Protocol of the Session on September 1, 2010

Der Ärztemangel in Großbritannien hat dazu geführt, dass die Kompetenzerweiterung der medizinischen Fachangestellten durchgeführt wurde. Vor diesem Ärztemangel stehen wir ja auch hier in Sachsen.

Es hat letztendlich auch gezeigt, dass die Unterstützungsleistungen durch die Assistenten genauso gut geführt wurden wie von Ärzten. Es gibt keinen Qualitätsverlust, das ist wichtig. Deshalb sage ich: Das, was in Großbritannien funktioniert, sollte in Deutschland umgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Deshalb bitte ich Sie zum Schluss um Unterstützung des Antrages, die Staatsregierung aufzufordern, Modellprojekte zu etablieren – langfristig auch auf Bundesebene.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Als nächste Rednerin spricht für die FDP-Fraktion die Abg. Schütz. Frau Schütz, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wer macht in Zukunft was? Welche Art der Arbeitsteilung entspricht den Anforderungen an das Gesundheitssystem der Zukunft? Wie können alle Akteure miteinander der Komplexität des Gesundheitswesens gerecht werden? Das sind die Fragestellungen von heute, wenn wir über eine effiziente und effektive Versorgung nachdenken.

Die Fragen gewinnen aus vielerlei Gründen an Bedeutung, die der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen folgendermaßen benennt: erstens, die steigenden Erwartungen von Versicherten und Patienten; zweitens, die absehbare demografische Entwicklung; drittens, die Veränderung im Morbiditätsspektrum; viertens, eine fortschreitende Spezialisierung und, nicht zuletzt, fünftens, die vielfältigen neuen technischen medizinischen Möglichkeiten und Fortschritte.

Anstelle des alleinigen Versuches, die Situation innerhalb einer Berufsgruppe zu optimieren, muss es künftig darum gehen, die Kommunikation zwischen den Gesundheitsberufen auszuweiten. Diese Überlegungen zielen weniger darauf ab, allein dem Ärztemangel vorzubeugen, als vielmehr darauf, die Ressourcen im Gesundheitswesen optimal zu nutzen. Die Situation innerhalb einer Berufsgruppe zu optimieren genügt zukünftig nicht mehr. Flache, vernetzte Teamstrukturen und eine sinnvolle Arbeitsteilung zu gestalten – zu einer solchen Zusammenarbeit sollen die Gesundheitsberufe kommen.

Deshalb sind Überlegungen über die stärkere Einbeziehung von nicht ärztlichem Personal, also den nicht ärztlichen Fachberufen, angebracht.

Bei der Veränderung in der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe muss dabei immer eines im Vordergrund stehen: die Sicherheit der Patienten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Seit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz von 2008 bestehen die Möglichkeiten, die Übertragung ärztlicher Tätigkeit in Modellvorhaben zu untersuchen. Das Gesetz bezieht sich hier vor allem auf den Bereich der Pflege. Damit liegt die Intention zugrunde, dass hoch qualifizierte Pflegekräfte insbesondere im ambulanten Sektor einen eigenständigen Beitrag zur Absicherung des medizinischen Versorgungsbedarfes der Bevölkerung leisten können.

Die Erprobung einer größeren Handlungsautonomie umfasst vier Bereiche: die Einschätzung des pflegerischen Bedarfes, die Durchführung der Pflege, die Überprüfung der Resultate der pflegerischen Versorgung sowie die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln. Damit diese Modellprojekte initiiert werden können, hat der gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie zu erstellen, die die Tätigkeit der Modellvorhaben genau festlegt. Wo die Grenze zwischen den Aufgaben, die delegiert werden können, und Untersuchungen, die allein dem Arzt unterliegen, genau verläuft, das erfordert eine sehr gründliche Prüfung.

Eine generalisierende Festschreibung der Tätigkeit schafft dabei nur bedingt Rechtssicherheit. Viele weitere Faktoren geben die Richtschnur der Delegation vor: die Qualifikation der einzelnen Mitarbeiter, der zu behandelnde Einzelfall mit möglichen Komplikationen – hier ist die Einschätzung des Arztes das Wichtigste und unumgänglich –, haftungsrechtliche Fragen und Verantwortlichkeiten.

