In Artikel 11 der DDR-Verfassung aus dem Jahr 1949 wurde diese Regelung der Weimarer Verfassung wieder aufgegriffen, nun aber auch im DDR-Gerichtsverfassungsgesetz fixiert und in der Praxis realisiert. Das war schließlich die Grundlage für die Aufnahme des Rechts der Sorben, in ihren Heimatkreisen vor Gericht Sorbisch sprechen zu dürfen, in den Einigungsvertrag, auch nach dem Jahr 1990 folglich mit Verfassungsrang.
Meine Damen und Herren! Dieser kurze Blick in die Rechtsgeschichte lässt zwei Tatsachen deutlich erkennen. Erstens. Für die Sorben und auch für die demokratischen Vertreter der deutschen Mehrheitsbevölkerung, die diese aufgezeigte positive Linie in der deutschen Verfassungsgeschichte erst ermöglichten, war das Recht, vor Gericht die sorbische Muttersprache verwenden zu dürfen, von grundsätzlicher Bedeutung – ich wiederhole: von grundsätzlicher Bedeutung! Das sollte es auch für uns hier in diesem Hohen Haus sein.
Zweitens gibt es in der Frage des Gebrauchs der sorbischen Sprache vor Gericht erkennbar zwei verfassungsgeschichtliche Traditionslinien: Die eine reicht von der Frankfurter Paulskirchenverfassung bis zum Einigungsvertrag, die andere wird durch die Bismarcksche Reichsverfassung geprägt.
Daher treffen wir mit der jetzt anstehenden Abstimmung nach meiner persönlichen Auffassung eine durchaus ernsthafte Richtungsentscheidung, die augenscheinlich nicht nur für mich den Charakter einer Gewissensentscheidung hat. Das zeigt der Änderungsantrag des Abg. Marko Schiemann.
Ich füge an dieser Stelle ausdrücklich den hohen Respekt ein, den wir vor dem Antrag des Abg. Schiemann haben. Es ist eine Gewissensentscheidung. Wir teilen die inhaltli
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion war sehr unangenehm überrascht, mit welcher Ignoranz, teilweise Arroganz Vertreter der Staatsregierung mit den Argumenten der sorbischen Vertreter umgegangen sind, zumal der beim Sorbenrat, bei der Domowina und bei den Sorbenbeauftragten der Landkreise Bautzen und Görlitz konkret handelnde Personenkreis nun wahrlich nicht als besonders oppositionslastig bezeichnet werden kann.
Daher sei nochmals auf einige Argumente der sorbischen Seite hingewiesen: Erstens. § 184 Satz 2 GVG ist Bundesrecht. Es stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, in welchem Rahmen der sächsische Landesgesetzgeber die von ihm im Standortegesetz beabsichtigten Regelungen überhaupt treffen kann. Die Vorsitzende des sächsischen Sorbenrates und Bundestagsabgeordnete der CDU, Frau Maria Michalk, hat zu dieser Frage beim Bundestag ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die schwarz-gelbe Mehrheit im hiesigen Rechtsausschuss hat es abgelehnt – Herr Kollege Mackenroth –, um Einblick in dieses Gutachten zu ersuchen. Solide Gesetzgebungsarbeit, meine Damen und Herren von der Koalition, sieht anders aus.
Zweitens. Die Koalition will in Artikel 59a des vorliegenden Entwurfs plötzlich das Sorbengesetz ändern. Dass dies gegen den erklärten Willen der Vertreter der Sorben geschieht, ist mehr als nur ein Schönheitsfehler. Das ist ein Politikum, aber kein gutes.
Drittens. In der bisherigen Diskussion hat die Staatsregierung versucht, mit dem nach ihrer Auffassung nur geringen Gebrauch von § 184 Satz 2 GVG gegen die Auffassung der sorbischen Vertreter zu argumentieren.
Meine Damen und Herren! Zunächst liegt es in der Natur der Sache, dass von Minderheitenrechten nicht „massenhaft“ Gebrauch gemacht wird. Minderheitenrechte als Teil der Menschenrechte von ihrem quantitativen Gebrauch abhängig zu machen ist höchst problematisch.
Zusätzlich skandalös wird die Argumentation der Staatsregierung dadurch, dass gerade sie es versäumt hat, entsprechend der Verpflichtung nach § 8 des Sächsischen Sorbengesetzes die nötigen personellen und sachlichen Voraussetzungen an den Gerichten für eine stärkere Wahrnehmung des Rechts der Verwendung der sorbischen Sprache zu schaffen.
Viertens. Wiederholt haben die sorbischen Vertreter die mangelnde Abwägung der Auswirkungen des Standortegesetzes auf den Gebrauch der sorbischen Sprache vor Gericht kritisiert.
