Protocol of the Session on May 9, 2012

Vor diesem Hintergrund bekommen Sie vielleicht doch noch Lust, inklusive Sozialräume zu gestalten, denn genau das ist Ihr Auftrag. Ich verspreche Ihnen, gemeinsam mit meinen Kollegen, die auch für dieses Thema streiten, nicht müde zu werden, Sie an diesen Auftrag zu erinnern.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Eine Kurzintervention? – Sie wollen den nächsten Redebeitrag halten. Bei mir auf der Liste steht ein anderer Redner, deshalb war ich etwas irritiert.

Frau Präsidentin, die Irritation tut mir leid. – Meine Damen und Herren! Ich habe mich etwas gewundert, als ich den Debattentitel gelesen habe. Er ist etwas eigenartig formuliert: Landesentwicklungsplan ‚übersieht‘ Barrieren. Der Landesentwicklungsplan hat also Augen – das war mir neu. Aber gut, ich denke, wir wissen, was Sie meinen.

Meine Damen und Herren, wenn wir ehrlich sind, stellen wir fest: Diese Debatte, die Sie hier führen, ist schon ein wenig unehrlich. Nur einen einzigen Satz widmen Sie selbst dem Thema Barrierefreiheit in Ihrem Leitbild zum Landesentwicklungsplan auf Ihren Internetseiten. Nur einen einzigen Satz! Da wollen Sie uns jetzt ernsthaft glauben machen, Barrierefreiheit würde für Sie in der Diskussion um den Landesentwicklungsplan 2012 eine große Rolle spielen. Das kann ich Ihnen nicht glauben.

Wissen Sie überhaupt, welche Funktion der Landesentwicklungsplan erfüllen muss?

(Petra Köpping, SPD: Wir wissen es schon! – Weitere Zurufe von der SPD)

Die Aufgabe des Landesentwicklungsplanes ist es, eine langfristige Leit- und Richtlinie der Landesentwicklung zu beschreiben und ein Gesamtkonzept zur räumlichen Ordnung und Entwicklung Sachsens abzubilden.

Genau das tut der Landesentwicklungsplan. Er entwirft ein Leitbild für die Entwicklung Sachsens als Lebens- und Wirtschaftsraum. Er gewährleistet regionale Vielfalt mit ausgewogenen Raum- und Siedlungsstrukturen, und – das begrüße ich besonders – Städte und Umland werden nicht als Gegensätze behandelt, sondern als gemeinsame Lebens- und Wirtschaftsräume definiert.

Der Landesentwicklungsplan ist explizit nicht dafür gedacht, an jeder Bahnschwelle eine abgesenkte Überführung vorzuschreiben und die Barrierefreiheit im Detail in jeder Kleingartenanlage zu regeln. Betrachtet man die Funktion und Systematik des Landesentwicklungsplanes, so muss man feststellen, dass die Forderung nach Barrierefreiheit hier völlig fehl am Platze ist.

Nichtsdestotrotz, meine Damen und Herren, die Zielformulierung der allgemeinen Barrierefreiheit wäre im Landesentwicklungsplan selbstverständlich nicht schädlich, aber sie ist auch nicht nötig. Niemand würde das Innenministerium daran hindern, wenn die Auswertung der mehr als 1 200 Stellungnahmen das erfordert, auch das Ziel der Barrierefreiheit darin festzuhalten. Niemand würde das Innenministerium daran hindern. Ich will es noch einmal sagen: Systematisch hat die Forderung nach allgemeiner Barrierefreiheit im Landesentwicklungsplan nichts zu suchen.

Der Landesentwicklungsplan ist ein übergreifendes, raumordnendes Konzept, aber er klärt keine Detailfragen. Das ist Aufgabe der regionalen Entwicklungspläne. Es ist zwar möglich, dass der Landesentwicklungsplan Anregungen gibt – das hat er beispielsweise bei den Fußwegeverbindungen oder im Bereich des Tourismus auch getan –, aber darüber hinaus muss der Landesentwicklungsplan nichts tun.

Welche Schwerpunkte sollte der Landesentwicklungsplan setzen? Der Landesentwicklungsplan muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die sächsische Kulturlandschaft in ihrer Struktur erhalten bleibt. Bereits in der Vergangenheit hat es schwerwiegende Eingriffe in die sächsische Kulturlandschaft gegeben, zum Beispiel durch den Braunkohlentagebau.

