Gibt es noch weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen? – Wenn das nicht der Fall ist, dann frage ich die Staatsregierung. Wird das Wort gewünscht? – Das ist ebenso nicht der Fall.
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen vor, diese Unterrichtung zustimmend zur Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Ich sehe, dass das nicht der Fall ist. Damit ist die Unterrichtung des Petitionsausschusses, Drucksache 5/6116, zustimmend zur Kenntnis genommen worden. Der Tagesordnungspunkt ist geschlossen.
Als Einbringer spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE. Es folgen in der ersten Runde CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der Fraktion DIE LINKE das Wort. Herr Abg. Pellmann, bitte.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann mir gut vorstellen, dass die Staatsregierung möglicherweise davon etwas überrascht gewesen sein könnte, als wir die Große Anfrage, die heute in Rede steht, in das parlamentarische Verfahren gegeben haben; denn es ist schon eine relativ große Herausforderung sowohl für den Fragesteller
als auch für denjenigen, der es zu beantworten hat. Immerhin ging es um circa 170 Fragen in elf Komplexen, die im weitesten Sinne des Wortes die Frage beantworten sollten: Wo steht Sachsen im Bundesvergleich hinsichtlich der sozialen Standards?
Ich muss sagen, die Überraschung, die die Staatsregierung vielleicht überkommen haben mag, zeigt sich auch in den Antworten; denn leider hat sie eine ganze Reihe von Komplexen nicht im Sinne des Fragestellers beantwortet. Insofern wundert mich das; denn immer wieder, auch heute Vormittag, haben wir – wenn auch in einem anderen Zusammenhang – Lobpreisungen insbesondere seitens der CDU – mir ist Herr Bandmann in Erinnerung – gehört:
Meine Damen und Herren! Das habe ich nun seit fast 13 Jahren in diesem Haus immer wieder gehört. Irgendwann stellte ich die Frage: Wenn diese Position immer wiederholt wird, aber keinerlei Daten- oder Faktenbeweis folgen, dann sollte man der Staatsregierung die Chance geben – und das war unser Ansinnen –, endlich einmal diese immer wieder in den Raum gestellte These zu beweisen.
Dieser Beweis ist der Staatsregierung gründlich misslungen. Bei einer Reihe von Komplexen, die wir erfragt hatten, gibt es lediglich die sächsischen Daten, die wir ohnehin schon hatten. Aber eines ist klar: Einen Bundesvergleich kann man nur dann herstellen, wenn man nicht nur die eigenen Daten bringt, sondern auch die eigenen Daten in den Vergleich zu den anderen Bundesländern setzt.
Wir ahnten das schon, weil wir in den letzten Monaten von mancher Herangehensweise der Staatsregierung, insbesondere bei Kleinen Anfragen, nicht besonders begeistert waren. So haben wir von vornherein fast die gleichen Fragen an die Bundesregierung gestellt. Sie können das nachvollziehen; im Internet ist alles verzeichnet. Wir haben faktisch zeitlich parallel zehn Kleine Anfragen, die dort allerdings wesentlich ausführlicher als hier beantwortet werden, an die Bundesregierung gestellt. So hatten wir dann die Möglichkeit, ein Mosaik zusammenzustellen und zu Aussagen zu kommen, wo Sachsen wirklich steht.
Ich muss sagen, dass ich weit davon entfernt bin, die Bundesregierung zu loben. Aber den Wettbewerb um wirklich nachprüfbare Erkenntnisse und Daten hat die Staatsregierung gegenüber der Bundesregierung um Längen verloren. Ich fasse zusammen, zu welchen Ergebnissen wir bei der Analyse, die Sie auch nachlesen können, kommen. Ich empfehle das im Übrigen auch; denn wir stützen uns ausschließlich auf Daten der Landesregierung, der Staatsregierung, der Bundesregierung, die sie natürlich in aller Regel über die jeweiligen statistischen Ämter beschafft haben oder auch nicht, wenn sie nicht vorlagen oder sie nicht gewillt waren, sich ernsthaft darum Sorgen zu machen. Deswegen meine ich, dass wir zu wirklich objektiv messbaren Ergebnissen kommen.
