Wir gehen jetzt weiter in der Rednerrunde. Als Nächste hat für die Fraktion DIE LINKE die Abg. Klinger das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann Begriffe wie Migrantenansturm, Flüchtlingswellen und Flüchtlingsströme nicht mehr hören.
Das suggeriert Unmengen von Menschen. Eigentlich langweilt es mich fast, hier immer wiederholen zu müssen, dass es das Einzige ist, was Sie können: Menschen zu
ängstigen und zu verunsichern. Wahrscheinlich können Sie nur hoffen, dass Ihre Parolen so gehört werden.
Wir wollen die Zahlen klar benennen: Es handelt sich um 25 000 Menschen, die seit Jahresbeginn in Italien und Malta gelandet sind. Als kleines Rechenbeispiel ist dagegenzustellen: Schauen wir uns doch die Hunderttausenden Menschen an, die Sachsen in den letzten 20 Jahren verlassen haben. Versachlichen wir also die Debatte. Schauen wir genau hin, wer kommt. Warum kommen diese Menschen? Was sind die tatsächlichen Fluchtursachen?
Sie arbeiten immer wieder mit Unterstellungen, wenn Sie davon ausgehen, dass das nur Wirtschaftsflüchtlinge seien. Ich frage mich, woher diese Erkenntnis kommt. Ja, ein großer Teil kommt aus wirtschaftlichen Gründen.
Sie verlassen aus wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer. Das kann bedeuten, dass sie Arbeit in reicheren Ländern suchen, und zwar, um sich und ihre Familien zu ernähren.
Denn in ihrer Heimat kann es sein, dass Lebensmittelknappheit oder sogar eine Hungersnot herrscht. Solche Tatsachen unterschlagen Sie aber. Die Vereinten Nationen haben eine Umfrage gemacht. Zum Beispiel haben in Tunesien 80 bis 90 % der Flüchtlinge berichtet, dass Händler in Libyen ihnen keine Lebensmittel verkauft haben. Das UN-Welternährungsprogramm gibt für Libyen folgende Preissteigerungen bekannt: bei Brot plus 110 %, bei Reis plus 88 % und bei Speiseöl plus 58 %, um nur einige Beispiele zu nennen.
Zur Wahrheit gehört auch, dass viele Flüchtlinge aus Ländern wie Somalia, Eritrea oder Ghana kommen. Das sind Menschen, die Asyl suchen, die vor Bürgerkrieg und politischer Verfolgung fliehen. Das sind Flüchtlinge aus dem südlicheren Afrika, die zum Beispiel seit 2009 in Gefängnissen oder Lagern in Libyen gesessen haben, dort festgehalten wurden – und das aufgrund bilateraler Abkommen zwischen Italien und Libyen, um sie an der Weiterreise zu hindern. Das muss auch gesagt werden.
Lassen Sie mich feststellen: Erstens. Diese Spielchen zwischen den EU-Ländern um das Schicksal dieser Flüchtlinge sind zynisch und inhuman.
Zweitens. Anstatt die EU-Außengrenzen immer mehr hochzurüsten und immer mehr Geld in FRONTEX zu stecken, müssen wir selbstverständlich die Fluchtursachen bekämpfen. Abschottung kann für uns keine Lösung sein.
Ich möchte Sie fragen: Was erreicht man denn damit, dass man prophylaktisch erklärt, man wolle keine Flüchtlinge in Sachsen aufnehmen und notfalls wieder Grenzkontrollen einführen, und damit sogar unsere Nachbarländer Tschechien und Polen brüskiert?
Wir halten es für sinnvoller, dass wir uns dafür einsetzen, dieses Spielchen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu beenden und dass das Dublin-II-Abkommen aufgehoben wird, dass endlich ein Verteilerschlüssel zwischen den Kernländern Europas ausgehandelt wird, nach dem Flüchtlinge wenigstens eine befristete Perspektive erhalten, und dass ihnen ein Recht auf ein faires und rechtsstaatliches Asylverfahren gewährleistet wird.
Denn nur so kann meines Erachtens dem Grundgedanken Europas tatsächlich Rechnung getragen werden: ein Europa als ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.
Dass die NPD das Thema nutzt, um ihre alte Parole „Grenzen dicht!“ hervorzuholen, ihre antieuropäische Haltung und ihre Menschenfeindlichkeit zur Schau zu stellen, überrascht nicht.
Und, meine Damen und Herren, da muss ich in die Runde schauen: Wir alle müssen aufpassen, dass wir nicht mit verantwortungslosen, unbedachten und kurzsichtigen Äußerungen solchem Populismus auch noch Tür und Tor öffnen.