Ein weiterer ungezügelter Ausbau von Windkraftanlagen würde das gewachsene Landschaftsbild Sachsens beeinträchtigen, er würde Siedlungsräume zerschneiden und die Tourismuswirtschaft außerhalb der großen Städte negativ beeinflussen. Statt den Spielraum für den Ausbau von Windkraftanlagen zu erweitern, sollten strengere Kriterien angesetzt werden. Aus unserer Sicht muss die Windhöffigkeit der Gebiete berücksichtigt werden. Es müssen die vorliegenden regionalen Energie- und Klimaschutzkonzepte beachtet werden und die Vorbelastung des Landschaftsbildes durch bereits bestehende Objekte wie Hochspannungsleitungen oder Funktürme darf nicht vernachlässigt werden.

Sie sehen, der Landesentwicklungsplan hat eine Vielzahl von Aufgaben, aber er übersieht keine Barrieren. Er schafft eine überprüfbare Raumplanung für die kommenden zehn Jahre.

Meine Damen und Herren! In den nächsten Monaten werden wir über den Entwurf des Landesentwicklungsplanes noch viel miteinander diskutieren. Unser Hauptaugenmerk wird darauf liegen, die Kulturlandschaft Sachsens zu erhalten und Flächenneuinanspruchnahmen möglichst zu vermeiden. Wenn die Neuinanspruchnahme von Flächen notwendig wird, dann muss es dort, wo sie notwendig ist, sparsam erfolgen, effizient und umweltverträglich sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Abg. Herrmann, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Karabinski, es ist schon frappierend, mit welcher Ignoranz Sie hier ans Pult treten und zum Thema Barrierefreiheit über Windkraftanlagen reden.

(Beifall bei den LINKEN)

Als ich den Entwurf zum Landesentwicklungsplan gelesen habe, ist es mir ähnlich gegangen wie den Kolleginnen und Kollegen von den LINKEN und der SPD. Barrierefreiheit spielt da eigentlich keine Rolle. Es ist hier vorgetragen worden, dass das Ziel Barrierefreiheit im Landesentwicklungsplan nicht viel zu suchen hat. Sie haben selbst gesagt, dass er ein Leitbild als Lebens- und Wirtschaftsraum für Sachsen ist. Zu dem Leitbild gehört einfach dazu, dass man Ziele formuliert. Die Barrierefreiheit ist schon ein ganz wesentliches Ziel. Bisher war ich davon ausgegangen, dass die Staatsregierung hier die Barriere im Kopf hat und dass die Koalition willens und bereit ist, ein Stück weit in der Argumentation zu folgen. Bei Ihnen allerdings, Herr Fritzsche, habe ich das Gefühl, dass Sie Barrierefreiheit ernst nehmen und sich überlegen, an welcher Stelle das im Landesentwicklungsplan – im Gegensatz zur FDP – eine Rolle spielen könnte.

Ich denke, bei einem Entwurf für einen Landesentwicklungsplan, dem fachübergreifenden Konzept für die zukünftige räumliche Entwicklung in Sachsen in den nächsten zehn Jahren, kommt man nicht umhin, hierbei das Ziel der Barrierefreiheit zu nennen.

Ich möchte aus dem Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes zitieren: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind.“ Wir haben im Zusammenhang mit dem Verwaltungsneuordnungsgesetz hier rauf und runter diskutiert, dass das Integrationsgesetz des Freistaates eben gerade nicht für die Kommunen die Barrierefreiheit vorschreibt, sondern ausschließlich für die Einrichtungen des Landes, und dass es damit mit der Aufgabenübertragung zu großen Verwerfungen und Erschwernissen der Menschen gekommen ist, die auf die Barrierefreiheit angewiesen sind.

Umso unverständlicher ist es, dass Sie jetzt, da Sie die Gelegenheit haben, dass die Kommunen dieses Ziel im Landesentwicklungsplan formulieren, dies nicht tun. Sie scheinen dabei vollkommen zu vergessen, dass Barrierefreiheit auch Innovation bedeutet. Das findet man im Landesentwicklungsplan überhaupt nicht. Das Ziel der Barrierefreiheit ist nicht genannt.