Ich könnte mir vorstellen, dass es Sinn machen sollte, wenn wir demnächst einmal seitens der Staatsregierung eine Regierungserklärung angeboten bekämen, in der es genau um unser heutiges Thema geht, nämlich wo Sachsen im Bundesvergleich hinsichtlich der Umsetzung der Sozialpolitik steht. Das wäre interessant, denn es bringt uns wenig, wenn wir immer nur ganz kleine Felder angeboten bekommen. In der Summe, im Ganzen liegt das, was wir benötigen.
Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, kommen wir zu folgenden Ergebnissen, wenn wir diesen Vergleich anstellen.
Erstens stellen wir fest, dass Sachsen keineswegs Spitzenland im Bundesvergleich ist und auch nicht im Vergleich mit den anderen Bundesländern. Sachsen ist auch weit davon entfernt, etwa den Abstand zu den alten Bundesländern zu verringern. Wir haben insbesondere bei Einkommensverhältnissen oder Renten in den letzten zehn Jahren nicht nur eine Stagnation, was den Annäherungsprozess betrifft, sondern die Schere zugunsten der westdeutschen Bundesländer ist sogar weiter aufgegangen. Ich bitte Sie darum, dies in der Analyse einmal sichtbar zu machen.
Selbst im Vergleich mit den neuen Bundesländern kommen wir zu dem Ergebnis, dass Sachsen bezüglich der Summe der sozialen Standards nur Mittelmaß ist. In der Summe schneiden Brandenburg, aber noch mehr Thüringen besser ab. Auch das sollten wir sagen.
Sie werden dann einwenden: Na ja, die haben das ja mit mehr Schulden erkauft. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, da halte ich Ihnen entgegen: Wenn Sachsen wirklich so gut auf sozialem Gebiet dastünde, wie Sie es behaupten, dann muss man sich doch wundern, weshalb wir die Abwanderung in die alten Bundesländer nach wie vor nicht gestoppt haben. Seit 1990 hat sich die sächsische Bevölkerung um mehr als 800 000 Menschen verringert, und die Prognosen sagen aus, dass dieser Prozess bei Weitem noch nicht abgeschlossen ist. Leider, sage ich dazu. Wer wünschte sich nicht ein prosperierendes und blühendes Sachsen, sodass die Menschen in unser Land strömen? Aber wir haben nach wie vor in der Gesamttendenz die gegenläufige Richtung.
Wenn ich diese Generaleinschätzung betrachte, zu der wir gekommen sind – wir haben immerhin 60 Einzelpositionen miteinander verglichen – und mich dann auf einige Positionen beziehe, dann muss ich Ihnen zunächst Folgendes deutlich machen. Hinsichtlich der Sozialstruktur, die dann auch in der Verwaltungsstruktur sichtbar wird, sollten wir ernsthaft überlegen, meine Damen und Herren, ob der gegenwärtige ministerielle Zuschnitt, wie wir ihn haben, wirklich optimal ist. Immerhin ist in zehn Bundesländern Soziales und Arbeit in einem Ministerium, in Sachsen nicht, und dass wir beispielsweise – ja, die FDP muckt da auf, das ist mir völlig klar, es geht genau in ihre Richtung – eine Vernachlässigung der Beschäftigungspolitik haben, liegt unter anderem daran, dass sie im falschen Ministerium angesiedelt ist. Wenn Sie alles der Wirtschaft unterordnen, werden Sie damit nicht klarkommen; denn in erster Linie ist ja die Wirtschaft nicht an sich für sich da, sondern die Wirtschaft sollte für Menschen da sein, und deswegen brauchen wir eine Beschäftigungspolitik, die dem auch entspricht.