Auch das Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes dieses Hauses enthält diese Kritik und verweist darauf, dass eine fehlende Abwägung der Belange der sorbischen Bevölkerung die Verfassungswidrigkeit der Norm zur Folge hätte.
Der Juristische Dienst verweist außerdem darauf, dass dem Gesetzgeber eine Begründungspflicht hinsichtlich der verfassungsmäßigen Bestimmungen zum Schutz der sorbischen Bevölkerung obliege. Diese Begründung müsse zu den potenziellen Auswirkungen des Gesetzentwurfes auf die Lebensbedürfnisse des sorbischen Volkes angestellte Überlegungen erkennen lassen. Weder im Gesetzentwurf der Staatsregierung noch im Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen finden sich Ausführungen, die nach unserer Auffassung, Herr Kollege Mackenroth, diesem Anspruch genügen.
Fünftens und letztens gibt es zu bedenken, dass die Bundesregierung die Europäische Sprachencharta und das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten ratifiziert hat. Alle zwei Jahre ergibt sich daraus eine Berichtspflicht der Bundesregierung. Sollte sich die Prognose der Domowina, dass sich mit dem Standortegesetz der Istzustand bezüglich des Gebrauchs der sorbischen Sprache verschlechtert, erfüllen, so hätte dieses Hohe Haus dem Image der Bundesrepublik nachhaltig geschadet. Auch dies bitte ich Sie in Ihrer heutigen Entscheidung zu berücksichtigen.
Auch jetzt möchte ich die Gelegenheit für eine Kurzintervention nutzen. Der Kollege hat auf die Stellungnahme des Rates für sorbische Angelegenheiten Bezug genommen und die Verletzung von europäischen Menschenrechten vorgebracht.
Das ist auch in dem Schreiben enthalten. Ich möchte daraus zitieren und die Frage stellen, ob wir vielleicht über eine unterschiedliche Tatsachengrundlage reden: „Es ist nicht die Frage beantwortet, ob das Schließen des Landgerichtes Bautzen und damit das Wegnehmen eines Landgerichtes aus dem Zentrum des sorbischen Siedlungsgebietes, wo es Jahrzehnte gewirkt, seinen Einfluss ausgeübt und damit die sorbische Sprache in ihrer Begrifflichkeit und Ausdehnung beeinflusst und geprägt hat, dem Aspekt der Akzeptanz und des Gewohnheitsrechtes einschließlich der Sprachentwicklung Rechnung trägt.“
Dazu drei Anmerkungen: Erstens. Es wird kein Gericht geschlossen. Es wird das bestehende Gericht – es sind zwei – unter eine gemeinsame Leitung gestellt. Zweitens. Nach unserer Kenntnis hat es nie eine sorbische Verhandlung vor dem Landgericht Bautzen gegeben. Es ist fraglich, wie dieses Gericht die sorbische Sprache prägen und beeinflussen konnte. Drittens. Auch künftig wird es möglich sein, in Bautzen Sorbisch zu verhandeln, und für den kleinen Bereich, den ich gerade angesprochen hatte –
die Große Strafkammer –, wird es möglich sein, falls diese in Görlitz ist, dort Sorbisch zu verhandeln.
Das sind die Fakten, die hier missbraucht werden, um eine lokalpolitische Entscheidung zu fällen. Diese Stellungnahme geht einfach von einer falschen Tatsachengrundlage aus, und deshalb stimmen Ihre Argumente nicht, die Sie gerade in Ihrem Redebeitrag vorgebracht haben.
Ja, Herr Präsident, ich möchte darauf erwidern. – Herr Kollege Biesok, ich möchte Ihre Argumentation zurückweisen, die im Kern lautet, es würden die Minderheitenrechte der Sorben für Regionalpolitik missbraucht.
Erstens. Die Sorben leben nun einmal in einer konkreten Region, und dass damit Minderheitenrechte auch in dieser Region ihre Auswirkungen haben, liegt in der Natur der Sache.
Zweitens. Die angedachten Maßnahmen im Standortegesetz werden von vielen – und ich denke zu Recht; auch ich teile diese Auffassung – als Einstieg in den Ausstieg des Landgerichtes Bautzen bewertet. Daraus resultiert die Befürchtung.
Selbst wenn Sie jetzt sagen, die konkret angedachten Änderungen seien doch relativ klein, so muss ich Ihnen entgegnen, dass die Domowina auch jetzt schon negative Auswirkungen auf den Iststand des Gebrauchs der sorbischen Sprache befürchtet. Das sollte uns schon genügen, um mit der nötigen Sensibilität an Fragen der sorbischen Minderheitenrechte heranzugehen.
