Protocol of the Session on December 9, 2009

Es wurden bereits Beispiele genannt. Ich möchte auch ein Beispiel nennen. Das aus Markkleeberg hat mir ein Kollege schon vorweggenommen. Es gibt leider zu viele davon. Deswegen kann man noch unzählige andere erwähnen. Es geht zum Beispiel um eine Skateranlage in Markkleeberg. Diese sollte recht weit weg gebaut werden, in einer Ecke mit Straßen dahinter. 500 Meter entfernt steht ein Wohnhaus, doch viel näher noch gibt es eine Eisenbahn, eine Tankstelle usw. Ein halbes Jahr lang wurde untersucht, ob der Lärmschutz tatsächlich so eingehalten wird, dass Einwohner nicht belästigt werden. Das sind die derzeitigen gesetzlichen Vorgaben. Grund dafür, warum die neue Skateranlage gebaut werden musste, war, dass es eine andere Skateranlage gab, eine kleine mit einigen Geräten. Es gab einen Basketballkorb usw. Dieser kleine Spielplatz stand neben einem Wohnheim für betreutes Wohnen. Die Menschen dort fanden das gut, es gab auch Begegnungen untereinander. Aber das Ganze musste versetzt werden, weil sich Anwohner angrenzender Einfamilienhäuser beschwert hatten, und das, obwohl dieser Spielplatz in dem B-Plan ausgewiesen war.

Davon abgesehen, dass es traurig ist, dass Kinderunfreundlichkeit dazu führt, dass solche Spielplätze dann abgebaut werden müssen, war es auch so, dass es damals einen Jugendstadtratsbeschluss zu diesem Jugendspielplatz gab. Es war nicht ganz einfach, den Jugendlichen zu erklären, dass sie dort nicht mehr gewollt sind, dass sie irgendwohin gehen müssten, wo sie keinen mehr stören und wo Eisenbahn und Autos daneben sind.

Ein anderes Beispiel – eine Kita in Hamburg – das ich nur kurz erwähnen möchte: Hier wurde untersagt, dass eine Villa weiter als Kita genutzt werden kann. Auch da war die Lärmbelästigung zu hoch. Man muss aber dazusagen, dass dieses Kita-Grundstück in einer Einflugschneise des Airbus-Werkflughafens in Hamburg liegt und bis zu 35 Airbusmaschinen täglich über die Köpfe der Einwohner brausten. Die Einwohner hatten dann vorgeschlagen, dass man eine drei Meter hohe Lärmschutzwand zwischen Kita und Wohngebiet baut. Das wurde abgelehnt. Man muss aber auch noch dazusagen, dass dieses Grundstück in der Nähe einer vierspurigen Straße liegt und dort auch eine S-Bahn entlangrattert.

Es gibt weitere Beispiele. Zum Beispiel wurde verboten, das Gebäude weiter als Kita zu nutzen. Die Kita ist umgezogen. Auch dort haben sich Anwohner beschwert, und es wurde eine zwei Meter hohe und 60 Meter lange Lärmschutzwand errichtet. Hinter dieser Lärmschutzwand dürfen nun die Kinder spielen.

Kollege Meyer hat schon erwähnt, dass nicht nur Kitas von dieser Kinderunfreundlichkeit betroffen sind, dass nicht mehr ausgehalten wird, dass Kinder lachen und spielen. Auch andere Dinge müssen sich Eltern und Kinder gefallen lassen und sind Vorwürfen ausgesetzt. Sie

haben vorhin schon einiges erwähnt. Es gibt inzwischen Gerichtsbeschlüsse dazu – das muss man sich vorstellen! –, dass Lachen, Weinen und Schreien von Kleinkindern von jedem Hausbewohner als natürliches Verhalten hingenommen werden muss, oder dass es üblich ist, dass sich an Ruhe- und Ordnungsvorstellungen Dritter gehalten werden darf und die Wohn- und Lebensbedingungen den Bedürfnissen der Kinder Rechnung tragen müssen.

Gerichtlich wurde beschlossen, dass nach 22:00 Uhr Nachbarn durch Geräusche nicht mehr belästigt werden dürfen, sie aber Babygeschrei hinnehmen müssen.

