Protocol of the Session on September 29, 2010

Herr Lichdi, das kann ich Ihnen nicht verraten. Was ich Ihnen aber verraten kann, ist Folgendes: Ich bin Mitglied des Sächsischen Landtags seit September 2009. Ich glaube mich zu erinnern, dass der jetzige Sächsische Staatsminister des Innern zu einem ähnlichen Zeitpunkt ins Amt gekommen ist. Ich sage Ihnen aus meiner Erfahrung als Polizeibeamter – diesbezüglich sehe ich mich schon in der Verantwortung –, dass es dringenden Diskussions- und Handlungsbedarf bei einer aufgabenkritischen Bewertung der sächsischen Polizei und der Organisation der Polizei und ihrer Struktur gibt und dass es daraus ein Ergebnis eines Personalbedarfs gibt, den wir jetzt als Zielgröße formuliert haben.

Ich glaube mich hier mit der Sächsischen Staatsregierung, mit dem jetzigen sächsischen Innenminister und mit meiner Fraktion im Einklang.

Insoweit kann ich Ihnen die Frage beantworten, was seit September 2009 passiert ist. Diesbezüglich kann ich Ihnen sagen: Eine der ersten Amtshandlungen der jetzigen Staatsregierung und des sächsischen Innenministers Herrn Ulbig war es, genau dieses Projekt „Polizei Sachsen 2020“, das ich vorhin genannt habe, zu initiieren.

Abschließend kann ich Ihnen nur das Versprechen geben: Wir werden aufgabenkritisch und verantwortungsvoll mit dem Thema umgehen. Die innere Sicherheit ist uns nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern sie ist die Grundlage des Zusammenlebens in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Hartmann, gestatten Sie noch eine Nachfrage des Abg. Lichdi?

Selbstverständlich.

Herr Lichdi, bitte.

Herr Kollege Hartmann, es ist allen Kolleginnen und Kollegen bekannt, dass Sie diesem Hohen Haus erst seit 2009 angehören. Aber haben Sie in Ihrer Fraktion einmal nachgefragt, warum dieses Konzept nicht schon viel früher vorgelegt worden ist?

Die Frage kann ich mit Ja beantworten.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP)

Zur materiellen und technischen Ausstattung. Wir haben auch jetzt viele Problemfelder zu hören bekommen. Es ist in der Tat erschreckend, wie sich der Zustand der sächsischen Polizei aus der Sicht von Herrn Gebhardt gestaltet. Ich befürchte, dass wir keine Streifenwagen mehr im Einsatz haben, die Funkverbindungen zum Erliegen gekommen sind und wahrscheinlich die Hälfte der Polizisten nackt unterwegs ist.

Aber nun weg von diesem Populismus, hin zu den Fakten. Der erreichte Stand ist sehr gut. Von 2005 bis 2010 haben wir circa 1 300 neue Dienstfahrzeuge beschafft. Die Schutzausstattung wurde mit 6,2 Millionen Euro investiven Mitteln ergänzt, die neuen Polizeiuniformen sind hinzugekommen. IT-Investitionen wurden in erheblichem Umfang getätigt. Ferner nenne ich die Baustelle BUSFunk. Diese hätten wir schon längst realisieren wollen, aber hierbei sind wir an die Rahmenvorgaben des Bundes gebunden.

Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und die finanziellen Mittel bereitgestellt. Sie sind auch in diesem Haushalt bereitgestellt. Unser Ziel wird es sein, so der Bund seine Voraussetzungen abschließend erfüllt hat, dieses Projekt bis 2013/2014 umzusetzen. Es ist im Doppelhaushalt abgebildet, und es ist auch in der mittelfristigen Finanzplanung abgebildet.

Erlauben Sie mir noch einige Sätze zur Stellung des Polizeibeamten. Die Koalition ist sich ihrer Verantwortung für den Polizeibeamten bewusst. Wir wissen auch, dass es hier immer wieder und auch in der Zukunft weiteren Handlungsbedarf geben wird. Ein weiteres Thema ist die Besoldung. Diese haben wir in den letzten Jahren auf 100 % angepasst, die letzte Besoldungserhöhung war im März 2010.

In der Tat haben wir jetzt eine Diskussion über die Streichung des Weihnachtsgeldes. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Sicherlich tut es dem einzelnen Betroffenen weh und es ist ärgerlich. Ich kann Ihnen sagen, ich werde mich darüber persönlich nicht besonders freuen. Aber damit die Existenzlosigkeit der sächsischen Polizeiarbeit herbeizureden, das ist schon ein spannender Konstrukt.

Die Grundbesoldung liegt bei 100 % West. Auch der Familienzuschlag, der einem sächsischen Beamten, verheiratet, mit einem Kind, gezahlt wird, ist vergleichbar.

