Protocol of the Session on January 25, 2012

Überall dort, wo es um die Frage finanzieller Rahmenbedingungen und die schlichte Frage ging, was die sogenannte Reform der Behördenlandschaft, sprich der Verwaltung der Justiz sowie weiterer angrenzender Bereiche, kosten wird, was sie an Einsparungen bringen und gegebenenfalls lang- und mittelfristig an Mehraufwendungen bereiten wird, war die Staatsregierung allenfalls partiell auskunftsfähig bzw. waren die Auskünfte höchst ärmlich.

Kollegin Jähnigen hat völlig recht: Das Gesetz ist im Maßstab der Verfassung des Freistaates Sachsen nicht korrekt begründet, nicht korrekt dargelegt, nicht korrekt erläutert und insofern nicht verfassungskonform zur Verabschiedung vorgelegt. Sie haben – und davon bin ich überzeugt, dass das Gefühl auch bei einer Anzahl von Abgeordneten der regierungstragenden Fraktionen entstanden ist – schlicht in den gesamten Expertenanhörungen, in den Debatten im federführenden Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss wie in den mitbehandelten Ausschüssen einfach nicht die Zukunftsfestigkeit, die

Zweckmäßigkeit und die Sinnhaftigkeit dieses Vorhabens belegen können.

Noch weniger konnten Sie eine sehr maßgebliche, an der Verfassung orientierte Frage beantworten, nämlich die, inwieweit dieses Gesetzesvorhaben mit Artikel 82 der Sächsischen Verfassung zusammengeht. Obwohl das in den Ausschüssen von uns immer wieder betont wurde, wollen wir es unbedingt gern noch einmal definitiv im Protokoll der heutigen 2. Lesung haben.

Artikel 82 der Sächsischen Verfassung enthält in Abs. 1 für diesen Gesetzentwurf fundamental richtungsweisend folgenden Regelungsgehalt – ich zitiere –: "Die Verwaltung wird durch die Staatsregierung, die ihr unterstellten Behörden und durch Träger der Selbstverwaltung ausgeübt. Sie ist dem Wohl der Allgemeinheit verpflichtet und dient dem Menschen."

Das heißt im Klartext: Jede Verwaltungsreform hat sich an dieser verfassungsgestützten Aufgabenstellung zu orientieren. Das ging schon in den Ausschüssen nicht in den Kopf des Herrn Staatsministers der Justiz. Ob das heute anders ist, bleibt abzuwarten. Artikel 82 Abs. 1 Satz 2 schreibt die Verpflichtung auf das Allgemeinwohl und die Dienstleistung für den Menschen, der im Mittelpunkt jedes Verwaltungshandelns steht, als Grundprinzip der Arbeit der Landesverwaltung fest. Das ist wörtlich auch im aktuellsten Kommentar von Baumann/Hasske und Kunzmann zur Sächsischen Verfassung nachzulesen.

Auf diesen wiederholten Vorhalt sowie die weiteren Kommentarstellen, dass ebendiese Grundprinzipien – Verpflichtung auf Allgemeinwohl, Dienstleistung für den Menschen – als Maßstab für die Verwaltungsreform überhaupt nirgendwo im Gesetz erkennbar sind, hatten Sie letzten Endes nur eine einzige stupide Antwort: dass neben diesem Grundsatz noch das Prinzip der Wirtschaftlichkeit sowie der Sparsamkeit gelten und Sie diesen den Vorrang geben. Das ist aber keine praktische Konkordanz zwischen Verfassungsprinzipien. Das ist sie nicht, abgesehen davon, dass das Problem darin besteht, dass Sie den Nachweis der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gerade nicht erbringen konnten. Das ist das Problem.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Genau!)

Abgesehen von einer Vielzahl von Narreteien, die der Gesetzentwurf mit dem Hin- und Herschieben von Behörden – Rechnungshof von Leipzig nach Döbeln, Aufbaubank nach Dresden und dergleichen; alles hier schon erörtert – noch vornimmt, ist – das ist unsere feste Überzeugung – einer der gravierendsten Fehlansätze die völlige Abschaffung des Amtsgerichtes in Annaberg. Sie schaffen im bevölkerungsreichsten Erzgebirgskreis, im – wiederum innerhalb des Kreises – bevölkerungsstärksten und -konzentriertesten Gebiet ein Amtsgericht vollständig ab. Das bedeutet – Kollege Flath weiß das so gut wie ich, weil wir beide aus der gleichen Ecke kommen –, dass die Oberwiesenthalerinnen und Oberwiesenthaler, die Neudorferin, der Neudorfer usw. in Zukunft 50 und mehr Kilometer fahren müssen, um an den Gerichtsort zu

