Die Funktion der Praxisgebühr hat den wesentlichen Schwerpunkt der Selbstbeteiligung der Eigenfürsorge. Die gesetzliche Krankenversicherung steht in einem Spannungsfeld von Eigenverantwortung und Solidarität, das heißt nicht nur die Solidargemeinschaft und das Einstehen des Stärkeren für den Schwächeren prägen unser Gesundheitssystem, sondern jeder Einzelne trägt die Verantwortung für seine Gesundheit. Das halte ich für richtig und nur so bleibt unser System finanzierbar.
Die aktuellen Medienberichte von circa 5 Milliarden Euro Überschusszahlung haben die Aktualität dieser Frage mit Sicherheit wieder auf die Tagesordnung gerufen. Aber schauen wir uns an, was bei diesen 5 Milliarden Euro über die Zuzahlung eingenommen wurde. Darunter fällt die Praxisgebühr mit circa 2 Milliarden Euro, aber auch die Zuzahlung für Heil- und Hilfsmittel oder die Zuzahlung zu Arzneimitteln.
Auch hier ist wesentlich: Für Menschen mit geringem Einkommen und für Kinder entfällt hier die Zuzahlung. Es ist vollkommen logisch, dass die Abschaffung der Praxisgebühr Finanzierungsfragen aufwirft, wo es zu kurz greift, einfach zu sagen, die Überschüsse werden dafür verwendet. Der Kollege Ihrer Fraktion bezeichnete es vorhin als „intelligente Leere“.
Daher muss man sich auf Bundesebene anschauen, welche finanziellen Konsequenzen die Abschaffung der Praxisgebühr hat, vor allem auf längere Sicht. Wie können wir die Eigenverantwortung eines jeden Einzelnen trotzdem betonen? Gibt es vielleicht unbürokratische Alternativen, mit denen wir jene gewünschte Steuerungswirkung erzielen können? Aber alle diese Fragen beantwortet Ihr Antrag leider nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich noch etwas zur aktuellen Finanzsituation der Kassen sagen: Ja, die gesetzlichen Kassen haben im Jahr 2011 auf der Basis vorläufiger Finanzergebnisse einen Überschuss erzielt. Etliche Krankenkassen verfügen daher mittlerweile über Finanzreserven, die für ihre Risikoabsicherung in dieser Höhe definitiv nicht benötigt werden. Sie eröffnen ihnen aber Spielräume, diese Mehreinnahmen zum Beispiel durch die Auszahlung von Prämien an die Versicherten zurückzugeben. Diese Prämienpotenziale sollten von den Kassen unbedingt geprüft werden. Dabei darf natürlich die Frage der Transparenz und Leistungsfähigkeit nicht vernachlässigt werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Lauterbach ist auf die aktuellen Diskussionen, die über die Pressemedien auch heute veröffentlicht worden sind, eingegangen. Natürlich ist das Bundesgesundheitsministerium – das zeigt das – mit massiven Aktivitäten gerade in diesem Themenbereich beschäftigt. Dieser Diskussion auf Bundesebene um die möglicherweise alternative Ausgestaltung der Praxisgebühr sollte man nicht vorgreifen, werden wir nicht vorgreifen und lehnen daher Ihren Antrag ab.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als 2004 die Praxisgebühr eingeführt wurde, gab es – das haben die Vorrednerinnen ausgeführt – zwei wesentliche Überlegungen dazu. Die eine war: Steuerungswirkung, Eigenverantwortung. Die andere war: die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung.
Damals war klar, dass evaluiert werden muss, ob diese Ziele mit der Praxisgebühr tatsächlich erreicht werden. Deshalb ist es notwendig zu schauen: Welche der von den Rednerinnen bereits genannten Ziele sind tatsächlich erreicht worden? Dazu gibt es verschiedene Studien. Die Aussage, ob die Praxisgebühr dazu geführt hat, dass Versicherte mit niedrigem Einkommen nicht mehr zum Arzt gehen, um die Praxisgebühr zu sparen, ist so nicht eindeutig belegbar.
