Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Apfel, wenn eine Partei gegen die Bedeutungslosigkeit kämpft und sich schäbiger Mittel bedient, dann ist es die NPD.
Sie benutzen mal wieder die schwächsten Glieder der Gesellschaft, um sich auf ihrem Rücken zu profilieren. Strafgefangene haben sich gegen Grundnormen unserer Gesellschaft schwer verrannt und trotzdem stehen sie unter dem Schutz unseres Grundgesetzes. Sie nutzen die Situation von Strafgefangenen aus, um hier wieder eine Populismusdebatte besten Stils zu führen.
Sie versuchen das Bild zu malen, es ginge das Knasttor auf und der gefürchtete Massenmörder tritt heraus, er nimmt das Taxi, das auf ihn wartet, und wird von seinen Strapazen der Haft zum Urlaub nach Mallorca gefahren. Kein Mensch würde an die Opfer denken, kein Mensch würde an die trauernden Angehörigen denken. Aber was Sie vergessen, ist, dass wir in Deutschland in einem Rechtsstaat leben, der Grundwerte hat.
Das Ziel eines jeden Strafvollzuges ist die Resozialisierung. Dieses Ziel hat uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben. Das Bundesverfassungsgericht hat klar und deutlich gesagt: Wenn ein Verurteilter keine konkrete und auch realisierbare Chance hat, zu einem späteren Zeitpunkt wieder die Freiheit zu gewinnen, wenn er ungeachtet seiner Persönlichkeitsentwicklung jede Hoffnung, seine Freiheit zu erlangen, aufgeben muss, dann ist der Kern der Menschenwürde betroffen. Eines, meine Damen und Herren von der NPD-Fraktion, werden wir als Koalitionsfraktion – darin sind wir uns mit der Opposition völlig einig – niemals tun, nämlich die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes, verletzen.
Meine Damen und Herren! Wir wissen um die Gefühle der Angehörigen, und wir wissen auch um die Angst der Bevölkerung vor neuen Straftaten. Deshalb möchte ich einmal ganz deutlich sagen, worüber wir uns hier unterhalten: Wir unterhalten uns über ein Strafvollzugsgesetz, welches neue Regelungen über den Ausgang enthält. Wir unterhalten uns nicht darüber, ob wir einen Urlaub von der Haft einführen, sondern wir unterhalten uns darüber, wie wir derzeitige Strafgefangene wieder als wertvolles Glied der Gesellschaft eingliedern.
Das Ziel des Justizvollzuges ist – Ihre Kollegen werden davon auch noch profitieren, wenn erst einmal
die Resozialisierung. Das heißt, die Strafgefangenen sollen befähigt werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Um sie auf diese Situation vorzubereiten, brauchen wir Lockerungen. Diese gibt es in Form von Ausgang, der einen Tag betrifft oder derzeit noch einen sogenannten Hafturlaub, besser gesagt, einen Ausgang über Nacht. Diese Ausgänge sind nur unter ganz strengen Voraussetzungen möglich. Die Anstalt wird jedes Mal prüfen, ob die Gefahr besteht, dass der Gefangene flieht oder neue Straftaten begeht. Dabei hat er die zugrundeliegende Straftat zu würdigen. Frau Zschäpe würde niemals rauskommen. Die Persönlichkeit
des Gefangenen ist zu beurteilen, die Entwicklung in seiner Haft, welche Fortschritte er gemacht hat, muss berücksichtigt werden. Nur wenn man sagen kann, es besteht weder die Gefahr für neue Straftaten noch für eine Flucht, dann wird es Ausgang geben.
Um nur einmal die Dimension zu zeigen, wie es aussieht: In Sachsen haben wir 3 500 Gefangene. Lediglich 95 davon sind lebenslang inhaftiert. Drei von ihnen haben bislang Ausgang über Nacht erhalten. Das sind die Zahlen, über die wir uns hier unterhalten, wo Sie versuchen, sich in Ihrer Bedeutungslosigkeit mit zu profilieren.
Sie versuchen hier eine Angstdebatte hochzustilisieren, dass die Leute, die einmal einen Ausgang bekommen, um sich wieder mit ihren sozialen Kontakten zu beschäftigen, nichts Besseres zu tun haben, als den Nächstbesten hinter den Baum zu ziehen, zu vergewaltigen und wieder zu morden.
