Protocol of the Session on November 4, 2010

Es besteht auch für diejenigen eine Verpflichtung, die für eine Weile auf Zeit geborgte Macht bekommen, indem sie zum Beispiel Mehrheiten erhalten. Es besteht auch eine

Verpflichtung für diese, darauf zu achten, dass sie den Kontakt zur Mehrheit, und zwar zur großen Mehrheit der Bevölkerung, nicht verlieren. Das muss man immer wieder einmal auch im Verlauf einer Legislaturperiode überprüfen.

Natürlich kann es in jeder Partei Probleme gegeben haben, wenn es um Einzelfragen gehen muss wie bei Bürgerentscheiden und anderen Fragen. Aber wir haben offiziell und fair erklärt – das Dresdner Beispiel ist eben in dieser Frage nicht mit dem Stuttgarter zu vergleichen –, dass wir den Bürgerentscheid akzeptieren. In Stuttgart wird der Bürgerentscheid verweigert. Das halte ich schon für ein Problem. Sie können nicht mit zweierlei Maß messen, indem Sie dann sagen, da ist der Bürgerentscheid aber nicht nötig.

Ich glaube, dass es in diesen Zeiten in der Demokratie, Herr Kollege Biesok, vielmehr darauf ankommt, eine höhere Beweglichkeit als früher zu entwickeln. Was für die Wirtschaft gilt, gilt auch für die Politik. Das 21. Jahrhundert ist deutlich komplexer als das 20.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Ich möchte gern darauf erwidern.

Ich wundere mich immer, woher die GRÜNEN wissen, was das Volk oder der Bürger denkt und was die Mehrheitsmeinung ist. Es ist eine Gruppe, die dort demonstriert, und keiner von uns hat eine empirische Erkenntnis darüber, ob das die Mehrheit ist; und es gibt auch keine Erkenntnisse darüber, ob sich Meinungsbildungen jetzt anders manifest gemacht haben.

Es gibt zum Beispiel auch Meinungsumfragen, um wieder auf das Beispiel Waldschlößchenbrücke zu kommen, aus denen hervorgeht, dass es in Dresden immer die Mehrheit war, die diese Brücke haben wollte. Es gab nie eine Phase, auch nicht in der Diskussion über die Aberkennung des Weltkulturerbetitels, in der sich die Mehrheit gegen diese Brücke ausgesprochen hat. Gleichwohl hat eine Partei immer gegen diese Brücke gehalten, und das waren die GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich frage jetzt noch einmal die Fraktionen, ob noch jemand einen Redewunsch hat. – Herr Piwarz, bitte.

Frau Präsidentin, ganz kurz vom Saalmikrofon noch zwei Erwiderungen, auch im Anschluss an das, was Herr Kollege Biesok gesagt hat.

Es ist schwierig herauszufinden, wie die Mehrheitslagen in der Bevölkerung tatsächlich sind. Nicht der, der am lautesten schreit, hat immer recht, sondern entscheidend ist die Mehrheit.

(Zuruf von den LINKEN: Mehrheiten haben nichts zu sagen! – Weitere Zurufe)

Nun könnte man sagen, es seien so und so viele Zehntausend Menschen auf den Straßen gewesen. Umgekehrt sind

bei Facebook – das ist ja ein Medium, das Sie sonst gern nutzen – über 60 000 Mitglieder in der Gruppe eingeschrieben, die sich für „Stuttgart 21“ einsetzt. Wo ist da die Mehrheit, wo ist da die Minderheit? Das ist schwer zu erkennen.

Frau Hermenau hat darauf hingewiesen, dass man in Stuttgart angeblich diesen Volksentscheid verweigert hat. Ich will darauf hinweisen, dass der Bürgerentscheid in Dresden nicht etwa vom Stadtrat mit damals rot-grüner Mehrheit beschlossen wurde, sondern dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit einer Unterschriftenaktion diesen Bürgerentscheid erkämpfen mussten. Das gehört auch zur Wahrheit.

(Beifall bei der CDU)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Ich frage die Staatsregierung. –

(Dr. André Hahn, DIE LINKE: Vielleicht der Ministerpräsident, wäre doch auch nicht schlecht!)

Herr Minister Morlok, bitte.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben zum Schluss doch wieder die Waldschlößchenbrückendebatte geführt. Ich möchte aber zu Beginn noch einmal auf die Berichterstattung im „Focus“ eingehen, die eigentlich den Anlass für die Debatte geliefert hat, die wir heute führen.