Ich darf Ihnen kurz als Ergänzung sagen: Der Familienzuschlag für einen verheirateten sächsischen Polizeibeamten liegt bei 107 Euro, mit einem Kind bei circa 200 Euro. Dieses müssen Sie auf das Grundgehalt aufschlagen. Es gibt auch eine Stellenzulage für jeden Beamten der sächsischen Polizei.

Ich darf daran erinnern, dass es in Sachsen etwas gibt, was mittlerweile nicht mehr selbstverständlich ist und deswegen gelegentlich der Erwähnung bedarf: Es geht um die freie Heilfürsorge für Polizeibeamte. Freie Heilfürsorge heißt, dass der Freistaat sämtliche Behandlungs- und Krankenkosten für die sächsischen Polizeibeamten übernimmt, ohne dass diese selbst einen Anteil leisten müssen. In Sachsen ist es nicht beabsichtigt, wie es in anderen Bundesländern gehandhabt wird, dieses als Gehaltsbestandteil hinzuzurechnen. Wenn Sie beispielsweise nach Hessen schauen, sehen Sie, dass der Polizeibeamte sein Grundgehalt nunmehr um 1,8 % gekürzt bekommt, um seinen Beitrag zur Heilfürsorge zu leisten.

Von alledem werden wir uns in Sachsen fernhalten und die freie Heilfürsorge auch zukünftig für unsere Polizeibeamten als eine Grundvoraussetzung für eine ordentliche Dienstführung zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Einige Aufgaben liegen noch vor uns, zum Beispiel die rechtliche Sicherung, die Frage der Versicherung und von Regressleistungen. Diesen Fragen werden wir uns stellen. Ein geeignetes Thema dafür ist für uns die gesamte Diskussion zur Dienstrechtsreform, die auch die Durchlässigkeit der Laufbahn und die Stärkung der Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Beamten verbessern soll.

Es liegen noch viele Aufgaben vor uns. Einen Teil davon können Sie in der Umsetzung erleben. Das sind unsere Zusagen im Koalitionsvertrag. Die Regierung und die Koalition werden auch zukünftig Verantwortung für die Polizei und damit vor allen Dingen für die innere Sicherheit in Sachsen tragen. Wir können Sie nur einladen, uns auf diesem Weg zu begleiten und für die Sicherheit in Sachsen Sorge zu tragen und die sächsische Polizei auch zukünftig zu stärken.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Als nächste Rednerin Frau Friedel für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzten Samstag waren wir alle zum Landesdelegiertentag der GdP eingeladen. Sechs von uns waren dort, der Staatsminister natürlich auch. Es war eine interessante Veranstaltung. Ich glaube, für Sie, Herr Minister Ulbig, war es nicht einfach und es hat mir zuweilen auch Unwohlsein verursacht, obwohl die dortige Situation durch das Ministerium nicht unverschuldet war.

Wir saßen in einem Raum mit 120 Delegierten, die eine Menge Frust hatten. Das schlimmste Erlebnis, das ich dort hatte, war, dass Staatsminister Ulbig das machte, was auch Herr Hartmann heute wieder getan hat, und was wir alle reflexartig tun, nämlich den Beschäftigten der Polizei für ihren Einsatz und ihre Tätigkeit ein großes Lob, großen Respekt und große Anerkennung auszusprechen.

(Zuruf von der CDU: Ist das falsch?)

Das hat er gemacht und danach war es still. Einer hat geklatscht, es war einer der zwei Kollegen aus der CDUFraktion. Dieser hat aber damit auch sehr schnell wieder aufgehört.

(Zuruf von der CDU)

Es war klar, warum diese Stille eingetreten ist, nämlich weil alle Leute, die dort saßen, sich gesagt haben: Dieses Lob könnt ihr euch, Entschuldigung, sonst wohin stecken, wenn ihr euch nicht um vernünftige Arbeitsbedingungen für uns kümmert.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Das, was der Freistaat Sachsen und das Innenministerium gerade machen, ist das Gegenteil. Lob und Anerkennung auszusprechen ist eine schöne Sache, aber es ist überhaupt nichts wert, wenn dem nicht vernünftige Arbeitsbedingungen gegenüberstehen. Diese hat die sächsische Polizei derzeit nicht.

(Volker Bandmann, CDU: Das ist dummes Zeug! Das ist schlicht und einfach dummes Zeug!)

Die Politik, die Regierung und die Mehrheitskoalition überschütten sie mit einer Fülle von Belastungen, von denen ich hier gern einen Teil aufzählen möchte. Die Beschäftigten in der sächsischen Polizei erleben seit dem Jahr 2002 einen Stellenabbau. Zu dem 2006 beschlossenen Stellenabbau – Herr Bandmann, Sie werden sofort sagen, dass wir das mit beschlossen haben, und ich sage, ja, das haben wir mit beschlossen – von 2 441 Stellen kommen weitere 800 Stellen hinzu.

(Rolf Seidel, CDU: Wann denn? Wo denn?)

