Protocol of the Session on April 19, 2011

Ich stelle momentan einen Gleichschritt zwischen Bundes- und Landesregierungen fest. Das ist wichtig, denn es gibt auch innerhalb Deutschlands verschiedene Interessen zwischen West- und Ostländern. Deshalb ist es richtig, dass man sich hohe Ziele setzt, wenn ich höre, dass die ostdeutschen Ministerpräsidenten dafür plädieren, etwa zwei Drittel der bisherigen Förderung auch für die künftige Förderperiode zur Verfügung zu bekommen.

Dennoch habe ich große Sorgen, was die europäische Förderung betrifft. Ich sehe das insofern kritisch, als ich in Sachsen immer wieder erfahre, dass das Sächsische Staatsministerium der Finanzen, Herr Prof. Unland, durchaus sehr viele Ideen hat, was man mit europäischen Geldern machen kann. Wenn es möglich wäre, sächsische Polizisten und Lehrer zu bezahlen, dann hätte man auch das versucht. Was will ich damit sagen? Es geht mir einfach darum, dass man vorher die Inhalte klärt und nachher bestimmt, wofür man das Geld einsetzt. Für mich ist die Frage der Inhalte von ganz entscheidender Bedeutung.

Ich frage insbesondere Sie, Herr Ministerpräsident Tillich: Wo ist denn Ihr versprochener Masterplan, der nicht nur für Sachsen gilt, sondern auch europäische Förderprioritäten ins Auge fasst? Die Herausforderung für uns ist eine große. Sie ist nicht nur innerhalb Europas zu sehen. Die Europäische Union, und dazu gehört nun mal Sachsen, muss sich der Aufgabe stellen, im Wettbewerb mit den aufstrebenden asiatischen Staaten zu bestehen, insbesondere mit Staaten, die nicht unter europäisches Beihilferecht fallen und deshalb ganz andere Rahmen- und Wirtschaftsbedingungen haben. Hier müssen wir aufpassen, dass uns diese Bedingungen nicht die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung beschneiden.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Ich wünsche mir insbesondere Aktivitäten, die über die bisherige Diskussion zur Strukturfondsperiode hinausreichen. Ich denke an das wichtige Thema der Key Enabling Technologies, zu Deutsch Schlüsseltechnologien, und ich weiß, Herr Martens, dass Sie da engagiert dabei sind; aber hier müssen wir schauen, wie wir insbesondere unsere Mikroelektronik stärken können. Wir müssen gründlich darüber reden, dass es in Europa erhebliche Disparitäten im Wohlstand gibt, die am Ende auch zur Grenzkriminalität in Sachsen geführt haben. Ich muss das ausdrücklich erwähnen, weil wir die Probleme nicht verschleiern sollten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke, es ist wichtig, dass wir uns in Europa Stimme verschaffen; aber Europa gelingt nur mit den Menschen in Sachsen und in Deutschland.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Für die SPD sprach Herr Kollege Jurk. – Als Nächstes kommt die Fraktion GRÜNE mit Frau Kollegin Kallenbach.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Europa muss eine ganze Menge Lobbyismus aushalten, wenn es um die Höhe der Fördermittel geht. Manchmal ist es so ähnlich wie in einer kinderreichen Familie mit vielen hungrigen Essern. So scheint es auch am europäischen Futternapf zuzugehen: Die mit den größten Ellenbogen wollen die größte Menge auf den Tellern haben. Allerdings ist das dem Klima in der Familie mehr abträglich als förderlich.

Daher weckt in mir das Bild von dem an die Türen in Brüssel oder Straßburg klopfenden Ministerpräsidenten auch zwiespältige Gefühle. Ja, es klingt erst einmal gut: Der Ministerpräsident kämpft für uns Sachsen. Ja, es klingt gut, wenn Herr Schiemann die Sicherstellung der höchsten Förderung für die Region einfordert und wenn Sie an den Kommissionspräsidenten einen Brief schreiben. Ich stelle mir aber Folgendes vor: Wir haben 265 Regionen, die derzeit von Struktur- und Kohäsionsfondsmitteln profitieren. Diese Regionen stehen jetzt bei den Kommissaren und beim Präsidenten Schlange. Da müsste sich Sachsen wahrscheinlich weit hinten einreihen.

Ich denke auch an die 64 Regionen in Europa, deren Bruttoinlandsprodukt unter 75 % des Durchschnittswertes liegt. Das betrifft allein in unserem Nachbarland Polen 15 Regionen, in Tschechien und Rumänien je sieben. Die baltischen Staaten gehören dazu, aber auch Regionen in Großbritannien, Frankreich, Spanien usw.