Unter dem Titel „Die blockierte Republik“ fragte der „Focus“, ob es in Deutschland noch möglich ist, Großprojekte einer gewissen Größenordnung durchzuführen. Das war letztlich der Rahmen der Diskussion. In diesem Zusammenhang bin ich sehr froh, feststellen zu können, dass ganz offensichtlich im Freistaat Sachsen in der Bevölkerung die Bereitschaft besteht, große Infrastrukturprojekte, die für die wirtschaftliche Entwicklung im Freistaat Sachsen wichtig sind, mitzutragen. Ich weiß, dass gerade auch hier im Parlament bei großen Infrastrukturprojekten über die Grenzen der Fraktionen hinaus Einigkeit besteht, sie durchzuführen. Ich möchte in diesem Zusammenhang nur noch einmal an den einstimmigen Parlamentsbeschluss zum Thema Eisenbahnverbindung Dresden-Prag erinnern. Es zeichnet uns ja gerade aus, dass wir hier gemeinsam die Bereitschaft haben, wichtige Dinge im Interesse des Freistaates Sachsen umzusetzen.

Ich nehme unterschiedliche Verhaltensweisen in der Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern aus BadenWürttemberg, aus dem Raum Stuttgart – Sie wissen, ich komme von dort – und der Diskussion hier im Freistaat Sachsen wahr. Ich nehme das auch wahr, wenn ich mit meinen Länderkollegen in den Fachministerkonferenzen diese Themen bespreche. Ich meine schon, dass wir alle gemeinsam feststellen können, dass wir hier im Freistaat Sachsen eine höhere Veränderungsbereitschaft bei den Menschen haben als in anderen Teilen der Republik. Wir

können froh sein, dass diese Veränderungsbereitschaft vorhanden ist, denn es ist wichtig, sich in einer sich verändernden Welt auf neue Dinge einzustellen.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der CDU)

Da Sie, Frau Kollegin Hermenau, den Bundestagspräsidenten mit seiner bemerkenswerten Rede hier in Dresden zitiert haben, möchte ich das auch gern tun und die Passage herausgreifen, in der es um die Veränderungsbereitschaft ging, die auch der Ministerpräsident angesprochen hat. Ich zitiere: „Wenn alle Beteiligten feierlich versichern ‚Fürchtet euch nicht, es bleibt so, wie es ist!’, sind die allermeisten rundum zufrieden. Aber wehe, jemand droht mit Veränderung, schon gar solchen, die mindestens vorübergehend mit Belästigungen verbunden sein können.“

Genau das ist die Frage der Auseinandersetzung, die wir gemeinsam führen. Es geht darum, in welchem Maße wir bereit sind, Veränderungen zu akzeptieren und – das gehört natürlich dazu – wie wir im demokratischen System Prozesse organisieren, um zu rechtsstaatlichen Entscheidungen genau über diese Veränderungen zu kommen.

Hier, meine ich, gibt es tatsächlich eine Parallele vom Projekt „Stuttgart 21“ zur Waldschlößchenbrücke in Dresden. Man kann darüber diskutieren, ob ein Bürgerentscheid erforderlich ist oder nicht, ob er sinnvoll ist oder nicht. Wir hatten in beiden Projekten unterschiedliche Situationen. Was aber nach den Urteilen der Gerichte bei beiden Projekten dasselbe ist, ist die Tatsache, dass Baurecht besteht.

Ich stehe heute hier vor Ihnen als Vertreter der Exekutive. Es ist gerade die Aufgabe der Exekutive, das geltende Recht zu schützen. Das ist in vielen Fällen mit sehr viel Aufwand verbunden, Herr Kollege Ulbig. Der Schutz des Demonstrationsrechts ist gerade auch die Aufgabe der Exekutive. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch ein Baurecht, das in unserem Rechtsstaat erlangt wurde, ist durch die Exekutive zu schützen.

(Beifall bei der FDP)

Der Bundestagspräsident hat in seiner Rede auch die Frage gestellt, ob denn eine Demonstration nach einer rechtswirksam getroffenen Entscheidung noch erlaubt ist. Ich glaube, Frau Kollegin Hermenau, gehört zu haben, dass Sie spontan „Ja“ gesagt haben. Das ist völlig richtig. Natürlich sind diese Demonstrationen auch danach noch erlaubt. Aber – und das sollten die Demonstranten eben bedenken – das Verfahren zur Findung einer Entscheidung in der Demokratie ist zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen.

