Protocol of the Session on November 23, 2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu später Stunde noch ein Thema, das das Haus, denke ich, schon seit geraumer Zeit begleitet. Es geht um die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes und die sich nach vier Monaten daraus ergebenden Konsequenzen.

Sie wissen, ab 1. Juli dieses Jahres sind der Wehrdienst und der Zivildienst ausgesetzt worden. Damit gibt es keine gesetzliche Verpflichtung mehr, einen dieser Dienste zu leisten, sondern alles, was heute und jetzt passiert, basiert auf dem Gebot der Freiwilligkeit.

Der Bundesfreiwilligendienst ist zum 1. Juli eingeführt worden. Die ersten Bundesfreiwilligen haben am 1. Juli ihren Dienst angetreten. Aber es ist eben nicht nur der Dienst in den Bereichen Soziales, Bildung, Kultur oder Sport usw., sondern nach wie vor gibt es auch den Freiwilligendienst als Soldat bei der Bundeswehr. Ich denke, das sollte man in diesem Zusammenhang immer wieder sagen, und man sollte auch diese Arbeit, diesen Dienst nicht geringschätzen.

(Beifall bei der CDU)

Ziel des Bundes war es, mit der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes 35 000 Stellen mit Freiwilligen zu besetzen. Diese Stellen sind durch den Bundeshaushalt finanziert. Derzeit sind bundesweit etwa 24 000 Stellen mit Freiwilligen besetzt. Das entspricht knapp 70 %. Das ist in meinen Augen eine beachtliche Leistung, vor allem wenn wir daran denken, wie wir vor gut vier Monaten noch hier gestanden und den Bund dafür kritisiert haben, dass alles so schnell geht bzw. dass es völlig unrealistisch ist, diese Freiwilligen zu generieren. Das Ziel, diese 35 000 Stellen mit Freiwilligen zu besetzen, ist jedoch noch nicht erreicht. Es gibt noch eine Menge zu tun.

Bemerkenswert ist aber, dass bundesweit rund 20 % der Bundesfreiwilligendienstler älter als 27 Jahre sind. Besonders hervorzuheben ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Freistaat Sachsen hierbei eine Vorreiterrolle einnimmt. Im Bereich der über 27-jährigen Bundesfreiwilligendienstler ist der Freistaat mit doppelt so viel BFDlern, gemessen am Bevölkerungsschnitt, absoluter Spitzenreiter.

Über die Ursachen dafür, warum Sachsen hier so eine Ausreißerrolle einnimmt, muss, denke ich, zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert und fachlich beraten werden. Mutmaßungen helfen uns nicht weiter. Es zeigt sich aber, dass gerade in Sachsen auch ältere Menschen bereit sind, sich freiwillig zu engagieren. Ich denke, auch das ist Anerkennung wert.

Eines ist klar: Die Einführung des Bundesfreiwilligendienstes ging schnell vonstatten. Es gab große Herausforderungen für Träger und für die Freiwilligen. Einige Fragen blieben bis zuletzt offen. Ich erinnere nur an die Koppelung der FSJ-Stellen. Jetzt ist das ganze Thema so weit geklärt, dass es eine freiwillige Selbstverpflichtung der Wohlfahrtsverbände gibt. Diese Koppelung ist vonseiten des Bundes in dem Sinne nicht vorgenommen worden.

Das Zweite, was ich ansprechen möchte, ist der Kindergeldanspruch. Ursprünglich war es so, dass BFDler kein Kindergeld mehr bekommen sollten. Das ist mittlerweile geklärt. Der Bundestag hat das inzwischen beschlossen, und am kommenden Freitag soll auch der Bundesrat dem zustimmen, sodass auch hier der Bundesfreiwilligendienst dem FSJ und dem FÖJ gleichgestellt wird.

