Protocol of the Session on November 11, 2009

(Christian Piwarz, CDU: Das war abwegig!)

Die Befürchtung, den Hochschulen werde künftig die Möglichkeit zur Erhebung von Studiengebühren gegeben, ist schlicht und ergreifend nicht begründet. Derartige Pläne sind mir nicht bekannt. Auch dies wären gesetzliche Studiengebühren. Wir müssten eine Ermächtigungsgrundlage für die Hochschulen schaffen, um ihnen dies zu ermöglichen. Das wird in dieser Legislaturperiode ausweislich des Koalitionsvertrages nicht geschehen. Punkt, fertig, aus. So ist das.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von der CDU: Sehr gut!)

Wir lassen uns von der Überlegung leiten: Gebührenfreiheit gilt als Standortfaktor. Auch wenn dafür vielleicht erst so manche empirischen Daten erhoben werden

müssen, wollen wir den wünschenswerten Studentenzuzug nicht noch durch irgendwelche abschreckenden Gebühren verhindern.

Allerdings, meine Damen und Herren, für Langzeitstudenten soll der sächsische Steuerzahler nicht aufkommen. Wir wissen alle, dass es gelegentlich Rückmelder ab dem 40. Semester gibt, die sich, um etwa in den Genuss der Monatskarte oder der sozialen Leistungen zu kommen, zurückmelden. Das macht auch klar, worum es geht: Wir wollen Missbrauch verhindern.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Mackenroth?

Geert Mackenroth CDU: Selbstverständlich, Frau Kollegin.

Frau Dr. Stange.

Herr Kollege Mackenroth, könnten Sie den Begriff des Langzeitstudenten etwas klarer formulieren? Ab wann ist nach Ihrer Definition ein Student ein Langzeitstudent?

Geert Mackenroth CDU: Frau Kollegin, wir werden uns darüber, was Langzeitstudenten sind, intensiv in Verbindung mit der Staatsregierung und in der Koalition auseinandersetzen. Es geht darum, Missbrauch zu verhindern. Ich werde doch hier nicht sagen, ab dem 40. Semester ist es ein Langzeitstudent, ab dem 20. noch nicht. Das kommt doch darauf an. Es muss zum Beispiel auch Ausnahmeregelungen geben. Es gibt begründet längere Studienzeiten, beispielsweise aufgrund von Erkrankungen oder bei Studentinnen im Babyjahr. Dies alles muss einbezogen werden.

(Beifall bei der CDU)

Noch einmal ganz klar: Es geht darum, Missbrauch zu verhindern. Missbrauch ist das, was wir nicht wollen. Warum wollen wir das eigentlich nicht? Die Parole, die ich immer höre, das Studium müsse kostenlos bleiben, ist nach meinem Dafürhalten Unsinn; denn das Studium kostet natürlich auch schon jetzt etwas. Der Freistaat gibt für seine 100 000 Studenten im Jahr im Durchschnitt – ohne Medizin – nach den Berechnungen unserer vier Universitätsrektoren pro Student 6 676 Euro aus – so jedenfalls die Berechnung. Das zahlen Lieschen Müller aus Görlitz oder Ilse Bähnert aus Dresden, und ich kann ihnen nicht zumuten, dass sie Missbrauch durch Steuergelder subventionieren. Das halte ich nicht für richtig.