Wohlgemerkt, die heute schon genannte UN-Behindertenrechtskonvention ist eine völkerrechtliche Grundlage, die

wir umzusetzen haben. Da können wir nicht sagen, dass der Landesentwicklungsplan gerade einmal keine Rolle spielt. Grund der Situation ist, dass wir eine demografische Entwicklung im Lande Sachsen haben und wir hier bei Weitem nicht, wie Sie es selbst in Ihrem Koalitionsvertrag geschrieben haben, über Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen reden, sondern dass wir über eine älter werdende Bevölkerung reden, die sehr froh darüber sein wird, wenn die Barrieren im öffentlichen Raum nicht nur baulicher, sondern auch anderer Art in Zukunft abgebaut werden. Das muss man als Ziel formulieren, wenn es einem damit ernst ist.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Vorredner haben darauf hingewiesen, dass es nicht nur um räumliche Barrieren geht, auf die Sie, Herr Fritzsche, in erster Linie eingegangen sind, sondern es geht natürlich auch um Kommunikation, Informationsbarrieren, um institutionelle Barrieren, die den Zugang zu bestimmten Angeboten im öffentlichen Raum erschweren. Es geht auch um die Mobilität, die barrierefrei sein muss. Wenn wir ausgedünnte ländliche Räume haben, haben die Menschen trotzdem den Wunsch, auch wenn sie älter sind und kein Auto mehr fahren, an Kulturveranstaltungen teilzunehmen, zum Einkauf zu fahren usw. Das ist eine ganze Palette, und Sie sagen, das spielt im Landesentwicklungsplan keine Rolle? Es tut mir leid, dafür habe ich wenig Verständnis.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich möchte noch auf eine Gruppe eingehen, wenn man von Barrierefreiheit spricht: Das sind die Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Für diese wäre es wichtig, dass wir leichte Sprache verwenden, dass Texte mit Bildern untersetzt werden, dass es eine leichte Bedienbarkeit von Einrichtungen und im Internet gibt und dass es ihnen möglich ist, sich leicht im öffentlichen Raum zu orientieren. Das sind Ziele, die im Landesentwicklungsplan zumindest anklingen müssten. Sie haben die Chance bisher vertan. Ich fordere Sie hiermit auf: Bessern Sie nach und verankern Sie die Barrierefreiheit als ressortübergreifendes Ziel im Landesentwicklungsplan.

Danke.

(Beifall bei den LINKEN und der SPD)

Für die NPD Herr Abg. Delle, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als DIE LINKE das Thema Barrierefreiheit und Landesentwicklungsplan auf die heutige Tagesordnung setzte, war uns doch sofort klar, dass sie damit nicht nur zum Teil auf konkrete Probleme behinderter oder in ihrer Beweglichkeit eingeschränkter Personen abzielen möchte. Vielmehr geht es natürlich heute auch wieder – Sie haben es ja in Ihrem Nebensatz durchblicken lassen, Herr Wehner – um Ihr neues Lieblingssteckenpferd, die Inklusion, die angeblich als verbindliche Verpflichtung laut der UN-Behindertenrechts

kommission zu gelten habe. Sie wollen die Inklusion als Querschnittsaufgabe im Landesentwicklungsplan verankert wissen, weshalb das Schlagwort Barrierefreiheit, so wie es DIE LINKE verwendet, mit diesem Hintergrund verstanden werden kann.

Die Sächsische Staatsregierung – an dieser Stelle muss ich die Staatsregierung ausnahmsweise schon einmal loben – hat es bisher verstanden, diesen Inklusionswahn aus dem Landesentwicklungsplan herauszuhalten, wohlweislich, weil sie weiß, welche weitgehenden rechtlichen und vor allem natürlich auch finanziellen Folgen diese Verankerung für den Freistaat Sachsen und seine Kommunen hätte.

Zurück zum Landesentwicklungsplan. Hier kann man schon sagen, dass die Problematik von behinderten Menschen und in ihrer Mobilität eingeschränkten Personen durchaus im Landesentwicklungsplan berücksichtigt ist. Lassen Sie mich bitte hier einige Beispiele zitieren.

