Für Diskussionen sollten eigentlich auch Beteiligungsstrukturen sorgen. Die allgemeine Verordnung der EU legt fest, dass die Planung und Umsetzung der Programme in Partnerschaft mit der Zivilgesellschaft erfolgen soll. Fragen Sie bitte einmal konkret die Vertreter in den Begleitausschüssen, wie sie die Partnerschaft mit den Fondsverwaltern erleben: als Einbahnstraße von Informationen über die gefassten Beschlüsse. Partnerschaft sieht anders aus.
Die durchaus zu begrüßende heutige Debatte trägt leider den Makel, symbolisch zu sein – symbolisch, weil bereits
morgen der Bundesrat die deutsche Position zu den EUFondsverordnungen für die Jahre 2014 bis 2020 beschließen wird und Sachsen dabei auch eine Rolle spielt.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, hat jemand von Ihnen eine Vorlage gesehen, welche Position der Freistaat im Bundesrat vertritt? Ich nicht.
Das Kabinett hält sie offensichtlich unter Verschluss – das ist unglaublich –, und das, obwohl wir im April hier auf eine Subsidiaritätsvereinbarung angestoßen haben, die die frühzeitige und umfassende Beteiligung des Landtags an Entscheidungsfindungen in wesentlichen Angelegenheiten festschreibt; und die neuen Verordnungen, die seit dem 6. Oktober vorliegen, sind eine wesentliche Angelegenheit für Sachsen.
Sind die Messen wieder gesungen? Was sagt der Landtagspräsident dazu? Soll die Diskussion heute die angebliche Beteiligung sein? Symbolpolitik hatten wir lange genug – neue Wege sind angesagt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt wahrlich mehr als genügend Gründe, heutzutage über Europa, speziell zu einer Entartungsform der EU, zu sprechen. Nur eines ist dennoch verfehlt: dies allein mit dem Blick auf die Vergangenheit zu tun. Leider ist dies die überwiegende Perspektive der vorliegenden Großen Anfrage.
Die Frage nach dem Freistaat Sachsen in der Europäischen Union wird sich daher nicht länger anhand statistischer Zahlenreihen abgelaufener Förderperioden beschreiben lassen. Damit möchte ich nicht zum Ausdruck bringen, auf eine Analyse des Bisherigen zu verzichten, aber deutlich machen, dass die Zukunft keineswegs ein vergleichbares „Weiter so!“ mit nur leicht veränderten Rahmenbedingungen sein wird, ja sein kann.
Lassen Sie uns meinetwegen dennoch ein klein wenig beim Analytischen bleiben. Heruntergebrochen auf meine begrenzte Redezeit, sind Folgendes die wesentlichen Erkenntnisse:
Im Bereich des ESF zeigt sich arbeitsmarktpolitisch der Mikrodarlehensförderansatz als erfolgsträchtig, aber
administrationslastig. Die Innovationsassistentenförderung zeichnet sich unbestritten als förderlich für den Technologietransfer, den Aufbau von Forschungs- und
Eine der entscheidenden Fragen für den Freistaat wird aber sein, welchen finanziellen Spielraum wir künftig für Innovation, Wissenschaft, Forschung und unsere Bildungsinfrastruktur haben werden. Wird der maßgeblich von Deutschland finanzierte EU-Geldhahn sukzessive zugedreht, gewinnen Fragen der Förderung durch nationale Instrumente von Bund und Ländern immer mehr an Bedeutung. Ein dadurch ausgelöstes Zurückfahren der Förderintensität müsste genau überlegt werden, da beispielsweise eine eingeschränkte Forschungs- und Entwicklungsförderung Auswirkungen auf Sachinvestitionen, Mitarbeiterentwicklung und Umsätze erwarten lässt.