Im Übrigen haben wir auch im Bundesministerium Arbeit und Soziales in einem Ministerium. Wir sollten das
prüfen. In gleicher Weise, meine Damen und Herren, sollten wir auch prüfen, ob das Konstrukt kommunaler Sozialverband – auch in der Minderheit der Bundesländer nur gibt es dieses Konstrukt – wirklich die ideale Lösung ist oder ob dieser kommunale Sozialverband – im Übrigen mit den niedrigsten Eingliederungssätzen für Behinderte in ganz Deutschland –, der ja eine Übertragung einer Landesaufgabe auf die Kommunen ist, der ideale Weg ist oder ob nicht ernsthaft darüber nachgedacht werden muss, dass es möglicherweise wieder zu einem Landessozialamt kommt. Das sollten wir mindestens prüfen, weil ich der Auffassung bin, dass der kommunale Sozialverband seinen Aufgaben im Deutschlandvergleich so nicht ausreichend gerecht wird.
Zweitens. Bei wichtigen Standards hat Sachsen die letzte Position in ganz Deutschland. Ich will nicht alle aufzählen, aber einige kann ich Ihnen nicht ersparen.
Sachsen hat die höchste Zahl von Arbeitslosen auf eine freie Stelle. Das hat etwas damit zu tun, was ich vorhin sagte: Falsche Zuordnung des Beschäftigungsressorts, den höchsten Anteil von Aufstockungen an den Langzeitarbeitslosen mit über 34 % – na klar, Niedriglohnsektor! Wir wissen doch, wo die Ursachen liegen.
Wir haben den höchsten Anteil an Wohngeldempfängern – auch das ist ein Ausdruck von Armut, ganz konkret dargestellt.
Wir haben den höchsten Anteil an Beziehern von BAföG. Da könnten Sie natürlich einwenden, dass das ein sozialer Fortschritt ist. Doch dass wir einen so hohen Anteil haben, hängt unter anderem damit zusammen, dass wir viele Eltern haben, die selbst so einkommensbedürftig sind, dass sie ihre Kinder nicht ausreichend unterstützen können.
Wir haben die niedrigste – das ist schlimm geworden – Investitionsrate in den Krankenhäusern. Hier war Sachsen spitze. Wir haben es doch in vielen Debatten mit der Krankenhausgesellschaft diskutiert. Wir sind drauf und dran in den letzten Jahren – und wenn sich das nicht ändert, auch in Zukunft –, dass wir diesen guten Stand, den Sachsen erreicht hat, aufs Spiel setzen. Der Bundesvergleich sagt, dass Sachsen in den letzten zwei Jahren hier an letzter Stelle steht. Das wird sich früher oder später auswirken.
Etwas tut mir besonders weh. Wir haben die niedrigste Förderung, bezogen auf die Einwohnerzahlen, was die Gleichstellung von Frau und Mann betrifft. Hier haben wir unsägliche Debatten während der Haushaltsdiskussion geführt. Jeder erinnert sich daran. Wenn man das dann mit den anderen Bundesländern vergleicht, muss sich Sachsen schämen.
Drittens. Sachsen ist eben nur Mittelmaß im Vergleich zu den anderen Bundesländern. Das betrifft zunächst die Erwerbslosenquote. Hier sind wir nicht spitze. Thüringen und zum Teil Brandenburg sind besser als wir. Inzwischen haben selbst Mecklenburg-Vorpommern und SachsenAnhalt den Abstand verringert.
Es stimmt. Ich verweise in dem Zusammenhang noch einmal darauf – ich bin gern bereit, Ihnen die Statistik zur Verfügung zu stellen, es ist nicht meine Privatstatistik, sie bezieht sich auf offizielle Daten. Allein stimmt nicht, reicht mir nicht. Dann will ich von mir aus eine Gegenanalyse haben. Sie haben einen viel größeren Apparat und können sich alles leisten. So lange steht das, was ich mit meinen Leuten ermittelt habe.
Der Anteil Langzeitarbeitsloser ist in Sachsen höher. Kürzlich haben wir in der Presse nachlesen dürfen: In Sachsen warten Langzeitarbeitslose am längsten auf einen neuen Job in ganz Deutschland. Der Personalschlüssel in Kinderkrippen ist unter den neuen Bundesländern nur Mittelmaß. Ich spreche noch gar nicht darüber, dass wir unter den neuen Bundesländern die niedrigste Betreuungsquote bei Null- bis Dreijährigen haben. Ich könnte das beliebig fortsetzen.