Natürlich – so ist es in einer Demokratie – sind die neuen Kooperationsformen von den Berufsgruppen selbst zu diskutieren. Nur wenn hier ein Kompromiss gefunden wird und die Bereitschaft zum Umdenken bei allen Leistungserbringern besteht, kann über neue Modelle nachgedacht werden. Deshalb ist es Voraussetzung, dass alle tangierten Berufsgruppen Stellung nehmen und in den Kommunikationsprozess einbezogen werden. Die Anhörung der Berufsverbände hat gezeigt, dass die bestehende Desintegration in der Gesundheitsversorgung bereits von vielen Berufsgruppen selbst nicht als adäquate Situation erlebt wird.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Beratung über die entsprechenden Richtlinien im Jahr 2009 aufgenommen. Für dieses Jahr steht eine Reihe von Beratungsterminen hierzu an. Die Bundesregierung geht davon aus, dass im Laufe dieses Jahres dem Bundesgesundheitsministerium die Richtlinien zur Überprüfung vorgelegt werden. Falls dem nicht so ist, hat das Bundesgesundheitsministerium als Rechtsaufsicht die Möglichkeit, auf die Richtlinienerstellung hinzuwirken. Das möchten wir mit Punkt zwei unseres Antrags deutlich unterstützen.

Auch auf Landesebene können wir ein gutes Beispiel vorweisen, wie Gesundheitsberufe in der hausärztlichen Versorgung zusammenarbeiten können. In Sachsen gab es bis Ende 2008 das Modellprojekt AGnES, an dem sich fünf Praxen beteiligt haben. Die Erkenntnisse unter anderem aufgrund dieses Modellvorhabens haben dazu beigetragen, dass die sogenannte Nichtärztliche Praxisassistentin in die Regelversorgung aufgenommen wurde. Derzeit beschäftigen vier Praxen eine solche Assistentin.

Mit dem Ziel, die Hausarztpraxis als zentralen Versorgungsort zu festigen, hat der Sächsische Hausärzteverband in Zusammenarbeit mit dem Verband medizinischer Fachberufe die Versorgungsassistentin – kurz: VERAH – ins Leben gerufen. Mit einer Fortbildung können medizinische Fachangestellte diese zusätzliche Qualifikation erhalten. Sie soll zur Übernahme von Hausbesuchen und weiteren medizinischen Aufgaben im Umfeld des Patienten befähigen. Hier gilt der Grundsatz: „Hin zur Teambetreuung mit dem Arzt im Mittelpunkt“.

Sicher wird auch hier kontrovers diskutiert. Eine Seite befürchtet die Konkurrenz zu den ambulanten Pflegediensten. Eine andere Seite sorgt sich um die Errichtung von Doppelstrukturen. Wieder eine andere Seite sieht die Qualität der Versorgung gefährdet. Aber unumstritten ist – ich denke, das haben alle hier im Hohen Hause erkannt –: Die Hausärzte werden weniger, ältere, multimorbide Patienten jedoch mehr.

Durch die Zunahme der Zahl hochbetagter Patienten, die eine umfassende und gut koordinierte Betreuung zu Hause benötigen, steigen auch die Fallzahl und die Fallschwere in der hausärztlichen Praxis. Erste Studien, die die Auswirkung des Einsatzes dieser speziell geschulten arztunterstützenden Mitarbeiter untersuchten, liegen bereits vor. Eine Untersuchung der Goethe-Universität Frankfurt aus dem Jahr 2008 kommt zu dem Ergebnis, dass diese Art der Versorgung gut akzeptiert ist und zum Teil eine merkliche Zeitentlastung für die Hausärzte bedeutet.

Die Thematisierung von Effizienz- und Effektivitätsreserven im Gesundheitswesen ist erlaubt und besitzt ihre Berechtigung. Die Einbeziehung der medizinischen Fachberufe bzw. nicht ärztlichen Gesundheitsberufe und die Forderung nach einer verbesserten Kooperation sind gerade in der heutigen Zeit und in Anbetracht der Herausforderungen im Gesundheitssystem zeitnah geboten. Ich bitte Sie daher um Zustimmung zu unserem Antrag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsministerin Christine Clauß)

Nächste Rednerin ist Frau Lauterbach. Sie spricht für die Linksfraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Die Linksfraktion hat bereits 2006 einen Antrag auf Einführung eines Gemeindeschwesternprogramms in Sachsen gestellt. Dieser wurde abgelehnt. Aber es wurde das Modellprojekt AGnES als zeitlich begrenztes, vollfinanziertes Modell auf den Weg gebracht. Das ist doch schon mal was!