Allerdings gibt es eine Untersuchung aus dem Jahr 2007 von Reiners und Schnee, die zumindest folgende Ergebnisse hatte: Die Zahl der direkten Facharztbesuche ging tatsächlich nach Einführung der Praxisgebühr ab 2004 zurück, aber gleichzeitig stieg der Anteil der Versicherten an, die den Facharzt mit einer Überweisung aufsuchten. Das ist es, was wir wollten: Wir wollten den Hausarzt als Lotsen im System. Ließen sich vor Einführung der Praxisgebühr rund 60 % eine Überweisung ausstellen, waren es danach circa 90 %.
Weiterhin zeigt diese Studie, dass als Reaktion auf die Praxisgebühr 15 bis 20 % der Befragten den Arztbesuch vermieden haben. Zumindest in dieser einen Studie zeigt sich, dass das vom sozialen Einkommen abhängig ist. Laut dieser Studie sind es aus der Oberschicht circa 14 %, aus der sogenannten Unterschicht 22 % der Menschen, die aufgrund der Praxisgebühr den Arztbesuch vermieden haben. Diese Studie lässt aber keine Schlüsse darüber zu, ob das wichtige oder eher unwichtige Arztbesuche waren. Diese Studie zeigte aber deutlich – das sollte uns zu denken geben –, dass auch Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen werden. Vorsorgeuntersuchungen, für die eigentlich gar keine Praxisgebühr notwendig ist, werden aus Unwissenheit vermieden, weil die Menschen denken, dass auch dafür die 10 Euro fällig werden.
Die Evaluation war vorgesehen. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die Praxisgebühr in ein weniger bürokratisches Verfahren überführt werden soll. Bis heute hat sie dazu keine Umsetzungsidee vorgelegt, und sie sagt, dass die Praxisgebühr gebraucht wird. Dabei wird aus den Untersuchungen deutlich, dass nur der Grund der Finanzierung tatsächlich noch steht. Sie wissen, dass ich an dieser Stelle oft die Praxisgebühr verteidigt habe, weil die Steuerungswirkung für mich ein Grund dafür war, an der Praxisgebühr festzuhalten.
Am 08.02.2012 hat das Bundesministerium für Gesundheit im Bundestag erneut einen Bericht vorgelegt, den Bericht des Spitzenverbandes der Krankenversicherer. Das ist ein Evaluationsbericht über die Steuerungswirkung. Sie finden ihn im Netz; dort können Sie nachlesen. Daraus möchte ich kurz zitieren: „Bei der Untersuchung des Standes der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Frage der Steuerungswirkung von Zuzahlungen der GKV konnten den zugrunde gelegten sechs Studien in der Gesamtbetrachtung keine eindeutigen Hinweise auf nachhaltige Steuerungswirkungen der geltenden Zuzahlungsregelungen entnommen werden.“ Das ist eine Aussage am Ende des Berichtes, eine Zusammenfassung. Der Bericht war übrigens im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit verfasst worden. Auch dieser Bericht weist darauf hin, dass diese Steuerungswirkung so nicht eingetreten ist.
Die Zahl der Arztbesuche in Deutschland ist im internationalen Vergleich ziemlich hoch und liegt mit
über dem Durchschnitt von 6,5 pro Kopf im Jahr im Bereich der OECD. Hinter den Arztkontakten steckt noch mehr: Diese 17 Arztkontakte sind auch telefonische Kontakte. Auch wenn keine Chipkarte dabei ist, so kann man sie beim nächsten Mal mitbringen. Dazu gehört auch die Abholung von Überweisungsformularen.
Richtig ist – Frau Strempel hat darauf hingewiesen –, dass sich der Großteil dieser Arztkontakte auf eine relativ kleine, überwiegend ältere Patientengruppe konzentriert, in der Regel mit höherer Morbidität: 16 % der Patientinnen und Patienten. Bereits 50 % nehmen diese Arztkontakte in Anspruch. Das macht deutlich, dass man mit einem pauschalen Instrument wie die Praxisgebühr nicht wirklich eine Steuerungswirkung erzielen kann.