Wenn aber europäische und nationale Gelder zunehmend knapper werden – und wer möchte dies hier ernsthaft bestreiten –, müssen die Förderinstrumente des Freistaates nicht nur quantitativ ausgeweitet, sondern auch qualitativ auf ein anderes, besseres Niveau angehoben werden. Dies leitet sich aus dem Umstand ab, dass nur etwa 50 % Technologiefördermittel in Anspruch nehmende, FuE betreibende Unternehmen eine sächsische Technologieförderung nutzen.
Aber, meine Damen und Herren, nicht nur technologiepolitisch bezweifelt die NPD-Fraktion die mangelnde zielgruppenorientierte, passgenaue Förderpraxis, nein, auch betreffend der allgemeinen KMU-Tauglichkeit haben wir hier unsere Bedenken.
Der EFRE-Förderschwerpunkt 1, Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der gewerblichen Wirtschaft, sollte insbesondere auf kleine und mittelständische Unternehmen abzielen; jedoch entnehmen wir der Großen Anfrage, dass von fast 10 000 Projekten nicht einmal ein Drittel – genauer gesagt 27 % – von KMU waren.
Betreffend der Ziel-3-Programme war im Programm Sachsen/Tschechische Republik eine Förderung von KMU ebenfalls nicht möglich, was zumindest eine wünschenswerte Bestrebung der EU-Osterweiterung gewesen wäre.
Zum Thema Arbeitsplatzverlagerung lässt sich wieder einmal wenig sagen, da der Staatsregierung diesbezüglich wie so oft keine Daten vorliegen – was im Übrigen für sich selbst spricht.
Fazit: Was kann man – abgesehen von der rückblickenden schwarz-gelben Schönfärberei – für perspektivische Aussagen bezüglich des Freistaates Sachsen in Europa treffen? Wenn man den rückwärtsgewandten Blick blindlings in die Zukunft transferiert, mag man sich über Dinge wie Verwaltungs- und Kontrollaufwand, das Offenhalten von Möglichkeiten der Zuschussförderung und eine bessere Vertretung und Einflussnahme Sachsens im Vorfeld von Programmgestaltungen auf der europäischen Ebene unterhalten.
Wenn wir aber, meine Damen und Herren, die tägliche Realität betrachten, wie sich das europäische Kunstprodukt Tag für Tag erwehren muss, um nicht an seinen
Konstruktionsfehlern wie ein Kartenhaus zusammenzubrechen, dann stellt sich unter demokratiepolitischen Gesichtspunkten vielmehr die Frage, ob man überhaupt den Freistaat Sachsen mit Blick in die Zukunft länger innerhalb der Europäischen Union diskutieren möchte – um mich auf den Arbeitstitel der Debatte zu beziehen.
Meine Fraktion hat es im Juni dieses Jahres bereits angesprochen – ich möchte es heute in dieser Debatte erneut in Erinnerung rufen: Angesichts der Erfahrungen mit der Lissabon-Strategie sowie der nachfolgenden Europa-2020-Strategie stehen wir vor der endgültigen Entscheidung zwischen Selbstbestimmung und Fremddiktat. Wollen wir eine landestypische Problemlösungskompetenz oder Auftragsverwaltung im Sinne der Brüsseler Leitinitiativen? Wir von der NPD-Fraktion sind der Auffassung, dass Sachsen besser auf sich selbst, auf seine Menschen und deren Taten vertrauen sollte statt auf die Brüsseler Krisenkommissare – die haben schließlich maßgeblich zur Krise beigetragen.
Meine Damen und Herren! Mir liegen noch Wortmeldungen für eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem die Staatsregierung: Möchte die Staatsregierung das Wort ergreifen? – Das kann ich nicht erkennen. Herr Schiemann, möchten Sie noch einmal sprechen? – Herr Karabinski für die FDP-Fraktion? – Auch kein Redebedarf. Herr Kosel, Sie hatten Redebedarf angemeldet; Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gut ist, dass wir über Europa reden – konkret über Sachsen in der EU. Hilfreich ist dabei, dass mit der Großen Anfrage und den Antworten der Staatsregierung eine Vielzahl von Aspekten der Position Sachsens im EU-System der MehrebenenGovernance vorliegt.
