Protocol of the Session on April 19, 2011

(Zuruf der Abg. Andreas Storr und Jürgen Gansel, NPD)

Wissen Sie, was uns noch wesentlich unterscheidet? Wir sehen die Probleme der Menschen, nehmen sie an und finden dafür Lösungen.

(Jürgen Gansel, NPD: Dafür ist die FDP ja schon immer bekannt gewesen!)

Sie präsentieren vermeintliche Lösungen und haben gar kein Problem dafür. In diesem Sinne lehnen wir Ihren Antrag ab.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Als nächste Rednerin ist Frau Klepsch an der Reihe.

(Gitta Schüßler, NPD: Ich habe eine Kurzintervention!)

Das ist jetzt zu spät.

(Gitta Schüßler, NPD: Sie haben mich nicht gesehen!)

Frau Klepsch, ich erteile Ihnen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die NPD wirft sich mit dem vorliegenden Antrag zur Kinderbetreuung und -erziehung für die unter Dreijährigen einmal wieder den Mantel des Sozialen um. Sie versucht, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben.

Frau Schüßler und Kollegen, sollten Sie der Meinung sein, dass Sie mit diesem Antrag hier im Landtag eine ernsthafte Fachdebatte bekommen, wie das Thema es verdient, so irren Sie.

(Zuruf von der NPD)

Wer nämlich nicht nur auf die Überschrift des NPDAntrages geschaut, sondern über Punkt 1 hinaus weiter gelesen hat, kommt sehr schnell darauf, dass es der NPD weder um die Kinder selbst noch um die Wahlfreiheit der

Eltern geht. Es geht ihr vielmehr darum, erstens getreu ihrem antiquierten Familienbild die Frauen an den heimischen Herd zurückzuholen und die Errungenschaft der flächendeckenden Kindertagesbetreuung bundesweit ab dem ersten Lebensjahr als – ich zitiere – „Dogma der Fremdbetreuung“ hinzustellen und zweitens ihre rassistische Ideologie und Abneigung gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft zu verbreiten.

Der Antrag der NPD lechzt geradezu danach, etwas Nachhilfe in Sachen Soziologie und Erziehungswissenschaft zu bekommen.

(Alexander Delle, NPD: Och nö!)

Weil Bildung ein Menschenrecht ist, das auch die NPDFraktion und ihre braunen Gesinnungsgenossinnen und -genossen einschließt, habe ich mir einmal die Mühe gemacht, einige Fakten zusammenzutragen. Die NPD glaubt und behauptet in ihrem Antrag – ich zitiere –, „das Überleben des deutschen Volkes in ethnischer wie kultureller Hinsicht“ sichern zu müssen. Sie will unter anderem in einer Studie – Kollegin Schütz hatte es erwähnt – das Fortpflanzungsverhalten der „autochthonen deutschstämmigen Bevölkerung“ untersuchen lassen.

(Andreas Storr, NPD: Das ist notwendig!)

Ethnologisch stammt der Begriff „autochthon“ aus dem Griechisch-Lateinischen. Er meint die Gruppe der Ureinwohnerinnen, Alteingesessenen und der Eingeborenen.

(Andreas Storr, NPD: Das ist doch eine Selbstverständlichkeit!)

Man möchte an dieser Stelle fragen: Wie viele Mitglieder der NPD-Fraktion sind Ureinwohner oder alteingesessene Sachsen?

(Beifall bei den LINKEN, der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Offenbar glaubt die NPD allen Ernstes, mit einer Förderung der Geburtenrate unter den ihr genehmen Deutschen den demografischen Wandel in der Bundesrepublik aufhalten zu können. Im Umkehrschluss heißt das aber: Es geht der NPD eben nicht um das Wohl aller Kinder, sondern um die Verbreitung rassistischer Ideologie, und ich darf an dieser Stelle Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes zitieren: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Dass es in einer Industriegesellschaft, wie von der NPD im vorliegenden Antrag glauben gemacht, eine Korrelation zwischen dem Anteil an Hausfrauen und einer höheren Geburtenrate gibt, ist durch Untersuchungen längst widerlegt.

(Jürgen Gansel, NPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Frau Klepsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Unter anderem fand die OECD, die in verschiedenen Ländern die jeweiligen staatlichen Rahmenbedingungen und deren Einfluss auf die Geburtenrate untersucht hat, heraus, dass die Fertilität – zu deutsch: Geburtenrate; ich übersetze es gern für Sie – in drei Punkten höher ist:

erstens – je geringer die Differenz zwischen der Erwerbsbeteiligung von Männern und Frauen ist,

zweitens – je moderner die Geschlechterverhältnisse sind und

drittens – je besser die öffentlichen Dienstleistungen für Kinder, also Krippen, Kitas und Ganztagsschulen, sind.