gelangen, bei dem sie ihr Recht suchen – nicht nur, wenn sie einen Rechtsstreit haben – was zum Glück relativ selten im Leben eines Menschen passieren kann, im Familien-, Zivil- oder im Strafrecht –, sondern auch dann, wenn sie die häufiger vorkommenden Probleme zu klären haben: wenn es zum Beispiel um die Frage eines Beratungsscheines, um die Frage des Prozesskostenhilfeantrages oder um die Frage geht, dass jemand Betreuungsleistungen in Anspruch nehmen muss, bei denen teilweise mehrfach täglich der Betreuungsrichter vor Ort – zum Beispiel im Annaberger Krankenhaus – entscheiden muss, ob er die Operation genehmigt und Ähnliches.

Sie schaffen dieses Amtsgericht, das eines der größten und richterstärksten ist und funktionell hervorragend arbeitet, schlicht und ergreifend ab, und Sie wissen genau, aus einem einzigen Grund: weil Sie das erst vor wenigen Jahren als Gericht neu und funktionell umgebaute Gebäude für das dort neu anzusiedelnde Finanzamt haben wollen. Das Finanzamt hat daneben einen Sitz. Sie brauchen ein zweites Gebäude, und dazu ziehen Sie nun das Amtsgericht in Annaberg frei, und in Marienberg muss dafür nun an einer Stelle, an der bisher wenige Richter(innen) waren und weniger Rechtsprechung stattgefunden hat, ein neues Gerichtsgebäude ergänzend gebaut werden, damit überhaupt die Richter die Voraussetzungen finden, um in überschaubarer Zeit entsprechend zu verhandeln. Das ist doch keine sachorientierte, konzeptionelle Standortentwicklung! Das ist mitnichten in irgendeiner Form sachlogisch. Es ist gesetzgeberisch weder klug noch vertretbar, und es hat überhaupt nichts mit Bürgernähe zu tun.

(Beifall bei den LINKEN)

Wie wollen Sie gegenüber den dort wohnenden Bürgerinnen und Bürgern aus dem Erzgebirgskreis rechtfertigen, dass Sie aus der Erwägung heraus, dass Sie das Gebäude für das Finanzamt haben wollen, kurzerhand sagen: Fahren Sie in Zukunft nach Marienberg! Die Gesetzeswirkung wird sein, dass viele Menschen – das ist vorauszusehen – einen noch höheren Grad an Entfremdung gegenüber Verwaltung und Justiz empfinden, dass es noch weitere Wege des Zuganges zu Behörden und zur Justiz gibt, dass noch höhere Kostenfolgen eintreten und die Menschen noch mehr belastet werden, um die Dinge des Alltags zu ordnen. All dies sind Konsequenzen, die dem vorhin zitierten Artikel – Gemeinwohlverpflichtung, Interessen des Menschen, Dienstleistungen für Menschen – zuwiderlaufen. Deshalb ist der Gesetzesansatz von vornherein verfassungsrechtlich nicht korrekt und nicht in Ordnung.

(Stefan Brangs, SPD: So sieht es aus!)

Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Fraktion der CDU selbst den Mut hätte. Wir wissen, dass es viel Druck gab, auch von höchster Ebene, bis hin zu der Formulierung, die vom Ministerpräsidenten artikuliert wurde: Wenn hier noch einmal das Paket aufgeschnürt wird, dann schmeiße ich den Bettel hin.

Wir hätten uns gewünscht, dass Sie diesen Mut hätten. Die Bereitschaft des Präsidenten in diesem Land, zu gehen, wenn es ernst wird und Sinn macht, ist ohnehin nicht sonderlich ausgeprägt, weiß der Wulff. Insofern, meinen wir, dass dieser Gesetzentwurf auch noch verfassungsrechtlich zu beleuchten sein wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es gibt noch eine Wortmeldung von der SPDFraktion. Herr Abg. Brangs, bitte; Sie haben das Wort.

Herr Vorsitzender! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich spontan veranlasst gesehen, meinem Kollegen Marko Schiemann auch noch einmal solidarisch von diesem Pult aus Unterstützung zuzusichern, nachdem ich festgestellt habe, dass Kollege Mackenroth den Änderungsantrag eingebracht und gleichzeitig darauf hingewiesen hat, dass ihn die CDUFraktion ablehnt.