Schade ist, dass dies im Wesentlichen aus einem eher technischen, unkritischen und vor allem nicht selbstkritischen Blickwinkel erfolgt. Schädlich ist geradezu, dass es der Staatsregierung augenscheinlich an einer übergreifenden europapolitischen Gesamtstrategie fehlt.
Denn, meine Damen und Herren, eine etwas tiefergehende Betrachtung der Antworten der Staatsregierung zeigt klar, dass die umfänglichen Darlegungen, all die statistischen Details im Anhang irgendwie nicht wirklich auf die eigentlich drängenden Fragen bei der Suche nach der richtigen Stellung und Rolle Sachsens in der Europäischen Union in der gegenwärtigen Lage der EU, aber auch für die Zukunft Bezug nehmen.
Meine Damen und Herren, das eigentliche Problem bei der Betrachtung der Stellung und Rolle des Freistaates Sachsen in der EU ist, ob und wie ein strategischer politischer Ansatz mit Blick auf die Rolle der Regionen in
der EU gefunden wird, der vor dem Hintergrund der massiven Krise der EU eine tragfähige Perspektive bietet.
Hier sind einige Zweifel an der Sichtweise der Staatsregierung angebracht, denn es ist nicht zu weit gegriffen, wenn man die gegenwärtig in der öffentlichen Wahrnehmung so sehr auf finanz- und wirtschaftspolitische Probleme fokussierende Betrachtung der EU-Krise als eine zutiefst politische Krise und ein Steuerungsversagen der EU versteht. Hier stellt sich eben gerade die Frage, wie die Rolle der Regionen neu zu definieren ist. Darauf gibt die Große Anfrage nicht einmal eine kleine Antwort. Stattdessen wird in einer Aufzählung von Aktivitäten die Verteilung von Fördermitteln in den Vordergrund der Debatte gerückt, was bei aller gegenwärtig nicht zu unterschätzenden Wichtigkeit am Ende doch nicht zum eigentlichen Knackpunkt der eigenen Integrationsverantwortung Sachsens und der sich daraus ergebenden eigenen Integrationsleistung führt.
Woran orientiert sich die Staatsregierung programmatisch, wenn sie die Position des Freistaates Sachsen in der EU bestimmen will? Ausdrücklich erklärt werden solche strategischen Leitlinien nicht. Aus der Gliederung der Großen Anfrage und dem Inhalt der Antworten könnte man ableiten, dass die Beziehung Sachsens zur EU primär durch Förderprogramme gestaltet wird. Zumindest erwähnt die Staatsregierung nur in diesem Zusammenhang unter II. eine „europapolitische Strategie zum Erreichen einer optimalen EU-Förderung ab 2014“.
Sachsen braucht aber nicht nur eine Strategie, um möglichst viel Fördergeld zu erhalten; Sachsen braucht eine politische Europastrategie. Es stellt sich die Frage: Wie stünde die Staatsregierung zu Europa, wenn es dort keine Fördermittel gäbe? Wäre die europäische Integration dann für die Staatsregierung nur Politfolklore oder Ballast? Dies wäre – um es klar zu sagen – aus Sicht der LINKEN verantwortungslos.
Meine Damen und Herren! Der Bundesrat hat in seiner Empfehlung für die Beratung am 16. Dezember 2011 bezüglich der EU-Verordnungsentwürfe zur Zukunft der Kohäsionspolitik kritisch festgestellt, „dass das Förderspektrum mit den von der Kommission vorgeschlagenen thematischen Zielen jedoch allein auf die Strategie Europa 2020 ausgerichtet werden soll. Nach Auffassung des Bundesrates dürfen die Regionen aber nicht eingeschränkt werden, integrierte regionale Entwicklungsstrategien auf den Weg zu bringen, die den jeweils regionalen Stärken und Bedarfen gerecht werden und einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung leisten können.“
Hier wäre es gut gewesen zu erfahren, wie die Staatsregierung die spezifischen Interessen Sachsens in diesem Zusammenhang definiert und wie sie gedenkt, diese Interessen einzubringen. Der Großen Anfrage ist nicht zu entnehmen, dass Sachsen sich bisher kritisch zur Verbindung von Fördermittelpolitik und der Strategie Europa 2020 positioniert und ein eigenes Profil gezeigt hätte. Es
ist zu fragen: Hat die Staatsregierung eine eigene regionale Antwort auf die Bewältigung der EU-Krise?