Natürlich kann man auch nach solchen Entscheidungen noch klüger werden. Deswegen ist es wichtig, dass auch in solchen Demonstrationen auf andere Meinungen, auf andere Argumente hingewiesen wird. Aber letztlich sind die Entscheidungen zunächst gefallen, und diejenigen, die danach noch eine Veränderung vornehmen wollen, müs

sen den Beweis antreten, dass Veränderungen eingetreten sind und zu neuen Antworten führen müssen.

Der Kollege Schiemann hat eine weitere Passage aus der Rede des Bundestagspräsidenten zitiert, sodass ich dieses Zitat nicht wiederholen möchte. Aber der Kern des Zitats war gerade, dass es dieser Rechtsstaat ist, der auch diese Demonstranten schützt und schützen muss, gar keine Frage, und dass wir alle gemeinsam sehr sorgsam überlegen sollten, wie wir jeweils mit diesem Rechtsstaat umgehen, weil wir – darin sehe ich eine Gefahr – sehr schnell in eine Beliebigkeit kommen könnten, wenn jeder für sich in Anspruch nähme, demokratisch getroffene Entscheidungen infrage zu stellen, nur weil er eine andere Meinung hat. Ich kann mir auch vorstellen, dass es in Deutschland Situationen geben könnte, wo in emotionalen Stimmungslagen Entscheidungen rauskommen, die wir vielleicht alle gemeinsam nicht wollen.

Zusammengefasst, sehr geehrte Damen und Herren, bedanke ich mich auch namens der Staatsregierung für die hier geführte Debatte. Ich freue mich, dass wir im Freistaat Sachsen so viel Bewegung in der Gesellschaft haben, dass wir im Freistaat Sachsen auch schon aus der Historie heraus Menschen haben, die sehr kreativ sind – sonst wäre der wirtschaftliche Erfolg in Sachsen vor hundert Jahren auch nicht möglich gewesen – und die sich auf Veränderungen einstellen.

Die Staatsregierung wird auch zukünftig mit all diesen Menschen im Freistaat Sachsen – wie auch mit Ihnen hier im Parlament – die anstehenden Projekte und notwendigen Veränderungen diskutieren. Ich hoffe, dass wir gemeinsam zu Entscheidungen kommen, die von breiten Mehrheiten getragen sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Herr Dr. Hahn, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte gern eine Kurzintervention zu dem machen, was Staatsminister Morlok eben ausgeführt hat. Ich habe mir nämlich, auch zu meiner Vergewisserung, noch einmal angesehen, wie das Thema der Aktuellen Debatte heißt. Es lautet: „Mündige Bürger unerwünscht? Das Demokratieverständnis des sächsischen Ministerpräsidenten“.

Ich wundere mich zunächst einmal, dass der Wirtschaftsminister für die Staatsregierung spricht und das Demokratieverständnis des Ministerpräsidenten interpretiert bzw. nicht interpretiert. Denn zu diesem Thema hat er nichts gesagt.

Ich muss aber zweitens sagen: Herr Bundestagspräsident Lammert ist mehrmals aus der Veranstaltung am 27. Oktober zitiert worden. Dort hat auch der Ministerpräsident gesprochen. Der Ministerpräsident hat dort – wie in vielen Sonntagsreden – etwas vom Respekt der Staatsregierung gegenüber dem Parlament erzählt und dass ihm bekannt ist, dass das Parlament die Regierung wählt und nicht umgekehrt. Dazu muss ich sagen: Zum Respekt gegenüber dem Parlament gehört es, dass sich der Ministerpräsident einer solchen Debatte persönlich stellt. Deshalb sage ich zum Abschluss noch einmal ganz klar: Wer sich immer wegduckt, wie Herr Tillich das tut, kann auf Dauer kein Land erfolgreich regieren.

(Beifall bei den LINKEN und der NPD)

Ich frage noch einmal, ob es weiteren Redebedarf gibt. – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Aktuelle Debatte abgeschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Neuordnung des Gaststättenrechts in Sachsen

Drucksache 5/4013, Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE

Es liegt keine Empfehlung zu einer allgemeinen Aussprache vor. Deshalb spricht nur die einbringende Fraktion. Herr Abg. Tischendorf, bitte. Sie haben acht Minuten Redezeit für die Einbringung.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass DIE LINKE im Sächsischen Landtag sich um die sächsischen Gaststätten kümmert, ist nur folgerichtig. Das hängt konsequenterweise damit zusammen, dass wir das, was wir vor der Wahl versprochen haben, auch umsetzen. So weit zur Demokratie und zur Debatte. Ich werde noch einmal darauf eingehen.