Es ließe sich noch mehr aufführen. Ich will damit nur zeigen, dass es ein Skandal ist, wie Teile der Gesellschaft mit Kindern und Eltern hier in diesem Land umgehen. Dazu gehört, dass Geräusche spielender Kinder als schädlicher Umwelteinfluss verstanden und gleichgesetzt werden mit Gewerbe- und Verkehrslärm. Das ist ein Skandal!

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Man muss sich einmal vor Augen führen, wie Kinder heute leben. Es wird immer schwieriger, dass sie sich kindgemäß ausleben. Sie können sich gewiss an Ihre eigene Kindheit erinnern. Ich habe in einer Siedlung gewohnt. Wir hatten Spielplätze und Kinder, die in der Nähe wohnten und mit denen wir gemeinsam in die Kita und in die Schule gegangen sind. Dort gab es einen Konsum, einen Bäcker und einen Fleischer. Das gibt es heute kaum noch.

Wir sprechen heute – – Bitte?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Herr Brangs hat gesagt, er hat es nicht gehabt im Westen!)

Wenn wir heute die Lebenssituation von Kindern ansehen, sprechen wir zum Beispiel von einer Verinselung von Kindern. Es gibt im Umfeld keine geeigneten Räume mehr, die für Kinder selbst erreichbar sind. Sie werden von Eltern – sicher ist es Ihnen als Eltern auch bekannt – in bestimmte Räume transportiert: zum Spielplatz, zur Kita, zu Freunden, in den Supermarkt am Rande der Stadt usw. Kindheit spielt sich immer mehr zu Hause ab und auch immer mehr mit Medien. Wir haben auch eine Zersiedelung von Räumen; denn es gibt lange Wege, und Straßen sind zusätzliche Barrieren für Kinder. Das führt zu einer hohen Abhängigkeit vom Pkw und auch dazu, dass der Bewegungsmangel zunimmt. Das verschärfen wir, wenn wir keine klaren gesetzlichen Regelungen schaffen und es notwendig wird, dass Kitas und Jugendeinrichtungen immer weiter aus dem eigentlichen Wohnumfeld ausgelagert werden.

Welche Auswirkungen diese Bewegungsarmut hat, haben wir gesehen. Es gab Zahlen zu den Schuleingangsuntersuchungen in Leipzig. Da ist es so, dass der Anteil der Schulanfänger mit Auffälligkeiten in der Feinmotorik rund 17 % beträgt, der Grobmotorik 12 %. Es gibt auch eine Zunahme von emotional-psychosozialen Verhal

tensauffälligkeiten. Auch der Anteil übergewichtiger Kinder ist rapide angestiegen.

Ich denke, dass wir uns einig sind, dass Kinder Platz und Bewegung brauchen, und über das Spiel können sie bestimmte motorische Fähigkeiten entwickeln. Das heißt, Stadtentwicklung muss Räume schaffen und erhalten, und dies muss rechtlich klar geregelt werden.

Hier stehen wir vor einer großen Herausforderung. Sie wissen – das ist auch ein Verdienst von Frau von der Leyen –, dass es ab 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz geben wird. Wir wissen, dass dies jetzt schon nicht umsetzbar ist. In den Großstädten gibt es zum Teil Wartelisten, was dazu führen wird, dass hoffentlich neue Kitas gebaut werden. Wo sollen aber diese Kitas gebaut werden, wenn wir keine klaren Regelungen haben?

Vorhin wurde schon erwähnt, wer sich dieser Bundesratsinitiative inzwischen angeschlossen hat. Es ist so, dass auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages dafür wirbt, dass mehr Rechtssicherheit für den Betrieb, den Ausbau und Neubau von Kitas geschaffen wird. Sie sagt auch, dass die geltende Rechtslage nicht ausreicht, weil immer wieder Schließungen von Kitas durch Gerichtsbeschluss erfolgen.

