Protocol of the Session on November 24, 2011

(Stefan Brangs, SPD: Die 400 Millionen sind auf jeden Fall gelogen!)

Herr Brangs, wir haben in diesem Haushalt eine Milliarde eingespart. Das haben Sie noch nie hinbekommen müssen. Eine Milliarde eingespart! Bekommen Sie das erst einmal hin! In der Zeit, in der Sie regiert haben, ist der Haushalt gewachsen. Das ist einfach.

(Beifall bei der CDU)

Das war die Kurzintervention von Herrn Kollegen Schreiber. – Jetzt reagiert Kollege Dulig.

Ich glaube schon, dass ich jetzt noch einmal zwischen dem, was aus der CDU-Fraktion gekommen ist, und Ihnen, Herr Schreiber, unterscheiden kann, denn ich möchte klar machen, dass ich gern an die Punkte anknüpfen möchte, die wir heute Vormittag in der Debatte schon einmal hatten. Es gab eine große Übereinstimmung, und ich finde es wirklich nicht angemessen, das Thema „Lehrerbedarf, Lehrermangel“ darauf zu reduzieren, dass Sie zum falschen Zeitpunkt keinen Brief bekommen haben.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Wir sind immer noch in der dritten Runde. Gibt es Redebedarf aus der FDP und der NPD? – Das sehe ich nicht mehr. Gibt es Bedarf nach einer vierten Runde? – Das kann ich auch nicht feststellen. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Das Wort erhält Herr Staatsminister Prof. Wöller.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine gute Schule ist guter Unterricht, und zum guten Unterricht gehören qualifizierte Lehrkräfte. Das bezieht sich nicht nur auf den Unterricht und auf die jetzige Situation, sondern auch auf die Frage der Lehrerausbildung. Kernaufgabe ist, die Schule mit qualitativ hochwertigen Lehrern zu versorgen und damit die langfristige Sicherung des Lehrerbedarfs in diesem Lande sicherzustellen.

Lassen Sie mich zwei Vorbemerkungen machen. Erstens. Die Schule ist für die Schüler da und nicht die Schüler für die Schule. Das gilt auch für die Interessengruppen. Die Schüler sind nicht für Interessengruppen da, sondern wir haben die Aufgabe, den Schülern die beste Bildung mitzugeben, damit sie erfolgreich eine Ausbildung, ein Studium und ihr Leben gestalten können.

(Stefan Brangs, SPD: Ganz neu!)

Für einige schon.

Das Zweite ist die Frage der Demografie. Die Demografie ist unmittelbar mit dem sächsischen Schulsystem verknüpft, und auch die Frage der Schülerentwicklung kann nicht gänzlich abgekoppelt von der Frage der Lehrerversorgung betrachtet werden. Die Frage der Demografie und die Herausforderung der Demografie ist nicht nur eine Frage der Zukunft, sie ist nicht nur eine Frage der Gegenwart, sondern sie ist eine Vergangenheitsfrage, und zwar einer zwanzigjährigen Vergangenheit, was den Freistaat Sachsen betrifft.

Wir hatten einen enormen Schülerrückgang, eine Halbierung der Schülerzahlen. Das heißt – das ist ja auch in der Debatte zum Ausdruck gekommen –, dass wir 20 Jahre lang die Sicherung der Arbeitsplätze der vorhandenen Lehrer betrieben haben. Das heißt 20 Jahre lang Arbeitsplatzsicherung. Das bedeutete keine Entlassung – was für die Betroffenen erfreulich ist. Doch das ist nur gelungen durch Teilzeitvereinbarungen, durch eine Solidaritätsleistung auch der Betroffenen, und – strategisch der wichtigste Faktor – wir konnten die zusätzlichen Ressourcen für eine Investition in ein pädagogisches Plus, das heißt eine Investition in die Qualität der Bildung, verwenden. Ich glaube, das ist maßgeblicher Beitrag dafür, dass wir dadurch in Sachsen, in Deutschland und auch im internationalen Vergleich gut dastehen.

Das Ganze hat aber einen Preis. Dieser Preis wird jedoch heute fällig. Weil wir alle Lehrer im System gehalten haben, war es nicht möglich, mehr junge Leute in das System zu holen. Das ist die Wahrheit. Sie gestatten mir,

wenn ich nicht nur dafür brenne, etwas für diejenigen zu tun, die im System sind, die Arbeit haben, sondern dass mein Augenmerk, meine Leidenschaft auch denjenigen gilt, die Arbeit bekommen wollen. Das sind die jungen Menschen, die wir hier in Sachsen halten und denen wir eine Perspektive in die Zukunft geben wollen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zu viele junge Leute mussten gehen, weil sie keine Einstellungsmöglichkeiten bekommen haben. Sie sind dorthin gegangen, wo sie gebraucht wurden, und es ist sehr schwer, sie überhaupt wieder zurückzuholen.

