Protocol of the Session on June 16, 2010

(Thomas Kind, Linksfraktion: Stellen Sie doch die Gesetzeslage her!)

auch abwägen, was wirklich notwendig ist. Ist es bei dem einen das Bewerbungsseminar, bei dem anderen die Fortbildung im Umgang mit dem Computer? Das Eingehen auf die Menschen halte ich für sinnvoll.

Erinnern Sie sich bitte einmal: Wie war es vor den Arbeitsmarktreformen? Es war doch so, dass diejenigen, die Sozialhilfe bezogen haben, auf dem Arbeitsmarkt keine Unterstützung bekommen haben, weil die Ämter dafür nicht zuständig waren. Dafür hat sich das Arbeitsamt überhaupt nicht mehr interessiert. Diese Menschen, die langzeitarbeitslos waren, waren abgestempelt. Jetzt ist dafür auch die Arbeitsverwaltung zuständig, und es ist eine sehr positive Geschichte, dass auch von dort Stellenangebote für diese Menschen kommen.

Es gab auch eine Entbürokratisierung, die richtig und wichtig ist. Wie war es vorher bei der Sozialhilfe? Wir haben zu den Menschen gesagt, wenn ihr eine Waschmaschine braucht oder wenn ihr einen Schrank kauft, dann müsst ihr aufs Amt gehen und das dort beantragen. Jetzt sagen wir, es gibt dafür eine Pauschale, und jeder kann selbst entscheiden, wie er es macht. Die Pauschalen sind eine wesentlich bessere Lösung, die dazu führt, dass man nicht so viel Geld in die Verwaltung stecken muss; denn man braucht ja auch auf staatlicher Seite Personal, das sich darum kümmert. Dieses Geld steht dann für die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen zur Verfügung.

Herr Krauß, gestatten Sie noch eine Nachfrage von Herrn Dr. Pellmann?

Ich würde erst einmal fortfahren; wenn dann noch Bedarf besteht, kann ich gern darauf eingehen.

Ich möchte auf einige Punkte eingehen, die Kollege Pellmann angesprochen hatte und zu denen wir sagen müssen, wir sind leider anderer Meinung als Sie.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Leider!)

Thema Sanktionen: Ich glaube, wir sind uns einig, dass es in Ordnung ist, dass das Arbeitsamt sagt: Herr Müller, Sie

kommen bitte 9 Uhr zur Agentur und wir schauen einmal, was wir zusammen besprechen können. Wenn derjenige nicht kommt, muss man schon einmal nachfragen, welche Gründe es dafür gibt. Wenn es so ist, dass er ein Alkoholproblem hat und es nicht mehr auf die Reihe bekommt, früh um neun aufzustehen, dann können wir gern darüber reden, für ihn eine Entziehungskur zu beantragen. Wenn aber auf der anderen Seite jemand zu faul ist, aufzustehen, dann – das sage ich ganz deutlich – ist es vollkommen in Ordnung, wenn man ihm das Geld streicht.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Was den Punkt „Arbeitslosengeld II trotz Arbeit“ angeht, sind wir uns in einem Punkt einig: Ob selbstständig oder angestellt beschäftigt – wer ordentliche Arbeit abliefert, hat einen fairen Lohn verdient. Wir sind uns auch darüber einig, dass es da manchmal noch Probleme gibt und nicht jeder den fairen Lohn bekommt, den er verdient hat. In einigen Bereichen könnte der Unternehmer beziehungsweise Auftraggeber sicherlich besser bezahlen, als er es gegenwärtig tut.

Aber es gibt auch andere Gründe, wieso man Arbeitslosengeld II trotz Arbeit bekommt. Ich will Ihnen einen plastischen Fall schildern. Bei uns gibt es relativ viele Alleinerziehende. Wenn man alleinerziehend ist, zwei Kinder hat und nicht 40 Stunden arbeitet, sondern nur 30, weil man sich um seine Kinder auch kümmern will, dann liegt das Existenzminimum, auf das man keine Steuern zahlt, bei ungefähr 24 000 Euro pro Jahr. Wenn man nur 30 Stunden wöchentlich arbeitet, ist es schwierig, über das Einkommen von 24 000 Euro zu kommen. Dann ist es die verdammte Pflicht des Staates, dieser Frau einen Zuschuss zu zahlen, damit sich Arbeit lohnt. Es darf nicht so sein, dass wir ihr sagen müssen: Wenn du zu Hause bleibst, hast du das Gleiche!