Es wurde schon gesagt, wer sich angeschlossen hat. Ich möchte Sie bitten, dass wir als Sächsischer Landtag die Staatsregierung auffordern, sich im Bundesrat dieser Entschließung anzuschließen. Es sind auch nur zwei Inhalte. Kinderlärm ist keine schädliche Umwelteinwirkung. Das würden wir damit ausdrücken, und wir würden auch sagen und dafür werben, dass Kita-Einrichtungen in der Baunutzungsverordnung auch in reinen Wohngebieten für zulässig erklärt werden. Das ist das Mindeste, was man verlangen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wo Kinder in der Welt Platz finden, zeigt, welchen Platz die Gesellschaft ihnen zuspricht: bitte nicht mehr hinter Mauern oder am Rande der Stadt, sondern in unserer Mitte. Das Bekenntnis heute könnte sein: Kinderlärm ist Zukunftsmusik.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Werner. – Nun erhält die FDP-Fraktion Gelegenheit, zu dem Antrag Stellung zu nehmen. Das Wort erhält Frau Anja Jonas. – Ich bitte Sie, sich nicht daran zu stören, dass die Tagungsleitung im Moment etwas dezimiert ist.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Die Tatsache, dass wir uns hier über eine solch lange Zeit mit der Frage, was Kinderlärm ist und was Kinder brauchen, auseinandersetzen, zeigt, in welchem gesellschaftlichen Dilemma wir uns befinden. Wir sind uns alle einig – hoffe ich zumindest –, dass der Freistaat Sachsen ein familienfreundliches Bundesland ist und dass die Koalition aus CDU und FDP vieles im Koalitionsvertrag fixiert hat, was

das Leben und das Wohnen für junge Familien noch attraktiver gestalten wird.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Auch unsere Fraktion hat sich im Zuge dieses Antrages mit der Frage auseinandergesetzt: Was ist Kinderlärm? Es kam dann die Diskussion auf: Wenn ein Kleinkind einen Holzpuppenwagen über den neuen Laminatfußboden in einem Mietshaus zieht – ist das Lärm, ist das kein Lärm, wo ist das einzugruppieren unter den bereits geschilderten Bedingungen, die man akzeptieren muss? Was ist mit Kindern, die in einem kleinen Hof Fußball spielen – vor allem vielleicht noch am Wochenende zur Kaffeezeit – und damit Ruhe stören?

Aber der häufigste Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen rund um den Kinderlärm sind, wie bereits geschildert, Kindertageseinrichtungen. Sie waren es immer aufgrund der unklaren Bestimmungen, beispielsweise im Bundesemissionsschutzgesetz. Herr Homann und auch Frau Werner, Sie haben Markkleeberg zitiert – da ich dort auch Stadträtin bin, ist die Runde fast vollständig –; wobei ich hierzu ganz klar sagen muss: Ich denke, dass sich dieser Beschluss vorwiegend auf die Zufahrtsregelung bezog und weniger auf den Kinderlärm. Das muss man ganz konkret noch einmal hinterfragen. Das ist mein Wissen, ich wollte es nur anbieten.

Das Zweite ist: Angesichts des Spielplatzes war es gerade auch ein SPD-Oberbürgermeister, der große Schwierigkeiten hatte, den geeigneten Platz zu finden; denn es hat ja auch etwas mit Grundstücks- und Wertfragen zu tun. Das ist eine schwierige Entscheidung.

Wenn wir also über Kinderlärm diskutieren, müssen wir uns die Frage stellen: Wollen wir wirklich Kinder, wollen wir ein kinderfreundliches Land sein? Denn spielende Kinderstimmen gehören zur Normalität, und das gehört zu einer familienfreundlichen Gesellschaft.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich möchte sogar darüber hinausgehen: Es muss ein gesellschaftliches Bewusstsein entstehen, dass Kinder keine Belastung darstellen – weder in öffentlichen Verkehrsmitteln noch in Hotels oder in Restaurants, und dabei habe ich die Rolle der Spielplätze außen vor gelassen. Kinder sind laut, Kinder müssen laut sein und Kinder müssen auch ungestört spielen können, damit ein Kind einfach ein Kind sein darf.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Jonas, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Abg. Hahn, bitte.

Frau Kollegin, Sie haben ja sehr viele richtige Aspekte zu Kindern und zum Umgang mit Kindern gebracht. Können Sie dem Hohen

Hause vielleicht in einem Satz noch einmal sagen, warum Sie dann den vorliegenden Antrag ablehnen wollen?