Schauen Sie einmal in den Haushaltsplan, Herr Seidel, dort steht genau drin, dass nach dem Jahr 2019 bis zum Jahr 2022 weitere 800 Stellen abzubauen sind.

(Rolf Seidel, CDU: Sie sagen aber jetzt! Das ist doch Quatsch!)

Ich zeige es Ihnen gern. – Wir haben dazu – das können Sie den Antworten auf die Große Anfrage entnehmen – einen sehr hohen Krankenstand. Er ist in den letzten vier Jahren um 3 % gestiegen, und zwar von 5 auf 8 %. Wir haben eine sehr große Anzahl an Überstunden. 77 000 Mehrarbeitsstunden schieben die Beamten vor sich her. Wenn man weiß, dass Überstunden im Laufe des Jahres ausgeglichen werden können, es am Ende aber immer noch 77 000 Mehrarbeitsstunden sind, dann sind das circa 10 000 Arbeitstage.

Wir haben eine große Differenz zwischen den Sollstellenausstattungen und dem Ist-Stand, das heißt, was tatsächlich an Personal vorhanden ist. Wir haben in den Antworten auf die Große Anfrage gelesen, dass wir in Sachsen eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei zu wenig haben. Laut Verwaltungsübereinkommen der Länder haben wir acht BePo-Hundertschaften à 123 Mann vorzuhalten. Was haben wir in Sachsen? Wir haben sieben BePo-Hundertschaften mit einer durchschnittlichen IstStärke von 110 Mann.

Wir haben dazu die geplante Erhöhung des Pensionsalters auf 62 Jahre. Wir haben dazu die geplante Streichung der Sonderzahlung, von der bereits die Rede war, und wir haben dazu mal wieder eine Strukturreform.

Wenn man sich jetzt beklagt, dass Säue durch das Dorf getrieben werden, dann bin ich schon etwas überrascht. Der Grund, dass Spekulationen stattfinden, liegt doch nicht darin, dass wir uns von der Opposition ausdenken, was wir heute irgendwie in die Welt setzen könnten, sondern darin, dass einfach kein Konzept vorliegt.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Der Staatsminister hat die Arbeitsgruppe „Qualität und Effizienz“ ins Leben gerufen. Das ist völlig richtig, und wir haben uns darüber sehr gefreut, weil wir dachten, dass es jetzt mit der Aufgabenkritik losgeht und wirklich ein Konzept für die sächsische Polizei zustande kommt. Das haben wir ein paar Monate gehofft. Dann haben wir aber gesehen, dass dort kein wirklicher Zug drin liegt, und wir haben im Plenum den Antrag gestellt, dass auf jeden Fall sichergestellt werden muss, dass vor Eintritt in die Haushaltsdiskussion ein solches Konzept mit einer Aufgabenkritik vorzulegen ist.

(Beifall des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Denn wie will ich denn sonst eine erforderliche Stellenanzahl bemessen, wie will ich sonst eine Haushaltsdiskussion führen, wenn ich nicht weiß, was für die Polizei in Sachsen fachlich erforderlich ist? Es ist trotzdem nichts vorgelegt worden. Was jetzt passiert, ist, dass sechs der neun Arbeitsgruppen ihre Tätigkeit eingestellt haben. Drei beschäftigen sich noch ein wenig, und es gibt vier Experten, die eine Strukturreform ersinnen sollen. Ob das nun im Herbst oder im Winter wird, werden wir mal sehen.

Mir ist unverständlich, warum wir nicht die viele Kompetenz, die wir im Land haben, nutzen. Warum binden wir nicht die Oberbürgermeister und die Bürgermeister der Gemeinden, in denen es um Sicherheit geht, ein? Wozu haben wir in den letzten Jahren in jedem Landkreis kriminalpräventive Räte aufgestellt, wenn wir sie nicht fragen: Was haben wir eurer Meinung nach in puncto Sicherheit in Sachsen zu tun? Ich halte es für eine Fehlleistung des Innenministeriums, dass hier nichts passiert.

Wo sind wir aktuell bei der Polizei? Wir haben in Sachsen derzeit 11 500 Stellen im Vollzugsdienst, 11 500 Polizistinnen und Polizisten, die sozusagen noch draußen unterwegs sind. Von den 2 400 Stellen, die seit 2006 abgebaut

werden sollen, ist schon knapp die Hälfte abgebaut. 1 500 sind noch abzubauen. Wenn diese weg sind, sind wir bei 10 000 Vollzugsbeamten, die wir im Freistaat Sachsen haben. Das würde einer Polizeidichte von 387 entsprechen. Damit liegen wir unter dem bundesdeutschen Durchschnitt; denn es ist natürlich schön, immer den Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer zu nehmen, aber natürlich messen wir uns dabei gerade mit denen, die die geringsten kriminalgeografischen Probleme haben, und mit denen, die zwar auch Metropolen wie Leipzig oder Dresden haben, aber in einer ganz anderen Art und Weise.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)