Staatsregierung darf nicht länger abtauchen – Kommunen bei Umsetzung des Teilhabe- und Bildungspaketes unterstützen!
Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche hatten wir eine „Dialog- und Sozialtour“ der Bundestagsfraktion und der Landtagsfraktion. Unter anderem ging es um die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets. Wir haben Verwaltungen verschiedener Landkreise mit der im Ausschuss getätigten Aussage konfrontiert, dass die
Staatsregierung die Kommunen bei der Umsetzung des Pakets bestmöglich unterstütze und dass es Beratung, Abstimmung usw. gebe. Man muss sagen, dass zuallererst Gelächter im Raum zu hören war und als Zweites die Aussage kam, man nehme die Staatsregierung insoweit eher als „toten Briefkasten“ oder als „stille Post“ wahr. Die versprochene Unterstützung sei jedoch nicht der Fall.
Man muss das Dilemma der Kommunen sehen. Sie haben mitten im Jahr ein Gesetzespaket vorgesetzt bekommen,
das sie jetzt umsetzen sollen. Sie wurden alleingelassen bzw. in die Vorbereitung des Gesetzes nicht einbezogen. Es ist nicht so, dass die Staatsregierung außen vor gewesen wäre; die Staatskanzlei saß im Vermittlungsausschuss und hätte auf die Erfahrungen der Kommunen zurückgreifen können. Das ist leider nicht passiert. Die Kommunen werden mit der Umsetzung mehr oder weniger alleingelassen. Es gibt schon große Ängste, wenn es denn zu der erwarteten Klageflut kommen wird.
Man hat große Regelungslücken im Gesetz festgestellt. Ein Landkreisvertreter sagte: „Hier stößt Gesetz auf Realität.“ Die Realität sieht eben zum Teil ganz anders aus. Inzwischen werden seitens des BMAS gegenüber den Kommunen Aussagen getätigt wie die, dass man auf ein bestimmtes Gesetz warten und bis zu dessen Inkrafttreten Anträge nicht ablehnen solle. Es gibt auch gesetzwidrige Hinweise zum Einkommen, das an der einen Stelle sonst angerechnet, an der anderen jedoch nun nicht angerechnet werden soll. Bestimmte Leistungen sind nicht gedeckelt, zum Beispiel beim Mittagessen oder der Lernförderung. Man findet in diesem Gesetz eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe. Die Kommunen erwarten schon heute, dass die Sozialgerichte damit beschäftigt werden müssen.
Die Finanzierung ist zum Teil absolut unsicher. Es gibt die Angst vor Rückforderungen des Bundesministeriums. Es wäre nicht das erste Mal; die optierenden Kommunen haben insoweit einige Erfahrungen sammeln müssen.
Die Kommunen erhoffen sich Hilfe und Unterstützung vonseiten der Staatsregierung, die eigentlich auch den Auftrag dazu hat. Die Bundesregierung argumentiert nämlich: Die Rechts- und gegebenenfalls die Fachaufsicht obliegt den jeweils zuständigen Landesbehörden. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf das Bildungs- und Teilhabepaket somit weder die Träger- noch die Umsetzungsverantwortung und übt auch keine Aufsicht aus. Also ist die Staatsregierung hier in der Pflicht.
Was aber erleben die Kommunen? Sie erleben nicht, dass die Staatsregierung steuernd eingreift, sondern sie erleben erstens, dass Verantwortung abgeschoben wird. Zwar gibt es die Verordnung der Staatsregierung zur Aufgabenübertragung für Kinderzuschlags- und Wohngeldkinder; es ist aber nicht klar, wie die Kostenprognose tatsächlich ausfällt. Eine verfassungsgemäße Kostenprognose gab es jedenfalls nicht. Es wäre jetzt die Pflicht des Landes, einen Vollkosten- bzw. Mehrbedarfsausgleich anzubieten.
Zum Zweiten wurden den Landkreisen durch das Bildungs- und Teilhabepaket neue Aufgaben übertragen. Aber auch hier müsste eigentlich ein Mehrbelastungsausgleich stattfinden. Das hat die Staatsregierung sicherzustellen. Bisher gibt es dafür jedoch null Hinweise.
Das Nächste habe ich angesprochen: Es gibt unheimlich viele Regelungslücken. Die Staatsregierung müsste sich aktiv in den Prozess einbringen und die Umsetzungsverantwortung tatsächlich übernehmen. Aber auch das findet derzeit nicht statt.