Meine Damen und Herren! Es ist zu fragen: Hat die Staatsregierung eine eigene regionale Antwort außerhalb der Sparpolitik oder riskiert sie – zumindest unwissentlich – eine soziale Spannung und das Anwachsen eines rechtsextremen Populismus? Eine der zentralen Fragen, die gestellt werden müssen, ist die nach sozialer Verträglichkeit der anstehenden Umgestaltungsprozesse, nach der Stärkung demokratischer Teilhabe und wie diese im europäischen Kontext zu erreichen ist. Sicher, es wird durch die Staatsregierung viel über grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Verkehr und Austausch berichtet. Was wir vermissen, ist eine Feststellung dazu, ob bei den aufgezählten Aktivitäten auch die vorgestellten integrativen Effekte erreicht und die wirklichen Zwecke erfüllt wurden.
Wir Landtagsabgeordneten müssen wissen, wo gute Erfahrungen, die verallgemeinert werden sollten, gemacht wurden und wo Defizite bestehen, denen es zu begegnen gilt. Einige Beispiele zur Verdeutlichung. Wir erfahren, dass ein Personaleinsatz auf EU-Ebene stattfindet, aber wo liegen hier die Effekte und Probleme? Die unklare Formulierung, dass der Einsatz von Bediensteten mit erworbener EU-Kompetenz „in aller Regel“ so erfolge, dass diese Kompetenz in die Tätigkeit eingebracht werden können, lässt nicht unbedingt Gutes erahnen. Hier erwarten wir konkrete Auskünfte von der Staatsregierung.
Wir erfahren, dass der Schüleraustausch erfolgt, aber hat es wirklich einen Zuwachs an interkultureller Kompetenz gegeben? Wie und wo sind Vorurteile und Stereotypen bei den beteiligten Schülerinnen und Schülern nachhaltig abgebaut worden?
Wir erfahren, dass sich Ärzte aus Polen und Tschechien in Sachsen niederlassen. Aber wie steht es eigentlich mit den Ungleichgewichten, die durch den zum Teil mit gezielten Abwerbeaktionen erreichten Abzug von hoch qualifizierten Fachkräften in den Heimatländern entstehen? Haben wir nicht auch eine Mitverantwortung für nur auf Eigennutz ausgerichtete Abwerbung? Diese Frage bekommt man jedenfalls in den Arbeitsämtern von Lubań, Żary und Děčín gestellt. Im Zweifel werden neue Probleme und strukturelle Schwächen in Teilen von Europa erzeugt, die wir am Ende doch wieder gemeinsam beheben müssen.
Wir erfahren ausdrücklich von der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Polizei, aber welche Probleme gibt es eigentlich mit den grenzüberschreitenden EU-Strategien zum Modell der inneren Sicherheit? Zum Beispiel sind in Umsetzung des so genannten Stockholm-Programms und des dazugehörigen Aktionsplans riesige Netze verknüpfter Datenbanken im Entstehen, bei deren Ansicht George Orwell wohl schwindelig geworden wäre. Das wird an einer Stelle der
Beantwortung der Großen Anfrage auch erwähnt: „Aufgrund der Möglichkeit des online-Zugriffs auf die Datenbestände der deutschen und tschechischen Polizei- und Zollbehörden konnte der Informationsaustausch bei Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung beschleunigt werden.“