Protocol of the Session on June 30, 2011

Ja, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende auch der 2. Aktuellen Debatte angekommen. Die Debatte ist abgeschlossen. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren, wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 2

1. Lesung des Entwurfs Gesetz über die Bestellung von hauptamtlichen kommunalen Beauftragten für Fragen der Migrationsgesellschaft (Migrationsbeauftragte)

Drucksache 5/5934, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht deshalb nur die einreichende Fraktion DIE LINKE. Bitte, Frau Kollegin Klinger, Sie haben das Wort.

(Präsidentenwechsel)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE legt Ihnen heute einen Gesetzentwurf über die Bestellung hauptamtlicher kommunaler Beauftragter für Fragen der Migrationsgesellschaft vor. Ziel ist es, dass in allen Landkreisen und allen Kommunen mit mehr als 40 000 Einwohnerinnen und Einwohnern solche Migrationsbeauftragte bestellt werden.

Warum bedarf es überhaupt dieser Beauftragten?

(Zuruf von der CDU: Ja, diese Frage stelle ich mir auch!)

Ziel einer gelingenden Migrationspolitik muss die gesellschaftliche Gleichstellung aller im Lande Lebenden sein. Dies ist aber bei bestimmten Gruppen von Menschen nicht gegeben, da sie aufgrund fehlender Mitbestimmungsrechte, wie zum Beispiel des Wahlrechts, von bestimmten Bereichen gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen sind. Auch an dieser Stelle setzen Beauftragte an, indem sie zumindest indirekte Partizipation ermöglichen, solange es für die Betroffenen aufgrund bestimmter gesetzlicher Grundlagen noch nicht möglich ist, selbst direkt mitzubestimmen.

(Andreas Storr, NPD, steht am Mikrofon.)

Warum haben wir uns für den zugegebenermaßen etwas sperrigen Titel „Beauftragter für Fragen der Migrationsgesellschaft“ entschieden? Ich muss voranstellen, wir wollen eigentlich direkte Partizipation. Ich habe soeben ausgeführt, dass das aufgrund bestimmter gesetzlicher Grundlagen noch nicht möglich ist. Das heißt, wir wollen gesellschaftliche Teilhabe in allen Bereichen: sozial, ökonomisch, kulturell und natürlich auch politisch.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Andreas Storr, NPD: Schade, ich dachte, wir könnten hier unsere Meinungen austauschen!)

Geht das bei der 1. Lesung? – Okay, gut.

Aber gerade die politische Teilhabe wird seitens der Staatsregierung konsequent vergessen, und das hat theoretische wie politische Gründe – Gründe, die im Ansatz der Integration selbst liegen und das bewusste oder auch unreflektierte Staatsdenken weiter Teile der politischen Eliten in diesem Land widerspiegeln.

Auch wenn die im Bereich Migration und Integration tätigen Akteurinnen und Akteure sowie die Organisationen von Migrantinnen und Migranten selbst einen positiven Integrationsbegriff für sich entwickelt haben – das ist auch gut so –, offenbart das Denken von Integration an sich schon ein Dilemma, das mehr Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit als Ausdruck eines humanistischdemokratischen Denkens einer offenen Gesellschaft ist.

Schauen wir uns den Begriff „Integration“ näher an. Das Wort an sich impliziert schon, dass es eine wie auch immer konstituierte Gemeinschaft geben muss, eine politische Einheit, in die integriert werden kann. Doch dieses Denken von politischer Einheit, von Homogenität ist schon Ausdruck von Fremdenfeindlichkeit und Ausdruck einer Haltung, die die Differenz des Fremden nicht zulassen kann, sondern vielmehr durch Integration aus ihm das Identische, das vermeintlich Homogene machen und so das Fremde austreiben will. Wer integrieren will, hat den Fremden längst definiert und ausgeschlossen. Es ist dabei irrelevant, wodurch sich die vermeintlich homogene Gemeinschaft konstituiert, ob als Religionsgemeinschaft, als Volksgemeinschaft, als Klassen- oder Kulturgemeinschaft. Immer geht es um einen Typus geschlossener Gesellschaften, um eine antipluralistische Haltung, die zur Ausgrenzung führt.

