Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind am Ende der 2. Aktuellen Debatte angekommen. Die Debatte ist abgeschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Wie vereinbart, treten wir nun in die Mittagspause ein. Ich bitte Sie, sich pünktlich um 12:40 Uhr wieder hier einzufinden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich erkläre die Sitzungsunterbrechung für beendet und rufe auf
2. Lesung des Entwurfs Gesetz über die Kennzeichnungs- und Ausweisungspflicht der Bediensteten der Polizei
Ich erteile zunächst den Fraktionen das Wort zur allgemeinen Aussprache. Die Reihenfolge: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht.
Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Frau Abg. Jähnigen. Sie haben das Wort.
(Eva Jähnigen, GRÜNE, zögert mit dem Beginn ihrer Rede, da nur wenige Abgeordnete im Plenarsaal anwesend sind. – Christian Piwarz, CDU: Wird das Wort nicht gewünscht? – Weiterer Zuruf von der CDU: Klatschen!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Polizeibedienstete sollen künftig ein Schild mit Namen und Dienstgrad im Einsatz tragen. Das ist schlicht und einfach Ziel unseres Gesetzentwurfs. Er wird getragen von dem Willen zahlreicher Petitionen an den Sächsischen Landtag und von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Ich zitiere aus einer Begründung für diese Forderung:
„Zu einer bürgernahen und bürgerorientierten Polizei gehört insbesondere die Möglichkeit, den einzelnen Polizeibeamten im täglichen Dienstgeschehen persönlich anzusprechen. Dies ist auch Ausdruck einer selbstbewussten Polizei. Die verantwortungsvolle Arbeit der Polizeibeamten dient dem Schutz und dem Bestand unserer Rechtsordnung. Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass jeder Polizeibeamte im Einsatz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelt.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie Stück für Stück eintreffen: Wenn ich Sie jetzt fragen würde, wen ich soeben zitiert habe, würden Sie möglicherweise danebentippen. Es war die CDU-Fraktion im Landtag Brandenburg, die ja bekanntlich kurz nach der Vorlage unseres Gesetzentwurfs einen eigenen Gesetzentwurf zur Kennzeichnungspflicht bei Polizeibediensteten eingebracht hat, der sich im Wesentlichen an unseren Entwurf anlehnt. Er wird parallel in Brandenburg beraten.
Die Inhalte unseres Vorschlags seien hier noch einmal zusammengefasst: Die Pflicht zum Tragen eines Namensschildes gilt – neben den Angehörigen des Polizeivollzugsdienstes – für alle Polizeibehörden, auch die kommunalen Politessen und die Ausländerbehörden. Die bereits geltende Pflicht, sich auszuweisen, wird konkretisiert. Beim Dienst in besonderen Einsatzeinheiten, zum Beispiel bei Demonstrationen oder bei Fußballspielen, kann diese Pflicht durch ein individualisiertes Kennzeichen erfüllt werden, wie eine gut merkbare Nummern- oder Zahlen-Buchstaben-Kombination.
Ausnahmen sind möglich für verdeckte Ermittlungen oder auch zum Schutz von Personen, insbesondere von Polizistinnen und Polizisten und deren Angehörigen. Solche Ausnahmen sind aber – das ist neu in unserem Entwurf – zu begründen und polizeiintern aktenkundig zu machen. Nachträgliche Rechtmäßigkeitskontrolle ist ein Hauptanliegen unseres Antrags. Hinweise der Sachverständigen zu Detailfragen haben wir in einem Änderungsantrag aufgegriffen, den ich noch separat vorstelle.
In der politischen Auseinandersetzung um unser Anliegen haben sich der sächsische Innenminister, die Spitzen von Polizeiführung und Polizeigewerkschaften gegen unseren Entwurf gestellt. Ein Gegenargument ist der Datenschutz, ein Wert, der uns wichtig ist. Es geht um die Grundrechte der Polizistinnen und Polizisten. Gerade deshalb haben wir allerdings vorgeschlagen – das ist auch bundesweit neu –, dass zur Umsetzung der Kennzeichnungspflicht eine Rechtsverordnung unter Einbeziehung des Datenschutzbeauftragten erarbeitet wird. Das ist uns wichtig.