Ihre Erklärung, dass es am Landgericht Bautzen keine Verhandlung in sorbischer Sprache – das heißt komplette Verhandlungen für alle Beteiligten, die die sorbische Sprache gebrauchen – gegeben hat, stimmt wohl; denn es gibt leider am Landgericht Bautzen keinen sorbischen Richter. Es gibt überhaupt nur einen einzigen sorbischen Richter: am Amtsgericht Hoyerswerda. Dies aber, mit Verlaub, ist nichts, was man gegenüber den Sorben in Stellung bringen könnte als Vorwurf; denn es ist eigentlich eine Schande für die Personalpolitik im Freistaat.
Meine Damen und Herren! Aus den Fraktionen liegen mir keine weiteren Wortmeldungen für die Aussprache vor. Möchte dennoch jemand sprechen? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Herr Staatsminister Dr. Martens, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wenn wir heute abschließend über das Gesetz zur Neuordnung von Standorten der Verwaltung und der Justiz des Freistaates Sachsen beraten, tut es uns gut, einen Blick auf das Wesentliche zu werfen, das heißt auf die Voraussetzungen und Anforderungen, mit denen wir diesem Gesetz begegnen und Rechnung tragen, zum Beispiel den Handlungsbedarf für dieses Gesetz.
Es war der Landtag, der bereits fraktionsübergreifend und wissenschaftlich begleitet das Thema Demografie in besonderer Weise bearbeitet hat. Die Enquete-Kommission des Landtages hat auf der Grundlage von Fakten – ich wiederhole: auf der Grundlage von Fakten – und nicht auf der Basis von politischer oder sonstiger Weltanschauung im Oktober 2008 einen Abschlussbericht vorgelegt, den es bundesweit so noch nicht gab. Allein aus diesem Bericht möchte ich einige Daten zitieren, die jedem hier mehr als deutlich machen, dass wir – und diese Erkenntnis ist bestimmt nicht neu – zum Handeln verpflichtet sind.
In den nächsten Jahren, bis 2020, ist in Sachsen mit einer erheblichen Verringerung der verfügbaren Arbeitskräfte um circa 25 % zu rechnen. Gerade die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird abnehmen. Die absolute Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter, also der 15- bis 65-Jährigen, verringert sich zwischen 2006 und 2020 von 2,83 Millionen um mehr als eine halbe Million Menschen auf 2,3 Millionen.
Der bereits jetzt beklagte und vorhandene Fachkräftemangel wird bis 2020 um ein Mehrfaches zunehmen. Selbst bei einem weiteren erfreulichen Rückgang der Arbeitslosigkeit wird sich dennoch an diesem Fakt nichts ändern. Wir werden es mit einem Rückgang um 500 000 Menschen in Sachsen zu tun haben. Das sind 500 000 Menschen, die keine Steuern zahlen und keine Werte schöpfen. Kurz gesagt: Es fehlen 500 000 Menschen auch für die Einnahmen des Freistaates.
Hinzu kommen neben diesen Aspekten die bereits mehrfach genannten Einnahmenrückgänge und die Ausfälle der Solidarpakt-II-Mittel und von Mitteln der Europäischen Union.
Unter diesen Bedingungen müssen wir, wenn wir verantwortlich sein wollen – und diese Staatsregierung bekennt sich dazu –, tatsächlich handeln. Und nicht irgendwann, meine Damen und Herren, sondern wir müssen es jetzt tun.
Wir wollen unseren Bürgern und Unternehmen im Land auch zukünftig die notwendigen Verwaltungsdienstleistungen in bester Qualität und zu vertretbaren Kosten zur Verfügung stellen. Das geht nur, wenn wir Behörden und Gerichte auf Basis eines gemeinsamen Konzeptes einsetzen, wenn sich die Mitarbeiter spezialisieren können und wenn wir die Strukturen an das anpassen, was morgen erforderlich sein wird.
Der Sächsische Landtag hat hierzu bereits einen deutlichen Stellenabbau beschlossen. Ziel ist es, bis 2020 den Bedarf an Mitarbeitern des Landes auf circa 70 000 zu senken. Wenn wir aber unsere Beschäftigungszahl beim Freistaat bis 2020 um rund ein Fünftel senken, dann wird niemand in diesem Haus ernsthaft davon ausgehen können, dass die Behördenstrukturen genauso bleiben und sich nicht verändern werden.
Meine Damen und Herren! Die Verwaltungsstrukturen von 1995 und 1996 werden wir nicht im Jahre 2025 und 2026 tragen können.
Wir stellen heute schon mit diesen Veränderungen in den Behördenstrukturen die Weichen in nötigem Umfang, und wir tun dies rechtzeitig und vorausschauend, damit sich alle darauf einstellen können.