Vor diesem Hintergrund ist der Antrag der GRÜNEN – Herr Dr. Gerstenberg, tut mir leid – überflüssig wie ein Kropf. Sie müssen die Staatsregierung und die sie tragende Koalition in der Hochschulpolitik in der Frage der Studiengebühren nicht zum Jagen tragen. Halten Sie sich Ihr hochschulpolitisches Pulver trocken, Sie werden es wahrscheinlich noch brauchen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als nächste Fraktion spricht die Fraktion DIE LINKE; Herr Prof. Besier.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Mackenroth hat in wünschenswerter Deutlichkeit klargestellt, dass unser Argwohn vielleicht verfrüht gewesen ist, und ich hätte es mir auch gar nicht anders vorstellen können; denn auf Bundesebene und in den Ländern herrscht eigentlich Klarheit. Wir haben bei Weitem zu wenige Hochschulabsolventen. Die Studienanfängerquote soll steigen, die Verlängerung des Hochschulpaktes ist durchgesetzt. Die Schaffung von 275 000 Studienplätzen bis 2015 ist den Ländern vom Bund abgetrotzt worden, und der Prozentsatz des Bruttoinlandsproduktes soll signifikant erhöht werden. Gegenwärtig sind wir ganz am unteren Ende der Industriestaaten. Das ist der Grund, nehme ich an, warum die Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN so vorsichtig, so ängstlich und im Grunde bittend gesprochen haben; denn wir sind in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems ist gegenwärtig denkbar gering. Kinder armer Leute werden in unserem Bildungssystem doch unstreitig benachteiligt. Darüber brauchen wir doch hier überhaupt nicht zu sprechen. Es gibt einschlägige Untersuchungen.

(Beifall bei der Linksfraktion und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Von Bildungsgerechtigkeit, gar von Chancengleichheit, hohen Gütern in unserer offenen Gesellschaft, kann man doch derzeit nicht sprechen. Das der CDU nahe stehende Allensbacher Institut spricht schon von Statusfatalismus. Das meint: Die faktisch bestehende Ungleichheit spornt die Menschen überhaupt nicht mehr an, aufsteigen zu wollen, weil sie dazu keine Ermutigung mehr erfahren. 88 % der Akademikerkinder streben das Abitur an, aber nur 46 % von Nicht-Akademikern und nur 36 % von Arbeiterkindern. Dieses Missverhältnis potenziert sich dann beim Studium noch. 83 % der Akademikerkinder beginnen ein Studium, aber nur 23 % der Kinder von Nicht-Akademikern und gar nur 10 % der Arbeiterkinder. Da Intelligenz bekanntlich normal verteilt ist, kann es eben daran nicht liegen.

Eine gerade veröffentlichte Studie des Gütersloher Zentrums für Hochschulentwicklung – ich nehme an, Sie haben sie gesehen – zeigt, dass die Universitäten im östlichen Deutschland mit einem Standortnachteil zu kämpfen haben. Unter den künftigen Abiturienten im westlichen Deutschland bestehen erhebliche Bedenken, ein Studium hier aufzunehmen, weil sie meinen, sie würden sich nicht wohlfühlen. Dies liegt weniger an den Hochschulen als vielmehr am Klima hier. Wir brauchen ein offenes, ein tolerantes Klima. Das Stichwort Fremdenfeindlichkeit ist heute bereits mehrfach gefallen. Natürlich werden junge Menschen dadurch abgeschreckt. Ich will

Ihnen gar nicht erzählen, wie das bei amerikanischen Studierenden wirkt. Sie bekommen schon vorher von den begleitenden Professoren gesagt, dass sie abends bei Anbruch der Dunkelheit nicht mehr in die Innenstadt gehen sollen.

(Volker Bandmann, CDU: Das bekommen sie in den USA auch gesagt!)

Als Sie das vor vielen Jahren vielleicht einmal erlebt haben, waren die Dinge ganz anders.

Um den demografisch bedingten starken Rückgang von Abiturienten im östlichen Deutschland auszugleichen, benötigen wir dringend den Zuzug aus dem Westen, und eine Reihe von Kampagnen, wie „Studieren in Fernost“, versucht bekanntlich, auf diesem Feld Boden gutzumachen.

In dieser prekären Situation wäre es das absolut falsche Signal, mit der Einführung von Studiengebühren für Langzeitstudierende womöglich den Einstieg ins Bezahlstudium vorzunehmen. Wir haben gehört: Dazu wird es nicht kommen. Vielen Dank, Herr Mackenroth.

