Protocol of the Session on May 10, 2012

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde genommen war es klar, dass die NPD-Fraktion hier mit dieser populistischen Debatte im Plenum aufschlagen würde.

Vor circa einem Monat ist auf „Spiegel online“ ein Artikel erschienen, der die gegenwärtige Debatte, ob zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte Straftäter bereits nach fünf Jahren einen Antrag auf Hafturlaub stellen können, auf die prägnante Formel gebracht hat – ich zitiere –:“ Eine sachliche Debatte scheitert jedoch bisher am Profilierungswahn von Rechtspolitikern.“

Für Sachsen müssen wir hier und heute feststellen: Eine sachliche Debatte scheitert am Populismuswahn von Rechtsextremisten.

(Beifall bei der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal kurz darauf eingehen und erläutern, was der Sinn dieser NPD-Debatte ist. Es gibt meines Erachtens einen vordergründigen Zweck und einen eigentlichen Zweck. Vordergründig betrachtet ist die Sache klar. Sie haben mitbekommen, dass es diese lebhafte Debatte gibt, ab wann zu lebenslangen Haftstrafen verurteilte Menschen einen Antrag auf Hafturlaub stellen können und ob man bei der bisherigen Regelung nach zehn Jahren bleibt oder, wie die Justizminister mehrerer Bundesländer vorgeschlagen haben, ob das bereits nach fünf Jahren möglich ist.

Dazu hat die NPD dann festgestellt: Es gibt einen gewissen Dissens in der Frage zwischen der CDU und der FDP. Sie versuchen jetzt schlichtweg diese beiden Parteien gegeneinander im Plenum auszuspielen.

(Jürgen Gansel, NPD: Ihr Reflexionsniveau – Respekt!)

Es steht Ihnen natürlich frei, dies zu tun, aber es wird die inhaltliche Diskussion in der Frage keinen Millimeter voranbringen.

Dann gibt es einen eigentlichen Zweck dessen, was Sie hier tun. Es geht Ihnen nicht um eine sachliche Debatte darüber, wie für lebenslänglich Verurteilte tragfähige Regelungen im Hinblick auf Hafturlaub aussehen könnten. Es geht Ihnen auch nicht darum zu klären, wie der § 2 des Strafvollzugsgesetzes mit Leben erfüllt werden kann. Ich will kurz auf den § 2 des Strafvollzugsgesetzes eingehen. Er definiert zwei Ziele des Strafvollzuges, die durchaus in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen.

Das erste Ziel lautet, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe Gefangene dazu befähigen soll, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Das zweite Ziel lautet, dass der Vollzug der Freiheitsstrafe auch den Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten gewährleisten soll.

Ich bin überzeugt, dass die demokratischen Fraktionen im Sächsischen Landtag einen Ausgleich zwischen beiden Zielen finden wollen. Dafür gibt es sowohl sachliche Argumente, die für eine verkürzte Frist für einen Antrag auf Hafturlaub sprechen, als auch genauso sachliche Argumente, die dagegen sprechen.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Ich bin aber davon überzeugt, dass es der NPD um etwas ganz anderes geht: Im Kern wollen Sie wegkommen von einem Rechtssystem, das auf Resozialisierung setzt. Sie wollen ein Strafsystem, das auf Rache und Vergeltung abstellt.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Insofern ist diese Debatte, die Sie hier führen, nichts anderes als ein Ventil für Ihre Hass- und Gewaltfantasien, um wieder einmal eine Plattform zu schaffen, um diese Hass- und Gewaltfantasien im Sächsischen Landtag einzuspeisen,

(Beifall bei den LINKEN, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Ich will Ihnen erklären, wie ich zu dieser Überzeugung gekommen bin. Ich schaue zuerst auf den Debattentitel. Sie sprechen von „Schwerverbrechern“. Unser Rechtssystem kennt diesen Begriff überhaupt nicht. Es gibt eine Einteilung in Verbrechen und Vergehen. Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr geahndet werden und Vergehen sind rechtswidrige Taten, die mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind.

Sie zeigen schon allein mit Ihrer Begriffswahl, dass es Ihnen um eine populistische Ausschlachtung der Debatte geht. Sie wollen ganz einfach an niedere Instinkte appellieren.

(Zurufe von der NPD)

Das Zweite, was ich als Indiz dafür heranziehen kann, ist Ihr Landtagswahlprogramm aus dem Jahr 2009. Unter dem Deckmantel des vermeintlichen Opferschutzes machen Sie dort Forderungen auf, die nichts anderes beinhalten, als letzten Endes der Gewalt Vorschub zu leisten. Da ist zum einen Ihre penetrante Forderung nach einer Todesstrafe für Kinderschänder, wie es in Ihrem eigenen Sprachgebrauch heißt.

(Jürgen Gansel, NPD: Kindermörder!)

Das Dritte ist der Internetpranger für Sexualstraftäter, den Sie dort fordern. Wie ein Internetpranger wirken kann, das mussten wir kürzlich in Emden erleben. Dort wurde der Name eines vermeintlichen Sexualstraftäters im Internet veröffentlicht, mit der Konsequenz, dass sich eine größere Menschenmenge versammelt hat, die gern Selbstjustiz üben wollte.

