Protocol of the Session on September 14, 2011

der Pressekonferenz als Zaungast mitbekam, schon anmoderiert, Gegenstrategien entwickelt.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Man macht alles selbst!)

Richtig. Es werden schon einfache Gegenstrategien angedacht, bevor überhaupt die Unterrichtung vorliegt, wie man denn den Datenschutzbeauftragten gewissermaßen ausbremsen, wie man ihn widerlegen, wie man ihn desavouieren kann, wie man ihn in gewisser Weise „ans Brett nageln“ kann. Das ist von langer Hand vorbereitet worden – mit dem Geld der Steuerzahler, nebenbei gesagt. Auch darüber wird noch zu reden sein.

(Volker Bandmann, CDU: Karl Eduard von Schnitzler hätte es nicht besser vortragen können! – Heiterkeit)

Sie haben Schnitzler nicht begriffen, Sie begreifen mich auch nicht.

(Starke Unruhe – Zurufe)

Was schon das stoische, geradezu primitive Erklärungsmuster der Staatsanwaltschaft Dresden, Oberstaatsanwalt Haase angeht, der am vergangenen Freitag mit bemerkenswerter Schlichtheit argumentierte, dass es aufgrund dieser richterlichen Entscheidung selbstverständlich verhältnismäßig und angemessen war – dazu fällt mir nichts ein, weil schon jeder Jurastudent im 3. Semester weiß, dass richterliche Entscheidungen in erster Instanz schon angesichts der Arbeitsbelastung in der Justiz selbstverständlich nicht immer stimmen müssen. Das ist nichts Schlimmes, das ist ganz normal, das ist auch ein kompliziertes Terrain, das ist eine komplizierte Rechtsmaterie. Es ist eine Rechtsmaterie, die im Dezember 2001 mit den Antiterrorpaketen in die Strafprozessordnung kam und jetzt auf ganz andere Sachverhalte angewandt wird. Der Datenschutzbeauftragte hat feststellt – natürlich heute kein Wort davon, vom Professor aus Berlin wurde es nicht einmal registriert –, dass zum Beispiel dieses Rüstzeug des Antiterrorkampfes bei Straftaten wegen Beleidigung angewandt worden ist

(Lachen des Abg. Christian Piwarz, CDU)

und auch wegen Sachbeschädigung. Da ist dann irgendwo überhaupt keine Nachvollziehbarkeit der Argumente mehr vorhanden. Aber just, statt mit dieser Sache umzugehen, am heutigen Tag wird – obwohl das Plenum auf der Grundlage der entsprechenden Erfüllung der ihm verfassungsgemäß und von Gesetzes wegen zugewiesenen Aufgaben mit der Unterrichtung des Datenschutzbeauftragten, mit der Behandlung von zwei Anträgen beschäftigt ist – diese Pressekonferenz anberaumt. In dieser Pressekonferenz wird den Medienvertretern ein Gutachten präsentiert mit einer Argumentation zum Einstieg, bei der ich – wenn ich es „unqualifiziert“ nenne, ist es ausgesprochen zurückhaltend – es schon nahezu für eine Unverschämtheit hielt, in welcher Art und Weise der Datenschutzbeauftragte – in Abwesenheit – hier angegriffen worden ist. Es war davon die Rede, die Strafprozessord

nung sei eine schwierige Materie, die nicht jeder verstehen könne, usw.

Es wurde in dem Gutachten erklärt, dass sich der Innenminister offensichtlich zu eigen macht: Alles, was im Rahmen der Funkzellenabfrage geschehen ist, war rechtmäßig. Die Erklärung, Herr Staatsminister Ulbig, steht in dem Gutachten, sie steht in der Pressekonferenz, sie steht im Raum – obwohl Sie genau wissen, dass nicht eine einzige der gegen die Maßnahmen eingelegten Beschwerden durch ein Landgericht, durch eine Beschwerdekammer entschieden ist. Sie werfen vor, dass der Datenschutzbeauftragte eine Wertung abgibt, die ihm angeblich nicht zusteht – nur der Justiz –; aber Ihr Gutachter erklärt, alles sei angemessen. Meines Wissens ist er kein Oberrichter. Meines Wissens ist er nicht mehr – sogar eher weniger – als der Datenschutzbeauftragte dazu berufen, Wertungen abzugeben. Er darf es nämlich, er soll es im Kontext mit Datenschutz. Es ist seine Aufgabe von Verfassungs wegen.

Ich wende mich an dieser Stelle zuallererst an Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen aus den Koalitionsfraktionen, aus deren Reihen etwa durch Kollegen Schiemann oder durch Kollegen Biesok nach Vorlage der Unterrichtung des Datenschutzbeauftragten Botschaften qua Presseerklärung kamen, die den Tenor hatten, die Kritik des Datenschutzbeauftragten ernst zu nehmen – eine sehr vernünftige Herangehensweise.