Unser Nachbarland Frankreich ist ein lebendiges Beispiel für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

(Andreas Storr, NPD: Das sind die Ausländer in Frankreich, die die Geburtenrate hochtreiben!)

Interessanterweise korreliert der Anteil der Geldleistungen für Familien am Volkseinkommen überhaupt nicht oder nur wenig mit der Geburtenrate, was aus unserer Sicht als LINKE auch für die Abschaffung des steuerlichen Ehegattensplittings spricht, wie wir es seit Langem fordern.

(Beifall bei den LINKEN)

Die finanzielle Förderung von Familien ist politisch von der Förderung der Ehe zu trennen. Schließlich werden Kinder nicht dadurch glücklich, weil die Eltern verheiratet sind oder nicht, sondern weil sie ihnen die bestmögliche Förderung zuteil werden lassen.

(Andreas Storr, NPD: Aber die Ehe ist eine Verantwortungsgemeinschaft!)

Die Entscheidung für oder der Verzicht auf Kinder gilt schließlich als eine höchstpersönliche Angelegenheit, und zwar zu Recht. Ich darf zitieren: „Jede bevölkerungspolitische Intention gerät sehr leicht in den Verdacht einer Instrumentalisierung der Individuen bzw. der Paare für staatspolitische Zwecke.“ – So der Soziologe FranzXaver Kaufmann in seinem Buch „Die schrumpfende Gesellschaft“.

Die Bundesrepublik hat vor allem in den alten Bundesländern in den letzten 20 Jahren hinsichtlich der Kinderbetreuung und des Kindertagesstättenausbaus einen Werte- und Bewusstseinswandel erlebt und damit endlich den Anschluss an westeuropäisches Niveau geschafft. Trotz der Einführung des Elterngeldes und trotz des bald geltenden Rechtsanspruches auf einen Krippenplatz können Eltern, rechtlich betrachtet, heute wählen, ob und wo sie ihr Kleinkind betreut haben wollen: zu Hause, in

der Kindertagespflege oder in einer Kinderkrippe. Die Behauptung der NPD, es herrsche ein Dogma der Fremdbetreuung, ist deshalb einfach Blödsinn. Im Gegenteil, es mangelt bundesweit und auch in Sachsen immer noch an Plätzen für die unter Dreijährigen, da viele Frauen nicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Berufsleben verzichten wollen und weil Sachsen mit fast 50 % der Kinder in der Krippenbetreuung bereits bundesweit im vorderen Bereich liegt.

Ich komme zum Schluss. Dass alle Kinder, nicht zuletzt Einzelkinder, von dem Besuch einer Krippe profitieren, ist kein Geheimnis mehr. Mit dem Sächsischen Bildungsplan gelten einheitliche Standards für alle Kinder in der Kindertagesbetreuung. Den Kollegen von der NPD sei zum Schluss gesagt: Den Kindern von NPD-Mitgliedern bleibt auch und ganz besonders deshalb zu wünschen, dass sie möglichst oft und möglichst lange vom Besuch einer Krippe oder Kita profitieren können;

(Andreas Storr, NPD: Um genügend Rotlicht abzubekommen! – Jürgen Gansel, NPD: Rotlichtbestrahlung!)

denn in diesen Einrichtungen können nämlich auch Kinder von NPD-Mitgliedern unter dem Schwerpunkt „Soziales Lernen“ Kompetenzen erwerben, die in braun gefärbten Elternhäusern keine Selbstverständlichkeit sein dürften, als da sind: gewaltfreie Konfliktbewältigung, Toleranz, Weltoffenheit und demokratisches Handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ich frage, ob noch ein Abgeordneter in der ersten Runde das Wort ergreifen möchte. – Dies ist nicht der Fall. Mir liegt noch eine Wortmeldung in der zweiten Runde der allgemeinen Aussprache vor; Herr Apfel für die NPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es lohnt sich nicht sonderlich, auf die Ausführungen meiner Vorrednerin einzugehen. Nur so viel vielleicht, Frau Schütz: Sie sollten sich zumindest schon mit dem Antragstext auseinandersetzen und sich insbesondere vergegenwärtigen, dass wir von der Wahlfreiheit der Eltern gesprochen haben, die es sicherzustellen gilt; und ja, es soll durchaus in diesem Lande noch Frauen geben, die ihr Kind eben nicht einfach in eine Krippe abschieben wollen, die noch Verantwortungsbewusstsein für ihre Kinder verspüren und nicht einfach ihrem egoistischen Selbstverwirklichungswahnsinn nacheifern wollen, wie dies bei manchen linken Kampfemanzen der Fall sein mag, meine Damen und Herren.