In den Spezialheimen für Jugendliche, wie sie genannt wurden, sind Menschenrechtsverletzungen, Bildungsverweigerung und Arbeitszwang nachgewiesen worden. Das alles erfolgte unter der Leitung des Ministeriums für Volksbildung. Ab 1963 stand diesem Ministerium Frau Margot Honecker vor. Der Zynismus an der ganzen Sache wird deutlich in einem Bericht im Fernsehen über Torgau. Dort wurde sie zu Torgau befragt und sinngemäß hat sie gesagt: Was wollen Sie? Ich habe davon keine Kenntnis. Den Jugendlichen ging es gut. Sie sind nach unseren Prinzipien erzogen worden. Ich bin mir keiner Schuld bewusst, dass dort irgendwelche Nachteile für sie entstanden sind. – Ich habe nicht wörtlich zitiert, sondern sinngemäß, und die Antwort noch ziemlich harmlos interpretiert.
Das Ganze passierte auch noch unter Leitung der Abteilung Jugendhilfe und Heimerziehung gemeinsam mit Margot Honecker unter einem späteren Professor für Sozialpädagogik an der Humboldt-Universität, der immerhin bis 1994 dort Sozialpädagogik unterrichtete, bis er abgewickelt wurde. Das ist eigentlich die Deckung und Legitimierung dieses ganzen Systems.
Das Ganze nannte sich kollektivistische Erziehung, sozialistische Familien, sozialistische Formung von Persönlichkeiten.
Für die einbringende Fraktion der CDU sprach Frau Kollegin Strempel. – Für die miteinbringende Fraktion der FDP spricht Frau Jonas.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Wie meine Vorrednerin schon sagte, handelt es sich hierbei um ein hochemotionales Thema und es verdient eine sehr respektvolle Betrachtung. Circa 6 000 Kinder und Jugendliche lebten im Zeitraum von 1949 bis 1990 in Sachsen in Einrichtungen der Jugendhilfe: in Normalheimen, in Spezialheimen und in Jugendwerkhöfen.
Aufgrund einer Petition, die im Jahr 2009 an den Bundestag gerichtet wurde, ging es vorerst nur darum, Unrecht
im Bereich der alten Bundesländer bei der Heimerziehung der Fünfziger- und Sechzigerjahre aufzuarbeiten. Dort gab es Übergriffe, körperliche und psychische Gewalt, sexuelle Missbräuche und massive Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen. Man bildete einen Runden Tisch, um gemeinsam mit Wissenschaftlern, Betroffenen, mit Verbänden und Vertretern von Bund und Land diese Bereiche aufzuarbeiten. Natürlich stand die zentrale Rolle der Opferentschädigung, der Rehabilitierung und der Aufarbeitung im Vordergrund.
Nachfolgend gab es am 26. November 2008 einen fraktionsübergreifenden Antrag im Bundestag, der das Anliegen hatte, auch auf Opfer in DDR-Heimen aufmerksam zu machen, dass es darum geht, Unrecht zu rehabilitieren, unabhängig davon, ob es in Ost oder West, in den alten oder neuen Bundesländern, stattgefunden hat. Es darf nicht Opfer erster oder zweiter Klasse geben. Kein persönliches Schicksal ist weniger schlimm oder weniger dramatisch. Es gilt immer, den Blick auf die individuelle Betroffenheit zu lenken.
Die politische Seite muss ihren Beitrag zur Aufarbeitung leisten und hat sich entschieden, einen Fonds mit einem Gesamtvolumen von 40 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Daran beteiligt sich auch Sachsen. Das Ziel dieses Fonds besteht in der Milderung der Spätfolgen wie psychische Traumatisierung, die aufgrund der permanenten Stigmatisierung von Heimkindern bis weit in die berufliche Laufbahn hinein immer wieder zu verzeichnen ist. Es ist festzustellen, dass heute sehr viele ehemalige Heimkinder im Hartz IV-, also SGB II-Bezug leben.
Sachsen wird in den nächsten fünf Jahren 6 Millionen Euro zur Verfügung stellen und diesem Fonds zuführen. Wir werden eine Beratungsstelle beim Kommunalen Sozialverband einrichten, der erster Ansprechpartner sein soll.
