Protocol of the Session on November 4, 2010

Das Recht der Eingliederungshilfe als Teil der Sozialhilfe ist bewusst offen geregelt. Rechtsansprüche bestehen nur dem Grunde nach. Über Art und Umfang der Hilfe entscheiden die Sozialhilfeträger im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens. Im Auftrag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz und der Jugend- und Familienkonferenz befasst sich derzeit eine Unterarbeitsgruppe mit dem Handlungsbedarf im Bereich der Elternassistenz. Ein

abschließender Bericht soll im nächsten Jahr vorgelegt werden. In einem Zwischenbericht sieht die Arbeitsgruppe momentan keine unmittelbare Notwendigkeit, den Leistungstatbestand der Elternassistenz umfassend gesetzlich neu zu regeln. Das bestehende Recht enthalte sowohl im SGB XII als auch im SGB VIII mehrere Leistungstatbestände, die vorwiegend zum Zuge kommen können. Maßgeblich seien die individuelle Situation der behinderten Eltern sowie der familiäre Kontext.

Nach Vorliegen des abschließenden Berichtes muss geprüft werden, ob eine klarstellende Änderung an den bundesrechtlichen Bestimmungen erforderlich ist und wie sie gegebenenfalls auch umgesetzt werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich frage die Abgeordneten, ob noch jemand in einer möglichen dritten Runde das Wort wünscht. – Das kann ich nicht erkennen. – Doch, Frau Jonas für die FDP-Fraktion in einer dritten Runde. Das ist noch nicht das Schlusswort.

(Anja Jonas, FDP: Nein!)

Sie verzichtet. Dann rufe ich das Schlusswort auf. – Frau Jonas, Sie möchten gern das Schlusswort halten, wenn ich das richtig gedeutet habe?

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gab selten eine Harmonie, wie sie heute zu erleben war, und das bei diesem Thema. Da gilt es, sich erst einmal recht herzlich bei allen Beteiligten zu bedanken.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frauen mit Behinderungen haben seltener Kinder als Frauen ohne Behinderungen. Hochrechnungen für Sachsen ergaben, dass in Sachsen aktuell circa 9 000 Mütter mit Behinderungen und Beeinträchtigungen leben, und zwar in einem Alter zwischen 25 und 45 Jahren. Zwei Drittel der Frauen mit Behinderungen, die keine Kinder haben, könnten sich aber vorstellen, einmal ein Kind zu haben. Das ergaben entsprechende Forschungsergebnisse.

Unterstützung erhalten Mütter mit Behinderung vor allem durch ihre Partner, ihre Familie und Freunde. Auf außerfamiliäre Hilfe wird zurückgegriffen, wenn mit einer gewissen Sorge und Angst vor Einmischung ins Familienleben zu rechnen ist. Permanente Rechtfertigungen und Erklärungen stehen dem oft gegenüber. Die Elternassistenz, um die es in unserem Antrag geht, meint die persönliche Assistenz für Mütter und Väter mit Behinderung. Diese Eltern treten dann als Arbeitgeber auf, indem sie die Assistenten beschäftigen und mit ihrem persönlichen Budget dann auch finanzieren. Die rechtliche, wirtschaftliche und tatsächliche Entscheidungskompetenz bleibt in den Händen der Eltern.

Diese Möglichkeit der Selbstbestimmung, der Vereinbarkeit von Behinderung, Berufswunsch, Kinderwunsch und Arbeitssituation wollen wir weiterentwickeln. Das verstehen wir unter Inklusion. Deswegen bitte ich nochmals um die Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Meine Damen und Herren! Das war das Schlusswort von Frau Jonas für die Koalition. – Bevor wir zur Schlussabstimmung kommen, liegen mir noch zwei Änderungsanträge vor, zum einen von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und zum anderen von der SPD-Fraktion. Beide Fraktionen haben den Änderungsantrag bereits angesprochen. Ich frage trotzdem, ob noch eine förmliche Einbringung gewünscht wird. – Für die SPD-Fraktion ist das nicht der Fall, aber Frau Herrmann bringt den Antrag für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein.

Danke. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit unserem Änderungsantrag greifen wir Vorschläge auf, die Frau Zinsmeister in ihrem für das Netzwerk behinderter Frauen Berlin e. V. mit Unterstützung der „Aktion Mensch“ erstellten Rechtsgutachten im Jahr 2006 gemacht hat.

Ich hatte bereits angesprochen, dass wir im SGB IX im § 55 eine Regelung ergänzen wollen, welche die Hilfe für behinderte Eltern bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages beinhaltet. Damit wird klargestellt, dass zu den Leistungen zur Teilhabe in der Gemeinschaft auch Leistungen zur Unterstützung behinderter Eltern bei der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder zählen, und ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir das direkt im Gesetz machen sollten – im Gegensatz zur Frau Staatsministerin –, da wir in der Vergangenheit gesehen haben, dass die Möglichkeiten, die wir jetzt schon haben, nicht ausreichend sind und auch nicht ausreichend genutzt werden, dass sie vor allem unter dem Primat der Finanzen stehen und damit ganz selten eine Komplexleistung zustande kommt. Deshalb wollen wir dies ins SGB IX hineingeschrieben haben, vor allem auch die Forderung der Komplexleistungen – das haben die Vorredner schon gesagt – im Zusammenhang mit dem SGB VIII.

