Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges hielt Bundespräsident Richard von Weizsäcker eine bemerkenswerte Rede. Weizsäcker sagte am 8. Mai 1985: „Der 8. Mai ist ein Tag der Erinnerung. Erinnern heißt, eines Geschehens so ehrlich und rein zu
gedenken, dass es zu einem Teil des eigenen Inneren wird. Das stellt große Anforderungen an unsere Wahrhaftigkeit.“ Weiter sagte er: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Damit bot von Weizsäcker den Deutschen und den Europäern eine neue Deutung des 8. Mai. Aus dem Tag der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen wurde ein Tag der Befreiung für alle.
Wen Richard von Weizsäcker mit „allen“ meinte, führte er so aus: „Während des Krieges hat das nationalsozialistische Regime viele Völker gequält und geschändet. Am Ende blieb nur ein Volk übrig, um gequält, geknechtet und geschändet zu werden, das eigene, das deutsche Volk. Immer wieder hat Hitler ausgesprochen, wenn das deutsche Volk schon nicht fähig sei, in diesem Krieg zu siegen, dann möge es eben untergehen.“
(Andreas Storr, NPD: Das besorgen die Etablierten heute ja. – Zuruf des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)
„Die anderen Völker wurden zunächst Opfer eines von Deutschland ausgehenden Krieges, bevor wir selbst zu Opfern unseres eigenen Krieges wurden.“
Die Rede von Weizsäckers fand zu Recht im In- und Ausland große Anerkennung. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung deutscher Geschichte und zum Umgang mit unserer Verantwortung für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Richard von Weizsäcker hat mit der Deutung der deutschen Kapitulation als Tag der Befreiung vielen Menschen eine wichtige Orientierung gegeben. So ist der 8. Mai als Tag der Befreiung fest im Bewusstsein vieler Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Sachsen verankert. Er ist damit de facto bereits ein Gedenktag.
Er wird seit Jahren in vielen Städten und Gemeinden als Anlass genommen, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken. Zeitgleich ist der 8. Mai ein Tag der Mahnung vor den neuen Gefahren menschenverachtender Ideologien. Hier noch ein Zitat: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Damit gibt der 8. Mai mehrere würdige Anlässe, ihn zum Gedenktag zu erklären. Er ist gelebter Gedenktag für viele Menschen in Sachsen. Er ist ein Tag der Mahnung vor neuen Gefahren durch Neonazis und er ist ein Tag des Aufbruchs, denn am 8. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verabschiedet.
Einige von Ihnen fragen sich deshalb: Warum ein weiterer Gedenktag? Als Legislative ist es unsere Aufgabe, Überzeugungen der Menschen in staatlicher Praxis abzubilden.
Die große Verbreitung und die überzeugende Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes sollten uns deshalb Auftrag sein. Uns Sozialdemokraten überzeugt dieser Auftrag. Wir wollen diesem Antrag zustimmen.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, der Linksfraktion ist in diesem Antrag ein bedauernswerter Fehler unterlaufen. Richard von Weizsäcker folgend, kann der 8. Mai eben kein Trauertag sein, er muss ein Gedenktag sein. Der Änderungsantrag der Linken versucht dies klarzustellen. Damit wird der Antrag nicht nur inhaltlich korrekt, sondern der Antrag erhält auch nur so die Würde, die dieses wichtige Thema in diesem Hohen Hause verdient.
Bei allen demokratischen Spielen zwischen Regierung und Opposition, die auch ihre Berechtigung haben: Lassen Sie, sehr geehrte Koalitionäre, den Änderungsantrag der Linken gewähren und gewähren Sie dem Antrag jene Würde in der Schlussabstimmung, die er verdient.
Dem 8. Mai als Trauertag können wir nicht zustimmen; dem 8. Mai als Gedenktag können wir nur zustimmen. Also, folgen wir den Anträgen, damit wir gemeinsam sagen können: Gedenktag 8. Mai, Tag der Befreiung.