Dieses Denken deutscher kollektiver Identität, die bewusste oder unbewusste Ablehnung alles Heterogenen und Fremden, zeigte sich in der Vergangenheit in den Debatten um die faktische Abschaffung des Asylrechts, in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung zum Europawahlrecht, in der Debatte um die Neuregelung des Staatsangehörigkeitsrechts und in den Zuwanderungs- und Integrationsdebatten des letzten Jahrzehnts.

Meine Damen und Herren, es ist an der Zeit, mit antipluralistischen Integrationslehren zu brechen und endlich damit zu beginnen, eine offene Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Diskriminierung weiterzuentwickeln und wirklich zu leben.

(Beifall der Abg. Heike Werner, DIE LINKE)

Dass „Integration“ für „Ausschluss“ steht, wird an einer Stelle ganz praktisch deutlich, bei der Frage nämlich, an wen sich die sogenannten Integrationsmaßnahmen explizit nicht richten: an Flüchtlinge, Asylsuchende und Geduldete, Menschen, die oftmals langjährig hier leben, denen allerdings keine entsprechende Chance auf Teilhabe, etwa durch Spracherwerb oder durch Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, gewährt wird.

Deshalb möchten wir hier in einem ersten kleinen Schritt dazu beitragen, einen Paradigmenwechsel einzuleiten. Deshalb haben wir ganz gezielt die zu installierenden Beauftragten nicht „Integrationsbeauftragte“, sondern „Beauftragte für Fragen der Migrationsgesellschaft“ genannt; denn die Schlagworte für zukünftige Debatten sollten lauten: Partizipation statt Integration.

Nach diesem kurzen, aber nötigen Ausflug in die politische Theorie komme ich zurück zur Präzisierung und Ausgestaltung der Tätigkeit der Migrationsbeauftragten. Aus meinen Ausführungen zur Integration folgt logisch eine andere Vorstellung vom Aufgabenspektrum der zu installierenden Beauftragten. Neben der anwaltlichen Vertretung der Migrantinnen und Migranten gehört dazu gleichrangig auch ein Wirken in die Verwaltung und in die Gesellschaft hinein; denn Anpassungsleistungen sollen und dürfen eben nicht nur von den Migrantinnen und Migranten kommen. Anpassungsleistungen und interkulturelle Öffnung sind von allen Seiten nötig. Genau dort können die Migrationsbeauftragten vermitteln, Türen öffnen und Initialzündungen geben. Denn leider müssen sie vor allem im ländlichen Raum häufig versuchen, fehlende zivilgesellschaftliche Akteure zu ersetzen. Dabei dürfen Migrationsbeauftragte aber nicht als Alibifunktion der Gesellschaft dienen.

Parteiliche anwaltliche Vertretung und Beratung der Migrantinnen und Migranten ist auch gegenüber Behörden und anderen Institutionen nötig, da diese, beispielsweise die Ausländerbehörden, mit dem ordnungspolitischen Ansatz andere Zielsetzungen in ihrer Arbeit haben. Hier können die Beauftragten als Brückenbauer dienen.

Auch deshalb kommt einer möglichst unabhängigen Stellung der Beauftragten, ihrer Hauptamtlichkeit und ihrer umfangreichen Ausstattung eine besondere Bedeutung zu. Auf diesen Punkt möchte ich jetzt noch eingehen.

Warum müssen also diese Beauftragten für Fragen der Migrationsgesellschaft zwingend hauptamtlich tätig sein? Sowohl die Sächsische Ausländerbeauftragte in der 4. Wahlperiode des Landtages als auch der derzeit amtierende Sächsische Ausländerbeauftragte haben immer wieder gegenüber den Kommunen und auch gegenüber der Staatsregierung darauf hingewiesen, dass Migrations-

und Integrationsbeauftragte eine wichtige Bedeutung besitzen.

Vor allem angesichts der Kreisgebietsreform mit den neuen, größeren Landkreisen fordern wir eine hauptamtliche Tätigkeit der Beauftragten sowie eine angemessene personelle, finanzielle und technische Ausstattung. Das hat zwei Gründe: Zum einen leben in den neuen Landkreisen mehr zu erreichende Ausländerinnen und Ausländer, und zum anderen sind die Wege zu Beratungsstellen und ähnlichen Einrichtungen wesentlich weiter geworden.