Nach der jüngst veröffentlichten Sozialerhebung der Studienstiftung kommen nur 21 % der Stipendiaten aus einem nicht akademischen Elternhaus, verglichen mit 49 % bezogen auf die Gesamtheit der Geförderten. Wollen wir diejenigen aus den nicht privilegierten Elternhäusern noch bestrafen, die sich neben dem Studium – Herr Gerstenberg hat es schon erwähnt – ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssen und darum länger brauchen, oder solche, die mit der Massenabfertigung und der unzureichenden Betreuung an den hoffnungslos überfüllten Universitäten nicht zurechtkommen?

Es gibt bei den neuen Studiengängen auch den Fall, dass Pflichtveranstaltungen, die man absolvieren muss, gar nicht oder nicht zeitgerecht angeboten werden. Das alles können wir doch nicht wollen. Damit schrecken wir doch die Nichtakademikerkinder erst recht vom Studium ab. Aber woher anders als aus diesen Schichten unseres Volkes soll denn das Mehr an Studienanfängern kommen, das wir wollen? Wir wollen das ja, darüber gibt es doch Einigkeit. Aber mit solchen Maßnahmen verschärfen wir überdies noch den Standortnachteil der Universitäten in Sachsen.

Ich meine, die Finanzierung der Universitäten und der Studienbedingungen müssen wir anders verbessern als auf dem Weg, die Studierenden zur Kasse zu bitten. Mindestens – meine ich – wäre es angebracht, eine sorgfältige empirische Untersuchung über die Langzeitstudierenden zu erheben. Auch hier mag es regionale Unterschiede geben. In Sachsen ist das vielleicht anders als in BadenWürttemberg. Erst dann kann man eine Entscheidung treffen, die Hand und Fuß hat.

Das ist die Position unserer Fraktion.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Als nächster Redner kommt Herr Mann von der SPDFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Ich will es vorausschicken und es wird Sie kaum überraschen: Die SPD-Fraktion unterstützt den von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Antrag.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Die sächsische SPD steht für die 2009 im Hochschulgesetz durchgesetzte Gebührenfreiheit des Erststudiums und wird weiter dafür streiten. Auch Ministerpräsident Tillich sagte im April noch: „Mit mir wird es keine Studiengebühren geben.“ Ganz zu schweigen von erfrischend klaren Aussagen im sächsischen Wahlprogramm der Union gegen Studiengebühren. Weil Herr Mackenroth darauf drängte, dass wir konkret am Text bleiben, will ich es noch einmal zitieren: „Das Sächsische Hochschulgesetz garantiert die Gebührenfreiheit für das Studium bis zum Master. Das soll auch so bleiben.“ Herr Mackenroth, wir werden Sie hier und mit diesem Text beim Wort nehmen.

Offensichtlich ist nämlich dieses Bekenntnis gegen Studiengebühren der CDU am Wahlabend verloren gegangen. Nur so kann ich mir erklären, wie in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb verschämte wie widersprüchliche Aussagen kommen. Die Sätze wurden zwar schon genannt. Aber ich will sie in ihrer Widersprüchlichkeit noch einmal illustrieren. Da steht: „Sachsen wird keine gesetzlichen Studiengebühren festschreiben. Bei deutlicher Überschreitung der Regelstudienzeit sollen Gebühren erhoben werden.“ Das muss man erst einmal auf sich wirken lassen. Eng am Text würde das jetzt zwei Erklärungen bieten. Entweder sind für Sie Langzeitstudiengebühren keine Studiengebühren oder aber Sie wollen ungesetzliche Gebühren in Sachsen. Können Sie mir das bitte erklären? Ich versuche es einmal zu übersetzen und nichts anderes hatten die Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN versucht: Sie wollen ein Langzeitstudiengebührenmodell wie in NRW und diese Studiengebühren sollen am besten die Hochschulen für Sie durchsetzen. Das sind genau die Studiengebühren, die nachweislich diejenigen bestrafen, die ohnehin während ihres Studiums schon für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen, die die bestrafen und belasten, die Kinder erziehen und studieren oder aber sich ehrenamtlich engagieren.

Neben diesen sozialpolitischen Gründen gegen Studiengebühren möchte ich noch einen anderen Aspekt ansprechen.