FSJ und FÖJ sollten wir bei der Diskussion über Freiwilligendienste auf keinen Fall vergessen, vor allen Dingen deshalb nicht, weil diese jungen Menschen schon über viele Jahre hinweg freiwillig Dienst geleistet haben. Mittlerweile haben wir bundesweit etwa 70 000 Freiwillige in diesen Diensten, die einen Dienst an unserer Gesellschaft leisten.

Mit dem heutigen Antrag wollen die Koalitionsfraktionen noch einmal auf dieses Thema hinweisen. Wir wollen nicht nur postulieren, dass wir uns einmal bei der Einführung an dieses Thema erinnern, sondern wir wollen

deutlich machen, wie wichtig uns diese Freiwilligendienste sind. Wir werden nicht müde, dies zu betonen. Es gibt immer noch Dinge, die zu verbessern sind, die weiterzuentwickeln sind. Das werden wir auch tun. Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Schreiber. – Jetzt Frau Schütz für die miteinbringende Fraktion der FDP. Frau Schütz, Sie haben das Wort

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und auch angesichts der inhaltlichen Ausführungen meines Vorredners gebe ich meine Rede zu Protokoll.

(Beifall bei der FDP)

Gut, danke sehr. – Dann ist die Fraktion DIE LINKE an der Reihe. Frau Abg. Klepsch, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wenn Kollegin Schütz ihre Rede zu Protokoll gegeben hat, denke ich, es ist angemessen, dass ich hier doch noch für die Opposition spreche, da Patrick Schreiber ja auch den Antrag eingebracht hat.

Was will der vorliegende Antrag? – Auf den ersten Blick will er etwas Wichtiges und Gutes, nämlich die „Einführung des Bundesfreiwilligendienstes in Sachsen konsequent vorantreiben“. Auf den zweiten Blick aber oder wenn man sich den Titel des Antrages auf der Zunge zergehen lässt, muss sich die Koalition schon fragen lassen, ob sie der Staatsregierung oder der Bundesregierung Nachhilfe geben will. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, es verwundert schon, dass Sie von Ihrer Regierung verlangen, diese möge doch einmal dem Landtag über die Auswirkungen des Bundesfreiwilligendienstes auf die vorhandenen Freiwilligendienste berichten.

Ich will auch sagen, warum. Vor zwei Monaten, im September, stellte ich eine Kleine Anfrage zu dem Thema „Bundesfreiwilligendienst in Sachsen“. Damals antwortete mir das CDU-geführte Sozialministerium – ich darf zitieren –: „Für Fragen des Bundesfreiwilligendienstes ist der Bund, speziell das BMFSFJ, zuständig. Der Staatsregierung liegen zum Bundesfreiwilligendienst keine verlässlichen Daten vor. Ein Abgleich zwischen Bundesfreiwilligendienst- und FSJ- bzw. FÖJ-Einsatzstellen ist nicht erforderlich.“

Soweit das Sozialministerium vor zwei Monaten auf meine Anfrage.

Insofern, lieber Kollege Schreiber, ist es richtig, ein bisschen nachzuhelfen und Frau Clauß die Richtung zu weisen.

(Christian Piwarz, CDU: Na, na, na!)

Ich überspringe jetzt einige Punkte; vieles haben Sie schon erklärt, zum Beispiel, wie es dazu gekommen ist, dass wir jetzt den Bundesfreiwilligendienst haben. Neu ist, dass er keine Altersbegrenzung nach oben kennt und in variablen Zeiträumen durchgeführt werden kann. Das war ein Teil des Problems bei der Einführung; denn vielerorts hatte man eine Konkurrenz zum bestehenden Freiwilligen Sozialen Jahr befürchtet.

In der Realität lief der Bundesfreiwilligendienst schleppend an. Zunächst fanden sich nicht genug Freiwillige. Dann gab es eine große Werbekampagne. Schließlich wollte das Bundesfamilienministerium die Träger zwingen, auf drei FSJ-Stellen mindestens zwei BFD-Stellen einzurichten. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, es wäre angemessen gewesen, wenn Sie schon damals und nicht erst jetzt, ein halbes Jahr später, darauf hingewirkt hätten, dass sich die Staatsregierung auf Bundesebene dafür einsetzt, diese Kopplung zu korrigieren.