Schauen wir konkret nach Sachsen. Es gibt hier sehr positive Beispiele. Es gibt die Save-me-Kampagne. Zum Resettlement-Programm der UN, ein breites Bündnis von „Pro Asyl“ mit dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen: Es fordert, dass Deutschland jedes Jahr ein Kontingent an Flüchtlingen aus den Erstzufluchtsstaaten aufnimmt und integriert. Daran beteiligen sich auch sächsische Städte.
In Leipzig gab es im Oktober 2010 einen Stadtratsbeschluss, bei dem gesagt wurde: Wir unterstützen diese Kampagne. Wir wollen Flüchtlinge aufnehmen.
Auch in Dresden ist ein solcher Prozess angestoßen worden. Wenn die Kommunen – diejenigen, die tatsächlich für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen zuständig sind – solch ein positives Signal aussenden, dann sollte sich die Landesebene dem nicht verschließen.
Solidarität und Humanität sind für die NPD Fremdwörter. Dazu bedurfte es dieser Debatte nicht. Solche Debatten sind überflüssig. Der NPD sei gesagt: Kaufen Sie sich lieber ein InterrailTicket – das die Deutsche Bahn übrigens mit grenzenlosen Reisen bewirbt – und schauen Sie sich die Welt an! Vielleicht hilft das, Ihren beschränkten Horizont zu erweitern.
Für die Fraktion DIE LINKE sprach die Abg. Klinger. – Ich sehe jetzt bei der SPD keinen Redebedarf. – Bei der FDP und den GRÜNEN auch nicht. Dann hätte jetzt die Staatsregierung das Wort. – Sie wünscht es auch nicht in dieser Runde. Wir beginnen mit der zweiten Rednerrunde. Die einbringende Fraktion hat erneut das Wort; Herr Abg. Storr.
Das will ich Ihnen gern sagen: Bezugspunkt ist ein historisch zu nennender Umbruch in Nordafrika, und wenn hier die Zahl von 25 000 bzw. 30 000 Wirtschaftsflüchtlingen genannt wird, dann ist das ein Anfang, aber nicht etwa das Ende einer Entwicklung.
Die Frage ist doch: Wie reagiert man auf eine solche Entwicklung? Man muss feststellen, dass hier zwar durchaus auch Herr Ulbig etwas Richtiges in der „Bild“Zeitung gesagt hat, und auch der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann kommt zu der Feststellung, dass es sich zu 90 % um Arbeitsmigranten handelt und man nicht akzeptieren könne, dass diese Wirtschaftsflüchtlinge nach Deutschland bzw. nach Sachsen kommen. Aber das Problem ist: Es wird nicht auf diese Entwicklung reagiert. Und, liebe Freunde, liebe Kollegen,
oder liebe Feinde –, Sie werden sich mit einigen Fakten beschäftigen müssen. Ich sage Ihnen voraus: Wir stehen in einer Entwicklung, wie wir sie Anfang der Neunzigerjahre erlebt haben, als es zu einem sogenannten Asylkompromiss kam, der natürlich kein Asylkompromiss war, weil er die Grundprobleme, wie wir jetzt wieder erkennen, eben nicht gelöst hat. Es zeigt sich, dass die italienischen Touristenvisa ganz schwer das Schengensystem unterlaufen und dass das Schengenabkommen angesichts dieser Entwicklung nicht wirklichkeitstauglich ist.
Insofern muss sich die deutsche Politik überlegen, wie sie auf eine solche Lage reagiert, in der Wirtschaftsflüchtlin
ge unter Missbrauch eines Asyl-Paragrafen nach Deutschland kommen und versuchen, als Wirtschaftsflüchtlinge auf Kosten des Sozialsystems zu leben.
Ich möchte einen finanziellen Aspekt nennen: Die Bundesagentur für Arbeit hat ermittelt, dass 1,246 Millionen Ausländer in Deutschland offiziell von Transferleistungen leben. Wenn man einmal diesen 1,246 Millionen Ausländern einen durchschnittlichen Hartz-IV-Empfängersatz von 1 003 Euro zuordnet, wird man feststellen, dass der deutsche Steuerzahler jeden Monat – ich wiederhole: jeden Monat! – 1,25 Milliarden Euro für Sozialhilfe für zugewanderte Ausländer ausgibt.
Wir haben heute in Deutschland 20 % Ausländeranteil. Von diesen 20 % Ausländeranteil sind 40 % Transferempfänger von Sozialhilfeleistungen. Wenn man hier von ausländischen Fachkräften spricht, dann widerspricht es sich in gewisser Hinsicht, dass man auf der einen Seite sagt, Zuwanderung soll durch berufliche Qualifikation gesteuert und begrenzt werden, aber auf der anderen Seite gibt es dann doch ein Asylrecht, das diesen Qualifikationsmerkmalen völlig zuwiderläuft, ja, ihm sogar widerspricht, weil die berufliche Qualifikation gerade von Asylanten oder Asylbewerbern oft nicht gegeben ist.