Aber im europäischen Vergleich sind wir derzeit in der Wirtschaftskraft zwischen Slowenien und Tschechien einzuordnen, also zwischen Platz 16 und 17 im EUVergleich. Fragt sich also, ob wir den Sprung in die nächste Klasse schaffen oder ob sie uns eher zurücklassen werden.
Ebenso wenig, wie sich Arbeitsplätze herbeibeschließen lassen – da haben Sie vollkommen recht, Herr Staatsminister –, lässt sich ein erfolgreicher Aufschwung, lässt sich eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung herbeilächeln oder herbeifreuen. Dazu ist knallharte Arbeit erforderlich. Auch wir freuen uns über Ansiedlungen von Großunternehmen in Sachsen, über ihre Investitionen. Realistisch betrachtet, bleibt aber festzustellen, dass diese Unternehmen ob ihrer schieren Größe Entscheidungen aus eigener Kraft treffen und im Wesentlichen auch aus eigener Kraft investieren.
Die Ansiedlungsprozesse waren also richtig. Mit denen hatten Sie allerdings nichts zu tun. Interessant wäre einmal zu wissen, wie viele der tatsächlichen großen Entscheidungsträger in diesen global aufgestellten Konzernen den Wirtschaftsminister kennen oder ihn namentlich benennen können.
An dieser Stelle, Herr Staatsminister, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss man die Gesamtschau auf Ihre Fachregierungserklärung eröffnen. Wir unterscheiden uns an einem ganz wesentlichen Punkt der sozioökonomischen Betrachtung: an der Bedeutung des Menschen. Für Sie handelt es sich dabei im Wesentlichen um Humankapital, um Verwertungsmaterial zum Zwecke des Wirtschaftens, um besser und schlechter verwertbare Arbeitnehmer. Da kommt Ihnen dann auch in den Sinn, dass der schlechter gebildete Jugendliche, der bisher ohne Chancen war, nun in Zeiten des heraufziehenden Fachkräftemangels auch eine Chance verdient, aber eben erst jetzt. Hierin, Herr Morlok, besteht der fundamentale Unterschied.
Es geht um den Wohlstand der Menschen in diesem Land, um ihre Lebensqualität, um ihr Glück, um ihre Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, um ihre
Selbstverwirklichung. Für uns ist Wirtschaften eben kein Selbstzweck und auch nicht alleiniges Ziel politischen und gesellschaftlichen Handelns. Betrachten wir also vor diesem Hintergrund die Dimension des Arbeitsmarktes bzw. das Fachkräfteproblem.
Hier sind mindestens zwei Bereiche dringend auseinanderzuhalten: einmal, wie gesagt, das Fachkräfteproblem und zum anderen die allgemeine Arbeitsmarktpolitik, für die sich der Staatsminister de facto nicht für zuständig hält. Da sind die Kammern, also die Wirtschaft, viel weiter. Am 10. Januar haben sie ihren Fachkräftemonitor, den Fachkräftebedarf der sächsischen Wirtschaft, vorgestellt. Darin formulieren sie den Bedarf und klare Schlussfolgerungen und Empfehlungen sehr sachlich und vor allem sehr konkret. Nur Ihr indischer Topabsolvent, sehr geehrter Herr Staatsminister, ist den Kollegen der Kammern noch nicht zu Gesicht gekommen. Bitte, nehmen Sie diese Hinweise aus der sächsischen Wirtschaft zur Kenntnis und berücksichtigen Sie diese in Ihrer Arbeit!
Zum Arbeitsmarkt hat der Minister kaum eine belastbare Datenbasis hinsichtlich des Umfangs und der Qualität der Arbeitslosigkeit im Land. Es hat sich im Ausschuss auch der Eindruck verfestigt, dass es ihn nicht wirklich interessiert. Wie sonst kann es sein, dass der Minister sich selbst als unfähig erweist, die aktuellen Zahlen für den Rechtskreis SGB II in Erfahrung zu bringen?
