Protocol of the Session on June 13, 2012

Beides ist falsch. Da ist es mir auch egal, was als Überschrift über irgendwelchen Kabinettsbeschlüssen steht. Der Maßstab ist die Steigerung der dualen Ausbildung im Sinne der Betroffenen, im Sinne einer bestmöglichen Ausbildung für die Jugendlichen unseres Landes.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Von daher ergeben sich grundsätzlich vier Aspekte – die die Ministerin jetzt noch einmal deutlich ins Blickfeld gerückt hat –, die ausschlaggebend sind für die zu treffenden Entscheidungen.

Erstens – Frau Falken hat es schon angesprochen: Dort, wo es Alternativen zum dualen System gibt, soll die duale Ausbildung auch Vorrang haben. Aber dort, wo dem nicht so ist, können wir auch nicht ganz einfach vollzeitschulische Maßnahmen einsparen; da spreche ich insbesondere für den Sozialbereich, dass die deutlichen Korrekturen, die dort vorgenommen wurden, völlig berechtigt sind.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens – auch das ist Maßstab des Handelns – müssen wir an Förderschüler und an Schüler denken, die keinen Schulabschluss erworben haben. Gerade die berufliche Ausbildung hat in den letzten Jahren trotz der Schulabbrüche und trotz der Schüler ohne Abschluss gute Möglichkeiten gebracht, auch diesen Schülern eine Perspektive zu geben. Das geht sogar so weit, dass dort möglicherweise nach der Ausbildung noch der Hauptschulabschluss vergeben werden konnte. Diese Dinge müssen auch weiter im Blick bleiben.

Drittens – eine Forderung, die die Wirtschaft hat – müssen wir darüber reden, welche Möglichkeiten wir auch zukünftig für Ergänzungsausbildung und Fort- und Weiterbildung haben. Hier spreche ich das Thema Fachschulen an. Welche Bedarfe hat dort die Wirtschaft zum Beispiel im Blick auf das mittlere Management an Unternehmen, um auch in diesen Bereichen tätig sein zu können? Da kann ich eben die Meisterausbildung, die zurzeit beim Handwerk stattfindet, nicht zum alleinigen Maßstab machen, sondern ich brauche auch Fachschulen, die hochqualifizierte Fachkräfte haben.

Viertens – eine Besonderheit, die eine Rolle spielt – sind es die besonderen regionalen Gegebenheiten. Auch das muss eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der beruflichen Ausbildung spielen, und das muss auch der Maßstab für die anstehenden Entscheidungen sein.

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei den LINKEN)

Kollege Colditz sprach für die CDU-Fraktion. – Für die SPD-Fraktion spricht Frau Kollegin Dr. Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Colditz, wenn die Landesregierung sich vorher Ihre guten Ratschläge zu Herzen genommen hätte, wären wir jetzt nicht vier oder sechs Wochen in einem Chaos und in einer Protestwelle gewesen. Wir hätten uns viel Arbeit ersparen können, auch diese Aktuelle Debatte, wenn das, was gestern zumindest als Zwischenstand im Kabinett vorgelegt wurde, schon vor vier Wochen vorgelegen hätte und nicht als Schnellschuss nach dem Motto „Komme, was da wolle – wir reduzieren die Berufsfachschulen!“

Wir haben gerade noch einmal die Knackpunkte genannt. Die Ministerin hat gestern in ihrer Pressemitteilung deutlich gemacht: „Wir können angesichts einer steigenden Nachfrage nach Fachkräften Bildungsangebote nicht nach Belieben und ohne Folgen für die Wirtschaft verändern.“ Frau Kurth, warum haben Sie nicht darauf schon bei der entscheidenden Kabinettssitzung hingewiesen, als dieser chaotische Beschluss gefasst wurde, der von keinem einzigen Fachmann – weder in Ihrem Ministerium noch im Wirtschaftsministerium – befürwortet werden kann?

Sie haben vier Wochen Chaos ausgelöst, Proteste, Verunsicherungen sowohl bei den Schülern als auch bei den Schulen und den privaten Einrichtungen und haben damit vermutlich drei Ziele verfolgt, die ich hier gern nennen möchte, weil den inhaltlichen Teil mein Kollege Colditz deutlich gemacht hat.