Die Situation von der Arbeitsplatzsicherung zur Sicherung des Arbeitsvermögens ist aber jetzt eine andere. Diese ist beschrieben worden, ausgelöst durch die Altersstruktur, durch den Altersabgang, der uns bevorsteht. Bis zum Jahr 2020 verlassen 8 000 Lehrerinnen und Lehrer das System und noch einmal in der nächsten Dekade, von 2020 bis 2030, weitere 14 000. Damit verlassen insgesamt drei Viertel der Lehrerinnen und Lehrer aus Altersgründen in den nächsten Jahren den Schuldienst.

Das ist eine immense Herausforderung für die Zukunft – eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen und die nicht über Nacht zu lösen ist.

Aber lassen Sie mich auf die momentane Situation eingehen und damit auf das Schuljahr 2011/2012. Wir sind immer noch in der Phase der Arbeitsplatzsicherung. Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass wir auch vor diesem Landtag Demonstrationen hatten; es ging um eine weitere Teilzeitvereinbarung im Mittelschul- und Gymnasialbereich. Das Positive dabei ist, dass wir jetzt Vollzeitberuf haben, auch in den Mittelschulen und Gymnasien. Der Lehrerberuf ist wieder ein Vollzeitberuf – das ist ein gutes Signal –, aber das heißt natürlich auch, dass wir an den Mittelschulen und den Gymnasien eine sehr auskömmliche Unterrichtsversorgung haben, dass der Pool in Verantwortung des Schulleiters sehr hoch ist – auch das gehört zur Wahrheit –, und das betrifft nicht nur die Mittelschulen und Gymnasien, sondern auch die beruflichen Schulen. Auch wenn es nicht in jedem einzelnen Fach und in jeder einzelnen Schule gesichert ist, so kann momentan keine Rede von einem generellen Lehrermangel sein; dem möchte ich nachdrücklich entgegentreten.

Damit zum Thema Unterrichtsausfall – auch dieser hat in der Debatte eine Rolle gespielt. Wenn man sich den Schaum vor dem Mund wegwischt und einen Blick auf die Zahlen wirft, dann wird manches klar. Wir haben bei den Gymnasien einen Unterrichtsausfall in Deutschland von durchschnittlich 8 %, an den sächsischen Gymnasien von 3,2 %.

(Widerspruch der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Wir haben an den Grundschulen einen Unterrichtsausfall von durchschnittlich 4 % in Deutschland – auch wenn Ihnen die Zahlen nicht passen, Frau Falken; das kann ich ja nachvollziehen, Sie hätten gern einen höheren Unter

richtsausfall genannt bekommen, um noch höhere Horrorzahlen zu verbreiten –,

(Cornelia Falken, DIE LINKE: Die Zahlen stimmen nicht! Er ist höher!)

aber Sie müssen sich schon gefallen lassen, dass man sich die Fakten ansieht, bevor man anfängt, Unwahrheiten in die Welt zu setzen.

Noch einmal: Bei den Grundschulen 4 % in Deutschland und 2,8 % in Sachsen; bei den beruflichen Schulen 10 % in Deutschland und 5,9 % in Sachsen. Ich möchte deutlich machen, dass Unterrichtsausfall generell ärgerlich ist, insbesondere für die Betroffenen. Aber hier Horrorszenarien zu zeichnen ist einfach unredlich und wird der Sache nicht gerecht.

(Annekathrin Giegengack, GRÜNE: Die Wahrheit wollen wir!)

Ebenso zu den Abordnungen, meine Damen und Herren. Abordnungen hat es schon immer gegeben und Abordnungen sind nichts Neues. Sie sind ein notwendiges Instrument der Unterrichtsabsicherung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja.

Herr Staatsminister, gestatten Sie mir bitte folgende Frage: Wie definieren Sie Unterrichtsausfall?

Sie kennen die Statistiken. Ich habe gerade die Zahlen genannt und muss nicht noch einmal darauf eingehen. Unterrichtsausfall ist es dann, wenn kein Lehrer vor der Klasse steht. Auch Lehrer werden krank, sie werden chronisch krank oder sind chronisch krank. Das sind die Wechselfälle des Lebens. Übrigens ist es auch bei Schuljahresbeginn passiert, dass Lehrer einen Arbeitsvertrag in der Tasche hatten und sehr kurzfristig abgesagt haben. Das Problem ist mittlerweile gelöst, hat aber dazu geführt, dass beispielsweise in den ersten Tagen und Wochen kein Unterricht abgehalten werden konnte oder ein Teil davon fachfremd vertreten wurde.