Ich habe mich gefragt, woran es liegen könnte, dass die Staatsregierung mehr oder weniger abtaucht. Vielleicht ist es eine Art Scham, weil durch das Bildungs- und Teilhabepaket nun gezeigt wird, dass es Fehlleistungen sowohl auf dem Gebiet der Armutsbekämpfung als auch bei der Bildungsteilhabe armer Kinder gibt. Ich greife als Beispiel die Nachhilfe heraus. Klar, Herr Minister Wöller, auch ich würde mich schämen, wenn ich sehen würde, wie viele Anträge im Bereich der Nachhilfe derzeit gestellt werden. Ich würde mich schämen, weil das nämlich bedeutet, dass Kinder aus armen Familien nicht die gleiche Möglichkeit haben, an einer öffentlichen Schule so gefördert zu werden, dass sie das Lernziel der Schule tatsächlich erreichen können. Hier hat das Bildungssystem versagt.
Ich würde mich auch wegen des Ansatzes des Bildungs- und Teilhabepaketes schämen; denn es wird nur genehmigt bei Versetzungsgefahr, wenn der Lernerfolg eventuell noch möglich ist, aber nur so lange, bis das Kind ausreichende Leistungen erreicht. Wenn es aber bessere, höhere Leistungen erreichen will, das heißt einen höheren Schulabschluss, dann trägt dieses Bildungs- und Teilhabepaket nicht mehr. Es ist also unklar. Die Bildungsagentur müsste unterstützend eingreifen, aber darauf warten die Kommunen wieder vergeblich.
Ich kann nur sagen, dass die Staatskanzlei der Staatsregierung hier ein Kuckucksei gelegt hat. Frau Clauß, Sie haben andere Ansprüche, was die Förderung von Kindern betrifft; das weiß ich. Aber Sie haben jetzt die Verantwortung, das in die Hand zu nehmen, tätig zu werden und ein Gesetz zu schaffen, mit dem die Kommunen am Ende tatsächlich umgehen können.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Abgeordneten! Bevor ich zu meinen Ausführungen zum Thema komme, möchte ich der einreichenden Fraktion danken. Sie sind anscheinend über Ihren ideologischen Schatten gesprungen und erkennen zumindest an, dass für die Betroffenen etwas getan wird. Das empfinde ich als eine gute Sache, und es findet meinen Respekt.
Das Teilhabe- und Bildungspaket ist aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes entstanden. Was am Wichtigsten dabei ist: Es dient der nachvollziehbaren, transparenten Berechnung, die auf die Bedürfnisse der betroffenen Kinder und Jugendlichen ausgerichtet sind.
Es trifft immerhin auf 2,5 Millionen Anspruchsberechtigte zu, also auf Kinder und Jugendliche bis zu 25 Jahren.
Was mir bei der Berichterstattung daher absolut nicht gefällt, ist, dass überhaupt nichts dazu gesagt wurde, was dieses Paket enthält. Für diejenigen, die es anscheinend noch nicht verstanden haben, Leistungen zu beantragen, möchte ich ganz deutlich sagen: Es geht hier immerhin um die Unterstützung bei Schulbedarf bis maximal 100 Euro pro Betroffenem, für die Lernhilfe und Nachhilfe und für Mittagessen, wobei ein Anteil von einem Euro gezahlt werden muss. Es geht ebenso um Ausflüge und mehrtägige Klassenfahrten. Zusätzlich können 3 000 Schulsozialarbeiter eingestellt werden.
Es geht also um eine Vielzahl von Maßnahmen, die, wenn sie beantragt werden, den Kindern und Jugendlichen zugute kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier liegt für mich eigentlich der Punkt. Man kann nur etwas fordern, wenn man es beantragt.
Vielen Dank, Herr Hirche. – Ist Ihnen bekannt, dass die Mittel von 400 Millionen Euro für die Schulsozialarbeit genauso für die Mittagessenzuschusserstattung verwendet werden müssen? Es können also die 3 000 Stellen für Sozialarbeiter nicht ausfinanziert werden.
Das ist mir bekannt und ich komme auch noch darauf zu sprechen. Ich sehe schon einige Punkte, die verbesserungswürdig sind. Aber eine Verbesserung erreicht man nicht durch Meckern, sondern durch konkretes Handeln.
Ich komme jetzt zu den Themen, die für mich bei der Umsetzung noch zu klären und zu verbessern sind. Ich sehe auch Anfangsschwierigkeiten, aber bei einer Verordnung, die gerade einmal knapp drei Wochen alt ist, denke ich, kann man das zugestehen.