Die Bundesregierung – das ist zu vermuten – hält bisher an der Praxisgebühr allein als Finanzierungsinstrument fest. Das war nie unsere grüne Intention. Wir haben immer gesagt: Wir haben bessere Finanzierungsmodelle, zum Beispiel die Bürgerversicherung.
Deshalb muss eine Alternative zur Praxisgebühr gefunden werden, die die Fehler, die sich jetzt erwiesen haben, vermeiden kann. Frau Neukirch hat gesagt, wo man ansetzen sollte, wenn man eine Änderung erreichen und trotzdem die Eigenverantwortung der Patienten weiterhin stärken will.
Wir werden dem Antrag der LINKEN zustimmen; denn er macht deutlich, dass wir an dieser Stelle tatsächlich ein neues Instrument brauchen.
Danke, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben bereits im Jahre 2005 einen sehr ähnlichen Antrag eingebracht. Er wurde damals von den Fraktionen in diesem Hohen Hause reihum abgelehnt, auch von den LINKEN.
Gibt es noch weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Dann bitte ich die Staatsregierung, das Wort zu nehmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Gern nehme ich diese Debatte zum Anlass, zur Diskussion um die Praxisgebühr Stellung zu nehmen. Um es einmal vorweg zu sagen: Aus nicht ganz aktuellem Anlass – das liegt ja schon etwas zurück – wird durch die Linksfraktion und auch heute wieder diese Praxisgebühr als unsozial bezeichnet. Es liegen der Staatsregierung keine Zahlen vor, dass wegen der Praxisgebühr sozial schwache Menschen weniger zum Arzt gehen würden – im Gegenteil.
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Technischen Universität in Berlin widerlegt diese Behauptung, dass Bürger mit niedrigem Einkommen wegen dieser Gebühr seltener zum Arzt gehen. Außerdem, meine Damen und Herren, sind ungebührliche Härten durch entsprechende Überforderungsregelungen abgefedert, und chronisch Kranke werden in entsprechend hochqualitativ wichtige Programme und hohe Behandlungsintensität eingeschrieben. Sie wissen das und erzählen das Gegenteil. Das finde ich unseriös.
Zur positiven Steuerwirkung der Praxisgebühr lasse ich das Urteil des Bundessozialgerichtes vom Juni 2009 sprechen. Darin bewertet das Bundessozialgericht die Zuzahlungen als ein „zweckmäßiges und taugliches Mittel zur Erhaltung der Effektivität und Effizienz der Leistungen der GKV, aber auch ihrer Qualität und Finanzierbarkeit“.
Damit komme ich jetzt zu den vereinzelt geäußerten Überlegungen von Ministerkollegen der FDP und der CDU, angesichts der Milliardenüberschüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung die Praxisgebühr abzuschaffen. Was wäre die Folge? Da die Praxisgebühr in die Haushalte der Krankenkassen fließt, würden deren Rück
lagen auch zurückgehen. Ich sage hier ganz deutlich, dass sich das hier mit den in Sachsen praktizierten Grundsätzen solider und zukunftsorientierter nachhaltiger Haushaltspolitik nicht vereinbaren lässt. Gerade gestern haben wir mehrfach darüber gesprochen und auch betont, wie wichtig das für die Zukunft ist, denn dafür stehen CDU und FDP.
Was für den Freistaat gilt, muss für die Krankenkassen auch gelten. Ich setze mich daher für eine solide Finanzwirtschaft der Krankenkassen ein. Das werden wir auch in der Amtschefkonferenz jetzt im April so betonen, wenn die Anträge der Gesundheitsministerkollegen behandelt werden.