Vergessen werden darf aber nicht, dass polizeiliches Handeln ein ganz besonderes staatliches Handeln ist. Die Polizei soll und darf als einzige rechtmäßig Gewalt anwenden. Sie hütet das staatliche Gewaltmonopol und daraus ergibt sich eine besondere Verantwortung denjenigen gegenüber, die polizeilichem Zwang ausgesetzt sind. Anders als bei Verwaltungsakten sonst, müssen Bürgerinnen und Bürger polizeilichen Zwang dulden. Sie können nicht sagen: „Halt, warten Sie mal, ich möchte Wider
spruch einlegen! Bitte, geben Sie mir einen schriftlichen Bescheid und belehren Sie mich über die Zuständigen.“ Diese besondere Verantwortung bei der Ausübung polizeilichen Handelns folgt einer vollständigen nachträglichen Überprüfbarkeit. Diese ist bekanntlich erschwert, gerade wenn die Polizei in größeren Gruppen oder mit Helm und Visier den Bürgern gegenübersteht. Gesichter sind schlecht zu merken, selten kennen die Bürger Dienstzeichen der Polizei oder wissen überhaupt, dass sie sich den Dienstausweis zeigen lassen könnten.
Das Namensschild senkt die Hürde zwischen Polizei und Bürger und vereinfacht diese Situation im Sinne beider Seiten. Die Nachprüfbarkeit rechtmäßigen Handelns in solcher Situation kann erst vollständig durch eine Kennzeichnung des einzelnen Polizeibeamten hergestellt werden. Deshalb gibt es aus unserer Sicht ein großes öffentliches Interesse an diesen Namensschildern.
Das Tragen einer individuellen Kennzeichnung bei der Ausübung polizeilicher Tätigkeit ist eigentlich nichts anderes als die Unterschrift eines Sachbearbeiters unter einen Bescheid. Jeder Finanzbeamte, jede Sachbearbeiterin in der Arbeitsagentur ist verpflichtet, einen Verwaltungsbescheid mit vollem Namen zu unterzeichnen. Anders als die Polizei üben diese Behörden keine Gewalt aus, sondern erlassen nur Bescheide in Papierform.
Behauptet wird, die Kennzeichnungspflicht erzeuge Gefahren für Polizisten und für ihre Familien. In der Tat sind diese bereits in Einzelfällen Angriffen ausgesetzt. Das ist verurteilenswert. Wir GRÜNEN nehmen das Problem der zunehmenden Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten sehr ernst, zum Beispiel und besonders im Alltag durch alkoholisierte Alltagstäter. Deshalb haben wir in einem weiteren Antrag „Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten wirksam entgegentreten“ vorgeschlagen, dass die tatsächlichen Gewaltursachen gegen Polizeibedienstete von der Regierung analysiert und geeignete Maßnahmen erarbeitet werden, um solche Gefahren zu vermeiden und betroffene Polizeibedienstete zu begleiten.
Leider begnügt sich die Staatsregierung bei unserem Antrag mit einer ausgesprochen lapidaren Stellungnahme, die Untersuchungen der Innenministerkonferenz genügten für die sächsische Situation, eigene Konzepterarbeitung sei nicht notwendig – nachzulesen in der Stellungnahme der Staatsregierung zur Drucksache 5/2933.
Die Vorschläge der Polizeigewerkschaft in Sachsen, sich mit einer Betriebsklimastudie mit der konkreten Arbeitssituation von Polizeibediensteten zu beschäftigen, wird von uns unterstützt, von der Regierung aber seit Jahr und Tag ignoriert. Hier besteht Handlungsbedarf, aber es ist kein Argument gegen die Kennzeichnungspflicht.
Bemüht wird schließlich noch das Argument, dass wir die Polizei mit der gewünschten Kennzeichnungspflicht unter einen Generalverdacht stellen würden. Das ist schlichtweg absurd. Im Rechtsstaat muss jedes staatliche Handeln überprüfbar sein. Steht deshalb die öffentliche Verwaltung unter einem Generalverdacht, wenn Bescheide vor Gerichten überprüft werden? Blindes Vertrauen in den Staat
ist eben kein Merkmal für den Rechtsstaat, ebenso wenig wie blindes Misstrauen. Es geht immer um die Überprüfung eines jeden Einzelfalles. Ich bin überzeugt, die sächsischen Polizeibehörden handeln in der übergroßen Mehrzahl rechtmäßig und verhältnismäßig. Aber was ist mit den Einzelfällen, in denen es nicht so ist?