Der Datenschutzbeauftragte gehört nicht zur Opposition. Er hat sich mit der Vorlage dieser Unterrichtung auch nicht aufgedrängt; er ist darum ersucht worden. Der Datenschutzbeauftragte ist keine dem Umgang seitens anderer Gewalten beliebig ausgesetzte Nebeninstanz oder Unterbehörde. Artikel 57 der Verfassung sagt: „Zur Wahrung des Rechts auf Datenschutz und zur Unterstützung bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird beim Landtag ein Datenschutzbeauftragter berufen. Das Nähere bestimmt ein Gesetz.“

Er ist ein unabhängiges Unterorgan des Landtages, das den Landtag bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle über die Einhaltung des Datenschutzes im Freistaat Sachsen als Bestandteil des Artikels 1, Würde des Menschen, unterstützt.

(Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU)

Das ist seine Aufgabe. Wer den Datenschutzbeauftragten brüskiert, wer ihn derart respektlos und herabsetzend angreift, wie im heute veröffentlichten Interview auch der Generalstaatsanwalt, der kurzerhand einmal sagt: Er hat überhaupt keine Beweise vorgelegt … Vielleicht muss ein Datenschutzbeauftragter noch Beweise vorlegen! Wo leben wir denn?! Der Datenschutzbeauftragte als Bestandteil des Unterorgans des Parlaments muss dem Generalstaatsanwalt Beweise vorlegen?

(Beifall bei den LINKEN und der SPD – Volker Bandmann, CDU: Sie müssen doch nicht schreien!)

Wer in einer Präsentation des Gutachtens den Datenschützer und seine Behörde in einer derart ungehörigen, unflätigen Weise gewissermaßen der Unkenntnis zeiht, der brüskiert das Parlament!

(Zuruf von den LINKEN: Genau! – Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Der brüskiert das Parlament und muss sich fragen lassen, wie sein Verhältnis zur verfassungsmäßigen Ordnung ist.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Ich muss sagen, jetzt reicht es!

(Volker Bandmann, CDU: Jetzt reicht es wirklich!)

Ja, Herr Bandmann, Sie waren zwar von Anfang an dabei, als über die verfassungsmäßige Ordnung gesprochen wurde; aber Sie haben es zu keinem Zeitpunkt auch nur in Näherung erfasst.

(Zurufe – Starke Unruhe)

Wir hatten fast denselben Ausgangspunkt, Herr Ministerpräsident – vielleicht bin ich weiter als Sie.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr gut!)

Ich war nie der vierte Mann in einem Kreis zu DDRZeiten, muss ich sagen, nie der vierte Mann laut Protokoll.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Der Datenschützer führt in der Unterrichtung unter anderem folgende feststellenden Fakten aus:

(Zuruf von der CDU: Sagen Sie es uns doch einmal!)

Nicht individualisierte Funkzellenabfrage auf Anregung der Soko 19/2 und auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden am 19. Februar in Zeiträumen von insgesamt neun Stunden und umfassend 14 Örtlichkeiten erhoben; 138 630 Verkehrsdaten;

Erhebung von 896 270 Datensätzen durch LKA, die neben den Verkehrsdaten auch Bestandsdaten enthalten;

am 13./19. Februar auf Anregung des LKA und wiederum auf Antrag der Staatsanwaltschaft mehrere nicht individualisierte Funkzellenabfragen, wobei unter anderem ein Gebiet in Dresden über volle 48 Stunden, ein anderes, in dem Versammlungs- und Gegendemonstrationen stattfanden, über zwölf Stunden abgefragt worden ist;

896 270 erhobene Verkehrsdatensätze, 257 858 Rufnummern, 40 732 Bestandsdaten allein am 18./19. Februar durch das LKA im Rahmen von sogenannten Strukturermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Das sind die Tatbestände, die inzwischen nach § 154 StPO eingestellt werden, weil sie angeblich im

Verhältnis zu anderen Strafen wenig ins Gewicht fallen. Einfach „Transportdatenbestand“.

Der Datenschützer erklärt – und das ist die Crux und die Originärität der Sache –, dass sich das alles nicht nur unter entsprechendem Bruch des Fernmelde- und des Postgeheimnisses und vor dem Hintergrund des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, sondern im Kontext mit weiteren konstitutionellen Grundrechten dieser Republik vollzogen hat, nämlich der Versammlungsfreiheit, der Koalitionsfreiheit, der Religionsfreiheit und der Pressefreiheit.

