Protocol of the Session on November 11, 2009

Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen hat diese Befürchtungen leider bestätigt, schlimmer noch: Es hat sie übertroffen. Schwarz-Gelb hat ganz tief in die hochschulpolitische Mottenkiste gegriffen und mit den angekündigten Gebühren für Langzeitstudierende ein verstaubtes Instrument studentischer Disziplinierung aus der Versenkung geholt.

Nun kann man dazu stehen, wie man will, eines ist eindeutig: Ministerpräsident Tillich hat damals klipp und klar die Gebührenfreiheit bis zum Master nach dem geltenden Hochschulgesetz versprochen. Dieses Versprechen hat er gebrochen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion)

Welche Auswirkungen hat nun dieses gebrochene Versprechen auf die sächsischen Hochschulen? Schauen wir uns einmal um, wie es in anderen Bundesländern läuft. In vier Ländern sind die Gebühren für Langzeitstudierende längst allgemeinen Studiengebühren gewichen. Sie waren sozusagen die Einstiegsdroge.

Hessen hat die Langzeitstudiengebühren wie die allgemeinen abgeschafft. Gerade einmal vier Bundesländer, darunter Sachsen-Anhalt und Thüringen, erheben Gebühren für Langzeitstudierende von 500 bis 800 Euro pro Semester. Anstatt in dieser Situation umfangreiche Studiengebührenfreiheit ohne Wenn und Aber aufrecht zu erhalten, rauben CDU und FDP den sächsischen Hoch

schulen einen Vorteil gegenüber benachbarten Konkurrenten um auswärtige Studierende.

Die sieben strafgebührenfreien Länder – das sind Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, aber auch Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und SchleswigHolstein – werden sich freuen.

Nun werden Sie vielleicht sagen, wir wollen um auswärtige Studierende werben und nicht um Langzeitstudenten. Aber diese Haltung ist sehr kurzsichtig. Ihr liegt letztendlich eine bornierte Annahme zugrunde, die ein durchaus ehrenwertes Dresdner FDP-Mitglied mir gegenüber mit den entschuldigenden Worten zum Ausdruck brachte: Aber Herr Gerstenberg, es geht doch nur um die paar Bummelstudenten.

Mit Langzeitstudiengebühren wird das Bild verbunden, nur so könne man den bis tief in die Nacht hinein in Kneipen abhängenden und bis zum Mittag ausschlafenden Langzeitstudis mal endlich Beine machen.

Dieses durchaus verbreitete Klischee geht allerdings an der Realität vorbei. Die heutigen Langzeitstudierenden sind keineswegs notorische Faulpelze, sondern sie sind die Leidtragenden der unsozialen Studienbedingungen.

(Zuruf des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Es sind die studentischen Eltern, ja, Herr Justizminister, die ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit schaffen, weil sächsische Hochschulen so gut wie keine Teilzeitstudiengänge anbieten und weil Krippenplätze rar sind. Es sind durchaus die leistungsorientierten Studierenden, die Praktika und Auslandsaufenthalte absolvieren und deren Bachelorstudienordnung das einfach nicht vorsieht. Es sind Studierende, die in der hochschulischen Selbstverwaltung engagiert sind, deren Tätigkeit aber unzureichend mit Gremiensemestern abgegolten wird. Und es sind die Langzeitstudierenden, die in Kneipen zu finden sind, aber nicht vor, sondern hinter dem Tresen, weil sie ohne BAföG-Anspruch bis tief in die Nacht arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Diese Studierenden bestrafen Sie, meine Damen und Herren von FDP und CDU, mit Langzeitstudiengebühren für etwas, für das sie nichts können, nämlich schlechte Studienbedingungen.

Es sind nicht die Studierenden, die dafür die Verantwortung tragen, es ist die regierende Politik.

(Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Die genannten Beispiele sind keine Ausnahmen. Aus dem Sächsischen Hochschulbericht 2008 geht hervor: Die sogenannte Regelstudienzeit ist nicht die Regel, sondern für die Mehrheit der Studierenden nicht ausreichend. Ob diese Strafgebühr daran etwas ändert und die Studierenden zu einem schnelleren Studium anhält, ist fraglich.