Derzeit gibt es in den sächsischen Landkreisen und Gemeinden 19 Integrations- bzw. Ausländerbeauftragte, von denen nur elf hauptamtlich tätig sind und davon einige in Kombination zum Beispiel mit dem Amt der bzw. des Gleichstellungs- und/oder Behindertenbeauftragten. Dieser Umstand bewirkt eine sehr unterschiedliche Wahrnahme ihrer Aufgaben. Zudem ist gegenwärtig eine Zurückdrängung des Amtes der kommunalen Ausländer- und Integrationsbeauftragten in die Ehrenamtlichkeit zu verzeichnen. Hierauf hat der Sächsischen Ausländerbeauftragte Dr. Martin Gillo in seinem Jahresbericht 2010 ausdrücklich hingewiesen. Die Arbeit der Migrationsbeauftragten ist komplex und verlangt hohe psychosoziale, rechtliche, politische und diversity-bezogene Kompetenz, und dem kann im Ehrenamt einfach nicht ausreichend entsprochen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sachsen will Zuwanderung. Der Freistaat hat eine entsprechende Bundesratsinitiative vorangetrieben und will demnächst ein Zuwanderungs- und Integrationskonzept vorstellen. Neben den rechtlichen Hürden müssen dafür aber noch weitere Voraussetzungen geschaffen werden, Voraussetzungen, die Herr Ulbig und Herr Gillo mit „Willkommenskultur“ überschrieben haben. Hauptamtliche kommunale Beauftragte für die Fragen der Migrationsgesellschaft leisten genau dazu einen wichtigen und notwendigen Beitrag.

Ich freue mich auf eine konstruktive Beratung des Gesetzentwurfs und beantrage die Überweisung in den Innenausschuss und mitberatend, wie es meines Erachtens gestern durch die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen noch geklärt worden ist, in den Sozialausschuss.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN – Andreas Storr, NPD, steht am Mikrofon.)

Herr Storr, Sie können jetzt keine Kurzintervention machen.

(Andreas Storr, NPD: Warum nicht?)

Weil es kein Debattenbeitrag ist, sondern nur eine Einbringung eines Gesetzentwurfs; § 84 der Geschäftsordnung.

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den soeben eingebrachten Gesetzentwurf an den Innenausschuss zu überweisen. Darüber würde ich jetzt getrennt abstimmen lassen, weil der Sozialausschuss noch beantragt worden ist, das aber keine Präsidiumsempfehlung ist. Also lasse ich zuerst über die Überweisung in den Innenausschuss abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? –

Jetzt lasse ich über die Überweisung an den Sozialausschuss abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf an beide Ausschüsse überwiesen worden.

Ich lasse jetzt über die Federführung des Innenausschusses abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Damit ist auch die Federführung beschlossen und ich schließe den Tagesordnungspunkt.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 3

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Förderung der Bibliotheken als Bildungs- und Kultureinrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Bibliotheksgesetz – SächsBiBoG)

Drucksache 5/6104, Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auch hierzu liegt keine Empfehlung des Präsidiums zu einer allgemeinen Aussprache vor. Deshalb spricht nur die einreichende Fraktion. Herr Dr. Gerstenberg.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Leseförderung“, „Bewahren des kulturellen Erbes“, „kulturelle Bildung“, „lebenslanges Lernen“ – diese Schlagworte fallen bei nahezu jeder bildungs- und kultur

politischen Debatte im Sächsischen Landtag. Passend dazu belegen die sächsischen Großstadtbibliotheken regelmäßig vordere Plätze im bundesweiten Bibliotheksvergleich. Im Jahr 2010 lag Dresden auf dem ersten und Chemnitz auf dem zweiten Platz. Herzlichen Glückwunsch dazu.

Trotzdem sind die Potenziale noch längst nicht ausgeschöpft. Die öffentlichen Bibliotheken als außerschulische Lerninstitutionen haben als Orte, in denen die Schlüssel

kompetenz Lesen so früh wie möglich und immer wieder gefördert und in denen lebenslanges Lernen praktiziert werden kann, Bedeutung. Denn es gibt neben den genannten Erfolgen auch eine andere Wahrheit: Öffentliche Bibliotheken müssen seit Jahren empfindliche Einschnitte hinnehmen, beispielsweise in Öffnungszeiten und in die Einkaufsetats für neue Bücher und Medien.