Meine Damen und Herren, zu den Abordnungen. Auch dort muss man genauer hinsehen. Wir haben eine sinkende Zahl von Vollabordnungen und eine leicht steigende Zahl von Teilabordnungen. Auch das hat Gründe, nämlich dass wir die Integration und Inklusion vorantreiben wollen. Wir wollen das Wohl des Kindes fördern – auch desjenigen Kindes, welches einen sonderpädagogischen Förderungsbedarf hat –, und wir wollen sie möglichst an Regelschulen beschulen. Wenn wir das tun, dann brauchen wir eine pädagogische Unterrichtshilfe; dann brauchen wir Sonderpädagogen, die ihnen dort helfen. Deswegen werden sie abgeordnet. Das heißt, wer für Inklusion ist, wer für Integration ist, der kann nicht gegen Ab

ordnungen sein. Sie müssen sich für das eine oder für das andere entscheiden. Wir entscheiden uns für die Integration und die Inklusion und deswegen ordnen wir Sonderpädagogen ab, damit sie den Kindern entsprechend helfen.

(Empörte Zurufe der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir haben Handlungsbedarf, das ist gar keine Frage, und wir müssen demografische Vorsorge betreiben.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Was haben wir getan? Wir handeln nicht erst seit heute, sondern schon seit zwei Jahren, was diese Frage betrifft. Wir wollen die Qualitätssicherung unseres sächsischen Systems auch in Zukunft und deswegen haben wir im Haushalt Vorsorge getroffen. Wir wollen dauerhaft unsere Lehrerausstattung an den Schnitt der Flächenländer West anpassen – zuzüglich eines Zuschlages von 5 %. Auch im Westen haben wir eine demografische Entwicklung. Das heißt, dort sinkt die Schülerzahl und die Lehrerzahl wird nicht im gleichen Maße abgesenkt.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage, Herr Staatsminister?

Nein, ich möchte es gern zu Ende führen.

(Zurufe der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und Karl Nolle, SPD)

Das heißt, der Osten wird sich nicht an den Westen anpassen, sondern der Westen an den Osten, auch was die Unterrichtsversorgung betrifft. Wir haben Übernahmegarantien für Absolventen, ausgesprochen vor zwei Jahren, und zwar in den Fächern Grundschule, Mittelschule und Förderschule, gerade weil es zu viele sind, die das Lehramt Gymnasium studieren – in Fächerkombinationen, die dauerhaft, jedenfalls langfristig, nicht gebraucht werden –, und wir haben die Zahl der Referendare deutlich erhöht: von 375 Neureferendaren in den letzten Jahren auf über 1 160 im kommenden Schuljahr. Das ist eine Verdreifachung der Zahl der Referendare. Auch die Gesamtzahl konnte insgesamt mehr als verdoppelt werden – bei gleichzeitigem Blick auf die Qualität der Ausbildung. Deswegen ist die Referendarausbildung auch in Chemnitz erweitert worden.

Ein letzter Punkt. Es ist Ihnen sicherlich nicht entgangen und war Gegenstand der Diskussion im Schulausschuss – es betrifft nicht nur die Referendare, sondern auch die Einstellungen –: Wir haben zu Beginn dieses Schuljahres so viele eingestellt wie in den Jahren zuvor nicht, nämlich 631, darunter 236 im Grundschullehramt. Außerdem möchte ich eine Richtigstellung machen: Es werden nur Lehrer eingestellt, die eine entsprechende pädagogische Ausbildung haben. Die Behauptung, sie wären pädagogisch nicht ausgebildet, ist schlichtweg falsch;

(Widerspruch der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

sondern das ist eine Einstellungsvoraussetzung für den Schuldienst.

Meine Damen und Herren, diese Herausforderung ist beschrieben worden. Wir stellen uns dieser Herausforderung; das Umsteuern hat begonnen. Wir stellen uns nicht, indem wir Horrorszenarien zeichnen, sondern indem wir Schritt für Schritt diese Aufgabe angehen und abarbeiten, und ich darf Sie weiterhin um Ihre Unterstützung bitten.

Herzlichen Dank.

(Ganz vereinzelt Beifall bei der CDU – Zurufe von der Opposition)

Das war die Staatsregierung. – Jetzt gibt es Bedarf für Kurzinterventionen. Eine hat die Fraktion der GRÜNEN noch. Bitte, Frau Giegengack.

Ich möchte kein Öl ins Feuer gießen, aber die Sache mit dem Unterrichtsausfall finde ich nicht redlich von Ihnen, Herr Prof. Wöller.