Die Aufgaben sind ziemlich klar umfasst. Es geht um therapeutische Behandlungen, wo sie notwendig sind. Es geht um Beratungsangebote und um die Bearbeitung und Bereitstellung von Sozialleistungen wie Rentenersatzleistungen dort, wo es notwendig ist. Es geht um die Frage von Bildungsangeboten, wo Chancen aufgrund dieser Stigmatisierung nicht möglich waren. Wir können nur den Rahmen bilden, wir können nur versuchen, die Voraussetzungen niederschwellig anzubieten. Es liegt aber in der Entscheidung jedes Betroffenen selbst, die Chancen zu ergreifen, das Schweigen zu brechen, unsere Angebote anzunehmen. Sie selbst haben keine Schuld für das, was ihnen widerfahren ist.
Politik hat die klare Aufgabe, diesen Aufarbeitungsprozess zu begleiten, die notwendigen Rahmenbedingungen zur Rehabilitation zu schaffen. Der erste Schritt ist die Bereitstellung dieser Gelder. Ich bin davon überzeugt, dass die Beratungsstelle, die in diesem Sommer noch die Arbeit aufnehmen wird, umfassend und sehr gut tätig sein wird. Ich danke an dieser Stelle all jenen, die sich für die
Für die FDP-Fraktion war das Frau Kollegin Jonas. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht als Nächste Frau Kollegin Klepsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Schicksale anerkennen – DDR-Unrecht in Kinderheimen aufarbeiten“ ist der Titel der Aktuellen Debatte. Ich glaube, wir hier im Saal sind uns in dem Punkt einig, dass es Opfer von Misshandlung und Missbrauch von Schutzbefohlenen gab und dass diese Opfer Anerkennung und Hilfe benötigen.
Und, werte Kollegen der Koalition, ich sage auch: Die Debatte ist richtig, aber sie kommt aus meiner Sicht ein Jahr zu spät.
Herr Krauß, Sie können dann reden. – Im vergangenen Juni, 2011, hat der Bundestag beschlossen, dass die Aufarbeitung der DDR-Heimopfer infolge der Petition von westdeutschen Heimopfern an den Bundestag im Jahr 2008 erfolgen soll.
Als ich vor einem Jahr die Staatsregierung angefragt habe, von welchen Heimen wir denn in Sachsen reden und über wie viele Menschen wir dort vermutlich sprechen, hatte die Staatsregierung zu diesem Zeitpunkt noch keine Daten. Zum Glück ist das inzwischen anders. Man hat also bei den Kommunen nachgefragt. Man hat im Staatsarchiv recherchiert, und inzwischen wissen wir auch, über welche Einrichtungen dort zu sprechen ist.
Ich stelle es voran: Aus heutiger Sicht handelt es sich ganz klar um ein politisches Versagen der damaligen Regierungs- und Staatspartei. Warum? Die damalige Staatspartei, die SED – das sage ich ganz deutlich –, hat eben nicht nach innen gehört. Es gab Berichte. Die Arbeiter-und-Bauern-Inspektionen haben bereits in den Sechziger- und Siebzigerjahren bei der Kontrolle von über 500 Heimen festgestellt, welches Versagen zu verzeichnen war, das ganz klar gegen DDR-Recht verstieß.
Selbst der Generalstaatsanwalt hatte bereits 1966 an das Ministerium für Volksbildung, an Margot Honecker geschrieben, und offenbar wurde es dort ignoriert, wie die Situation vor allen Dingen in den Jugendwerkhöfen und in den Spezialkinderheimen für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche war. Das kann man alles in dem Bericht nachlesen. Es ist also eine Auseinandersetzung mit einem sehr traurigen Kapitel deutsch-deutscher Geschichte,
Der Aufarbeitung für den Osten ist der "Runde Tisch der Fünfziger- und Sechzigerjahre" im Westen vorangegangen. Man muss feststellen, dass es Opfer von Heimerziehung in beiden deutschen Staaten gab. Das ist ein trauriges und sensibles Thema. Symptomatisch – das stellen beide Berichte deutlich heraus – für die Heimerziehung in Ost wie West – aber sehr unterschiedlich in jedem einzelnen Heim – waren die Erziehungsvorstellungen der Nachkriegszeit, Erziehungsvorstellungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Repressive und schwarze Pädagogik war an der Tagesordnung.