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Diese Unterstützung muss man also differenziert sehen; sie ist nicht immer falsch. Es ist besser, wir bezahlen einen Zuschuss zur Arbeit, statt dass wir Arbeitslosigkeit bezahlen. Ich bitte wirklich darum, das differenzierter zu sehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich konnte deutlich machen, dass wir zu diesem Themenfeld sehr konträre Ansichten haben. Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linkspartei, werden wir Ihren Entschließungsantrag ablehnen. Ich bitte die übrigen Mitglieder des Hauses, das ebenfalls zu tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsministerin Christine Clauß)

Herr Dr. Pellmann, ich gehe davon aus, dass Sie eine Kurzintervention starten wollen. Ist das richtig?

Sie haben wie immer recht, Herr Präsident. – Herr Krauß, Sie bemän

geln, dass wir keine Vorschläge zur Schaffung neuer Arbeitsplätze unterbreiten würden. Ich darf Sie auf eine Reihe von Drucksachen verweisen, die ich Ihnen gern für die nächste Zeit zusammenstellen lasse, da ich nicht erwarten kann, dass Sie sie sich selbst heraussuchen.

Damit steht mein nächster Kritikpunkt in einem engen Zusammenhang: Was Sie hier vorführen, ist in höchstem Maße problematisch. Sie lehnen alles, was wir vorschlagen, ab. Aber dann fordern Sie uns auf, Vorschläge zu unterbreiten. Das wird mir langsam zu viel. Ich bin jedoch inzwischen in einem Alter, in dem ich das aushalte. Als junger Mensch würde man doch davonlaufen.

Nächster Punkt: Sie finden es besonders toll, dass es keine einmaligen Leistungen mehr gibt. Ich lade Sie zu unserer nächsten Betroffenenanhörung ein. Ich hatte das diesmal vergessen; dafür entschuldige ich mich. Aber wahrscheinlich kommen einige nicht, wenn sie hören, dass auch Sie anwesend sind. Dort können Sie sich die Probleme anhören und anschließend vorrechnen, wie jemand aus dem Regelsatz, der ohnehin zu knapp bemessen ist, eine Waschmaschine, einen Kühlschrank oder was auch immer zusammensparen kann. Das funktioniert einfach nicht. Hören Sie doch auf mit solchen Empfehlungen, die unrealistisch sind!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Krauß, Sie haben die Möglichkeit, auf diese Kurzintervention zu reagieren. – Sie möchten davon nicht Gebrauch machen.

Damit kommen wir zum nächsten Redner. Herr Brangs spricht für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bisher war es eine klassische Debatte zu diesem Thema. Die eine Seite ist der Auffassung, die sogenannten Hartz-IV-Reformen seien als Jobmotor zu bezeichnen. Die Vertreter dieser Auffassung verkaufen auch von diesem Pult aus die Erfolge der Reformen. Die andere Seite sagt, Hartz IV sei in erster Linie eine Armutsfalle, und wir hätten Menschen in die Armut getrieben.

(Zuruf von der NPD: Zu welcher Seite gehört die SPD?)

Eine solche Reform ist immer mit positiven und mit negativen Ereignissen verbunden. Klar ist: Wir haben mit den Reformen den finanziellen Druck auf Arbeitslose erhöht. Das ist unstrittig. Selbstkritisch muss ich einräumen, dass wir bei dem Thema „Fordern und Fördern“ gerade für Ostdeutschland ein Signal gesetzt haben, das an der Lebenswirklichkeit hier vorbeigeht. Wenn man nicht nur fordern, sondern auch fördern will, dann muss man für die Förderung ausreichende Arbeitsmarktinstrumente bereithalten und vor allen Dingen Arbeitsplätze generieren. Was das angeht, ist der Spielraum in den letzten Jahren in der Tat sehr viel kleiner geworden.