Wir wollen damit erreichen, dass Eltern mit Behinderung zum einen sichtbar gemacht werden und ihre gesetzlichen Leistungsansprüche klar sind, dass die Leistungen des Kinder- und Jugendhilferechtes und die des Sozialhilfeträgers besser zusammenpassen, dass dort eine Harmonie hergestellt wird, dass die Zusammenarbeit zwischen der Behinderten- und der Jugendhilfe gefördert und damit auch den Interessen der Zielgruppe, also der Familien, besser Rechnung getragen wird, und wir wollen nicht zuletzt damit erreichen, dass der Ausbau geeigneter Hilfsangebote zur Beratung und Unterstützung von Eltern mit Behinderung und ihrer Kinder wirklich erreicht wird.

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sicher ist diese Formulierung eine Möglichkeit, unsere Forderung umzusetzen. Sie selbst, Frau Herrmann, haben das sehr bekannte Rechtsgutachten von Frau Dr. Zinsmeister als Empfehlung angeführt, und Sie haben es in Ihrem Änderungsantrag auch eins zu eins übernommen.

Das ist natürlich nicht nur eine Aufgabe, die der Bundesgesetzgeber erfüllen sollte, sondern es ist in gleicher Weise eine Aufgabe, die auch die Sächsische Staatsregierung in Angriff nehmen sollte. Ich hatte vorhin die Antwort auf die Frage zum Artikel 23 zitiert. Darin wird darauf verwiesen, dass natürlich auch Eltern mit Behinderung die Möglichkeiten der Familienberatung in Anspruch nehmen können. Aber darin findet man überhaupt keine Aussage dazu, ob diese Beratungsstellen barrierefrei sind, und zwar in umfassender Hinsicht. Was ist zum Beispiel mit Gebärdendolmetschern? Wer bezahlt sie? Was ist mit Kommunikationsunterstützung? Ist diese überhaupt möglich? Was ist mit der Ausbildung der Berater(innen) in den Beratungsstellen? Ist es überhaupt möglich, dass Menschen mit Behinderung dort mit ihrem Anliegen verstanden werden? Usw., usf.

Frau Herrmann, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

Ich bin am Schluss. – Das sind durchaus Anliegen, denen sich auch die Staatsregierung stellen sollte. Darüber sollte man an dieser Stelle nicht hinweggehen.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Gibt es noch weitere Wortmeldungen zu dem Änderungsantrag? – Frau Jonas für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In dem vorliegenden Antrag ist klar formuliert, dass es um eine Zusammenarbeit aller betroffenen Träger gehen muss, und es geht daraus hervor, dass die Kinder- und Jugendhilfe keinesfalls einseitig belastet werden darf, sondern es geht wirklich darum, ein trägerübergreifendes Modell zu entwickeln. Es geht also um die Harmonisierung der Leistungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes mit den Leistungen der Sozialhilfeträger.

Es ist übrigens nicht so, dass unbedingt immer die Hilfeentscheidung für die personelle Assistenz das Problem ist – wir erleben das beim persönlichen Budget, was ja auch so nicht wahrgenommen wird –, sondern es geht hierbei explizit immer um die Finanzierung und die Festschreibung in den gesetzlichen Zuständigkeiten.

Das inhaltliche Ziel ist völlig klar: Förderung einer selbstbestimmten und am Kindswohl orientierten Versorgung, die Pflege und Erziehung des Kindes für Eltern mit Behinderung ermöglicht. Aber – das ist der Unterschied – wir sollten hierbei der entsprechenden Rechtsfassung und der Gesetzgebung auf Bundesebene nicht vorgreifen; denn ich bin der Meinung, es muss bundesweit darauf eingewirkt werden. Erst dann können wir den sächsischen Weg weiter fortschreiten. Deshalb werde ich meiner Fraktion nicht empfehlen, diesen Änderungsantrag anzunehmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über die beiden Änderungsanträge. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion, Drucksache 5/4074, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich lasse nunmehr über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 5/4086, abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einigen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir kommen nun zur Schlussabstimmung. Ich stelle die Drucksache 5/3997 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag, Drucksache 5/3997, bei einigen Stimmenthaltungen und keinen Gegenstimmen mehrheitlich beschlossen worden. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 6

Existenzminimum sichern und Armut bekämpfen – SGB-II-Regelleistungen jetzt deutlich anheben

Drucksache 5/3754, Antrag der Fraktion DIE LINKE, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der Fraktion DIE LINKE als Einreicherin das Wort. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich bin kein Prophet, aber ich nehme doch stark an, dass wir die bei dem soeben abgestimmten Antrag erlebte Harmonie bei diesem Antrag möglicherweise nicht erleben werden. Das liegt einfach in der Natur der Sache.