Dieser Beschluss wurde unter der Überschrift „Deckung des Lehrerbedarfs, Sicherung der Unterrichtsversorgung für das Schuljahr 2012/2013“ gefasst. Darin wurde beschlossen, drastische Einschnitte bei den Berufsfachschulen und Kürzungen bei den Fachschulen vorzunehmen. In der Tat werden zum Ende dieses Schuljahres und zu Beginn des neuen Schuljahres 212 Stellenverluste im Bereich der berufsbildenden Schulen eintreten, für die nur 14 Einstellungen vorgesehen sind. Das heißt, 198 Stellen fallen bei den berufsbildenden Schulen weg. Was ist das Einfachste? Man streicht einfach die Berufsausbildung zusammen, um diese Stellen zu kompensieren.

Zweiter Punkt ist die drastische Reduzierung der Ausbildung bei den freien Bildungsträgern. War das das Ziel: dass man die freien Bildungsträger auf diese Art und Weise in die Knie zwingen wollte, noch dazu in der Zeit, als duale Berufsausbildungsplätze nicht zur Verfügung

standen? Ohne Vorwarnung und von einem Jahr auf das andere! Zwei Drittel der Ausbildung, von denen wir hier reden, werden bei privaten Trägern ausgeführt, unter anderem vor allem bei Sozialassistenten und den Pflegeberufen. Wo wird für diese Ausbildungsplätze Ersatz geschaffen, wenn man tatsächlich in das staatliche System überführen will? Wo sind die Ersatzausbildungsplätze dafür, wenn das das Ziel war?

Herr Morlok, ich habe mit Überraschung wahrgenommen, wie Sie in Ihrer Pressemitteilung verkündet haben, den Übergang von der Schule in die Ausbildung besser zu gestalten. Da schreiben Sie doch allen Ernstes: „Die sächsische Regierung unterstützt den Vorschlag von Baden-Württemberg. Wir sehen in diesem Beschluss unseren Kurs bestätigt, die duale Ausbildung zu stärken. Sachsen ist daher schon einen Schritt weiter gegangen. Das Kabinett hat sich bereits im April gemeinsam darauf verständigt, zur Stärkung des dualen Systems in der Berufsausbildung eine Reduzierung der landesrechtlich geregelten Berufe vorzunehmen.“

Nichts davon ist in dem Bericht von Baden-Württemberg zu finden. Früher nannte man das „überholen ohne einzuholen“ – ein kurzsichtiger Beschluss, den das Kabinett gefasst hat, nur um dem Beschluss der Wirtschaftsminister bzw. der Beratung der Wirtschaftsministerkonferenz zuvorzukommen. Stichwort Imagekampagne: Wir sind die Ersten, wir machen es besser! Nur, an dieser Stelle haben Sie sich einen schlechten Dienst erwiesen, denn die Wirtschaft ist sowohl im Bereich der Berufsfachschulen als auch im Bereich der Fachschulen dagegen Sturm gelaufen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nur hoffen, Frau Kurth, dass Sie aus diesem Chaos in den ersten Wochen Ihrer Amtszeit gelernt haben, bestimmte Beschlüsse, die dem Kabinett vorgelegt werden und vermutlich nicht einmal in Ihrem Hause entstanden sind, gründlicher in Ihrem Haus prüfen zu lassen, bevor Sie die Zustimmung geben. Den gleichen Appell richte ich an Frau Clauß, denn es sind nämlich „Ihre“ Berufe gewesen, die Pflegeberufe und der Sozialassistent, die davon betroffen gewesen wären, und ich hätte auch von Ihnen einen Protest im Kabinett erwartet, als dieser Beschluss auf der Tagesordnung stand.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich hoffe, dass wir jetzt in den nächsten Wochen einen abgeklärten, vernünftigen, evaluierten Vorschlag bekommen, wie sich die berufliche Bildung in Sachsen vor dem Hintergrund der freien Plätze in der dualen Ausbildung, aber auch vor dem Hintergrund der Bedarfe der Jugendlichen, die davon betroffen sind, weiterentwickeln soll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die SPD sprach die Kollegin Dr. Stange. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege Bläsner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss mich schon wundern, wie hier die Diskussion über ein Thema geführt wird, über das wir als Sachsen eigentlich glücklich und auf das wir stolz sein sollten. Ich möchte einmal an die Neunzigerjahre erinnern. Die Wirtschaft hatte noch nicht genügend Kraft, genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Viele junge Menschen haben keinen Ausbildungsplatz gefunden. Deswegen hatte die damalige Staatsregierung die Entscheidung getroffen, dass Jugendliche eine Ausbildung erhalten und eine Chance für die duale Ausbildung bekommen. Das war eine sehr verantwortungsvolle Entscheidung. Das war auch wichtig, damit diejenigen, die keine Chance hatten, einen dualen Ausbildungsplatz zu bekommen, wenigstens eine vollzeitschulische Ausbildung bekamen, um hier in Sachsen eine Zukunft zu haben.