Die Studiendauer sächsischer Studenten lag über alle Abschlüsse hinweg in den vergangenen Jahren mit durchschnittlich zehn Fachsemestern deutlich unter den Werten anderer Bundesländer, die Langzeitstudiengebühren hatten. Lässt Sie das nicht stutzig werden? Vergessen Sie

bitte nicht: Schon jetzt können Studierende exmatrikuliert werden, wenn sie das Studium nicht rechtzeitig schaffen.

Unklar ist, was die Hochschulen finanziell von dieser Gebühr haben. Der Verwaltungsaufwand, der mit diesen Gebühren auf die Hochschulen zukommt, ist völlig ungeklärt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Großteil der einkommenden Gebühren lediglich die Kosten ihrer Erhebung finanzieren wird. Bürokratieabbau sieht anders aus, liebe FDP.

(Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Alles in allem sind diese Gebührenpläne nichts anderes als ein populistischer Schnellschuss, der die Studierenden trifft. Er ist kurzsichtig, weil er Studierende bestraft, die wir als Absolventen und künftige Fachkräfte dringend brauchen. Erst wenn die neu geschaffenen Studiengänge tatsächlich studierbar sind, wenn keine Nebenjobs mehr notwendig sind und ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung stehen, ist das Studium in der Regelstudienzeit für die Mehrheit der Studierenden realistisch.

Nicht eine Strafgebühr steht deshalb auf der Tagesordnung, sondern eine Verbesserung der Studienbedingungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! So eindeutig wie die eben beschriebenen Pläne sind, so undurchsichtig ist der Koalitionsvertrag bei der Einführung allgemeiner Studiengebühren. Die Formulierung „Sachsen wird keine gesetzlichen Studiengebühren festschreiben“ scheint auf den ersten Blick durchaus eindeutig. Auf den zweiten Blick kommen jedoch massive Zweifel.

Warum wird nicht die Gebührenfreiheit laut Hochschulgesetz mit Ausnahme der Langzeitstudierenden festgeschrieben? Ist das nur ein Formelkompromiss zwischen FDP und CDU oder steckt Absicht dahinter? Sollen die Hochschulen die Möglichkeit erhalten, wie im FDPWahlprogramm so zynisch formuliert, ihre Studierenden an den Kosten der Ausbildung zu beteiligen?

Kurz gesagt stellt sich die Frage: Wollen CDU und FDP Studiengebühren durch die Hintertür einführen? Wie das geht, zeigen beide Partner bereits seit Jahren in Nordrhein-Westfalen.

Im Rahmen des sogenannten Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetzes – dieses Wortungetüm ist schon abschreckend genug – hat dort jede Hochschule das Recht erhalten, Studiengebühren zu erheben, ohne dass sie gesetzlich dazu gezwungen wäre. Unter dem Druck chronischer Unterfinanzierung haben inzwischen fast alle Hochschulen Studiengebühren eingeführt. Welche Wahl diese Hochschulen wirklich hatten, das sei dahingestellt.

Tatsache ist aber, dass die Entscheidungen der durch die Professoren dominierten Senate oft nur mit einer Stimme Mehrheit getroffen wurden, teilweise in Geheimsitzungen, um den Protesten der Studierenden zu entgehen. Plant Schwarz-Gelb das nun auch für Sachsen?

Vielleicht haben wir unter Haushaltsdruck künftig an der TU Dresden oder in Freiberg Studiengebühren, weil die Bewerberzahlen zu hoch sind. Vielleicht bleiben ZittauGörlitz und Mittweida verschont, weil sie um jeden Studierenden kämpfen müssen.

Das ist eine abschreckende Vorstellung und ich würde mich freuen, wenn eine Mehrheit dieses Landes sie für absurd hält.

Es zeugt zudem von ausgesprochener politischer Feigheit, wenn den Hochschulen die Entscheidungsverantwortung zugeschoben wird und die Koalition sich die Hände in Unschuld wäscht.