Ich spreche mich nicht für alle Zukunft für die Praxisgebühr aus. Wenn es ein besseres Instrument gibt, bin ich dabei, aber es muss praktikabel sein. Aber besser muss auch heißen, dass die Finanzierung der Kassen zum Wohle unserer Patienten weiter gesichert sein muss.
Noch einmal zur Erinnerung: In dem Jahr des hier diskutierten Antrages hatten die gesetzlichen Krankenkassen noch ein Defizit von 400 Millionen Euro. Dass dies jetzt für 2011 wieder positiv aussieht, zeigt doch, wie fragil und belastbar die Prognosen in dieser sensiblen Sparte unserer Sozialversicherung sind. Das heißt, die Reserven, die jetzt vorhanden sind, müssen ein Polster für Zeiten sein, in denen die Einnahmen wieder zurückgehen oder die Ausgaben höher steigen.
Das ist vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung nicht allzu unwahrscheinlich. Die strukturellen Herausforderungen der Ausgabenseite unserer Krankenkassen werden sich in den kommenden Jahren eher verschärfen als entspannen, und auch die Umsetzung des neuen Versorgungsstrukturgesetzes, gerade was die Regionalisierung und Flexibilisierung anbelangt, wird sehr wohl zu Buche schlagen. Um dann aber nicht sofort wieder mit Zusatzbeiträgen die Bürger belasten zu müssen, halte ich die Reserve für vertretbar.
Im Übrigen würde der Abbau des Überschusses durch die Rücknahme der Praxisgebühr den Verzicht auf die Steuerungswirkung sehr wohl zur Folge haben, vor allem, was die Lotsenfunktion über den Hausarzt anbelangt; denn es würden nur diejenigen entlastet, die tatsächlich zum Arzt gehen. Die gesunden Beitragszahler erfahren die Entlastung nicht. Das halte ich nicht für generationengerecht. Verantwortungspolitik ist auch vorsorgende Politik.
Deshalb begrüße ich es ganz ausdrücklich, dass zum Beispiel die AOK PLUS in Sachsen und Thüringen Zusatzbeiträge bis 2014 ausgeschlossen hat. Das ist gut für die Beitragszahler und es ist gut für den Standort Sachsen.
Sie erinnern sich, dass wir vor Einführung des Gesundheitsfonds die niedrigsten Kassenbeiträge bundesweit hatten, und ich setze alles daran, dass die Sachsen nun wenigstens so lange wie möglich von Zusatzbeiträgen verschont bleiben. Deshalb ist die Rücklage vernünftig.
Krankenkassen sind keine Sparkassen, jawohl, das finde ich auch richtig. Aber genauso richtig ist es, dass nicht jeder private Haushalt, der sich etwas Geld für eine Anschaffung oder für einen finanziellen Engpass zurücklegt, gleich ein Bankhaus ist. Genauso, wie wir von den Bürgern private Vorsorge einfordern, sollten wir immer mit gutem Beispiel vorangehen, solide, solidarisch und generationengerecht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren! Ich glaube, es geht keiner gern zum Zahnarzt. Aber tun Sie sich das wirklich einmal an, schauen Sie den Menschen ins Gesicht! Sie gehen nicht zum Zahnarzt, sie haben schlechte Zähne. Auch viele Kinder, die Kindereinrichtungen besuchen, haben schlechte Zähne. Ich will das nicht allein auf die Praxisgebühr reduzieren, aber machen Sie das einfach einmal.
Ja, Frau Ministerin, der Antrag ist nicht ganz neu. Das ist richtig. Aber genau vor diesem Hintergrund, dass mit Milliarden des Gesundheitsfonds und der Krankenkassen jongliert wird, ging es uns einfach um die Frage, welche Möglichkeiten des Ausgleiches es für unsere Versicherten geben kann.
Gesundheitsminister Bahr hat das Ansinnen, die Praxisgebühr abzuschaffen, nicht grundsätzlich abgelehnt. Da sollten Sie aber dranbleiben. Wir haben Sie aufgefordert, bei Bundesrat und Bundesregierung immer wieder an die Tür zu klopfen.