(Beifall bei der FDP)

Wir haben jetzt in Sachsen die gute Situation, dass die Wirtschaft erstarkt ist, dass wir genügend Ausbildungsplätze für unsere jungen Menschen anbieten können und deshalb darüber reden können, die zweitbeste Möglichkeit in der Ausbildung jetzt wieder zugunsten der besseren dualen Ausbildung abzuschaffen. Das ist eine gute, positive Diskussion, die wir führen sollten, weil es ein Gewinn für unsere Jugendlichen und für unsere Wirtschaft ist. Deswegen bin ich froh, dass endlich hier in Sachsen diese Diskussion geführt wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP)

Es ist durchaus sinnvoll zu prüfen, ob es einen Bedarf bei der Wirtschaft und regionale Besonderheiten gibt. Mein Kollege Thomas Colditz hat das schon ausgeführt. Die Prüfung erfolgt. Danach wird entschieden.

Ziel ist: Wir wollen, dass wir bedarfsorientiert in Sachsen ausbilden, dass wir die beste Ausbildung anbieten und dass wir das duale System stärken. Das soll das Ziel dieser Diskussion und der Entscheidungen sein.

Ich denke, ein Stück weit ist die Opposition eher an der Art und Weise interessiert und nicht an der Thematik. Es ist völlig klar – der Bericht bzw. die Ministerkonferenz wurde schon angesprochen –, dass wir die duale Ausbildung stärken wollen, dass dafür auch vollzeitschulische Ausbildungsgänge zurückgefahren werden müssen. Frau Dr. Stange, wir waren im letzten Jahr bei einer Veranstaltung bei der Handwerkskammer, auf der die Sprache auch auf vollzeitschulische Ausbildungsgänge kam. Alle waren einer Meinung, dass man hier reduzieren sollte.

Natürlich – das sage ich ausdrücklich dazu – müssen wir uns jeden Ausbildungsgang einzeln anschauen: Gibt es eine Entsprechung im dualen System, gibt es Bedarfe, gibt es regionale Besonderheiten? Diese Diskussion wird jetzt verantwortungsvoll geführt und ich bin froh, dass wir dann zu einer ordentlichen Entscheidung kommen, die den Jugendlichen dient, die der Wirtschaft dient, damit wir dieses für die Jugendlichen positive Thema zum

Abschluss bringen. Das finde ich wichtiger als solche Debatten, die eigentlich völlig am Thema vorbeigehen und nur wieder das Ziel haben, irgendjemanden vorzuführen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Das war Kollege Bläsner für die FDP-Fraktion. – Für die Fraktion GRÜNE spricht nun Frau Kollegin Giegengack; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Colditz, Sie haben gesagt, lassen Sie uns in die Zukunft schauen und die Sache anpacken. Ich glaube aber schon, wir sollten noch einmal darauf eingehen, was hier eigentlich passiert ist. Sie sind mir doch etwas zu schnell darüber hinweggegangen.

Am 24. April ist vom Kabinett ein Beschluss gefasst worden, mit dem das SMK beauftragt wurde, zur Stärkung des dualen Systems der Berufsausbildung unverzüglich zum Schuljahr 2012/2013 die Reduzierung der landesrechtlich geregelten Berufe zu beginnen und mit Wirkung zum Schuljahr 2013/2014 abzuschließen. Dann sind die einzelnen Berufe in den Schularten Berufsfachschule und Fachschule aufgezählt worden.

Gestern wurde das durch eine Pressemitteilung des SMK kommentiert – ich zitiere: „Bei der Frage, wie die berufliche Aus- und Weiterbildung in Sachsen weiterentwickelt werden soll, sind wir wohlüberlegt und mit Augenmaß und anhand eines Kriterienkatalogs vorgegangen. Dabei wurden unter anderem die aktuelle Nachfrage und der Bedarf ebenso berücksichtigt wie die regionale und überregionale Bedeutung der Bildungsangebote.“ Ich muss Ihnen sagen, das ist ein glatter Witz! Ich dachte, die Pressestelle gibt mir hier eine Pressemitteilung von irgendetwas anderem. Wenn das so gewesen ist, wieso rudern Sie dann nach anderthalb Monaten komplett zurück?

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!)

