Protocol of the Session on June 29, 2011

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Kollege Gerstenberg?

Aber gern, Kollege Schmalfuß.

Vielen Dank, Herr Dr. Gerstenberg. Sie haben gerade gesagt, nicht jede Wissenschaft hat einen Anspruch darauf, öffentlich finanziert zu werden. Ich gehe davon aus, das ist noch mehr als die Kernforschung, und ich stelle jetzt meine Frage: Welche Wissenschaften, die wir derzeit betreiben, haben aus Ihrer Sicht nicht den Anspruch darauf, öffentlich gefordert zu werden?

(Zuruf von den GRÜNEN)

Herr Kollege Schmalfuß, der Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz entscheidet über das Ob. Man kann auch die Wissenschaftsfreiheit beschneiden, indem die Förderung unterlassen wird. Aber er schreibt nicht vor, welche Förderung in welchem Umfang in welche Richtung gehen muss. Das ist eine politische Entscheidung und die müssen wir alle gemeinsam treffen. Wir haben einen Punkt gesetzt. Wir stellen zur Diskussion, dass die Reaktorforschung aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Sie haben wahrscheinlich auch viele andere Vorschläge dazu.

Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage vom Kollegen Schmalfuß?

Vielen Dank, Herr Dr. Gestenberg. – Sie haben leider meine Frage nicht beantwortet. Sie haben ausgeführt, dass bestimmte Wis

senschaften keine öffentliche Finanzierung mehr bekommen. Ich frage Sie konkret, es muss ja noch eine Wissenschaft mehr geben, wenn Sie von Wissenschaften sprechen, die nicht mehr irgendwie gefördert werden. Das ist eine einfache Frage. Welche sind das aus Ihrer Sicht?

Herr Kollege Schmalfuß, ich zähle Ihnen hier nichts auf, aber – –

(Lachen bei der FDP)

Ich habe gesagt, nicht jede wissenschaftliche Aktivität hat einen grundgesetzlichen Anspruch darauf, finanziert zu werden. Es geht um die Frage der Wissenschaftsfreiheit. Sie treffen politische Entscheidungen. Diskutieren wir doch einmal über die Bauingenieure und die Architekten, die zurzeit gerade in der Hochschulplanung gestrichen werden. Das sind doch Fragen, die immer politisch entschieden werden müssen, und ich bitte Sie, wirklich einmal auf den Boden zurückzukommen und hier kein Gebäude aufzubauen, das keiner sachlichen Debatte standhält.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zurück zur Rede. Kommen wir zur Atomforschung. Auch die Atomforschung ist doch in Deutschland nicht aus der reinen Freiheit der Wissenschaft entstanden, sondern das waren bewusste politische Entscheidungen. Sie wurde über Jahre hinweg privilegiert. Allein die Ausgaben des Bundes für Forschungsreaktoren und Pilotprojekte betrugen von 1950 bis 2010 real 55,2 Milliarden Euro. Dazu kommen noch die Ausgaben der Länder. Ohne den Zusammenhang mit der Kernenergienutzung ist doch diese Forschungsprivilegierung überhaupt nicht erklärbar. Jetzt haben wir eine neue Situation, einen Ausstieg im breiten politischen Konsens mit gewaltiger gesellschaftlicher Mehrheit. Angesichts dieses Atomausstiegs ist es doch geradezu aberwitzig, weiterhin mit öffentlichen Geldern Atomforschung zu finanzieren, damit vielleicht in Gestalt eines Kugelhaufenreaktors in Bogatynia der Traum vom Atomkraftwerk in der Euroregion Neiße doch noch Wirklichkeit wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage vom Kollegen Meyer am Mikrofon 6?

Herr Dr. Gerstenberg, halten Sie es nicht im öffentlichen Interesse für notwendig, dass vor dem Hintergrund der Stilllegung von Kernreaktoren deren Sicherheit auch weiterhin gewährleistet sein muss und in diesem Bereich die Wissenschaft und Technik vorangetrieben werden müssen, um die Sicherheit stillgelegter Reaktoren weiter zu gewährleisten?

Herr Kollege Meyer, Sie sprechen einen spannenden Punkt an. Darüber könnten wir diskutieren. Das fände ich in dieser Debatte sehr interessant. Sie dürften aber die Debatte nicht so überschreiben, wie Sie es getan haben.

Ich halte es für interessant, die Frage zu stellen, ob das Abwickeln der Atomreaktoren und Kernkraftwerke wirklich von öffentlich finanzierter Forschung begleitet werden muss, oder ob die Energieunternehmen bzw. die Atomkonzerne zur Kasse gebeten werden sollten. Sie wurden über Jahrzehnte privilegiert. Deshalb lautet unser Vorschlag, Stiftungsprofessoren einzusetzen und die Drittmittelforschung mit entsprechender staatlicher Kontrolle zu versehen. Das wäre für mich eine Diskussion, die Substanz hätte.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD)

Nachdem jahrzehntelang die Gewinne der Unternehmen privatisiert, aber die Risiken der Atomkraft sozialisiert wurden, wäre es Zeit zum Umsteuern in der Phase des Ausstiegs.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Ich komme nun zurück zu meiner Rede.

