Protocol of the Session on September 30, 2010

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Debatte fort. Für die Koalition spricht Frau Jonas.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kollegen Abgeordneten! Ich glaube, eines besseren Beispiels hätte es gar nicht bedurft, um zu zeigen, wer definitiv nicht recht hat. Es gilt, Ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen und ganz deutlich zu

zeigen, dass hier kein Platz für Ihre antisemitischen, menschenverachtenden Parolen ist.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Dafür lässt sich auch ein Herr Sarrazin nicht benutzen.

Was deutlich wird, ist Ihre Angst, die schon zutiefst Angstphobiecharakter hat. Alles, was Sie nicht kennen, was Ihnen nicht vertraut ist, sind fremde Kulturen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Familienpolitik, eine Wertediskussion und auch eine Integrationspolitik darf man keinesfalls vom rechten Rand führen, und man darf auch nicht zulassen, dass sie von dieser Seite geführt wird.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung – Jürgen Gansel, NPD: Sie führen die Debatte doch längst!)

Es gilt vielmehr, einer unideologischen Debatte den Raum zu schaffen. Genau das hat Sarrazin anregen wollen. Angebracht ist eine Debatte mit einem liberalen Grundverständnis, was die Aspekte von Leistung, Toleranz, Solidarität, Freiheit und Verantwortung beinhaltet. Unsere Gesellschaft wird bereichert durch Vielfalt, durch Vielfalt verschiedener Kulturen. Gerade bei den Begriffen hängt es ja immer einmal, was der Unterschied von Toleranz und Akzeptanz ist. Es geht auch darum, noch einmal geschichtlich zurückzublicken, dass die Idee der Toleranz nicht darauf beruht, Andersdenkende und Andershandelnde einzuschätzen und zu akzeptieren, sondern dass dies vielmehr als eine Bereicherung der eigenen Kultur wahrzunehmen ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Jürgen Gansel, NPD: Das ist doch Phrasensalat!)

Das zeigt einmal mehr, dass Sie einfach von dem Kulturgut, von dem Sie immer so vehement sprechen, gar keine Sachkenntnisse haben. Dann reden wir doch einmal ganz konkret über Lessing und das Drama „Nathan der Weise“ von 1779 und die „Ringparabel“ – vielleicht sind Ihnen das ja vertraute Parameter –, wo es darum ging, für die Toleranz eine zeitgenössische Formulierung zu suchen. Insofern sollten Sie beim Nachlesen auch dieses mit lesen.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Freiheit schließt immer Meinungsfreiheit ein. Ich denke, dass alle hier im Parlament genau wissen, welche Wertschätzung und welches Gut die Meinungsfreiheit ist.

(Andreas Storr, NPD: Die ist doch abgeschafft worden!)

Genau mit dieser Meinungsfreiheit ist der Prozess der Wahrheitsfindung auch durch diese Integrationsdebatte angestoßen worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bitte, lassen Sie mich ganz kurz aus liberaler, aus sächsischer Sicht noch einige Aspekte der Integrationspolitik ansprechen. Wichtig, wesentlich und auch unbestritten ist die Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hier in unserem Land. Genau da ist der Unterschied zwischen uns und Ihnen, weil das in Ihrem Verständnis überhaupt nicht wiederzufinden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Richtig verstanden: Integration braucht ein Wir-Gefühl, braucht ein gemeinsames Ziel. Es ist völlig klar, dass das mit einer Struktur von Fördern und Fordern auch möglich ist. Es gilt, klare Ziele zu formulieren und deren Umsetzung zu begleiten. Werte wie Bildung, Spracherwerb und Kommunikation – man merkt, dass das auch bei Ihnen fehlt – sind ganz wesentliche Elemente dieser Gesellschaft.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Ich komme zum Schluss. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass es natürlich auch gescheiterte Prozesse gibt. Sie sehen ja, was im Parlament passieren kann. Deswegen gilt es für uns alle und für die gesamte Gesellschaft, das Auge darauf zu richten, wie eine Debatte geführt wird und wer sie führt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war Frau Jonas für die Koalitionsfraktionen. – Für die SPD spricht nun Herr Homann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren der demokratischen Fraktionen!

(Andreas Storr, NPD: Danke schön!)

Wir wussten ja alle, dass die Debatte heute kommt. Aber dass sie wirklich so dreist mit diesen Argumenten, Vorurteilen und falschen Behauptungen, die so einen Bart haben, geführt wird, ist schon verwunderlich. Ich hätte Ihnen schon etwas mehr Trickyargumentation zugetraut, aber dabei habe ich Sie wahrscheinlich wie selten überschätzt.

Auch die üblichen Tricks mit Ihrem renommierten Soziologen Hepp, der nichts anderes ist als ein Rechtsextremist und Holocaust-Leugner, sind die alten Tricks. Hier wird uns Kompetenz vorgeheuchelt, mehr ist es nicht.