(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Andreas Storr, NPD: Dass man die Toten nicht betrauert, sondern ihnen gedenkt!)
Vielen Dank, Herr Homann. – Meine Damen und Herren! Die Fraktion der FDP ist an der Reihe, und es spricht der Abg. Biesok.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion fordert die Einführung des 8. Mai 1945 als gesetzlichen Gedenktag, als Tag der Befreiung. Der 8. Mai ist bereits heute für viele von uns ein Tag der Befreiung. Für alle von uns ist es ein Tag der Befreiung der von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft bedrohten Völker, es ist ein Tag der Befreiung für die Inhaftierten der Konzentrationslager, es ist ein Tag der Befreiung für die Zwangsarbeiter und es ist ein Tag der Befreiung für die Nazigegner in Deutschland selbst.
Dieser Tag steht für die Beendigung von Diktatur und Terror. Es ist unsere Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass ein solches Unrecht nie wieder geschehen darf. Diese Verpflichtung trifft uns im Sächsischen Landtag in einem besonderen Maße, solange die NPD Mitglied dieses Hauses ist.
Wir müssen erinnern und wir dürfen nicht vergessen. All dies tun wir bereits heute an dem gesetzlichen Gedenktag, den wir im Januar haben. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum wir einen zweiten Gedenktag brauchen, an dem wir gesetzlich vorgeschrieben im Freistaat Sachsen ein weiteres Mal gedenken.
Es gibt viele Veranstaltungen im Freistaat Sachsen, die am 8. Mai auf freiwilliger Basis bzw. auf Initiative der Kommunen als Gedenkveranstaltungen stattfinden. Diese Gedenkveranstaltungen sind würdig und entsprechen der historischen Dimension. Erinnert sei hierbei an den „Tag der Demokratie“ im Jahre 2005 in Berlin zum 60. Jahrestag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder auch an die Gedenkveranstaltung hierzu im Sächsischen Landtag. Ich erinnere an die zahlreichen kleinen Gedenkveranstaltungen in den Kommunen.
Auf dem Leipziger Ostfriedhof wurde dieses Jahr bei einer feierlichen Kranzniederlegung der Opfer von Krieg und NS-Diktatur gedacht. In Chemnitz erinnerten mehr als 200 Menschen auf dem sowjetischen Friedhof an die Kapitulation. In Freiburg wurde am 8. Mai im Stadtmuseum eine Ausstellung über die Kriegsgeneration eröffnet.
Die Rede Richard von Weizsäckers wurde schon häufig angesprochen, aber ich möchte hier auch sagen, dass es dazu noch einen zweiten Teil gibt. Richard von Weizsäcker hat gesagt: „Wir in der späteren Bundesrepublik Deutschland erhielten die kostbare Chance auf Freiheit. Vielen Millionen Landsleuten bleibt sie bis heute versagt.“
Weiter heißt es: „Wir haben die Zuversicht, dass der 8. Mai nicht das letzte Datum in unserer Geschichte bleibt, das für alle Deutschen verbindlich ist“ und an dem wir gedenken müssen.
Diese Worte, dass wir in Freiheit gedenken können, sind 1989/1990 Realität geworden. Auch das ist ein Teil unserer Geschichte. Den sollten wir, wenn wir Richard von Weizsäcker zitieren, nicht vernachlässigen,
und dies gerade dann, wenn es ein Antrag der Partei ist, die vielen damals die Freiheit in diesem Landesteil nicht gewährt hat.
Mit dem Gesetzentwurf der Linksfraktion soll den Bürgerinnen und Bürgern von staatlicher Seite ein nochmaliges Gedenken aufgegeben werden. Ich bin der Meinung, Gedenken muss von den Menschen selbst kommen, es muss aus den Herzen der Menschen kommen, sie müssen sich aus dem Herzen erinnern, sie müssen das Erinnern wach halten und sich gegen Bestrebungen wehren, die wieder diese Zustände herbeirufen wollen, die zum
Zweiten Weltkrieg geführt haben. Das muss von den Menschen kommen. Dafür brauchen wir keinen zweiten Feiertag. Deshalb wird meine Fraktion den Gesetzentwurf ablehnen.