(Patrick Schreiber, CDU: Hat sie doch gemacht!)

Manches braucht offensichtlich seine Zeit.

Lassen Sie mich noch eine Anmerkung machen: Sosehr sich CDU und FDP heute für das FSJ und das FÖJ starkmachen, so kritikwürdig war und ist es – das kann man nur wiederholen –, dass in unserem aktuellen Landeshaushalt die Plätze für das Freiwillige Soziale Jahr von 1 100 auf zunächst 500 gekürzt wurden; letztlich sind wir bei 700 gelandet, obwohl die Nachfrage immer noch deutlich größer ist.

Punkt 3 des Antrags betrifft die Vermeidung von Nachteilen bei der Studienzulassung infolge des BFD. Das scheint mir eher ein symbolischer Akt zu sein. Eigentlich wäre es doch genau die Aufgabe der Ressorts für Soziales, für Kultus und für Wissenschaft, nicht Nachteile zu vermeiden, sondern gemeinsam Regelungen zu treffen, damit die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Freiwilligendienste sogar einen Vorteil bei der Bewerbung um einen Studien- oder Ausbildungsplatz haben. Dazu habe ich von dieser Staatsregierung leider noch nichts gehört.

Nicht thematisiert in dem Antrag von CDU und FDP wird die Frage, inwieweit der Bundesfreiwilligendienst Arbeiten im Bereich der Pflege ersetzt, die eigentlich von tariflich entlohnten Fachkräften erbracht werden müssten. Natürlich haben die Träger – Wohlfahrtsverbände, Kultureinrichtungen und Vereine – Interesse daran, diese Freiwilligendienststellen zu besetzen, weil sie einerseits jungen Menschen berufliche Orientierung geben und interessierten Erwachsenen die Möglichkeit zur Mitwirkung in einer Einrichtung und damit in der Gesellschaft. Andererseits sind viele Träger von Einsatzstellen schlicht darauf angewiesen, Freiwillige zu beschäftigen, weil die hauptamtliche Personaldecke so dünn ist und es an finanziellen Ressourcen für mehr hauptamtliche Beschäftigte fehlt.

Ich komme zum Schluss. Der Antrag geht zwar in die richtige Richtung, vermittelt jedoch den Eindruck, ein Schaufensterantrag zu sein, dessen Umsetzung möglichst keine Kosten verursachen soll.

(Christian Piwarz, CDU: Böswillige Unterstellung!)

Wesentliche Fragen, die damit zusammenhängen, werden nicht thematisiert. Meine Fraktion wird sich deshalb heute freundlich der Stimme enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Vielen Dank, Frau Klepsch. – Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Homann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident, hiermit gebe ich meine Rede zu Protokoll.

(Beifall)

Hm, hm. – Nun hat Frau Abg. Herrmann für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns in diesem Hohen Haus sicherlich einig, dass die Förderung ehrenamtlichen Engagements und von Freiwilligendiensten unser aller Anliegen sein muss. Nach Abschaffung des Wehr- und damit des Zivildienstes ist eine neue gesellschaftliche Situation entstanden und wir sind froh, dass Menschen vermehrt auch in anderen Lebensphasen als nur in der Jugend Lust auf ehrenamtliches Engagement, auf Freiwilligendienste haben. Die Einrichtung des Bundesfreiwilligendienstes und auch die Öffnung für Menschen jenseits des Jugendalters ist aus verschiedenen Gründen erfolgt.