Ich will Ihnen, viertens, deutlich machen: Wir haben in Sachsen den geringsten Anteil der Sozialausgaben am Gesamthaushalt von den neuen Bundesländern. Das ist zum einen Ausdruck dessen, dass Verantwortung auf die Kommunen abgewälzt wird, und zum anderen ist es die Folge davon, dass die sozialen Standards immer weiter abgesenkt werden.
Fünftens. Wir haben den höchsten Anteil in einer Reihe von Positionen von privaten Trägern. Sachsen hat in kürzester Zeit viele andere Bundesländer – insbesondere auch Bayern und Baden-Württemberg als die Vorbildländer, wie man immer sagt – etwa bei der Krankenhausprivatisierung oder bei der Privatisierung im Altenpflegebereich überholt. Hier spreche ich noch gar nicht – weil ich weiß, dass es ein umstrittenes Problem ist – über den Sektor der Privatschulen. Wir wissen ja, wenn es um den Privatsektor geht, dass dieser nicht ohne Weiteres in der Lage ist, so wie es nötig wäre, die Verantwortung für die soziale Daseinsvorsorge zu übernehmen, sondern dass der Privatsektor bekanntermaßen nach anderen Kriterien funktioniert.
Sechstens. Wir haben in Sachsen inzwischen leider eine Entwicklung, bei der wir eine eingeschränkte Förderung der basisdemokratischen Mitwirkung haben. Ich habe bereits die Förderung beim Gleichstellungsressort Frau und Mann genannt. Was dort mit dem Landesfrauenrat passiert ist, spottet nach wie vor jeder Beschreibung; das finden Sie in keinem anderen Bundesland. Oder wie nach wie vor stiefmütterlich mit der Landesseniorenvertretung umgegangen wird. Gleiches könnte ich für die Behindertenverbände und die Behindertenbewegung sagen. Wir müssen endlich dazu kommen – und insofern knüpft es an die Debatte am heutigen Vormittag an –, dass in erster Linie die selbstbestimmte Mitwirkung von basisdemokratischen Institutionen einen höheren Stellenwert erhält und es nicht danach geht: Wer der Staatsregierung besonders willfährig ist, der bekommt etwas, und die anderen werden am kurzen Zügel gehalten. Das lässt sich auch statistisch im Bundesvergleich deutlich machen.
Meine Damen und Herren, ich werde im Weiteren noch deutlich machen, welche Schlussfolgerungen sich aus unserer Sicht daraus für die Staatsregierung ergeben.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die LINKEN nicht mit Geld umgehen können, dann ist es diese Große Anfrage, die Sie uns heute vorgelegt haben.
Man kann sich dabei insgesamt schon fragen, ob das Geld dafür richtig aufgewendet ist. Ungefähr 150 000 Euro haben wir für diese Große Anfrage ausgeben müssen – mit sinnlosesten Fragen, die die Staatsregierung beantworten musste. Und dann haben Sie noch die Chuzpe zu behaupten, das Gleiche hätten Sie im Bundestag noch einmal gemacht. Sie haben das Geld doppelt hinausgeworfen! Ich halte es für einen Skandal, die Leute doppelt zu beschäftigen und damit Steuerzahlergelder zum Fenster hinauszuwerfen.
Gehen wir einmal auf ein paar Fragen ein: Sie fragen beispielsweise, wie viele Tafeln es gibt. Sie rühmen sich sonst immer, dass Sie die Vorsitzende der Tafeln in Ihrer Fraktion sitzen haben – dann hätten Sie sie doch einmal fragen können, wie viele es sind. Oder Sie hätten in die Gesetze schauen können, wenn Sie den Schlüssel haben wollen, den es in den Schulen für Lehrer gibt. Warum haben Sie das nicht selbst gemacht, sondern beschäftigen damit Heerscharen in der Verwaltung? Ich halte das, was Sie hier gemacht haben, für grobe Steuerverschwendung.
Diese Anfrage ist nicht für den Sächsischen Landtag geeignet, sondern eigentlich für das Schwarzbuch der Steuerverschwendung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns aber jetzt ins Thema eintreten. – Wenn Herr Nolle eine Frage hat, kann er gern ans Mikrofon treten.