Das war Herr Biesok von der FDP-Fraktion. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist nun an der Reihe. Es spricht Herr Abg. Dr. Gerstenberg.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich gibt es keinen Zweifel: Der 8. Mai ist der richtige Tag, um an die Befreiung vom Nationalsozialismus und das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zu erinnern und dieser Ereignisse zu gedenken.
Unsere Fraktion teilt deshalb das Grundanliegen des Gesetzentwurfes, die Bedeutung dieses Tages in ganz Sachsen wahrzunehmen. Auch wir sehen die bei der 1. Lesung des Gesetzentwurfes benannten Entwicklungen auf der europäischen Ebene, wie die entsprechenden Feiertage oder die Debatte um einen europaweiten Gedenk- und Feiertag. Wir kennen auch die UNOResolutionen von 2004 und 2010 und teilen deren Anliegen. In der letzten Resolution 64 257 erklärte die Generalversammlung der UNO den 8. und 9. Mai zu Tagen des Gedenkens und der Versöhnung und bittet alle Mitgliedsstaaten, jedes Jahr zu Ehren aller Opfer des Zweiten Weltkrieges entweder einen oder beide Tage in gebührender Weise zu feiern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir halten es für dringend geboten, der unzähligen Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken, Opfer einer Herrschaft, die keine Fremdherrschaft und auch keine Diktatur einer Minderheit war, sondern ein Terrorsystem mit Furcht und Schrecken, dessen Massenbasis weit über den Bereich der NSDAP und der anderen nationalsozialistischen Organisationen hinausreichte.
Wir begrüßen aber gleichzeitig den Aspekt des Feierns. Wir können feiern, dass es statt eines Schreckens ohne Ende ein Ende mit Schrecken gab, ein Ende, das uns die Möglichkeit bot, ein bei allen Unvollkommenheiten friedliches demokratisches Gemeinwesen aufzubauen.
Der 8. Mai bot die Chance für einen Neubeginn, für die Schaffung rechtsstaatlicher demokratischer Verhältnisse in Deutschland, eine Chance, die allerdings im Osten und im Westen sehr unterschiedlich genutzt wurde.
Herr Schiemann, an einer Stelle kommen wir nicht zusammen: Weil an diesem Tag erinnern, gedenken und feiern nicht zu trennen sind, sehen wir die Einrichtung eines Gedenktages am 8. Mai ergänzend und nicht konkurrierend zum 27. Januar, der seit 1996 in Deutschland der „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ und zugleich „Internationaler Holocaustgedenk
tag“ ist. Das ist ein Gedenktag, den ich für eine wirklich große erinnerungskulturelle Errungenschaft halte und der keinesfalls abgewertet werden darf. Ich denke, darin sind wir uns einig.
Angesichts der Bedeutung des Themas kann ich es überhaupt nicht verstehen, wie wenig Arbeit die Linksfraktion in diesen Gesetzentwurf gesteckt hat. Im Wesentlichen verstecken Sie sich hinter der historischen Rede von Richard von Weizsäcker aus dem Jahre 1985. Die Formulierung der Zielsetzung entspricht voll umfänglich der Begründung der Gesetzesinitiative auf Bundesebene und enthält mehr Zitate als eigene Gedanken.
Das ist ausgesprochen schade, denn gerade im Bereich der Erinnerungskultur ist oft der Weg das Ziel. Durch die Beschäftigung mit Geschichte in öffentlichen Debatten wird Erinnerung geschaffen. Das heißt, der diskursiven Auseinandersetzung mit dem Thema kommt eine zentrale Bedeutung zu.