Zum Glück sind wir heute weiter. Zum Glück haben wir heute andere pädagogische Vorstellungen. Spätestens mich – –
Es gibt einen eindeutigen Unterschied: Im Westen gab es die 68er-Bewegung. Es gab eine unabhängige Medienlandschaft, die überhaupt erst aufgegriffen hat, welche Missstände es in Heimen gab, die letztendlich zu einer Reformierung des Kinder- und Jugendhilferechts geführt hat. In der DDR, muss man konstatieren, gab es diese Pressefreiheit nicht.
Auch deswegen konnten viele traurige Dinge in den Heimen geschehen. Zum Glück haben wir seit 1990 das Kinder- und Jugendhilfegesetz im SGB VIII verankert. Dort ist ganz klar der Prioritätenwechsel von der Objektorientierung zur Subjektorientierung auf das Kind, auf den Jugendlichen gelungen. Erst dadurch konnte überhaupt Heimerziehung in der ganzen Bundesrepublik reformiert werden.
Für diejenigen, die es nicht wissen, erkläre ich es gern noch einmal: Grundlage für den jetzigen Bericht, der seit März vorliegt – er ist wirklich spannend zu lesen –, waren drei Expertisen, die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe unter der Arbeitsgruppe der fünf ostdeutschen Landesministerien und des Bundesfamilienministeriums entstanden sind. Die erste Expertise widmet sich den Rechtsfragen der Heimerziehung. Man hatte also ganz klar eine andere Rechtsauffassung. Das Problem war: Man konnte auch Heimeinweisung nicht verwaltungsgerichtlich einklagen, sondern nur beim Rat des Bezirkes Widerspruch einlegen.
Die zweite Expertise widmet sich den Erziehungsvorschlägen der DDR; die dritte Expertise beschäftigt sich mit der Frage: Was brauchen die Opfer bei der Aufarbeitung?
Das war die Frau Abg. Klepsch für die Fraktion DIE LINKE. – Für die SPD spricht jetzt Frau Kollegin Kliese. Auch hier wird es wieder viele Zitate geben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergangenen Wochenende trafen sich die Hohenecker Frauen. Viele der Frauen von Hoheneck sind über das damalige Stasigefängnis in Karl-Marx-Stadt in den Westen freigekauft worden und haben ihr Treffen zum Anlass genommen, dieses Gefängnis das erste Mal seit ihrer Haftzeit zu besichtigen.
Wir standen gemeinsam mit den Frauen von Hoheneck in der Nacht vom Samstag zum Sonntag in den Zellen, in denen sie mehr oder weniger Zeit zugebracht haben. Ich habe eine der Frauen gefragt, wie lange sie dort, in diesem Abschiebegefängnis war, bis sie freigekauft wurde, und sie sagte: Viereinhalb Monate. – Das hat mich sehr verwundert, denn die meisten Frauen waren nur ungefähr zwei Wochen dort. Es dauerte immer nur eine kurze Zeit, bis die Freikäufe stattfanden. Ich fragte sie, warum sie so lange Zeit dort zugebracht hat. Sie sagte mir: Weil ich meine Kinder mitnehmen wollte. – Das war das Problem. Ich habe sie dann gefragt, ob es geklappt hat, ob sie mit ihren Kindern freigekauft wurde. Das war nicht der Fall. Sie hat ihre Kinder erst viele Jahre später wiedergesehen.
Kinder wie die der Frauen von Hoheneck, aber auch andere Kinder, die ganz normale Kinder und Jugendliche waren, die andere – westliche – Musik hörten, lange Haare trugen, solche Kinder sind in DDR-Kinder- und Jugendheimen aufbewahrt und dort misshandelt worden. Wie konkret dort Misshandlungen stattfanden und was in diesen Heimen passiert ist, wurde durchaus in der DDR aufgearbeitet. Und zwar liegt mir ein Schreiben des Generalstaatsanwalts Genossen Funke aus dem Jahr 1966 vor, das er an den stellvertretenden Minister für Volksbildung richtete. Darin benennt er die Straftaten, die in diesen Kinderheimen stattfanden.
Ich werde jetzt aus diesem Schreiben vortragen, welche Delikte den dortigen Heimerziehern zu DDR-Zeiten zur Last gelegt wurden:
Erstens: Kinder wurden mit der Hand wiederholt und hart oder mit Gegenständen in das Gesicht geschlagen.