Läuft die Uhr weiter, wenn ich Zwischenfragen beantworte?

Nein, für die Zwischenfrage wird die Zeit unterbrochen.

Herr Schmalfuß, Sie müssen verzweifelt sein, wenn Sie hier rhetorische Pappkameraden aufstellen, um sie umzustoßen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Aufmerksame Zuhörer haben gemerkt, dass Sie mit keinem Wort einen Hinweis geben konnten, zu welchem Zeitpunkt wir die medizinische Forschung infrage gestellt haben könnten. Das Gegenteil ist der Fall: GRÜNENPapiere lesen hilft – auch Pressemitteilungen.

Es geht um die Kernenergie. Die Aktivitäten in der medizinisch orientierten Kernforschung wie der Materialforschung werden befürwortet und in keiner Art und Weise infrage gestellt.

Wir haben eine große Chance. Wir können aus der Kernenergie aussteigen. Wir können außerdem aus Forschungsfinanzierungen aussteigen, die diese Energieform unterstützen. Der Ausstieg bedeutet aber zugleich einen Einstieg: Ein Nein zur Reaktorforschung ist ein Ja zu anderen Formen der Energieforschung. Jeder Euro für Kernenergieforschung ist eine Investition in das Gestern.

(Torsten Herbst, FDP: Ah!)

Wir brauchen jedoch Investitionen des Geldes und des Geistes in das Morgen – in die Zukunftsbereiche wie die erneuerbaren Energien, die Energieeffizienz und -speicherung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hierbei darf die Politik nicht in die konkrete Ausübung der Forschung eingreifen. Darüber sind wir uns einig. Das

ist Wissenschaftsfreiheit. Die Politik muss aber entscheiden, welche Richtungen gefördert werden sollen. Wenn wir uns darüber verständigen könnten, würde die heutige Debatte mit ihrer Überschrift nicht völlig in Absurdistan landen, sondern doch noch von Nutzen sein.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war der Abg. Gerstenberg für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Für die NPD-Fraktion hat nun der Abgeordnete Gansel das Wort.

Herr Schmalfuß, möchten Sie von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen?

(Prof. Dr. Andreas Schmalfuß, FDP: Ja.)

Herr Gansel, dann müssen Sie sich noch einen Augenblick gedulden.

Bitte.

Vielen Dank, Herr Präsident. Herr Dr. Gerstenberg, weil Sie vorhin meine Frage nicht beantwortet haben, muss ich noch einmal darauf zu sprechen kommen. Ihre Aussage lautete sinngemäß: Nicht jede Form der Wissenschaft hat Anspruch auf eine staatliche Finanzierung. Sie hatten trotz zweimaliger Nachfrage von mir nicht aufzählen können, welche Wissenschaften Ihrer Meinung nach nicht staatlich finanziert werden.

Das reiht sich leider ein. Ich hatte Sie in einer der letzten Plenardebatten aufgefordert, mir die Fachhochschulen und Universitäten zu nennen, bei denen es in den entsprechenden Fachbereichen Probleme bei der Bachelor- und Masterumstellung gibt. Sie hatten vehement darauf hingewiesen, dass es riesige Probleme gegeben hat. Nach zwei Monaten habe ich von Ihnen leider noch keine Information erhalten, wo die Probleme liegen. Sie hatten es mir in der damaligen Plenardebatte zugesichert.

Wir haben das Problem, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen sehr hohen Anspruch vor sich herträgt. Wenn es konkret wird und Ross und Reiter zu nennen sind – das hatte ich in der damaligen Debatte auch gesagt –, versagen regelmäßig die Abgeordneten der genannten Fraktion.

Herr Dr. Gerstenberg, ich möchte Ihnen in aller Form noch einmal die Gelegenheit geben, mir die Wissenschaften zu nennen, bei denen Sie die öffentliche Finanzierung ausschließen möchten. Meine Kollegen von der CDUFraktion und ich könnten das bei der nächsten Haushaltsberatung berücksichtigen.

(Beifall bei der FDP)

Auf die Kurzintervention kann durch Herrn Kollegen Dr. Gerstenberg reagiert werden.

Herr Kollege Schmalfuß, es tut mir ausgesprochen leid, wenn Sie als

Wissenschaftspolitiker keine Probleme in der sächsischen Hochschullandschaft kennen. Das ist ausgesprochen traurig.

(Beifall und Lachen bei den GRÜNEN)