Auf Seite 33 können Sie in der Erläuterung zu den Mittelzentren nachlesen: „…, dass Mittelzentren nebst Krankenhäusern und Fachärzten über Behinderteneinrichtungen sowie ein breit gefächertes Altenpflege- und Betreuungsangebot, zum Beispiel behinderten- und altengerechtes Wohnen, verfügen müssen.“

In den Erläuterungen zum Thema Tourismus legt der Landesentwicklungsplan Wert auf die Feststellung, dass „die Verwirklichung eines barrierefreien Tourismus ein wichtiges Handlungsfeld sei.“ – Nachzulesen auf Seite 70.

Zu den Grundsätzen der Entwicklung der regionalen Eisenbahnstruktur und zum schienengebundenen Personenverkehr wird festgelegt, dass „die Übergangsstellen entsprechend den Bedürfnissen behinderter und mobilitätseingeschränkter Personen ausgestaltet und städtebaulich integriert werden sollen: Siehe Seite 87!

Zum Thema Barrierefreiheit ist aus Sicht der NPD allenfalls anzumerken, dass die Rolle des öffentlichen Straßen- und Personennahverkehrs, also der Einsatz von regionalen Linienbussen, eine viel zu geringe Ausgestaltung erfährt. Dieser Auffassung ist übrigens auch der Meißner Landrat Herr Steinbach von der CDU, der in seiner Stellungnahme zum Landesentwicklungsplan zutreffend schreibt: „Der ÖSPV trägt die Hauptlast des regionalen ÖPNV außerhalb der Verdichtungsräume.“ Den dort zum Einsatz kommenden Linienbussen kommt vor allem eine tragende Rolle zu, da auch infolge der Sparpolitik der Staatsregierung der Schienenpersonennahverkehr bereits Schaden genommen hat und somit die Anbindung an den ländlichen Raum gefährdet ist. Wenn dies im Rahmen des Landesentwicklungsplanes berücksichtigt ist, dann kommt dies natürlich allen Menschen, aber insbesondere auch älteren und behinderten Menschen zugute.

Der Landesentwicklungsplan geht darüber hinaus im Bereich Fahrrad- und Fußverkehr auf die Bedürfnisse behinderter Menschen ein und spricht in diesem Zusammenhang von einem diskriminierungsfreien Zugang, siehe

Seite 92: „Die Sicherheit des Fußgängerverkehrs ist durch die Bereitstellung von zusammenhängenden, sicheren und barrierefreien Fußwegen zu gewährleisten. An Straßen mit besonders hohem Verkehrsaufkommen sind bei Bedarf zur sicheren Gewährleistung querender Fußwegbeziehungen entsprechende bauliche Anlagen zu errichten.“

Fazit, meine Damen und Herren: Ich denke, die besonderen Bedürfnisse behinderter und in ihrer Mobilität eingeschränkter Personen sind im Landesentwicklungsplan durchaus berücksichtigt und nehmen einen weitaus breiteren Raum ein als zum Beispiel das Thema Familienförderung, und dies an die Adresse der sich ja immer so familienfreundlich gebenden CDU gerichtet.

Ich habe es noch einmal durchgezählt: Im ganzen Landesentwicklungsplan kommen die Begriffe Familie, familienfreundlich, Familienfreundlichkeit gerade fünfmal vor, und dann auch nicht als Zielsetzung, sondern immer nur als beschreibender Charakter. Darüber sollten Sie einmal nachdenken.

Wir als NPD sagen deshalb ganz klar: Viel wichtiger als eine noch zu formulierende Querschnittsaufgabe ist zunächst einmal die Bekämpfung der demografischen Katastrophe, also des Geburtenrückganges, der Abwanderung, der Überalterung und natürlich auch die Sicherstellung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum. Hier gibt es allerdings noch im Landesentwicklungsplan in diesen Bereichen jede Menge nachzuarbeiten.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD)

Für die Linksfraktion Herr Stange, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt schon manchmal schwer, sich fest in seinem Stuhl zu halten. Nicht, weil man runterfällt, sondern, weil man regelrecht wütig aufzuspringen gedenkt bei manch einem Debattenbeitrag, der gehalten wurde.