Ich denke, es ist notwendig, einige Zusammenhänge zu verdeutlichen. Es geht zum einen darum, dass wir hier von einem Vorgang sprechen müssen, der im unmittelbaren Zusammenhang damit steht, wie Anspruch und Wirklichkeit bei der Frage der sorbischen Interessen und der sorbischen Situation in Sachsen in Einklang zu bringen sind – auch mit Blick auf die Verfassungslage. Es ist schon sehr bezeichnend, wenn wir feststellen müssen, dass der Landkreis Bautzen und der Landkreis NOL, die Domowina, der Sorbenrat, also diejenigen, die sich im Wesentlichen mit diesem Problem beschäftigen müssen, einhellig der Auffassung sind, dass die jetzt beabsichtigte Änderung nicht zu akzeptieren ist und abgelehnt werden muss.

In diesem Sinne begrüße ich ausdrücklich für meine Fraktion den Änderungsantrag von Marko Schiemann, der in die richtige Richtung geht; denn wir dürfen nicht verkennen, dass wir, wenn wir so unsensibel mit diesem Punkt umgehen, langfristig einen Schaden im Hinblick darauf erleiden können, dass uns der Vorwurf gemacht wird, wir würden die sorbische Minderheit nicht entsprechend der Verfassungslage berücksichtigen und sie in eine Situation bringen, die nicht angemessen ist.

Ich habe großes Verständnis für alle diejenigen, die in den letzten Wochen und Monaten den Kontakt gesucht haben, auch mit der SPD-Fraktion, und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen haben, dass zum Beispiel zwischen dem, was man verspricht, und dem, was dann eintritt, eine riesengroße Lücke klafft. Ich möchte das Beispiel Vereinsregister beim Amtsgericht erwähnen. Es gibt eine Situation, dass man im Bereich des Vereinsregisters Veränderungen vorgenommen hat, die konkret dazu geführt haben, dass es bisher Praxis war, dass Vereine, die in Bautzen Satzungen eintragen oder Veränderungen an Satzungen vornehmen lassen wollten, aus sorbischen Vereinen kamen und dies in sorbischer Sprache getan

haben. Es war vollkommen klar, dass es in Deutsch und Sorbisch umgesetzt werden konnte und die Änderungen in Deutsch oder Sorbisch eingereicht und vorgenommen wurden. Zwischenzeitlich mussten aber einige dieser Vereine feststellen, dass durch die Veränderungen diejenigen, die nun in Dresden dafür zuständig sind, nicht in der Lage waren, sorbische Satzungsänderungen umzusetzen, weil sie der Sprache nicht mächtig sind.

Wenn das Ihre Auffassung davon ist, wie zukünftig die Rechte auch sorbischer Minderheiten in Sachsen gewahrt werden sollen, dann habe ich großes Verständnis dafür, dass die Betroffenen selbst sagen, dass das kein Ansatz ist, damit umzugehen. Ich denke, wir sollten hier alle gemeinsam dafür eintreten, dass der Änderungsantrag von Marko Schiemann eine Mehrheit erhält.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Herr Biesok.

Ich möchte eine Kurzintervention machen.

Bitte.

Ich habe mich zu der Frage bisher zurückhaltend geäußert. Der Kollege gibt aber Anlass, einige Punkte klarzustellen. Erstens. Das Vereinsregister wird beim Amtsgericht geführt und nicht beim Landgericht. Wir reden über das Landgericht.

(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Was mich bei der ganzen Diskussion unheimlich stört, ist, wie mit Minderheitenrechten umgegangen wird. Wir schätzen und achten die Rechte des sorbischen Volkes. Das darf aber nicht dazu führen, dass man Standortentscheidungen nicht mehr treffen kann.

Mit dem Änderungsantrag, der noch eingebracht und über den noch diskutiert werden wird, sollen die Rechte der Sorben sehr weitgehend gestärkt werden.

Für 95 % aller Gerichtsverfahren, die heute vor dem Landgericht Bautzen verhandelt werden, wird sich nichts ändern.