Ich sehe natürlich diese Schwierigkeiten, die Sie gerade mit den 3 000 Sozialarbeitern angesprochen haben, genauso. Ich sehe darüber hinaus auch Schwierigkeiten bei den Fragen der Fahrtkostenerstattung bei Lernförderung zum Beispiel in Landgebieten sowie bei einer einheitlichen Herangehensweise der Regelung der Bedarfe. Vieles ist im SGB II festgeschrieben, was im SGB XII
Das Teilhabe- und Bildungspaket ist ein Mitnahmepaket, das nur nach Antragstellung der Betroffenen funktioniert. Es ist nicht, wie Sie es als Opposition fordern, eine Stellenbeschreibung der Staatsregierung, sondern ein Lösungsansatz für viele Betroffene. Deshalb nutze ich natürlich auch die Gelegenheit, hier noch einmal einen Appell im Sinne der Kinder und Jugendlichen für die Beantragung auszurufen. Informationen dazu gibt es genügend, zum Beispiel in Rundfunk und Fernsehen. Selbst in der Stadt Chemnitz ist es jetzt auf der Internetseite zu sehen.
Wie gesagt, die Staatsregierung hat seit dem 29. April 2011 die Verordnung in Kraft gesetzt, und der Letzte müsste auch ausschlafen, wenn ihm das Geld zusteht.
Übrigens möchte ich mich teilweise den Worten von Herrn Brangs und der vorherigen Diskussion anschließen. Diese Debatte halte ich zum Teil für überflüssig, weil wir am Anfang einer Geschichte stehen. Wir sollten erst einmal nach einem halben Jahr zusammenfassen, was wirklich geschehen ist.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem mein Vorredner nun auch inhaltlich erläutert hat, was Bestandteil dieses Paketes ist, und Heike Werner auch schon darauf eingegangen ist, wo Lücken in dieser gesetzlichen Grundlage liegen, möchte ich mich darauf konzentrieren zu sagen, wie sich die Umsetzung hier in Sachsen darstellt.
Ich finde es grundsätzlich erst einmal gut, dass die Kommunen dafür zuständig sind, weil vor Ort die Leistungen erbracht werden müssen. Dort ist auch der Ort, wo sie zielgerichtet an die bedürftigen und betroffenen Kinder und Jugendlichen kommen sollen. Allerdings heißt das nicht, dass die Länder aus der Verantwortung sind. Sie müssen auch nicht nur irgendwelche Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Finanzen weitergegeben werden, sondern sie haben eine ganz große Verantwortung im Sinne der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips. Die Kommunen an der Stelle mit der Umsetzung des wichtigsten großen sozialpolitischen Projektes, wie es Frau von der Leyen genannt hat, einfach so auch inhaltlich alleine zu lassen, das entspricht eben nicht der Subsidiarität und auch nicht einer Verantwortung für so ein wichtiges sozialpolitisches Projekt.
Außerdem sehe ich die Sächsische Staatsregierung schon noch in der Pflicht, für einigermaßen vergleichbare Lebensbedingungen in Sachsen zu sorgen und dafür, dass jedes Kind, egal, ob in Weißwasser, Zwickau, Chemnitz oder Leipzig, wirklich an diese Leistung kommt. Ich
erinnere an die letzte Debatte zu diesem Thema, wo hier mit viel Pathos vor allem auch an uns die Forderung gerichtet worden ist, wir sollen endlich die Verhandlungen beschleunigen, damit das Paket umgesetzt werden kann. Im Nachhinein wissen wir, es waren Krokodilstränen, denn es ist nichts vorbereitet gewesen und es ist nichts für die Umsetzung getan worden. Das Verstecken hinter einer Antragslösung, die Betroffenen sollen doch selber kommen, halte ich gerade vor dem Hintergrund dieses Pathos der letzten Debatte für eine nicht ehrliche Debatte.
Bei dem Argument, das immer von Landesebene kommt, die Kommunen sind ja zuständig, hört man schon immer so ein bisschen das nicht Ausgesprochene zum Glück mit. Ich habe schon das Gefühl, dass die Staatsregierung ein bisschen froh ist, dass sie das nicht im Detail umsetzen muss. Genau das ist eine große Schwäche und das soll diese Debatte hier auch ans Tageslicht bringen. Aber das Prinzip „Wer nichts tut, macht auch nichts falsch“ kennen wir ja vonseiten der Staatsregierung. Leider haben wir das in den letzten Monaten und Jahren häufig erlebt.