Beim Ausgang ist es in den letzten Jahren so gewesen, dass nur 0,03 % überhaupt eine Verfehlung begangen haben, und die allermeisten Verfehlungen waren kurzfristige Zeitüberschreitungen. Beim Ausgang über Nacht waren es 0,07 %. Das heißt, die Trefferwahrscheinlichkeit der Einschätzung der Anstalt, wen man rauslassen kann, ist sehr, sehr hoch. Das ignorieren Sie vollständig und versuchen Emotionen zu schüren, um sich zu profilieren.
Meine Damen und Herren! Wenn ein ehemaliger Straftäter aus dem Gefängnis kommt, dann ist es wichtig, dass er insbesondere in der riskanten Phase der unmittelbaren Entlassung nicht in eine Krisenkonfliktsituation gerät. In dieser Zeit braucht er die Unterstützung von verlässlichen und rechtstreuen Bezugspersonen. Um diese Personen auch weiterhin zu haben, ist es wichtig, dass er den Kontakt hält. Das ist eine Täterbehandlung, denn eine gute Täterbehandlung ist nämlich der beste Opferschutz. Wer als Täter resozialisiert wird, wird keine neuen Straftaten begehen.
Das ist unser gemeinsames Ziel in der Koalition beim Strafvollzugsgesetz. Wir haben es bei anderen Gesetzen mit der Opposition gemeinsam geschafft, dies zu erreichen. Ich hoffe, dies auch wiederum zu tun.
Das war Kollege Biesok von der FDP-Fraktion. Ich frage die Fraktion DIE LINKE. – Sie wird nicht das Wort ergreifen, aber Frau Kollegin Friedel für die SPD-Fraktion.
Prof. Schneider und insbesondere Herrn Kollegen Biesok, bedanken, der den wesentlichen inhaltlichen Punkt schon dargestellt hat.
Es geht in unserem Rechtsstaat – Herr Apfel, da können Sie ruhig einmal zuhören – um den Schutz und die Rehabilitation der Opfer und um den Schutz der Gesellschaft vor Straftaten. Diesen Schutz der Gesellschaft kann man auf zwei Wegen erreichen. Beide sind integraler Bestandteil des Strafvollzuges: zum einen natürlich durch die Inhaftierung von Straftätern und zum anderen durch die Resozialisierung von Straftätern, weil jeder ehemalige Straftäter, der es geschafft hat – so sagt es das Strafvollzugsgesetz –, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen, einen Beitrag zu einer sicheren Gesellschaft leistet.
Auf die rechtlichen Punkte ist schon viel eingegangen worden. Ich will es noch etwas praktischer machen. Wenn eine Justizvollzugsanstalt zu entscheiden hat, ob jemand Langzeitausgang erhält, dann gibt es ganz viele Kriterien, die angelegt werden: keine Fluchtgefahr, keine Suchtgefahr, keine Missbrauchsgefahr; es wird in Anschlag gebracht, wie viel bereits von der Strafe verbüßt wurde, wie viel Reststrafe noch besteht. Es müssen vorher Ausführungen gemacht worden sein, es muss eine gute Anzahl von beanstandungsfreien Ausgängen des Inhaftierten gegeben haben, und jeder Inhaftierte bekommt auch Weisungen für seinen Ausgang, die er zu erfüllen hat.
Die Gewährung von Ausgang ist sehr restriktiv; aus meiner Erfahrung als Anstaltsbeirätin muss ich sogar sagen, manchmal zu restriktiv, aber in jedem Fall so restriktiv, dass man sich keine Sorgen machen muss. Herr Biesok hat die Zahlen genannt, die zeigen, dass hier keine Missbrauchsschwemme passiert.