Erinnern wir uns: Wir hatten bekanntlich am 9. Februar 2010 das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Regelsätzen von Hartz IV. Das Bundesverfassungsgericht hat den Bund und damit im gewissen Sinne die Bundesregierung aufgefordert, bis Jahresende den Regelsatz neu zu berechnen und für die Öffentlichkeit eine nachvollziehbare Berechnung vorzulegen. Insbesondere sollte das für den Regelsatz für Kinder gelten. Dem Bundesverfassungsgericht ging es ausdrücklich darum, dass der Regelsatz ein menschenwürdiges Leben gestatten müsse.

Die Reaktionen unmittelbar nach der Verkündung dieses Urteils waren sehr unterschiedlich. Viele, insbesondere Betroffene, hatten die Hoffnung, dass sich an ihrer Situation grundlegend etwas ändern würde; denn sie hatten Vertrauen in das höchste Gericht und meinten, dass daran auch die Bundesregierung und die sie tragende Koalition nicht würde vorbeigehen können. Aber zugleich hörten wir auch aus diesem Haus, dass man annahm – das Urteil müsse man erst prüfen, das ist richtig –, es wäre damit nicht automatisch gegeben, dass der Regelsatz ansteigen müsste, sondern er könne unter Umständen sogar abgesenkt werden. Das werde man sehen.

Ich muss sagen: Diese Voraussage hat sich leider mit den 5 Euro, die nunmehr für den Eckregelsatz ab 1. Januar zusätzlich gezahlt werden sollen, bewahrheitet. Also wurden Hoffnungen enttäuscht und Skeptiker oder jene, die von Anfang an die Dinge vorhersahen, fühlten sich bestätigt.

In der Stellungnahme zu unserem Antrag verweist die Staatsregierung darauf, dass die Berechnung, wie sie dann in der Öffentlichkeit von der Bundesarbeitsministerin vorgestellt wurde, nachvollziehbar sei. Die Staatsregierung sieht in ihrer Stellungnahme keinerlei Einwände und demzufolge verweist sie auch darauf, keinerlei Handlungsbedarf im Sinne unseres Antrages zu haben.

Daraus – obwohl das so nicht drinsteht – kann man schlussfolgern, dass Sachsen im Bundesrat, wenn es im

Dezember zur Abstimmung kommt, nicht für eine wesentliche Anhebung des Regelsatzes stimmen wird, sondern es wird dem Gesetz, wie es den Bundesrat in der 1. Lesung bereits passiert hat, zustimmen.

Ich möchte an dieser Stelle aber deutlich sagen, dass wir eine andere Position vertreten. Wir sind der Auffassung, dass sich Sachsen sehr wohl überlegen sollte, ob es das, was dort vorgelegt worden ist und was auf schärfsten Prostet von Betroffenen, von Wohlfahrtsorganisationen, von Gewerkschaften und aus den Reihen der Kirchen stößt, einfach abnickt. Man sollte überlegen, ob man sich weiterhin auf die Position begibt, die wir in diesem Haus seitens der Staatsregierung und der sie tragenden Koalition bisher gehört haben.

Man behauptet seit Langem, dass für diese Dinge allein der Bund zuständig sei und die Staatsregierung hier gar nicht handeln könne. Es wird weiter behauptet – das zeigt auch die jetzige Stellungnahme –, der Eckregelsatz sei völlig ausreichend und garantiere das soziokulturelle Existenzminimum. Die Leistungen – so wird weiter seitens der Staatsregierung festgestellt, auch jetzt wieder – würden Armut verhindern. Schließlich meint man – insbesondere in solchen Debatten wie der heutigen wird das sicherlich wieder eine Rolle spielen –, man müsse bei aller Diskussion um den Regelsatz beachten, dass ein Lohnabstand zu den Einkommen nötig sei.

Die Positionen – Sie werden das verstehen – unterscheiden sich wie Feuer und Wasser. Unsere Position ist eine andere. Wir meinen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes durch die Berechnung und den Gesetzentwurf nicht umgesetzt worden ist. Wir sind der Auffassung, dass der höchstrichterliche Spruch nicht in der Weise verwirklicht worden ist, wie man das in Achtung vor dem höchsten deutschen Gericht hätte erwarten können.

Deshalb bleiben wir bei der Forderung – ich sage das ausdrücklich: Sachsen möge diesen Gesetzentwurf im Bundesrat ablehnen, weil er gegen die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtes verstößt und wir heute schon sagen müssen: Der nächste Gang von Betroffenen nach Karlsruhe ist bereits vorprogrammiert.

Ich will unsere Position an einigen Thesen deutlich machen: Erstens. Aus unserer Sicht – das zeigen auch andere Expertenberechnungen – folgt die Erhöhung um 5 Euro lediglich einer Vorgabe des Bundesfinanzministers. Interessant ist, dass der Bundesfinanzminister, bevor die erste Berechnung überhaupt vorlag, im Haushaltsplan des Bundes für das nächste Jahr deutlich machte, wie hoch der Regelsatz sein könnte. Daran hat man sich dann – hört, hört! – bei der Berechnung auch gehalten.