Wir in Ostdeutschland sind 1990 über Nacht automatisch Mitglied der Europäischen Union geworden. Ich möchte gern noch einmal dezent daran erinnern, dass unsere Nachbarländer aus dem ehemaligen Ostblock 14 Jahre lang ihr Rechts- und Wirtschaftssystem umstellen mussten, ehe sie dabei waren.

Europa hat eine großartige und herausfordernde territoriale Vielfalt, von den Alpendörfern über die griechischen Inseln bis zu dicht besiedelten Industriegebieten und Millionenstädten. Aber es hat auch große regionale Unterschiede.

Eine weitere Zahl: Das Bruttoinlandsprodukt einer bulgarischen Region liegt bei 28 %, das von London bei 343 %. Deshalb bin ich auch sehr froh, dass wir als drittes Gemeinschaftsziel neben dem ökonomischen und dem sozialen Zusammenhalt den territorialen Zusammenhalt aufgenommen haben.

Wenn man in einem Kontinent mit solchen Herausforderungen lebt, auch mit den Unterschieden, die historisch und territorial bedingt sind, dann ist dieses Instrument der Regionalpolitik, die das Ziel hat, dieses Gefälle auszugleichen, überhaupt nicht zu unterschätzen und nicht hoch genug zu bewerten.

Es geht darum, die Vielfalt nicht zu nivellieren. Ich erinnere an den Slogan des Lissabon-Vertrages: „Einheit in Vielfalt“. Das Streben nach einem Ausgleich ist nach dem Solidaritätsprinzip für mich als überzeugte Europäerin das Alleinstellungsmerkmal. Das gibt es nicht noch einmal auf dieser Erde. Daher möchte ich dieses Prinzip der Solidarität auch nicht zugunsten eigener Begehrlichkeiten aufgeben.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Herr Schiemann hat auch die 20 Milliarden Euro genannt, die seit 1990 geflossen sind. Diese Zahl könnte auch noch etwas höher liegen, wenn man Strukturfonds, Agrarfonds, Forschungsrahmenprogramm, Kulturraumförderung usw. hinzunimmt. Oft genug kommt das bei unseren Menschen überhaupt nicht an. Sie wissen, dass die Gelder auf regionaler Ebene ausgezahlt werden. Ich habe schon oft erlebt, dass sich dann Minister auf die Schulter klopfen und sagen: Hier geben wir jetzt so und so viele Millionen Fördermittel aus. – Aber das war doch die EU.

Die Redezeit, Frau Kollegin!

Daher möchte ich uns ermutigen, deutlich zu machen: Wo EU drin ist, muss auch EU draufstehen.

Weiteres in der zweiten Runde.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Das war für die Fraktion GRÜNE die Abg. Kallenbach. – Als Nächster spricht für die NPD-Fraktion der Abg. Schimmer.

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ministerpräsident Tillich hat in den vergangenen Wochen auch in die politische Schlacht um die Verteilung von Fördergeldern im EUHaushalt für die Jahre 2014 bis 2020 eingegriffen. Wie wir alle wissen, droht dem Freistaat Sachsen der Verlust der Einstufung als strukturschwache Region und damit auch der Verlust der Ziel-1-Förderung.

Ministerpräsident Tillich mag es sich nun als Verdienst anrechnen, in Brüssel mit zwölf EU-Kommissaren gesprochen zu haben. Es bleibt aber dabei, dass derartige Verhandlungen auf EU-Ebene innerhalb eines politischen und institutionellen Rahmens stattfinden, in dem Deutschland letztlich von vornherein als Verlierer feststeht.

Meine Damen und Herren, Sie wissen doch alle ganz genau, dass Deutschland schon seit Jahrzehnten der mit Abstand größte Nettozahler der EU ist und dass Deutsch

land jedes Jahr fast 10 Milliarden Euro mehr an Brüssel überweist, als es zurückbekommt.

(Beifall bei der NPD)

Insofern ist es einfach blanker Hohn und eine bewusste Irreführung der sächsischen Bürger und Wähler, wenn auch hier wieder einmal davon gesprochen wird, dass Sachsen von der EU Gelder erhält. Man muss doch ganz klar sagen: Korrekterweise müsste man davon sprechen, dass diese EU-Gelder, die nach Sachsen fließen, nichts anderes sind als umgeleitete deutsche Steuergelder, von denen nur ein Bruchteil in Deutschland wieder ankommt und die vorher über einen Umverteilungszirkus geleitet werden, der von Missbrauch und Fehlanreizen geleitet ist.