Wenn ich mir den Antrag, über den wir heute beraten, durchlese, geht es mir wie den Kollegen: Ich erkenne zumindest eine leise Kritik an dem Handeln der Bundesregierung. Während es im Titel heißt: „Einführung des Bundesfreiwilligendienstes in Sachsen konsequent vorantreiben“, kommt in den einzelnen Antragspunkten die Befürchtung zum Ausdruck, dass das auf Kosten der schon etablierten Freiwilligendienste gehen könnte und dass man Maßnahmen ergreifen will, um deren Schwächung zu verhindern.

Dass diese Situation eingetreten ist – in Sachsen sind die Freiwilligenzahlen momentan rückläufig –, ist der Verunsicherung vor allem junger Menschen geschuldet. So wurden im Zusammenhang mit der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes bestimmte Regelungen eben nicht getroffen, zum Beispiel zum Kindergeldanspruch oder – darauf wird unter Punkt III des Antrags eingegangen – zur Anerkennung des Freiwilligendienstes als Praktikum für das Studium. Die dadurch ausgelöste starke

Verunsicherung hat insgesamt dazu geführt, dass das Engagement zurückgegangen ist.

Wenn man in Sachsen Vertreter von Trägern fragt, hört man, dass es für den Bundesfreiwilligendienst zwar Bewerbungen gebe, dass darunter aber kaum junge Menschen seien. Mittlerweile ist etwas eingetreten, wovor wir immer gewarnt haben: Die Jobcenter schicken Menschen, die nicht von sich aus einen Freiwilligendienst leisten möchten, sondern die das nur deshalb machen, weil sie schon lange arbeitslos sind. Das Jobcenter bekommt diese Menschen wenigstens für eine gewisse Zeit aus der Statistik.

In Ihrem Antrag greifen Sie von der Koalition Kritikpunkte auf; damit stehen Sie nicht allein. Schon in der Vergangenheit gab es immer Kritik an der Finanzierung der Freiwilligendienste, vor allen Dingen an dem Stückwerk der Finanzierung. Die Grünen im Bundestag haben sich dazu bereits mehrmals geäußert.

Wenn die Koalition in ihrem Antrag schreibt: „Der BFD wurde vor allem eingeführt, um möglichst vielen Menschen einen Einsatz für die Allgemeinheit und die positive Erfahrung von bürgerschaftlichem Engagement zu ermöglichen und den Wegfall des Zivildienstes aufzufangen“, dann ist das die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gewinnt man den Eindruck, dass neben der Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen vor allem die Arbeitsbeschaffung für das bisherige Bundesamt für den Zivildienst und die 17 Zivildienstschulen die Bundesregierung geleitet haben, diesen Dienst so auszustatten und anzubinden und ihm die Struktur zu geben, die er jetzt hat.

Auf diesem Weg können wir nicht weitergehen. Wir sollten eine koordinierte Gesamtstrategie zum quantitativen und qualitativen Ausbau von Freiwilligendiensten anstreben. Es ist sehr wohl so, dass Menschen in verschiedenen Phasen ihres Lebens nach Orientierung suchen, neu Verantwortung übernehmen wollen und neue Wege ausprobieren möchten. Das ist auch im Erwachsenenalter noch der Fall. Da wird sich bei den Freiwilligendiensten viel bewegen. Wir werden die Probleme nicht lösen, wenn wir das Chaos, das angerichtet worden ist, nicht auflösen. Es ist heute noch dringender als früher, eine ressortübergreifende Strategie zu finden und eine gemeinsame, transparente Grundlage für alle Freiwilligendienste zu schaffen. Das ist seit langer Zeit eine grüne Forderung, die ich heute erneut mit allem Nachdruck vertreten möchte.

Ich gebe Ihnen ein weiteres Beispiel: Bürgerarbeit. Sie wissen, dass das ein Projekt der Bundesregierung ist. Die Aktivierungsphase dafür beträgt ein halbes Jahr. Was läge näher, als einen Freiwilligendienst als Aktivierungsphase anzurechnen! Wollte man das verwirklichen, müsste man das Ressortdenken aufgeben. Genau das passiert leider nicht.

Danke.