Ihr Antrag, so falsch er sachlich ist, so hat er doch noch eine andere Dimension: Er ist von einer unglaublichen Bigotterie. Ich kann Ihnen auch gern sagen, warum. Ich werfe einmal den Namen Christian Hehl in den Raum. Vielen von Ihnen wird der Name vielleicht nichts sagen, ich glaube, Herrn Apfel schon. Christian Hehl, ein NPDFunktionär aus Rheinland-Pfalz, Deutschlands bekanntester Skinhead, ist Bodyguard von Holger Apfel im Landtagswahlkampf gewesen – ich war auch ganz erstaunt, als ich das gelesen habe,
und NPD-Direktkandidat bei der Bundestagswahl. Herr Christian Hehl hat eingesessen, war mehrfach vorbestraft, wiederholt wegen Landfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung. Er hat sich beim Strafantritt versteckt, wollte die Strafe gar nicht antreten, ist dann unfreiwillig hineingebracht worden. Der Richter attestierte ihm eine menschenverachtende Gesinnung und Brutalität. Christian
Hehl war einer derjenigen, für den sich die HNG ganz massiv eingesetzt hat. HNG sagt vielleicht auch nicht jedem etwas. Das ist eine „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“. Sie dürfte auch Ihrer Fraktion gut bekannt sein. Immerhin hat Ihr Mitarbeiter Olaf Rose dort schon Vorträge bei Vollversammlungen dieser inzwischen verbotenen Organisation gehalten.
Die HNG setzt sich für Mörder und lebenslang Verurteilte ein und hat es auch bei Christian Hehl versucht, um Lockerungen für ihn zu erreichen. Auch der HNG ist es nicht gelungen. Das zeigt, dass das System funktioniert.
Die Voraussetzungen dafür, dass Langzeiturlaub gewährt wird, sind so restriktiv – ich glaube, es ist nicht der einzige rechtsextremistische Straftäter, den wir in deutschen Gefängnissen haben –, dass nicht einmal hier Ausgang gewährt wird. Darüber bin ich sehr froh. Das zeigt aber auch, wie falsch, wie scheinheilig und wie bigott Ihr Antrag ist.
Das war Frau Friedel für die SPD-Fraktion. – Jetzt sehe ich am Mikrofon 7 eine Kurzintervention von Herrn Gansel. Bitte, Herr Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem Frau Friedel mit viel rhetorischem Aufwand eine schöne Nebelwand aufgebaut hat, um vom eigentlichen Debatteninhalt abzulenken, möchte ich aus NPD-Sicht noch einmal etwas zum Kern der Debatte sagen, damit wieder zum Vorschein kommt, was hinter diesem Gutmenschengeklingel Thema der NPD gewesen ist: dass es darum geht, Schwerstverbrechern und Sexualstraftätern in Form vorauseilenden sozialpädagogischen Entgegenkommens Hafturlaub zu gewähren.
Da können Sie noch so häufig auf Einzelfälle und tendenziöse Studien verweisen. Allein die Möglichkeit, dass ein vorzeitig durch Hafturlaub rausgekommener Schwerstverbrecher ein Opfer finden könnte, eine weitere schwere Straftat begehen kann, allein diese Eventualität diskreditiert schon Ihr vereintes Anliegen, denn es gilt, potenzielle Opfer zu schützen. Dieses ganze Sozialpädagogengeklingel ist unverantwortlich. Diese Sozialpädagogenmentalität, diese Dauerprogramme für Sozialpädagogen und Sozialtherapeuten kosten den Steuerzahler nicht nur immenses Geld, sondern sie sind brandgefährlich.
Die Aktuelle Debatte wollte die NPD-Fraktion in ihrem Sinne führen. Uns geht es um wirklichen Opferschutz. Es ist fahrlässig, was Sie hier machen. Lassen Sie die Schwerverbrecher nur vorzeitig heraus.
Lassen Sie sie ein bisschen frische, nicht gesiebte Luft atmen. Ich bin mir sicher, dass wir uns einmal wiedersprechen werden,
(Zurufe der Abg. Sabine Friedel und Stefan Brangs, SPD, Klaus Bartl, DIE LINKE, und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)
(Beifall bei der NPD – Zurufe der Abg. Sabine Friedel und Stefan Brangs, SPD, Klaus Bartl, DIE LINKE, und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)
Soll auf diese Kurzintervention reagiert werden? – Das sehe ich jetzt nicht. Wir gehen also weiter. Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herr Abg. Jennerjahn.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen war es klar, dass die NPD-Fraktion hier mit dieser populistischen Debatte im Plenum aufschlagen würde.