Protocol of the Session on June 30, 2011

Für uns ist es heute selbstverständlich, dass man von Plauen nach Hof kommt, dass man vom Alexanderplatz nach Charlottenburg reisen kann.

Carl Friedrich von Weizsäcker hat einmal gesagt: „Freiheit ist ein Gut, das durch Gebrauch wächst, durch Nichtgebrauch dahinschwindet.“

(Zuruf von der SPD: Kluger Satz!)

Wenn ich mir dann die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl anschaue – das waren 52 % –, dann heißt

das, dass fast die Hälfte nicht von der Freiheit, die wir haben, Gebrauch gemacht hat.

(Andreas Storr, NPD: Das ist ja eine merkwürdige Freiheit!)

Es wird als selbstverständlich wahrgenommen, dass es Freiheit gibt, dass es Demokratie gibt, dass es einen funktionierenden Staat, unabhängige Gerichte, eine ordentliche Polizei und gute Schulen gibt. All das wird heute als selbstverständlich hingenommen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte zur Landtagswahl einen Wahlspot gemacht, den ich sehr gut fand. Der beginnt so, dass ein Vater seine Hecke vor dem Einfamilienhaus schneidet. Es kommt ein Paar vorbeigelaufen und die kleine Tochter fragt: „Wo gehen die denn hin?“ Da sagt der Vater: „Zur Wahl.“ Daraufhin fragt die Tochter: „Warum gehen wir da nicht hin?“ Der Vater antwortet: „Das bringt doch nichts. Ist doch immer dasselbe.“

Ich kann mich im Wahlkampf an eine Geschichte erinnern, als man viele gute Gespräche geführt hat, aber eines ist mir auch in Erinnerung geblieben. Das war auch ein Einfamilienhaus, an dem ich vorbeigelaufen bin und wo es für die Familie selbstverständlich war, nicht hinzugehen, weil es kein Thema war, das sie bewegte. Man hat es als selbstverständlich hingenommen, dass man ein Einfamilienhaus hat und in Freiheit lebt.

Wie geht es weiter in dem Spot? Es gibt einen Schnitt. Am nächsten Tag werden die Rollläden hochgelassen. Man sieht, wie einer Frau die Handtasche geklaut wird, wie Ausländer zusammengeschlagen werden. Die Tochter sagt dann zum Abschluss: „Papa, du hattest die Wahl.“

So ist das. Wir haben heute die Wahl. Die Bürger entscheiden, ob es Freiheit oder Unfreiheit gibt. Vor 50 Jahren war das anders, da hatten die Bürger diese Wahl nicht. Aber heute haben die Bürger die Wahl. Sie entscheiden, ob sie kollektiv eingesperrt werden oder nicht. Sie entscheiden, ob sie weiterhin frei ihre Meinung sagen dürfen oder nicht. Sie entscheiden, ob es unabhängige Gerichte gibt oder nicht. Sie entscheiden, ob die Polizei unparteilich arbeitet oder nicht. Das entscheiden sie, indem sie zur Wahl gehen. Das entscheidet man, indem man sich am Gemeinwesen beteiligt und zum Beispiel auch einer Partei beitritt oder sich auf andere Art und Weise für das Gemeinwesen engagiert. Ich denke, diese Entscheidung sollte man nicht anderen überlassen, insbesondere nicht den Parteien auf der linken und auf der rechten Seite des politischen Spektrums, dort, wo die Extremisten sitzen. Denen sollte man es nicht überlassen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Insofern sind 50 Jahre Mauerbau eine Mahnung. Wer keine neue Mauer und Unfreiheit möchte, der darf die Hände nicht in den Schoß legen, sondern muss zur Schaufel greifen und am Haus der Freiheit und Demokratie mitbauen, und dazu laden wir alle Bürger ein.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die Fraktion der CDU sprach Herr Kollege Krauß. – Nun spricht für die miteinbringende Fraktion der FDP erneut Kollege Günther.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht einige kurze Worte zu den Vorrednern. Frau Klinger, ich hoffe, dass Sie das Thema nicht verstanden haben, sonst hätten Sie nicht solch einen Unfug zum Mauerbau gesagt.