Teil der Wahrheit ist auch, dass man die Kürzungsmaßnahmen der jetzigen Bundesregierung nicht unerwähnt lassen darf, wenn man im Rahmen der Debatte über die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE über den Aspekt des Förderns sprechen möchte. Diese Kürzungsmaßnahmen werden wesentlichen Einfluss darauf haben, wie wir zukünftig mit diesem Thema umgehen.

Wir müssen auch darauf hinweisen, dass bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik rund 2 Milliarden Euro eingespart werden sollen. Das ist ein verheerendes Signal.

Unstrittig ist allerdings – ich habe das in vielen Gesprächen mit Betroffenen, aber auch mit denen, die die Verwaltung zu vertreten haben, gelernt –, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im Rahmen der sogenannten Grundsicherung von den Beteiligten als wesentlicher, sinnvoller Schritt in die richtige Richtung angesehen wird. Trotz alledem hat die Ausgestaltung der Grundsicherung dazu geführt, dass Teile der früheren Bedarfsgemeinschaften jetzt auf die eigenständige soziale Grundsicherung verzichten müssen – davon sind gerade Frauen betroffen –, wenn in dem Haushalt noch jemand lebt, der ein höheres Einkommen bezieht. Dass diese Personen aus der Leistungsgewährung herausfallen, wird als Bedrohung empfunden.

Herr Brangs, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte, Herr Dr. Pellmann.

Herr Kollege Brangs, würden Sie mit mir zumindest darin übereinstimmen, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zwar auch von mir begrüßt wird – bis heute! –, dass dies aber nicht auf dem Sozialhilfeniveau hätte geschehen müssen, weil frühere Arbeitslosenhilfebezieher eine monatlich Einbuße von durchschnittlich 300 Euro haben?

Kollege Pellmann, das hat etwas damit zu tun, wie diese Regelsätze festgelegt worden sind. Es ist vollkommen richtig – das wäre mein nächster Punkt gewesen, den ich mir auf meinem Zettelchen aufgeschrieben habe –, dass es Teil der Wahrheit ist, dass man auf veraltete Regelsätze zurückgegriffen hat. In diesem Zusammenhang spielt der abgeleitete Kinderregelsatz eine wichtige Rolle. Das ist ein Problem. Man kann auch nicht eine „Sparquote“ von jemandem einfordern, der auf der Basis eines Hartz-IV-Einkommens leben muss. Da ist nicht mehr viel zu sparen; die Sparquote ist gleich null. Wenn Sie das gemeint haben, gebe ich Ihnen recht.

Deshalb hat es Sinn, genau hinzuschauen. Das Argument, das Problem sei allein Hartz IV, überzeugt mich aber nicht. Man muss doch zur Kenntnis nehmen, dass in den vergangenen Jahren – auch unter Beteiligung der Sozialdemokraten an der Bundesregierung – ein Prozess begon

nen hat, einen Teil der erkannten Fehler zu korrigieren. Wir als SPD haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass auch innerhalb unserer Partei über dieses Thema durchaus kontrovers diskutiert worden ist. Ich will nicht sagen, dass es uns gespalten hat, aber wir haben teilweise eine herbe Debatte geführt. Insofern muss es doch jetzt darum gehen, eine Perspektive aufzuzeigen. Da ist es mir einfach zu wenig, wenn ich höre, an dem Dilemma in der Gesellschaft sei ausschließlich Hartz IV schuld. Es ist mir auch zu wenig, wenn gefordert wird, man müsse einfach alles zurückdrehen und so tun, als habe es Hartz IV und die Begleitgesetze nicht gegeben; dann gebe es eine Perspektive in diesem Land. Das ist zu wenig.

Alle, die sich mit dem Thema länger auseinandergesetzt haben, müssen eines anerkennen: Das Anwachsen der Kluft zwischen Arm und Reich begann, als es Hartz IV noch nicht gab. Das eigentliche Problem – das Auseinandergehen dieser Schere – hat zwar auch mit Hartz IV zu tun, aber nicht allein und ist nicht unmittelbar die Folge von Hartz IV.