(Beifall bei der NPD)

Noch ein ganz wichtiger Punkt, der bisher nicht angesprochen wurde: Über diese Gelder hinaus haftet Deutschland im Rahmen des sogenannten EuroRettungsschirmes für Kredite an de facto bankrotte Staaten wie Portugal, Irland und Griechenland. Der renommierte Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn vom ifo-Institut hat ausgerechnet, dass Deutschland im Rahmen dieses Euro-Rettungspaketes für insgesamt 391 Milliarden Euro an Krediten haftet. Dieses gesamte Geld steht außerhalb jeder parlamentarischen und demokratischen Kontrolle. Ich wundere mich, dass Ihnen das nicht zu denken gibt.

(Beifall bei der NPD)

Man braucht wirklich kein Prophet zu sein, um vorherzusagen, dass der Freistaat Sachsen und auch Deutschland unter diesen Belastungen bald zusammenbrechen werden, da wir nun auch einen Gesamtschuldenstand von fast 2 Billionen Euro angehäuft haben.

Deshalb ist es aus Sicht der NPD-Fraktion nur eine Frechheit mehr, dass nun das letzte dünne Rinnsal an EUGeldern, das bislang noch im Rahmen der Ziel-1Förderung nach Deutschland zurückgeflossen ist, auch noch komplett gestrichen wird. Dies zeigt uns: Es gibt keine innereuropäische Solidarität. Man muss die EU schon beinahe als vampireskes Gebilde bezeichnen, in dem die Deutschen wirklich nur als die Zahlmeister vom Dienst gebraucht werden.

Noch ein Zitat des Speyrer Verfassungsrechtlers Hans Herbert von Arnim, der den gesamten Komplex der EUFörder- und Strukturpolitik kurz und bündig als organisierten Unsinn bezeichnet hat. Wir von der NPD-Fraktion sind eben der Auffassung, dass dieser organisierte Unsinn nicht reformiert werden kann. Es bedarf in ganz Europa eines grundlegenden Neuanfangs.

(Dr. Monika Runge, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Um diesen grundlegenden Neuanfang zu erzwingen, sind wir von der NPD dafür, alle Zahlungen in den EUHaushalt einzustellen, bis endlich das Subsidiaritätsprinzip konsequent umgesetzt wird. Weder Regional- noch

Struktur- noch Agrarpolitik haben irgendetwas auf europäischer Ebene zu suchen, sondern sie gehören alle in den Verantwortungsbereich demokratisch gewählter nationaler Parlamente.

(Beifall bei der NPD)

„Los von Brüssel!“ – diese Devise der NPD ist nicht nur ein Gebot wirtschaftspolitischer Vernunft, sondern auch eine demokratiepolitische Notwendigkeit. Immer mehr Bürger in immer mehr europäischen Ländern erkennen genau dies. Darauf ist auch der Wahlsieg der Partei „Wahre Finnen“ vom vergangenen Sonntag zurückzuführen. Ich und meine Kollegen von der NPD-Fraktion sind sich sicher, dass weitere Wahlsiege von Kritikern der EUDiktatur in weiteren Staaten, auch in Deutschland, folgen werden.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Ich sehe Frau Dr. Runge am Mikrofon 1. Sie möchten die Kurzintervention nutzen? – Ja, bitte.

Ich möchte die Gelegenheit zur Kurzintervention nutzen, um das schiefe Bild, das die NPD-Fraktion hier von der Europäischen Union und von Deutschland gezeichnet hat, zu korrigieren.

Erstens ist Deutschland als die größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union auch der größte Profiteur der Europäischen Union in wirtschaftlicher Hinsicht, weil nämlich 60 % unseres gesamten Exports in Mitgliedsländer der Europäischen Union gehen.

(Jürgen Gansel, NPD: Dem stehen aber hohe Importquoten gegenüber!)

Das hat uns wirtschaftlichen Wohlstand, Wachstum und vieles andere beschert.

Das zur Richtigstellung. Insofern ist es einfach absurd, immer wieder nur Deutschland als den größten Nettozahler ins Spiel zu bringen. Das sind wir selbstverständlich aufgrund der Größe unserer Volkswirtschaft. Selbstverständlich sind wir das.

Ich möchte auch daran erinnern, dass allein die Agrarsubventionen, die aus Brüssel an unsere landwirtschaftlichen Betriebe fließen, die Existenzgarantie für diese landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland sind.

(Beifall bei den LINKEN – Andreas Storr, NPD: Ja, für Großbetriebe! – Jürgen Gansel, NPD: Allenfalls für Großbetriebe!)