(Widerspruch bei den LINKEN)

Lieber Alexander Krauß! Ich denke, eines wollen wir beide nicht: dass Herr Külow zu diesem Thema heute hier spricht. Er sollte sich anders erklären, und nicht an diesem heutigen Tag. Das wäre der Sache nicht angemessen. Martin Dulig, Du tust mir leid. Mehr kann ich zu Deiner Rede nicht sagen. Frau Hermenau, bitte vergleichen wir gemeinsam nicht die Ebenen Diktatur und Demokratie.

(Thomas Kind, DIE LINKE: Genug Zensur verteilt! Dann Schluss damit!)

Es ist vollkommen klar – ich gebe Ihnen zu 100 % recht –, dass wir die Demokratie ständig ausbauen und begleiten müssen. Aber wir können Diktatur und Demokratie nicht auf einer Ebene betrachten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Kollege Günther?

Bitte.

Herr Kollege Günther, ich möchte Sie fragen, ob Sie zur Kenntnis genommen haben, dass ich über Freiheit und Freizügigkeit gesprochen habe, ähnlich wie das die Kolleginnen und Kollegen der anderen Fraktionen getan haben, nur dass ich einen aktuellen Bezug gesucht habe, da wir schließlich eine Aktuelle Debatte hier im Landtag haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Klinger, die Aktuelle Debatte heißt "50 Jahre Mauerbau".

(Heiterkeit bei den LINKEN – Thomas Kind, DIE LINKE: Ehrlich? Noch mal!)

Über dieses Thema sprechen wir hier und über nichts anderes. Sie haben natürlich die Freiheit, alles Mögliche zu erzählen. Deshalb sagte ich, ich hoffe, dass Sie es nicht verstanden haben; und wie Ihre Zwischenfrage darstellt, haben Sie es nicht verstanden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hatte vorhin den Eindruck, der eine oder andere Redner geht davon aus, dass CDU oder LDPD oder die anderen Parteien die Mauer errichtet haben. Das ist vollkommener Unfug.

(Andreas Storr, NPD: Aber mitgemacht! Sie haben nichts dazu gesagt! Geschwiegen und danach mitgejubelt!)

Ich möchte nur klarstellen: Am 11. August 1961 hat eine Konferenz der Parteisekretäre der parteigebundenen Verlage und anderer Parteifunktionäre beim Zentralkomitee der SED stattgefunden. Dort wurde erklärt, die Lage des ständig steigenden Flüchtlingsstromes mache es erforderlich, die Abriegelung des Ostsektors von Berlin und der SBZ in den nächsten Tagen durchzuführen. Es war die SED.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich war vorhin bei den Auswirkungen und beim Personalisieren stehen geblieben. Ich war stehen geblieben bei Susanne Heiße als Maueropfer, beim Überwinden der Mauer erwischt. Ich war stehen geblieben bei Hoheneck. In dem Buch ihres Vaters steht geschrieben – ich zitiere –: "Das Schrecklichste, das Susanne in Hoheneck erlebt, sind 21 Tage verschärfter Einzelarrest in den berüchtigten Kellerarrestzellen. Die Schreie der Angeketteten schallen durch das ganze Treppenhaus. Miserable Verpflegung, nur alle drei Tage eine warme Mahlzeit, die Fenster sind verdunkelt, in den Einzelzellen ist Tag und Nacht Finsternis. Kein Gespräch, keine Möglichkeit zum Lesen oder Schreiben. Durch ein Gitter ist die Zelle geteilt. In der hinteren Hälfte ist die hölzerne Schlafpritsche. Sie darf nur bei Nacht benutzt werden. Im Fußboden sind Ketten einbetoniert. Wer gewalttätig und suizidgefährdet ist, wird angekettet. Das alles ist furchtbar. Ich kann es fast nicht glauben, was mir Susanne erzählt. Wie hat sie es nur überstanden? Am Stärksten berührt hat sie das in die Zellenwand eingeritzte Wort 'Mutter'. Wie oft hat sie es geschrieben? Was war die Ursache für ihren dreiwöchigen Einzelarrest? Sie hat unter schwierigsten Bedingungen kleine Geschenke gebastelt und an Gefangene, die psychisch ganz unten waren, verschenkt. Das ist in Hoheneck verboten.“ Das ist das Gesicht des Sozialismus.

Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir eines aus dieser Geschichte der Diktatur des Proletariats lernen können, dann ist es eine Aussage: Freiheit statt Sozialismus.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die miteinbringende Fraktion der FDP sprach Herr Kollege Günther. – Das Wort hat nun wieder die Fraktion DIE LINKE, und es spricht Herr Prof. Besier.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was veranstalten wir hier regelmäßig? Geschichtspolitik; wir instrumentalisieren und wir zensieren. Lassen Sie uns die Dinge doch einmal von einer anthropologischen Warte aus betrachten und dieser bodenlosen Heuchelei, die hier stattfindet, endlich Paroli bieten. Ich habe 1990 einen Bischof in Thüringen kennen gelernt, der in jungen Tagen begeister

ter Nationalsozialist war. Danach hat er als Soldat das Ende des Krieges erlebt und begriffen, dass der Sozialismus so, wie er ihn in der DDR kennen gelernt hat, das richtige Regime war. Er sagte: "Ich habe verstanden, der Nationalsozialismus war das falsche, der Sozialismus, ist das richtige System." Er blieb begeisterter Sozialist, verpflichtete sich für die Stasi und arbeitete engagiert mit.

(Zuruf: Wahrscheinlich war er IM!)

Dann fiel die Mauer. Er hatte glückliche Gene, immer noch ein rüstiger alter Mann, Bischof im Ruhestand, und sagte, jetzt habe er begriffen, dass auch der Sozialismus ein verbrecherisches und falsches Regime gewesen sei und die Demokratie so, wie sie sich im Westen ausgeprägt habe, das allein richtige Gesellschaftssystem sei. Er ist dann mit allen Ehren zu Grabe getragen worden.

(Andreas Storr, NPD: Klingt sehr gut! Das ist auch historische Wahrheit!)

Sehen Sie, wir haben in der alten Bundesrepublik eine ganze Reihe großer Persönlichkeiten gehabt: Filbinger, Kiesinger, die alle Nationalsozialisten waren und dann als untadelige Demokraten in der alten Bundesrepublik gearbeitet haben. Es war nicht ihr konkretes Verhalten, sondern die Arbeit von investigativem Journalismus, von Historikern, die diese Menschen zu Fall gebracht hat.

(Zuruf des Abg. Andreas Storr, NPD)

Nun hören Sie mir doch erst einmal zu. – Es gehört nun einmal zum Wesen von Menschen, dass sie sich irren, und es gehört auch dazu, dass sie neu anfangen möchten.

(Beifall des Abg. Andreas Storr, NPD)

Natürlich lassen wir uns nicht vorschreiben, wer für unsere Fraktion spricht. Es war eine junge Frau, die lange nach dem Mauerbau geboren worden ist und die DDR nur noch als kleines Kind erlebt hat. Was sie gesagt hat – nehmen Sie es uns doch ab! Was sollen wir denn tun? Sollen wir den Laden dichtmachen? Dann fällt Ihnen ein Mitbewerber weg. Ist es das, was Sie wollen?

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Wahrscheinlich würde es DIE LINKE gar nicht geben, hätten die Sozialdemokraten – damals aus guten Gründen – die Mitgliedschaft von ehemaligen SED-Genossen in Ihrer Partei verweigert. Dann gebe es DIE LINKE eben nicht.

(Stefan Brangs, SPD: Im Gegensatz zu anderen!)

Eben, im Gegensatz zu anderen! – Nun gibt es DIE LINKE, und sie hat sich gehäutet. Ich weiß, das wollen Sie nicht hören, aber es ist so.