Es kann doch nur im Sinne der umsichtig und rechtsstaatlich handelnden Polizisten sein, diejenigen zu identifizieren, die rechtsstaatlich handeln. Dazu brauchen wir die Kennzeichnungspflicht.
In der Anhörung des Innenausschusses zu unserem Entwurf berichtete ein langjähriger Polizist von seinen Erfahrungen und belegte eindrucksvoll, wozu man diese Kennzeichnungspflicht dabei braucht.
Ein Professor der Freien Universität Berlin hat vor Einführung der Kennzeichnungspflicht 143 Ermittlungen gegen Polizeibeamte analysiert und im Ergebnis festgestellt, dass bei knapp 10 % dieser Fälle zur Aufklärung der Vorfälle eine Kennzeichnungs- und Namenspflicht die Arbeit der Ermittler erleichtert hätte. Die Kennzeichnung dient also auch zur Entlastung von Polizistinnen und Polizisten, gegen die zu Unrecht ermittelt wird oder die sich rechtmäßig verhalten haben.
Eine schnelle Aufklärung von Straftaten und eine hohe Aufklärungsquote sind der Stolz der Polizei. Warum sollte das bei Straftaten in den eigenen Reihen nicht gewollt sein?
Nach dem schlimmen Polizeieinsatz gegen die Großdemonstration in Stuttgart ging bundesweit durch die Medien, dass ein prügelnder Polizist – man kann sich das ja im Internet anschauen – wegen seines Vorgehens angeklagt worden ist. Wenn man die Bilder im Internet sieht, weiß man ganz genau: Zeugen, Beobachtervideos hätten nicht zur Anklage geführt, wenn der Polizist einen Helm getragen hätte. Er war nur aufgrund seiner körperlichen Eigenschaften erkennbar.
Auch die Polizei in Sachsen ist nicht fehlerfrei. Ich erinnere an den Einsatz bei der Räumung der „Buche“ in Dresden 2008, bei dem es mehrere Anzeigen und Beschwerden betroffener Bürger und Dritter gab, die allesamt eingestellt wurden. Ich erinnere auch an die öffentlich bekannten Videos von den Polizeieingriffen am 19. Februar. Sehen Sie sich einmal bei Youtube an, wie eine friedliche Blockade auf der Bergstraße mit welchem Polizeieinsatz geräumt wurde. Damit werden wir uns noch beschäftigen müssen.
Wir sehen aber auch, dass bei diesen Polizisten nicht einmal zu erkennen ist, aus welchem Bundesland sie stammen, geschweige denn, aus welcher Einheit oder mit welchem Dienstgrad.
Der ehemalige Polizeibeamte in unserer Anhörung im Innenausschuss schilderte, dass er selbst neun Jahre im Dienst freiwillig in Hamburg mit einer großen Anzahl uniformierter Polizisten ein Namensschild getragen hatte. Er sagte: „Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich dieses Namensschild trage, weil von mir etwas als potenzieller
Polizeistraftäter ausgehen kann, sondern das war für mich der Ausdruck eines professionellen Berufsverständnisses im Sinne des europäischen Ethikcodes der Polizei, 2001 vom Europarat dort verabschiedet. Dort wird ein Namensschild empfohlen. Polizisten in Spanien, Tschechien und Großbritannien tragen seit vielen Jahren Namensschilder. In den USA wurden sie 1972 eingeführt. Eine Studie aus Los Angeles belegt, dass dort eben keine Nachteile für die Polizisten entstanden, sondern Vorteile trotz geringerer Schwellen beim Schusswaffengebrauch und geringerer Datenschutzstandorte.“
Ich zitiere noch einmal die CDU Brandenburg: „Das ist Ausdruck einer selbstbewussten Polizei, das Namensschild.“ Vor 20 Jahren stimmte der 1. Sächsische Landtag schon einmal darüber ab, damals auf Antrag der FDPFraktion. Der Vorschlag wurde glatt abgelehnt. Die Abgeordneten bewegten damals besonders die Erfahrungen aus der friedlichen Revolution in der DDR. Wir wollen diesen Ansatz jetzt, 20 Jahre später, aufgreifen, weil er für uns ein Beitrag zur dringend benötigten Modernisierung der sächsischen Polizei ist, weil er ihre Arbeitsweise und Qualität verbessern kann. Bitte stimmen Sie ihm zu.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in 2. Lesung das Gesetz über die Kennzeichnungs- und Ausweisungspflicht der Bediensteten der Polizei. Es stellt sich die Frage, welche Notwendigkeit es für den Gesetzgeber geben sollte, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen.