Mit dem Änderungsantrag wollen wir außerdem gesetzlich und nicht per Verordnung festlegen, welche Rechtsangelegenheiten weiterhin in Bautzen verhandelt werden können. Es gibt einen ganz schmalen Bereich, in dem es eine Veränderung geben wird: Das ist die Schwurgerichtskammer. Die Schwurgerichtskammer kann nur an einem Gerichtsstandort gebildet werden, entweder in Bautzen oder in Görlitz. Nur dort gibt es eine Veränderung.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Wenn ein Angeklagter, dem vorgeworfen wird, einen Mord begangen zu haben, dem Totschlag vorgeworfen wird, vor Gericht stehen muss, dann halte ich es für einen Sorben für zumutbar, dies in Görlitz zu tun. Er hat weiterhin das Recht, in seiner

Heimatsprache zu reden, und er wird aus dem Untersuchungshaftgefängnis dorthin gebracht. Deshalb halte ich es für möglich, diese Veränderung vorzunehmen. Das ist keine Verletzung des sorbischen Volkes.

(Beifall bei der FDP)

Das war die Kurzintervention von Herrn Biesok. – Herr Brangs, Sie erwidern?

Ja, weil das notwendig ist. – Ich habe in meinem Beitrag ein Beispiel angeführt und klar die Frage der Umsetzung thematisiert. Ich habe mich bewusst nicht auf die Strukturentscheidung und die Frage berufen, ob Amtsgericht oder Landgericht, sondern gesagt, dass im Hinblick auf Eintragungen in das Vereinsregister – ich weiß, wer dafür zuständig ist –, bei der Veränderung gesagt worden ist, dass man natürlich dafür sorgen wird, dass sich am Status quo nichts ändern wird. Fakt ist, dass sich etwas geändert hat. Diese Befürchtung habe ich, dass sich die besonderen Rechte der Sorben in unserer Region, der Status Quo, den sie innehaben, verschlechtern werden. Das halte ich mit Blick auf die Verfassung für nicht vertretbar. Nichts anderes wollte ich sagen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Gibt es aus den Fraktionen der FDP, der GRÜNEN und der NPD noch Redebedarf für eine zweite Runde? – Das kann ich nicht feststellen.

Für eine dritte Runde liegt mir eine Wortmeldung der Fraktion DIE LINKE vor. Ich frage zunächst die CDUFraktion, ob noch einmal das Wort gewünscht wird. – Das ist nicht der Fall. Dann spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Abg. Kosel, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Grund für meine Fraktion, den vorliegenden Entwurf des Sächsischen Standortegesetzes abzulehnen, besteht in dessen negativen Auswirkungen auf das Recht der Sorben, in ihren Heimatkreisen vor Gericht Sorbisch sprechen zu können, ein Recht, das in § 184 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes – einem Bundesgesetz – klar formuliert ist.

Uns als LINKE haben die Bedenken und die diese Bedenken tragenden Argumente der Domowina, des sächsischen Rates für sorbische Angelegenheiten und der Sorbenbeauftragten der Landkreise Bautzen und Görlitz überzeugt.

Auch meine Fraktion ist, wie die eben genannten Vertreter der Sorben, der Auffassung, dass es im Sinne einer effektiven Rechtsgewährung bezüglich § 184 Satz 2 GVG geboten ist, den Sitz des Landgerichts Bautzen dort zu belassen und die personellen und sachlichen Voraussetzungen dort für den Gebrauch der sorbischen Sprache zu verbessern und am Gerichtsstandort Görlitz zu schaffen.

Meine Damen und Herren! Für meine Fraktion hat § 184 Satz 2 GVG eine besondere Bedeutung, die sich auch aus einem historischen Hintergrund ergibt. Bereits die Frankfurter Paulskirchenverfassung aus dem Jahr 1848/1849 wollte in § 188 den „nicht Deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands die Gleichberechtigung ihrer Sprache, soweit deren Gebiete reichen, gewährleisten“, namentlich unter anderem „auch in der Rechtspflege“. Wie wir alle wissen, trat diese Verfassung leider nicht in Kraft.

Die Bismarcksche Reichsverfassung aus dem Jahr 1871 kannte solche Justizgrundrechte für nationale Minderheiten – niemanden wird es wundern – natürlich nicht.

Erst die Weimarer Verfassung aus dem Jahr 1919 griff in Artikel 113 die Forderung auf, dass „die fremdsprachigen Volksteile des Reiches... besonders nicht im Gebrauch ihrer Muttersprache beim Unterricht sowie bei der öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege beeinträchtigt werden dürfen“. Das ist ein Verfassungsversprechen, das seinerzeit für die Sorben allerdings nicht eingelöst wurde.