Der heute vorliegende Antrag der Koalition ist im Wesentlichen ein Berichtsantrag. Er zeigt, dass in den letzten Jahren ein Nachdenken eingesetzt hat. Das sehen wir auch an der heutigen Presse: Eine Arbeitsgruppe soll gegen den Ärztemangel antreten. Die Absenkung der Haushaltsstelle zur Förderung von Studenten, die im ländlichen Raum als Hausärztinnen und Hausärzte Dienst tun wollen, ist demgegenüber kontraproduktiv.

Werte Abgeordnete! Es gibt verschiedene Möglichkeiten der besseren Versorgung: Zweigstellenpraxen, Anstellung von Ärzten in niedergelassenen Praxen, Medizinische Versorgungszentren, Gemeindeschwestern – oder eben die Praxisassistentinnen. Diese heißen AGnES, VERAH oder, wie in Niedersachsen, MoNi. Es gibt in der Anstellung wie in der Ausbildung unterschiedliche Ausrichtungen. Das Aufgabenspektrum ist im Wesentlichen gleich.

Schwester AGnES sollte im Auftrag der Ärzte bei Hausbesuchen angeordnete Leistungen verrichten. Sie war nicht zwingend nur einer Praxis zugeordnet, sollte mit modernster Technik ausgestattet sein und in Fallkonferenzen mit den Ärzten ihre Ergebnisse und Aufgaben besprechen. Eine geregelte Finanzierung über Kostenstellen der Krankenkassen konnte nach Ablauf der Modellphase

gesichert werden. Die Genehmigung ist an eine Unterversorgung gebunden.

Während der Modellphase des Projektes AGnES wurde parallel dazu das Modell VERAH aus der Ärzteschaft heraus entwickelt. VERAH ist Teil des Praxisteams. Sie soll in einer Praxis angestellt und bezahlt werden. Auch sie hat das gleiche Aufgabenspektrum wie AGnES, und auch für sie gilt der Vorbehalt der Unterversorgung.

Erfahrungen und Problemlagen, die AGnES die Arbeit erschwert haben, konnten abgestellt werden. VERAH, AGnES oder MoNi in nicht unterbesetzten Gebieten eine Zulassung zu ermöglichen, würde Ärzte vor Ort weiter entlasten und damit die medizinische Betreuung qualitativ und quantitativ verbessern. Durch Neueinstellung von Gemeindeschwestern oder Praxisassistentinnen würden zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen, und die Ärzte könnten von bürokratischem Aufwand wie Dokumentationen oder Statistiken entlastet werden. Es sind und bleiben jedoch arztergänzende und arztentlastende Aufgaben, wenn neu zu besetzende bzw. neu zu schaffende Arztpraxen nicht besetzt werden können. Die Ansiedlung von Ärztinnen/Ärzten hat stets das Primat. Nur die Ärztin/der Arzt hat in Deutschland das Recht zur Ausübung der Heilkunde. Der Patient hat das Recht, von einem Arzt oder einer Ärztin behandelt zu werden.

Zum Schluss bleibt für mich noch eine Frage offen: Wie helfen Sie den Einwohnern in den Orten, die weder einen Hausarztsitz noch eine Zweitpraxis, noch eine Gemeindeschwester besitzen? Wie kommt der Patient zum Arzt? Ich denke, wir müssen hier endlich die Kommunen mit ins Boot nehmen und ihnen Verantwortung übertragen. Ich wünsche den drei Genannten – VERAH, AGnES, MoNi, Gemeindeschwester oder Praxisassistentin – viel Erfolg.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die SPD-Fraktion ist als nächste Rednerin Frau Neukirch gemeldet. Frau Neukirch, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag hat die Koalition einen wichtigen Baustein gesundheitlicher Versorgung benannt. Arztentlastende Dienste werden in Zukunft eine immer größere Rolle spielen und dazu beitragen, die Versorgung insbesondere in der Fläche aufrechtzuerhalten.

Leider liegen zu dem Antrag noch keine Stellungnahme und kein Bericht vor. Es ist schwierig, zu einem Berichtsantrag ohne weitere Schwerpunktsetzung kontrovers zu diskutieren. Deshalb würde ich gern etwas zur Entstehung dieser arztentlastenden Dienste in Erinnerung rufen.

Die verschiedenen Ursachen für den zunehmend problematisch werdenden Arztmangel in ländlichen Regionen haben wir im Plenum schon oft besprochen. Neben der Schwierigkeit, junge ausgebildete Ärzte in die ländlichen Regionen zu locken, sind es vor allem die demografische Entwicklung und die veränderte Familiensozialstruktur,

die zu Bedarfen führen, die früher eben durch andere Netzwerke aufgefangen werden konnten und heute zunehmend durch Ärzte erbracht werden.