Das Sächsische Polizeigesetz regelt schon heute in § 8: „Auf Verlangen des Betroffenen haben sich Bedienstete der Polizeibehörden und des Polizeivollzugsdienstes auszuweisen. Dies gilt nicht, wenn die Umstände es nicht zulassen oder dadurch der Zweck der Maßnahme gefährdet wird.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Realität zeichnet folgendes Bild: Auch der Polizeibeamte im Einzeldienst stellt sich, wie im zivilisierten Teil Europas üblich, als Erstes vor, bevor er eine polizeiliche Maßnahme ergreift. Auf Verlangen zeigt er seinen Dienstausweis vor. Spätestens mit der Vorgangsbearbeitung sind die tätig werdenden Beamten erfasst, bei der Vorgangsaufnahme schon durch die Tagebuchnummer und durch das Einsatztagebuch. Aufgrund der Dienst- und Erfassungssysteme ist es grundsätzlich möglich, zu jedem Zeitpunkt für jeden Beamten zu definieren, an welchem Einsatzort er zu welcher Maßnahme im Einsatz war.
Aber lassen Sie mich etwas grundsätzlicher werden. Wir diskutieren hier einen Generalverdacht gegen das Handeln unserer Polizei. Darüber hilft auch Diskussionslyrik nicht
hinweg. Hier wird formuliert, der Polizeibeamte im Dienst kann fehlerhaft agieren, und deswegen müssen wir ihn gesondert kennzeichnen. Lassen Sie uns genauer hinschauen. Der Polizeibeamte handelt auf Grundlage der von uns formulierten Gesetze. Wir geben den gesetzlichen Rahmen vor, der den Polizeibeamten zum Handeln zwingt, und zwar klar zwingt, denn er ist auch verpflichtet, diese Gesetze umzusetzen. Setzt er sie nicht um, macht er sich einer Strafvereitelung im Amt verdächtig. Wir formulieren nicht nur, dass er die Gesetze umsetzen muss, sondern auch wie.
Der Polizeiangehörige ist im täglichen Dienst über seine Uniform erkennbar. Diese Uniform ist die Legitimation seines Handelns. „Die Uniform“, und hier zitiere ich aus dem Protokoll der Anhörung, „soll die Neutralität ihrer Träger zum Ausdruck bringen. Sie soll sichtbares Zeichen dafür sein, dass die Individualität des Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen dieses Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person des handelnden Beamten als Maßnahme des Staates empfunden werden.“ Das ist im Übrigen nicht nur ein Zitat aus der Anhörung, sondern ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2006.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was soll praktisch passieren? Nun sollen wir alle froh sein, dass die Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nicht auf die Idee gekommen ist, Polizistin zu werden und dann den Dienstgrad einer Ersten Polizeihauptkommissarin zu erreichen. Sie können sich vorstellen, welch ein Namensschild die Erste Polizeihauptkommissarin Leutheusser-Schnarrenberger zur Folge hätte. Wir können es auch einfacher machen. Ich vermute – und das ist in der Anhörung auch gesagt worden –, dass der Name des Polizeipräsidenten Horst Wawrzynski bei einigen zu erheblichen Irritationen zur Namensaussprache führen würde. Im praktischen Dienst stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Dienstgrad hat. Der Dienstgrad ist in jedem Fall entbehrlich. Das ist eine einfache Insiderdiskussion. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, weiß, was ein PHM, ein EPHK, ein PD, ein LPD ist? Das bedarf schon einer umfassenden Erläuterung.
Aber zurück zur Ernsthaftigkeit dieses Antrages. Dieser Antrag stellt weniger auf den Polizeivollzugsdienst ab, sondern eher auf die Frage des Einsatzes geschlossener Einheiten. Beim Einsatz geschlossener Einheiten – und so sieht es der Gesetzentwurf vor – sollen zukünftig die Einsatzeinheiten mit Namensschildern gekennzeichnet werden. Nun kann ich Ihnen sagen, insbesondere in geschlossenen Einheiten handelt der einzelne Beamte gerade nicht als Individuum, sondern als Teil der Einsatzeinheit.