Das werde ich Ihnen im Laufe meiner nächsten Sätze noch ganz deutlich antragen.

Wir sind uns der Verantwortung gegenüber unseren Kindern und der Zukunft des Landes durchaus bewusst. Ich möchte nicht alles wiederholen, was Herr Meyer schon angedeutet hat, sondern ganz klar auf den Koalitionsvertrag im Deutschen Bundestag und die gesetzlichen Rahmenbedingungen hinweisen, die geschaffen wurden, um in Zukunft Gerichtsprozesse zu verhindern, in denen Kinderlärm die Ursache des Rechtsstreites ist.

Ich möchte noch Folgendes ergänzen: Natürlich leben wir in einem Rechtsstaat, in dem jeder, der seine Rechte durch staatliches Handeln betroffen sieht – etwa weil in seiner direkten Umgebung eine Kindertagesstätte gebaut werden soll –, ein Gericht anrufen kann. Das ist wesentlich für unser Rechtssystem, das ist Demokratie. Wir werden auch bei einer solch emotionalen Diskussion darauf achten, dass diese Möglichkeiten künftig für jeden gewahrt bleiben. Aber Rechtsklarheit im Sinne der Kinder muss geschaffen werden.

Werte Kollegen der SPD-Fraktion! Ihr Ziel findet volle Unterstützung bei der FDP-Fraktion – aber: Mit Ihrem Antrag suchen Sie unseres Erachtens den falschen Ansprechpartner. Lassen Sie die Bundesregierung und die sie unterstützenden Fraktionen ihren Job machen, und wir konzentrieren uns darauf, dass wir unseren Wählerauftrag zur Kinderfreundlichkeit hier in Sachsen gut erfüllen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Das war Frau Jonas von der FDP-Fraktion. – Für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN spricht nun Frau Abg. Elke Herrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann es wirklich nicht verstehen, warum die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition diesem Antrag nicht zustimmen.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Ihre ganzen Ausführungen bezogen sich darauf, dass Sie Gleiches wollen bzw. im Bund Gleiches vorhaben. Es gibt keinen Grund, dem Antrag nicht zuzustimmen.

Wir werden das tun; wir teilen das Anliegen. Allerdings mischt sich schon etwas Wehmut in diesen Antrag, denn ich glaube nicht so richtig an den Erfolg des Antrages. Bereits im Juli dieses Jahres ist im Bundestag ein Antrag verabschiedet worden – und zwar ein Antrag der damaligen Koalition –, der vorsah, die Baunutzungsverordnung zu ändern, und bis heute ist nichts passiert. Insofern glaube ich nicht so richtig daran, dass eine Bundesratsinitiative viel bringen wird. Deshalb bewegt es mich, Ihnen zu sagen: Wir sollten genau das tun, was einige abgelehnt haben. Wir sollten genau schauen, ob wir nicht in Sachsen

etwas ändern können. Wir haben durch die Föderalismusreform durchaus die Chance, in Sachsen verhaltensbezogenen Lärm zu regeln. Das können wir hier machen, und das sollten wir auch tun. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist von den Kollegen schon angesprochen worden: Es ist doch so, dass Kinder natürlich auch laut sind. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen, und wir sind in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass alles getan wird, um die Lautstärke einzudämmen. Das kann selbstverständlich nicht durch eine Mauer passieren, aber zum Beispiel durch die Beläge im Außenbereich und dadurch, dass Bepflanzungen vorgenommen werden, die Schall abhalten.

Leider geht dieser Antrag, die Bundesratsinitiative von Rheinland-Pfalz, nur auf Kitas ein, also nur auf Einrichtungen, nicht auf allgemeinen Kinderlärm, über den hier sehr viel gesprochen wurde. Dieser ist überhaupt nicht Ziel dieses Antrages, sondern es geht um bauliche Anlagen, zum Beispiel Kitas, und das ist uns zu kurz gegriffen, weil Sportplätze, wie sie in der Debatte erwähnt wurden, in dem Antrag überhaupt nicht genannt worden sind.