Aber sehen wir uns das Ganze einmal an. Eigentlich erzählt Herr Sarrazin eine Mischung aus biologistischen Behauptungen und Sachen, die wir eigentlich schon lange wissen. Ich zitiere zum Beispiel: „Belegt ist, dass zwischen Schichtzugehörigkeit und Intelligenzleistung ein recht enger Zusammenhang besteht.“ Wow!

(Gelächter bei den GRÜNEN)

Das ist jetzt für uns nichts Neues. Dass die Zukunftschancen und die beruflichen Chancen eines Menschen von seiner Bildung abhängen, ist nicht neu. Aber er verknüpft das mit einer ganz fatalen Form von Biologismus. Er sagt nämlich auch: „Intelligenz ist aber zu 50 bis 80 Prozent erblich.“

(Andreas Storr, NPD: Das weiß jeder Karnickelzüchter, nur nicht die Politiker!)

Und wer Karnickel mit Menschen gleichsetzt, der hat sich eigentlich jedes moralische Recht verwirkt, hier in diesem Parlament zu sitzen.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Er erklärt eigentlich damit, dass es etwas Natürliches ist, dass es in dieser Gesellschaft ein Oben und Unten gibt, dass die Schichtung der Gesellschaft etwas NatürlichBiologisches ist, und vernachlässigt dabei Faktoren wie Einkommen, Bildung und sozialen Status oder Desintegration in den Arbeitsmarkt. Das heißt, es geht bei ihm nicht nur um Migranten, sondern auch um Michaela, Eric und Kordula, und er formuliert das auch. Er sagt nämlich, die in Schwaben lebenden Menschen seien durchschnittlich von einer höheren Intelligenz als jene in der Uckermark.

(Miro Jennerjahn, GRÜNE: Seite 24!)

Danke schön, Herr Jennerjahn.

Hier wird gezeigt, dass man diese Begriffe wie Migrant, Deutscher, Nichtdeutscher auch durch: Leute aus der Oberschicht, aus der Unterschicht, Leute aus reichen Städten oder aus strukturschwachen Regionen ersetzen kann. Aber warum geraten dann die Migranten in den Fokus von Herrn Sarrazin? Ja, es gibt in Deutschland eine recht große Schnittmenge zwischen Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen und Menschen mit Migrationshintergrund. Diese sind aber nicht biologisch begründet, sondern sozioökonomisch. Die Arbeitslosigkeit von Migranten in Deutschland ist doppelt so hoch wie die der Deutschen. 40 % dieser jungen Menschen verlassen ohne qualifizierten Berufsabschluss die Ausbildung.

Es muss etwas getan werden. Wir sind uns einig. Wir sind uns einig, dass bei der Bekämpfung der Ungerechtigkeiten keine neuen Ungerechtigkeiten entstehen dürfen. Es kann nicht sein, dass in einer Hauptschule ein deutscher Schüler neben einem Migranten sitzt. Der Migrant, obwohl er die gleichen Probleme mit der Sprache, dem Schreiben und Rechnen hat, bekommt ein Förderprogramm, und der deutsche Schüler bekommt keines. Genau hier befinden wir uns am Kern der Sache. Wir brauchen eine Diskussion über die soziale Spaltung in unserem Land – unabhängig von der Herkunft.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Wir brauchen eine Debatte über die Chancengleichheit für alle in diesem Land. Wir müssen natürlich dabei den Aspekt der Integration beachten.

Wir müssen uns fragen: Was müssen und können wir von jenen verlangen, die auf Dauer bei uns in Deutschland leben? Es geht um die Sprache. Es geht um die Anerkennung der Rechtsstaatlichkeit.

Wir müssen uns auch fragen: Was müssen wir selbst leisten? Wir sprechen über Perspektiven für diese Leute. Wir reden über die Chancengleichheit. Wir müssen diese beiden Punkte gegeneinander abwägen. Genau an dieser Stelle wird klar, dass Sie keine Integrationsdebatte führen.

(Andreas Storr, NPD: Richtig! Wir wollen die Auswanderung von Ausländern!)

Sie wollen nicht abwägen, was diese Leute leisten sollen und was wir leisten müssen. Es geht Ihnen einzig und allein darum, ein Podium für Ihre rassistischen und menschenfeindlichen Äußerungen zu finden.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion, der FDP und den GRÜNEN)

Sie verschließen die Augen vor den positiven Beispielen von Integration. Sie verschließen die Augen davor, dass mehr Deutsche im Ausland als Ausländer in Deutschland arbeiten. Sie verschließen die Augen davor, dass ein Drittel der Arbeitsplätze in Deutschland von Exporten abhängig sind.

(Alexander Delle, NPD: Das hat doch mit dem Export nichts zu tun!)

Sie verschließen die Augen davor, dass wir in Sachsen über etwas anderes sprechen. Mit 2,7 % Ausländeranteil ist die Debatte, die Sie in Sachsen auf die Tagesordnung setzen, eine westdeutsche und keine sächsische Debatte.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Bitte kommen Sie zum Ende.

In diesem Sinne freue ich mich auf weitere kreative Entgegnungen aus dem demokratischen Spektrum.