Vor wenigen Tagen hat die BA diese Zahl bei ARGE und Optionskommunen mit 172 640 beziffert. Für diese gewaltige Zahl von Arbeitslosen hat der Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr keinerlei Angebot. Der Herr Minister blendet in unnachahmlicher Art ein entscheidendes Datum aus: den 1. Mai 2011. An diesem Tag gehen die Grenzen der Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU auf, unwiderruflich. Bereits vor knapp einem Jahr hat meine Fraktion hierzu mit einem Antrag versucht, den Herrn Minister darauf einzustimmen und ihm seine Ansätze zum Umgang mit dieser Zäsur zu entlocken. Ja, so leicht ist der Minister nicht aus der Reserve zu locken! Bis zum heutigen Tage gibt es keine wirkliche Strategie dazu.
Auch unsere Forderung – die die Opposition durchaus eint –, durch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes dem Phänomen des Lohndumpings zu begegnen, verhallt ungehört, obwohl dies mittlerweile selbst Arbeitgeberverbände einfordern. Auch hierbei sollten zuerst die gemeinsamen Interessen der Arbeitnehmer, egal, woher sie kommen, im Vordergrund stehen, denn sie haben für gleiche Arbeit eben auch gleiche Bezahlung und existenzsichernde Bezahlung verdient.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fehlwahrnehmung realer Herausforderungen und eine gewisse, sagen wir, geografische Orientierungslosigkeit scheinen die Topqualitäten des Ministers zu sein. Es wäre besser gewesen, statt zweimal nach Russland zu reisen und
einmal in die USA, sich zehnmal nach Polen, Tschechien, Slowenien oder in andere EU-Osteuropaländer zu begeben und sich auf den 1. Mai 2011 vorzubereiten; denn anstatt den herannahenden indischen Topabsolventen herbeizufabulieren, hätte sich der Minister den tatsächlichen Herausforderungen stellen können und müssen.
Um eines klarzustellen: Selbstverständlich sind indische, polnische, russische, malaysische Fachkräfte und Topabsolventen herzlich willkommen. Allein, mir fehlt der Glaube, dass sie kommen werden, denn Topleute kommen und bleiben nur bei uns, wenn sie Topbedingungen vorfinden. Das fängt bei der Bezahlung an, geht über die politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Akzeptanz bis hin zu Fragen der kulturellen Teilhabe und Toleranz der öffentlichen und sozialen Infrastruktur. Genau an dieser Stelle ist der facherklärende Staatsminister eher eine Gefährdung als ein Garant für entsprechende Fortschritte.
Der Minister weist ausdrücklich darauf hin, dass Sachsen die Ingenieurschmiede Deutschlands ist. Das hat zwei Ursachen: erstens eine gute Ingenieurausbildung und zweitens die relativ mittelprächtigen Aussichten der Fachkräfte in Sachsen.
In dieser Gesamtschau der Arbeitsmarktentwicklung liegt einerseits auch die zweite Perspektive sächsischer Wirtschaftsentwicklung, denn der Pfad des Lohnkostenvorteils, also der Niedriglohnarbeit, entpuppt sich zunehmend nicht mehr als Standortvorteil, sondern als handfester Standortnachteil, und der im Zusammenhang denkende Befähigte würde auch erkennen, dass es einen eben nicht monokausalen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und der Entwicklung des verfügbaren Einkommens gibt. Wenn wir tatsächlich zu den Besten gehören wollen, brauchen wir ein Niveau des verfügbaren Einkommens, das annähernd an das Niveau in Baden-Württemberg oder Hamburg heranreicht. In Sachsen lag dieses 2008 bei 15 708 Euro, in BadenWürttemberg bei 20 748 Euro und in Hamburg bei 23 455 Euro.
Sehr geehrter Herr Minister! Stellen Sie sich doch einmal vor, Sie wären ein indischer Topabsolvent und wollten in Sachsen Ihr Glück finden. Da gibt es einen Minister, der Sie auch will, der nur nicht weiß und sagt, wie er Sie herlocken kann. Sie, Herr Minister, sind im Fragenstellen schon ganz gut, nur zeigen Sie auch hier wie in allen anderen Bereichen keinerlei Lösungsansatz auf.