Ein Großteil der Patienten ist heute alt bis sehr alt, chronisch krank und hat einige Alterserkrankungen. Viele leben allein und sind nicht mehr mobil. Daraus ergibt sich vor allem für die Hausärzte in der Fläche ein gestiegener Betreuungsbedarf. Dieser Bedarf ist vielleicht nicht mehr neu; denn Hausbesuche zählten schon immer zum Berufsalltag der Hausärzte. Aber solange die Schere auseinandergeht, die Anzahl der Ärzte sinkt und die Zahl der Betreuungsfälle steigt, ist das eine neue Qualität, die uns vor neue Herausforderungen stellt.

Mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz hat Ulla Schmidt im Jahr 2008 die Voraussetzung dafür geschaffen, verschiedene Modellvorhaben zu entwickeln, die zum Ziel haben, ärztliche Tätigkeiten, gerade auch im Betreuungsbereich, delegieren zu können.

Bekannt wurde danach vor allem das Projekt „AGnES“, das gerade hier im Osten noch viele in Erinnerung hatten, die Schwester, die im Dorf unterwegs war und sich um die Belange der Bürgerinnen und Bürger, nicht immer nur die gesundheitlichen, kümmert. Dieses Modell ist vor allem in Mecklenburg-Vorpommern zum Vorzeigemodell, in Sachsen allerdings mehr schlecht als recht umgesetzt worden.

Ich will auch noch daran erinnern, dass die Diskussion über die arztentlastenden Dienste am Anfang ziemlich kontrovers geführt wurde. Die einen befürchteten Konkurrenz für die Pflegedienste, andere sahen schon einen Angriff auf die Kompetenzen des Arztes. So war es in der Anfangszeit auch schwierig für diese Modelle, zum Laufen zu kommen. Diese Diskussion ist nun Gott sei Dank vorbei und gerade in unterversorgten Regionen gewinnen arztentlastende Dienste immer mehr an Zuspruch.

Mittlerweile gibt es neben der „AGnES“ und der hier schon genannten „VERAH“ auch schon andere Modelle. Es gibt die „Eva“, „Sahra“ die „Mopra“ und auch noch ein Modell mit dem Namen „Helfer“.

Im Antrag der Koalition findet sich nur der Hinweis auf die sogenannte VERAH, die Versorgungsassistentin. Von meinen Vorrednern ist darauf schon eingegangen worden.

Interessant wäre in diesem Zusammenhang, einen Überblick über die verschiedenen Modellprojekte zu gewinnen. Das ist im Antrag bisher nicht vorgesehen. Aber diese Anregung kann die Staatsregierung vielleicht aus dieser Debatte mitnehmen und im Bericht zum Antrag über „VERAH“ hinaus einen Überblick über die verschiedenen Modelle geben.

Zum Konzept von „VERAH“: Ich halte es durchaus für sinnvoll. Es setzt beim vorhandenen Personal in der Praxis an. Mitarbeiterinnen vor Ort werden weiterqualifiziert. Das Personal ist den Patienten bekannt. Das Patientenvertrauen ist somit gesichert. Die Assistentin wiederum

ist mit dem Ablauf in der Praxis vertraut und kann ihre Tätigkeit sehr gut integrieren.

Nicht zuletzt sehe ich natürlich auch für die Mitarbeiterinnen der Arztpraxis auch persönlich einen Vorteil, sich im Laufe ihres Berufslebens weiterqualifizieren zu können und neue Kompetenzen zu erwerben. Das ist für alle auf jeden Fall ein Gewinn.

Was die Assistentin alles so macht, ist auch schon gesagt worden. Sie übernimmt vor allem Hausbesuche, koordiniert Leistungen und – ganz wichtig in diesem Zusammenhang – sie soll auch das Feinmanagement nach langen Krankenhausaufenthalten oder bei chronischen Erkrankungen übernehmen. Das ist ein Bereich, der immer mehr in den Blickpunkt der ärztlichen Versorgung geraten muss. Sie unterstützt damit auch die Angehörigen in schwierigen Situationen, wenn es kurzfristig um die Betreuung von schwer erkrankten Angehörigen geht.

Die erste Bilanz und die Studien stellen fest, dass tatsächlich eine Entlastung der Ärzte erfolgt, dass die Versorgungsqualität verbessert wird und dass die Zufriedenheit der Patienten steigt. Das sind also Ergebnisse, mit denen man zufrieden sein kann.