Letzter Denkansatz für Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, aus dem Bericht des Datenschutzbeauftragten, Seite 12, 1. Absatz: „Die Rechtmäßigkeit, insbesondere die Verhältnismäßigkeit der Verarbeitung von Informationen über Menschen durch alle Teile der öffentlichen Gewalt ist nichts Nebensächliches oder Randständiges, sondern von zentraler Bedeutung für die grundgesetzliche Ordnung. Im Mittelpunkt dieser Ordnung stehen, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem berühmten Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 erkannt hat, Wert und Würde der Person, die in freier Selbstbestimmung als Glied einer freien Gesellschaft wirkt.“ Bundesverfassungsgericht von 65, 1 ff.

Das ist das Problem, mit dem das Parlament umgehen muss. Was hier geschehen ist und was die Republik mit Blick auf Sachsen mitverfolgt, hat mit der Frage zu tun, in welchem Umfang staatsbürgerliche Grundrechte im Freistaat Sachsen gewahrt sind und inwieweit man am 13. oder 19. Februar 2012 in Sachsen demonstrieren kann, ohne automatisch zum Kriminellen erklärt zu werden.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir behandeln im Tagesordnungspunkt 9 noch einen zweiten Antrag: Konsequenzen aus dem Bericht des Sächsischen Datenschutzbeauftragten zur Handydatenaffäre ziehen – Verhältnismäßigkeit der Mittel zur Strafverfolgung in Sachsen sicherstellen, Drucksache 5/6872, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Lichdi wird für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN den Antrag einbringen. Herr Lichdi, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war absehbar, dass der Datenschutzbeauftragte mit Datum vom 9. September 2011 diesen Bericht vorlegen wird. Deswegen hat es sowohl meine Fraktion als auch die Fraktion DIE LINKE für richtig gehalten, praktisch im Vorhinein einen Antrag zu stellen, damit wir Gelegenheit haben, diesen Bericht zu diskutieren. Insbesondere wollten wir damit der Staatsregierung die Gelegenheit geben, am richtigen Ort, nämlich beim Auftraggeber dieses Berichtes, dem Landtag, dazu

Stellung zu nehmen. Dass die Staatsregierung einen anderen Weg gewählt hat, haben wir alle erfahren. Darauf werde ich noch zu sprechen kommen.

Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, was der Herr Datenschutzbeauftragte festgestellt hat; denn in den letzten Tagen sind dermaßen viele Nebelkerzen und Unwahrheiten verbreitet worden, dass es einen schier graust. Herr Schurig hat einen Verstoß gegen § 477 Abs. 2 Satz 2 der Strafprozessordnung beanstandet, weil Daten aus Funkzellenerhebungen in Verfahren wegen des Verdachts der Sachbeschädigung, der Beleidigung und auch der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eingebracht wurden.

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Das stimmt doch wohl!)

Er hat die Übernahme der Daten aus den sogenannten Strukturermittlungsverfahren aus dem Landeskriminalamt in die Arbeit der Soko 19/2 beanstandet. Der Datenschutzbeauftragte bemängelt bezüglich der Funkzellenabfragen am 18. und 19. Februar, dass das Landeskriminalamt es für richtig gehalten hat, über 48 Stunden ein Gebiet vollkommen abzugrasen und zu erfassen, und dies an vielen anderen Orten mehr. Weil die Staatsanwaltschaft dort als Antragsteller tätig gewesen ist, hat er auch dies beanstandet. Sie bemerken dabei, die Beanstandung eines Amtsgerichtes, eines Richters, einer richterlichen Entscheidung hat dezidiert nicht stattgefunden. Wer in der Lage ist zu lesen – und ich gehe davon aus, dass wir das alle sind –, der kann unschwer feststellen, dass Herr Schurig genau das nicht getan, sondern geradezu peinlichst vermieden hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Dieser Bericht hat uns zwar nicht alle, aber doch einige aufschlussreiche neue Details erbracht, die bisher verschwiegen wurden, obwohl sie ganz offensichtlich Gegenstand der Anträge der Opposition im Rechts- und Innenausschuss waren und hier schon des Öfteren erörtert wurden. Wir haben von Herrn Schurig erfahren, dass diese Funkzellenverkehrsdaten nicht nur in das Verfahren gegen die Blockierer eingebracht wurden, sondern auch in Verfahren, die nicht das ganz hohe kriminalistische Gewicht hatten. Das wundert mich jetzt doch sehr, denn es war kein geringerer als der Herr Ministerpräsident, der sich am 24.06.2011 hat zitieren lassen, es sei ein Fehler gewesen und komme nicht mehr vor, es tue ihm leid. Wenn er das ernst gemeint hätte, bestünde Anlass, die Öffentlichkeit über diesen Anlass zu informieren. Das hat man natürlich unterlassen.