ihrer Parlamentssitze und aufgrund aktueller Umfragen drauf und dran sei, die nächsten Wahlen zu gewinnen, und so ihre Ziele tatsächlich umsetzen könnte. Genau dieser Punkt – die tatsächliche Umsetzungsmöglichkeit – war für Straßburg der maßgebliche Gesichtspunkt eines Verbotes.

Meine Damen und Herren! Das Bundesverfassungsgericht wird alles tun, um einen offenen Konflikt mit dem EGMR zu vermeiden. Er wird daher die Anforderungen an ein Parteiverbot nach Artikel 21 im Sinne des EGMR auslegen, und damit hat er bereits begonnen. Im Einstellungsbeschluss von 2003 fordert die Mehrheit der Richter, dass von der Partei – ich zitiere – „eine konkret nachweisbare Gefahr für den Fortbestand des freiheitlichen Verfassungsstaates“ ausgehen muss.

Die maßgebliche Frage, die wir uns vorlegen müssen, lautet also: Ist die NPD eine konkrete Gefahr für den Fortstand des freiheitlichen Verfassungsstaates? Oder: Ist die NPD demnächst in der Lage, aufgrund ihrer Wahlerfolge oder aufgrund einer von ihr gesteuerten Gewaltanwendung die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, als da sind: freie Wahlen, das Mehrheitsprinzip, das Recht auf Opposition, die Geltung der Grundrechte und die Unabhängigkeit der Gerichte, außer Kraft zu setzen? Meine Damen und Herren! Ich habe noch niemanden getroffen, der dies ernsthaft behaupten würde.

Irrtum 4: Ein NPD-Verbot versetze dem organisierten Rechtsextremismus einen entscheidenden Schlag. Die NPD ist nur der sichtbarste Ausdruck des Rechtsextremismus in Sachsen, aber keineswegs ihr stärkster Teil. Wäre denn – so frage ich – der NSU unentdeckt und die rassistischen Morde und Gewalttaten vermieden worden, wenn die NPD verboten gewesen wäre? Wären denn die Kameradschaften, die freien Kräfte und die NaziMusikszene weniger erfolgreich, wenn es die NPD nicht gäbe?

Die Befürworter eines Verbotes beteuern neuerdings, ihnen sei klar, dass ein Verbot das Problem des Rechtsextremismus nicht löse. Aber man wolle der NPD wenigstens den Geldhahn staatlicher Zuwendungen abdrehen. Ja, meine Damen und Herren, es ist unerträglich, dass Steuergelder für die rechtsextremistische Hetze zur Verfügung gestellt werden müssen.

(Beifall des Abg. Peter Wilhelm Patt, CDU – Alexander Delle, NPD: … und für den grünen Blödsinn!)

Aber verantwortlich dafür sind die Wählerinnen und Wähler, die die NPD gewählt haben. Verantwortlich sind auch wir von den demokratischen Parteien, die wir bisher nicht in der Lage waren, die Wählerinnen und Wähler in ausreichender Weise von den Vorzügen der Demokratie und ihrer Werte zu überzeugen. Deshalb: Was bleibt, ist der hilflose Versuch, ein Zeichen zu setzen.

Aber es geht nicht um Zeichen und es geht auch nicht um eine hilflose Symbolpolitik, sondern um die Wahrung des Gewaltmonopols des Rechtsstaates, um den Einsatz der Demokratinnen und Demokraten für die Werte der Demokratie. Ich hätte mir gewünscht, dass die Behörden des Freistaates Sachsen in der Lage gewesen wären, den NSU zu verhindern.

Wieso eigentlich, frage ich, sollen wir für ein Verbotsverfahren den Geheimdossiers ausgerechnet der Behörde vertrauen, die zehn Jahre lang angeblich nichts vom NSU bemerkt haben will? Ich wünsche mir, dass der Freistaat Sachsen den Schutz der Menschen, die sich gegen Nazis engagieren, ernst nimmt, anstatt vor der rechtsextremistischen Gewalt zu kapitulieren und den Opfern den Wegzug zu empfehlen, wie in Hoyerswerda geschehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was wir brauchen, ganz im Sinne des Bundesverfassungsgerichtes, ist der freiwillige bürgerschaftliche Einsatz der Demokratinnen und Demokraten für die Grundwerte der Demokratie. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen ausgegrenzt und angegriffen werden, wie es die NPD mal wieder mit ihrer Brandstiftertour Ende Oktober getan hat. Ich bin stolz darauf, dass es uns nicht nur in Dresden und Leipzig gelungen ist, viele Menschen gegen die NPD-Tour zu mobilisieren.

(Alexander Delle, NPD: Mit Gewalt!)

Ich bin auch stolz darauf, dass es uns gelungen ist, Europas größten Nazi-Aufmarsch in Dresden zur Geschichte werden zu lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Nein, meine Damen und Herren, wir sollten der NPD im Vorfeld der Wahlkämpfe 2013 und 2014 nicht das Viagra eines absehbar scheiternden Verbotsverfahrens gönnen. Deshalb rufe ich Sie auf: Kommen Sie zur Besinnung, prüfen Sie ernsthaft, prüfen Sie öffentlich und prüfen Sie rational die Voraussetzungen eines Parteiverbots und setzen Sie sich für die Maßnahmen ein, die wirklich gegen Nazis innerhalb und außerhalb der NPD helfen!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Herr Schimmer, Sie wollen vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen. Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Präsident! Unabhängig davon, dass uns politisch sehr viel trennt, hat Herr Lichdi soeben eine hervorragende Zusammenfassung der juristischen Ausgangslage eines möglichen NPD-Verbotsverfahrens gegeben und dabei einige wichtige Dinge gesagt, die auch von Staatsrechtlern immer wieder unterstrichen werden – gerade mit Blick auf die menschenrechtliche Ausgangssituation, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zur Voraussetzung für ein Parteienverbot macht.

Ich darf hier die vielleicht beste Kennerin der Menschenrechtsprechung und Parteienverbotsrechtsprechung in Straßburg, Şeyda Emek, zitieren. Das ist eine türkische Autorin, die sicherlich nicht der NPD nahesteht. Sie hat in ihrem Grundlagenwerk geschrieben: „Ein deutsches Verbot der NPD durch das Bundesverfassungsgericht würde einer europäischen Überprüfung nach den gegebenen Umständen wohl ebenfalls nicht standhalten. In einer gefestigten Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist eine Partei von der Größe der NPD nach den Maßstäben des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu tolerieren. Ein Verbot der NPD gemäß Artikel 21 Abs. 2 Grundgesetz wäre im Rahmen einer europäischen Überprüfung nach Artikel 11 Abs. 2 EMRK als unverhältnismäßig zu werten.“ – So die beste Kennerin, wie gesagt eine Türkin, der Parteienverbotsproblematik auf europäischer Ebene.

Herr Lichdi hat völlig recht. Er hat nämlich den Kerngedanken begriffen. Es geht bei der Parteienverbotsproblematik eben nicht darum, Ideen aus dem Prozess der öffentlichen Meinungsfindung auszuscheiden. Die NPD orientiert sich nicht am Nationalsozialismus, sondern an der nationalen demokratischen Revolution von 1848.