(Beifall bei den GRÜNEN – Thomas Jurk, SPD: Richtig!)

Deshalb wollen wir, deshalb will unsere Fraktion diese Frage hier und heute geklärt haben. Die Argumente gegen allgemeine Studiengebühren sind längst bekannt. Ich will sie hier nicht wiederholen.

Herr Ministerpräsident Tillich, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, Frau Staatsministerin von Schorlemer, bekennen Sie sich zum Wahlversprechen und schließen Sie klipp und klar die Einführung von Studiengebühren aus!

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Als nächster Redner spricht Herr Mackenroth, CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir uns unseren Koalitionsvertrag anschauen, dann steht dort kurz gefasst drin: Hochschulpolitik ist Zukunftspolitik. Wir wissen das. Die Hochschulen in Sachsen sind leistungsstark und modern. Wir wissen das. So soll es auch in Zukunft bleiben. Diese Koalition wird alles in ihrer Macht Stehende dafür tun, dass sich diese Prophezeiung erfüllt. Wir wollen attraktive Lehr- und Forschungsmöglichkeiten für Studenten und Wissenschaftler.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Danke. – Aber natürlich müssen wir die Hochschullandschaft im Freistaat weiterentwickeln. Das wollen wir auch tun. Wir werden dafür sorgen, dass sich unsere Hochschulen weiter profilieren können. Wir wollen die Fakultäten stärken, Institute und Forschungsschwerpunkte mit nationalem und internationalem Renommee schaffen respektive erhalten; und wir sichern ein inhaltlich abgestimmtes Gesamtangebot im Freistaat Sachsen. Das bedeutet allerdings auch, dass wir hinterfragen müssen, ob künftig wirklich an verschiedenen Standorten dasselbe Fach studiert werden kann.

In diesem Kontext und vor dem Hintergrund sinkender Studierendenzahlen und Einnahmen diskutieren wir heute also das Reizthema Studiengebühren erneut. Zu dem Antrag der GRÜNEN weiß ich eigentlich gar nicht so

richtig, was ich sagen soll. Jedenfalls vermag ich kein gebrochenes Versprechen – auch nicht in Annäherung – irgendwo am Horizont zu erkennen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wenn Ihnen, Herr Gerstenberg, wie Sie sagen, der Glaube fehlt, dann kann ich nur sagen: Schauen Sie einmal in die Koalitionsvereinbarung, schauen Sie in das CDURegierungsprogramm. Ihren Antrag verstehe ich ein wenig als die Frage: Meint ihr das eigentlich wirklich ernst? – Ich kann Ihnen sagen: Wir meinen das ernst. Diese Koalition meint, was sie sagt, und sie sagt, was sie meint; und so wird das auch in Sachen Hochschulen bleiben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Lichdi, wenn Sie wollen, stellen Sie eine Zwischenfrage. Ich würde Ihnen bei der Frage, ob ich sie zulasse, sagen: Hören Sie erst einmal zu. Wenn ich fertig bin, haben Sie keine Fragen mehr.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Johannes Lichdi, GRÜNE: Bis jetzt habe ich noch nichts gehört!)

Jetzt bin ich nämlich freier Abgeordneter und nicht mehr Minister. Ich kann mal richtig vom Leder ziehen und sagen, was ich denke, und das will ich auch gern tun.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Was denn?)

In Sachsen, meine Damen und Herren, soll jeder, der den Wunsch und die Fähigkeit dazu hat, studieren können, unabhängig vom Geldbeutel. Das haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, und Sie können – noch einmal – davon ausgehen, dass wir sagen, was wir meinen, und dass wir meinen, was wir sagen. Wir haben uns klar und unmissverständlich für ein gebührenfreies Studium ausgesprochen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Von daher habe ich kein Verständnis für die Unterstellung der Opposition, wir wollten Studiengebühren „durch die Hintertür“ einführen.

(Christian Piwarz, CDU: Das war abwegig!)