Ihr einziger arbeitsmarktpolitischer Ansatz ist der Wettbewerb der Bildungsträger. Mehr haben Sie nicht zu bieten. Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir werden als Parlament einen zweiten Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr benennen, mit dem Sie dann um die besten Konzepte wetteifern müssen.
Am Ende entscheiden die Bürgerinnen und Bürger per Telefon-TED, wer von beiden Ministern bleiben darf. Vielleicht würde das Ihren Arbeitseifer und Ihre Kreativität endlich beflügeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Spaß beiseite – die Realität ist ernst genug. Es gibt in Ihrer Fachregierungserklärung ja auch Lichtblicke – wenn auch nur mit der Strahlkraft eines Glühwürmchens. Sie stellen fest, dass es nach 20 Jahren Aufbauarbeit gilt, den Übergang in eine neue Zeit zu schaffen. Obacht: Wir nähern uns der eigentlich wichtigen Materie. Sie haben offensichtlich wohl erkannt, dass die Zeit der neuen und Großansiedlungen vorbei ist und es nun darauf ankommt, den Komplex aus Wirtschaftsförderung, Ausbau der FuE-Kapazitäten sowie des Wissens- und Technologietransfers zu stärken. So weit, so gut.
Allerdings müssen wir doch nach 15 Monaten Amtsführung vom Minister aus der Staatsmodernisiererpartei der selbst ernannten Kreativlinge im Parlament erwarten dürfen, dass er endlich über den Status der Ankündigung hinauskommt. Vier Wochen nach der Haushaltsrede des Ministers liegt noch keine neue Mittelstandsrichtlinie vor, kein sächsisches Förderprofil, anhand dessen wir hätten beurteilen können, inwieweit die wohlfeilen Ankündigungen und Allgemeinplätze einerseits Niederschlag finden und andererseits den tatsächlichen Erfordernissen und beabsichtigten Prozessoptimierungen entsprechen. Wir hätten dazu gern die Kammern und Verbände gehört. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir leider nichts beurteilen.
Fakt aber ist, dass sich der Landtag eine EnqueteKommission gegeben und diese auch interdisziplinär aufgestellt hat. Offenbar läuft sich heute der Minister für seinen Auftritt am kommenden Freitag in der EnqueteKommission warm; wir erwarten allerdings, dass er zumindest dort darlegt, was er unter einer Innovationsoffensive versteht und wie er diese umsetzen will.
Es wäre erforderlich – das hätte dann auch eine Fachregierungserklärung gerechtfertigt – zu erläutern, wie sich Minister Morlok eine Verschränkung mit dem zuständigen Ministerium der Frau von Schorlemer im Sinne von Arbeits- und vor allem Förderzusammenhängen vorstellt. Den Technologiebericht hat sie bereits vorgelegt.
In der Stellungnahme des Staatsministeriums zum Antrag der CDU und der FDP vom 28. Oktober letzten Jahres wird auf einen Zwischenbericht vom 10. Mai zu den Schwerpunkten der wachstums- und stärker unternehmensorientierten Neuausrichtung der Wirtschaftsförderung im Freistaat verwiesen. Bis heute aber hat dies keine Konsequenzen in Richtlinien gefunden. Dann hätten wir gewusst, was bis 2014 in diesem Bereich passieren wird und wie wir uns auf 2014 – also die Änderung der europäischen Förderkulisse – vorbereiten werden. Aber auch hier gibt es vom Minister nichts Konkretes.
Das aber ist ja logisch; denn außer der Feststellung, dass wir den Übergang in eine neue Zeit schaffen müssen, hüllt er sich auch in Schweigen darüber, was diese neue Zeit prägen wird. Weiß er es nicht oder wird sie gar so schlimm, dass er es uns gar nicht zu sagen traut?