(Jürgen Gansel, NPD: Das war aber keine Behörde mit diesem Internetpranger!)

Hinterher hat sich herausgestellt, dass der 17-jährige junge Mann unschuldig war.

Ähnlich verhält es sich bei Ihrer Forderung nach einer Todesstrafe. Ich glaube, es ist relativ einleuchtend, dass das eine Strafform ist, die nicht rückgängig zu machen ist. Es gibt kein Justizsystem auf der ganzen Welt, das fehlerfrei arbeitet. Die Gefahr, dass dabei Unschuldige umgebracht werden, ist nicht irgendwie abstrakt, sondern das ist eine ganz konkrete, reale Gefahr.

(Jürgen Gansel, NPD: Gehen Sie einmal von den Opfern aus! Sehen Sie das einmal aus der Opferperspektive!)

Es entspricht schlichtweg nicht meinem Verständnis eines rechtsstaatlichen Justizsystems, was Sie dort fordern. Ich sage ganz klar: Ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem Gewalt nicht mit Gewalt beantwortet wird, sondern mit dem Bemühen, ein angemessenes Strafmaß zu finden. Ich halte das für einen zivilisatorischen Fortschritt und eine zivilisatorische Errungenschaft – Sie hingegen stehen für das Gegenteil: Sie stehen für Hass und Gewalt, Sie stehen für Barbarei!

(Lachen bei der NPD – Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN, der SPD, der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Herr Jennerjahn sprach für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. – Wir sind jetzt am Ende der ersten Runde angekommen und beginnen eine neue Runde. Das Wort hat zunächst die einbringende Fraktion NPD. Es spricht der Abg. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben sich wieder einmal selbst übertroffen: die Augen vor den eigentlichen Fakten zu verschließen.

Der Sächsische Staatsminister der Justiz hat sich dafür ausgesprochen, den Vollzug für Schwerverbrecher so zu

lockern, dass ab fünf Jahren Haftverbüßung bereits Hafturlaub beantragt werden kann. Das wurde von seinem Amtsvorgänger, Herrn Ex-Justizminister Mackenroth, als Schnapsidee betitelt, und ich denke, eine solche ist es auch.

Das war der Auslöser für die Debatte. Für die NPDFraktion steht Opferschutz vor Täterschutz und natürlich zweifellos Opferschutz vor dem Wohlfühlgefühl der Täter in der Haft. Wir bekennen uns klar zu Artikel 2 des Grundgesetzes, also zu den persönlichen Freiheitsrechten, und zum Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit, die daraus erwächst. Aber die Grenzen sind dort, wo die Rechte Dritter oder der Allgemeinheit betroffen sind.

(Beifall bei der NPD)

Bei dieser Gesetzesüberschreitung, Herr Staatsminister, hat die Täter es strafrechtlich zu treffen, und zwar berechenbar, aber auch empfindlich und konsequent. Wir sind gegen eine weitere Lockerung des Strafvollzugs für Schwerverbrecher und Sexualverbrecher und liegen damit, denke ich, in der Mitte des Volksempfindens.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: „Volksempfinden“! Das ist doch die blanke Nazisprache!)

Der Strafrahmen wird von der Justiz derzeit meistens nicht voll ausgeschöpft. Den Strafvollzug dann noch weiter zu lockern, ist eine Ohrfeige für alle gesetzesgetreuen und anständigen Bürger.

(Beifall bei der NPD – Zuruf des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Herr Staatsminister, Sie untergraben mit solchen Äußerungen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihren Rechtsstaat. Die Angst vor Wiederholungstätern ist kollektiv und absolut mehrheitlich im Volk und sie ist auch nicht unbegründet – selbst bei den dauerkriminellen Kleinstraftätern. Ich sage es einmal überspitzt: Wenn die Polizei den Dieb jede zweite Nacht fängt und hinterher wieder freilässt, weil der Wohnsitz bekannt ist, dann ist das nicht das, was das Volk von seinem Rechtssystem erwartet.

Wir stehen zu den althergebrachten Grundsätzen des Strafrechts, dem Schutz der Gesellschaft, der Rechts- und Sozialordnung und des öffentlichen Friedens. Es gibt ein klares Ja zur Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung und zum Monopol des Staates. Diese ist aber notfalls auch mittels Zwang umzusetzen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte schön, Herr Günther.

Herr Dr. Müller, Sie sind ja Arzt. Würden Sie privat Schwerverbrecher in Ihrem Sinne behandeln?

Herr Kollege Günther, selbstverständlich ist diese Frage klar mit Ja zu beantworten. Es geht hierbei darum, dass klare rechtsstaatliche Strafregeln umzusetzen sind.

Und nicht, dass irgendjemandem irgendwelche medizinische Hilfe zu verweigern ist.

(Zurufe von der NPD)

Ihre Frage ist völlig absurd.

Nein. Es ist genau das Gleiche. – Vielen Dank.

(Zurufe von der NPD)