Wenn man sich zum Beispiel die Studie des Instituts für Wirtschaft ansieht, ist für mich entscheidend, dass man zwar auf der einen Seite Gesetze erlassen hat, um eine bestimmte Richtung zu geben, aber zum eigentlichen Trend, den ich gerade beschrieben habe, kaum Antworten gefunden hat. Dann ist es sinnvoll, genau darüber nachzudenken. Die Beschlüsse der Bundesregierung, die wir jetzt aktuell vor uns liegen haben, werden dazu beitragen, dass diese Spaltung im Land weiter vorangeht. Das ist das, was ich kritisiere.

Wenn man sich das Sparprogramm ansieht, wird deutlich: Hier sind die Besserverdienenden ausgenommen worden. Hier hat man wahrscheinlich noch einmal besonders die Klientel der FDP verschont. Auf der anderen Seite hat man die belastet, die ohnehin schon Schwierigkeiten haben, in dieser Gesellschaft einen vernünftigen Lebensstandard zu halten.

An dieser Stelle komme ich dann wieder zu dem Thema „Hartz IV“. Wir haben natürlich sofort einen Bezug zu den Hartz-IV-Gesetzen hergestellt. Uns geht es darum, dass die Bundesregierung versucht, etwas zu verändern, was nicht akzeptabel ist. Das ist auch nicht für die Betroffenen akzeptabel. Man hat nicht einmal bei den Pflicht- und Ermessensleistungen eine vernünftige Regelung getroffen. Es ist nicht akzeptabel, dass man den Zuschlag beim Übergang vom Arbeitslosengeld zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ganz einfach abschafft. Es ist auch nicht akzeptabel, dass das Elterngeld bei Leistungsempfängern des Arbeitslosengeldes II eingestellt wird. Es gibt eine Reihe von anderen Punkten, wie die Abschaffung der Rentenversicherungsbeiträge oder den Wegfall der Erstattung für einigungsbedingte Leistungen der Rentenversicherung. Das alles ist nun mit einem Mal im Sparpaket enthalten. Ich glaube, das ist der falsche Weg, um diesem Thema gerecht zu werden.

Ich will nochmals zum Abschluss im Kern versuchen, darauf einzugehen, wo nach meiner Auffassung die

Probleme liegen. Das Hauptproblem zur Armut – das ist gerade in Sachsen ein Problem – sind der sehr hohe Sockel der Arbeitslosigkeit und ein hoher Anteil von Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben ein Riesenproblem mit einem Niedriglohnsektor. Wer glaubt, die Wettbewerbsfähigkeit des Landes über Niedriglöhne herzustellen, der ist auf dem Holzweg. Wir werden die Wettbewerbsfähigkeit nicht über Löhne generieren können,

(Beifall bei der Linksfraktion)

sondern wir werden sie nur generieren können, wenn wir in der Innovationsentwicklung von Produkten einen Schritt weiter sind als die Konkurrenz. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir endlich auch darüber reden, wie wir es schaffen können, dass wir die Lohnspirale, die sich immer weiter nach unten entwickelt, stoppen. Da bin ich wieder, wenn es auch der eine oder andere nicht mehr hören kann, beim gesetzlichen Mindestlohn. Ich bin an dieser Stelle auch deshalb beim gesetzlichen Mindestlohn, weil ich es als nicht vertretbar für die Gesellschaft empfinde, dass wir in Größenordnungen im Bereich des Niedriglohnes reihenweise Aufstocker haben, die durch staatlich subventionierte Steuerleistungen faktisch Arbeitgeber entlasten. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass jemand, der 40 Stunden oder länger arbeitet, von diesem Geld muss leben können.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich bin auch der Auffassung, dass wir den Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung in Sachsen ausbauen müssen, dass wir endlich mit dieser Mär aufhören müssen, den zweiten Arbeitsmarkt, den sogenannten Sozialarbeitsmarkt, als Konkurrenzsituation für den ersten Arbeitsmarkt zu sehen. Das ist nicht der Fall. Keine Studie dieses Landes hat das bundesweit jemals belegt.

(Beifall bei der Linksfraktion)