Erst in dieser Woche haben die vier großen sächsischen Universitäten alle hier vertretenen Abgeordneten angeschrieben und darauf hingewiesen, dass ihre finanzielle Ausstattung pro Studierenden unterdurchschnittlich ist und teilweise 50 % unter den Mittelzuweisungen vergleichbarer Universitäten liegt. Das hat zur Folge, dass die Arbeits- und Betreuungsbedingungen in der Lehre an

der Belastungsgrenze angekommen sind. Angesichts dieser Situation und angesichts des Chaos, das an vielen Fakultäten nach der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen noch herrscht, wäre es vollkommen widersinnig, ausgerechnet die Studierenden die Rechnung für diese ungenügenden Verhältnisse zahlen zu lassen.

Langzeitstudiengebühren würden im Gegenteil ungenügende Lehrbedingungen noch subventionieren. Sie geben den Hochschulen dafür Geld, dass ihre Studierenden das Studium nicht in der Regelstudienzeit absolvieren. Ich hoffe, hierin sind wir uns einig. Genau diese Steuerungswirkung können Sie ja nun wirklich nicht wollen.

Nein, ich glaube, die sächsischen Hochschulen brauchen Planungssicherheit und eine ausreichende Personalausstattung. Zur Entwicklungsplanung aber schweigt sich der schwarz-gelbe Koalitionsvertrag aus. In der Regierungserklärung heute war allein von Personalkürzungen die Rede. Schwarz-Gelb zieht sich damit aus der Verantwortung für die sächsische Hochschullandschaft zurück.

Herr Mackenroth, Sie stellen – und das ist sicher kein Betriebsunfall – zur Disposition, wenn Sie die Finanzierung dieser 6 600 Euro durch Steuern hinterfragen, dass Bildung staatlich finanziert sein soll. Sie wollen die Kosten für Bildung privatisieren.

Wir sagen: Mit uns ist das nicht zu machen! Bildung ist eine Aufgabe des Staates. Er muss für die ausreichende Finanzierung der Hochschulen sorgen und damit implizit eben auch Studiengebührenfreiheit als Standortvorteil sichern und somit zur Erhaltung von Lebenschancen in Sachsen beitragen.

Aus dieser Verantwortung entlässt die Regierungskoalition eben auch nicht der Versuch, mit solchen Formulierungen die Einführung von Studiengebühren auf die Hochschulen abzuwälzen; denn wir haben in Sachsen ein geltendes Hochschulgesetz, das die Erhebung von Studiengebühren für das Erststudium wirkungsvoll unterbindet. Sie werden also dieses Hochschulgesetz ändern müssen, um Langzeitstudiengebühren einzuführen. Dies wäre eben nicht nur – wie es der Antrag im Titel nahelegt – eine bloße Hintertür, die hier geöffnet würde, sondern Ihre bewusste Entscheidung für Studiengebühren und damit ein ganz klarer Wahlbetrug der CDU am sächsischen Wähler.

Lassen Sie mich deshalb kurz zusammenfassen. Studiengebühren sind nicht nur sozial-, bildungs- und wirtschaftspolitisch falsch, sie entwickeln auch die falsche Steuerungswirkung. Dem vorliegenden Antrag werden wir deshalb zustimmen und fordern insbesondere die Damen und Herren der CDU-Fraktion auf, dem zu folgen.

(Christian Piwarz, CDU: Wir haben das schon im Koalitionsvertrag!)

Bekennen Sie Farbe. Schließen Sie den Sender Eriwan auf der anderen Elbseite. Entweder Sie stehen zur Studiengebührenfreiheit des Erststudiums oder Sie werden hier zur Studiengebührenkoalition. Tun Sie sich und dem Land einen Gefallen: Beerdigen Sie dieses Gebührenmo

dell. Das können Sie schnell und schmerzlos. Stimmen Sie diesem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Als nächster Redner ist Nico Tippelt von der FDP-Fraktion gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Dass es in Sachsen keine generell gesetzlich vorgeschriebenen Studiengebühren geben wird, war und ist Konsens zwischen CDU und FDP.