Der bereits zitierte Rolf Reißig formuliert dazu: „Es geht um Wege zu einem neuen Entwicklungsmodell und -pfad, um Wege in eine soziale, solidarische und ökologische Moderne.“ Gemeinhin wird dies als sozialökologischer Umbau zusammengefasst.
Dem Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr muss doch spätestens an dieser Stelle der Motor anspringen. Aber wiederum Fehlanzeige. Er ordnet Sachsen weder in globale europäische noch in sozialökologische Zusammenhänge ein. Das für Sachsen immer noch gültige Energieprogramm aus dem Jahr 2004 wird weder den damals noch heute geltenden internationalen EU-weiten oder noch bundesdeutschen Beschlusslagen und Herausforderungen gerecht. Der Versuch des sächsischen SPDWirtschaftsministers in 2007, ein neues Energieprogramm zu beschließen, ist am Veto des damaligen Ministerpräsidenten der CDU gescheitert.
Das im Koalitionsvertrag 2009 zwischen CDU und FDP vereinbarte Vorhaben, ein neues Energieprogramm für Sachsen vorzulegen, harrt seiner Realisierung. Um Konfliktstoff zu vermeiden, hat man sich nun darauf verständigt, lediglich den „Aktionsplan Klima und Energie“ fortzuschreiben. In der Zwischenzeit ist in einem bundesweiten Ranking nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Sonnenergie und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg hinsichtlich 55 untersuchter Indikatoren in Bezug auf Anstrengungen bzw. bei der Nutzung erneuerbarer Energien zwischen 2008 und 2010 festgestellt worden, dass Sachsen von allen Bundesländern am stärksten abgestiegen ist, nämlich von Platz 6 auf Platz 11. Das ist Nachhaltigkeit à la FDP.
Als Lektüre empfehle ich dagegen die Energiestrategie 2020 für Sachsen „Eckpunkte für ein zukunftsfähiges Energieprogramm“ der LINKEN – vorgelegt auf einem Parteitag.
Der sich bereits vollziehende Transformationsprozess in der Energiewirtschaft als Umbau des Energiesystems macht um Sachsen keinen Bogen. Ob sich Sachsen zukünftig wieder in der Spitzengruppe einordnen oder gar zum Schlusslicht aller Bundesländer mutieren wird, hängt von einer zukunftsfähigen Energiewirtschaftspolitik ab, die bei der jetzigen Regierung mit einem FDP-Wirtschaftsminister nicht zu erkennen ist.
Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon interessant, dass Herr Morlok, der stets betont hat, dass Sachsen kein Rohstoffland ist, nun zu einer anderen Erkenntnis kommt. Gut so, Herr Minister, es besteht Hoffnung. Allerdings sollten Sie nun auch noch das entsprechende Konzept spätestens Mitte des Jahres vorlegen – wir harren dieses Konzepts. Vielleicht schauen Sie einmal in das bereits erarbeitete Konzept des Innovationsbeirates aus dem Jahr 2009 – Lesen bildet.
Sehr geehrte Damen und Herren! Zum Verkehr, zu den Straßen kommen wir gleich noch einmal in der Aktuellen Debatte und auch morgen. Fakt ist: Sie, Herr Staatsminister, wollen einen Paradigmenwechsel: Auf zum Autoland! Das aber werden wir Ihnen mit Sicherheit nicht durchgehen lassen.
Man könnte zusammenfassen: nichts Neues, nichts Konkretes, nichts Substanzielles – gezeichnet: Morlok.
Dazu hätte es keiner Fachregierungserklärung bedurft. Beim Neujahrsempfang der IHK in Leipzig wurde dem Minister eine Warnweste für Flugbodenpersonal überreicht – und siehe da: Sie hat gepasst.
Lassen Sie sich eines sagen, Herr Minister: Flugschüler, Segelflugschüler lernen sehr schnell einen Grundsatz kennen: Wenn man beim Fliegen die Orientierung verliert, sofort runter und landen!
Herr Minister, ehrlich gesagt, es gibt zwei Möglichkeiten: entweder runter und landen oder den Abflug machen!