Den Vogel abgeschossen hat die geplante Streichung der Sozialassistenten- und Pflegehilfeausbildung. Von wegen „wohlüberlegt und mit Augenmaß und anhand eines Kriterienkatalogs“ – die Berufsfachschule für Pflegehilfe ist erst zum Schuljahr 2010/2011 mit wissenschaftlicher Begleitung eingeführt worden und eine abgeschlossene Sozialassistentenausbildung ist Grundvoraussetzung,

überhaupt Erzieher werden zu können. Diese Schulordnung Fachschule hat Herr Wöller 2009 unterschrieben. Wie können Sie das so einfach abschaffen – dann haben wir doch in drei Jahren keine Erzieher mehr! Das hat doch nichts mit „wohlüberlegt“ zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN, der SPD und der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Von wegen, es wurde die „aktuelle Nachfrage und der Bedarf ebenso berücksichtigt wie die regionale und überregionale Bedeutung der Bildungsangebote“ – so hat der Pressesprecher geschrieben! Noch am 04.04., also ein paar Tage vorher, antwortete das SMK auf die Frage, in welchem Umfang von der Staatsregierung die Bedarfe der Wirtschaft an Fachkräften evaluiert wurden und inwieweit daran die Leistungsangebote orientiert seien: „Mögliche Bedarfe an Fachkräften wurden nicht evaluiert.“ Dank der Großen Anfrage der SPD-Fraktion zur beruflichen Bildung – nachzulesen auf Seite 7.

Zweitens. Auf die Frage, ob der Staatsregierung Infos zum regionalen branchenspezifischen Fachkräfte- und Ausbildungsbedarf der Wirtschaft vorliegen, die Antwort: „Eine Studie in diesem Sinne der Fragestellung liegt nicht vor und ist vom SMWA nicht beauftragt.“ – „Nein, solche Informationen liegen der Staatsregierung nicht vor.“ – Große Anfrage, Seite 19.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Super Analyse!)

Drittens. Welche Bedarfe für die sächsische Wirtschaft derzeit nicht bei der Berufsausbildung berücksichtigt werden, wurde von der SPD noch gefragt. Antwort: Der Staatsregierung sind keine Bedarfe der Wirtschaft bekannt, die nicht durch die betriebliche Berufsausbildung gedeckt werden könnten.“ – Seite 59 der Großen Anfrage. – Wo sind denn der Kriterienkatalog und die Bedarfsanalyse? Ich kann nichts finden bei dieser Streichorgie, die Sie vollzogen haben.

Ich möchte noch einmal an die Enquete-Kommission Demografie erinnern. Dort haben sich einige Landtagsabgeordnete über eine längere Zeit zusammengesetzt und kluge Ideen entwickelt. Es wird zum Beispiel gefordert, dass wir eine regelmäßige Qualifizierungs- und Fachkräfteprognose machen sollen, dass wir ein Fachkräftemonitoring und ein regionales Informationssystem für Fachkräftebedarf brauchen. Ich frage mich, wozu wir eine solche Enquete-Kommission machen, wenn hinterher überhaupt nichts davon eine Rolle spielt. Und die FDP als unsere großen Wirtschaftsfreunde führen dieses Wirtschaftsministerium, und sie interessieren sich absolut nicht für den Bedarf an Fachkräften und finden noch ganz klasse, was bei diesem Kabinettsbeschluss passiert.

Wir teilen Ihre Auffassung, dass die duale Berufsausbildung gestärkt werden muss – absolut d’accord. Aber einfach darüber hinwegzugehen und die beruflichen Berufsfachschulen hier zusammenzustreichen, das wird nichts bringen. Schauen wir uns doch einmal an: Für bestimmte Berufe, die wir in der vollzeitschulischen Ausbildung machen, gibt es keine duale Ausbildung, zum Beispiel für die Auszubildenden zum gestaltungstechnischen Assistenten. Es ist sicher schwer, sie umzulenken in eine berufliche Ausbildung zum Anlagenmechaniker für Sanitär, Metallbauer oder Elektriker, die zum Beispiel hier in Dresden gesucht werden. Wir dürfen uns hier auch nichts vormachen. Es befinden sich circa tausend Schüler in dieser Ausbildung, die man nicht einfach umlenken kann.

Wir brauchen ein ganzheitliches, wohlüberlegtes, abgestimmtes Konzept mit der Wirtschaft und den Bildungsträgern, damit wir eine sinnvolle Weiterentwicklung der beruflichen Ausbildung bekommen.

Vielen Dank.