Protocol of the Session on May 19, 2010

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich eröffne die 15. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Nolle, Herr Dr. Schuster und Frau Windisch. Weitere Entschuldigungen liegen mir nicht vor.

Meine Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident hat mich gebeten, vor Eintritt in die Tagesordnung eine Erklärung zur Eurokrise abgeben zu dürfen. Der Minis

terpräsident und die übrigen Mitglieder der Staatsregierung haben jederzeit die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen. Gemäß § 86 Abs. 4 der Geschäftsordnung wird auf Verlangen einer Fraktion die Aussprache über seine Ausführungen eröffnet. In dieser Aussprache dürfen keine Sachanträge gestellt werden. Ich schlage vor, dass jede Fraktion eine Redezeit erhält, die der Länge der Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten entspricht. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Den sehe ich nicht.

Erklärung des Ministerpräsidenten gemäß § 86 Abs. 4 der Geschäftsordnung

Ich bitte den Herrn Ministerpräsidenten, dass er das Wort ergreift.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Angesichts der in dieser Woche im Bundestag und im Bundesrat anstehenden Entscheidungen zur Stabilisierung des Euro möchte ich heute aus aktuellem Anlass vor Ihnen, dem Sächsischen Landtag, eine Erklärung abgeben.

Meine Damen und Herren! 2009 hatte der Euro seinen zehnten Geburtstag. Nun, im elften Jahr, muss er seine Feuertaufe bestehen. Der Rat der Europäischen Union hat am 10. Mai 2010 Maßnahmen zur Sicherung der Finanzstabilität im Euroraum beschlossen. Innerhalb kürzester Zeit hat die Europäische Union Handlungsfähigkeit bewiesen und das Hilfspaket für Griechenland in Höhe von 110 Milliarden Euro verabschiedet. Jetzt schließt sich das Maßnahmenpaket zur Sicherung der Finanzstabilität des Euro im Volumen von 750 Milliarden Euro an.

Der Landeshaushalt des Freistaates Sachsen ist an dem vorliegenden Rettungspaket nicht beteiligt. Dennoch: Alle, die Verantwortung tragen, sind entschlossen, den Euro zu stabilisieren. Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf gebilligt, der die gesetzliche Grundlage zur Umsetzung dieser Vereinbarung bildet. Die Bundesregierung ist außerdem aufgefordert, sich auf europäischer und globaler Ebene für eine wirksame Finanzmarktsteuer, also eine Finanztransaktionssteuer oder eine Finanzaktivitätssteuer, einzusetzen. Es geht darum, dass sich die Finanzmarktakteure an der Krisenbewältigung beteiligen.

Der Bundestag wird heute mehrheitlich den Gesetzentwurf der Bundesregierung billigen. Auch der Bundesrat wird seine gesamtstaatliche Verantwortung am kommenden Freitag wahrnehmen und voraussichtlich gegen das Gesetz keinen Einspruch einlegen. Auch der Freistaat Sachsen wird es nicht tun.

Das ist eine Entscheidung von großer Tragweite, meine Damen und Herren, und wir haben sie uns nicht leicht gemacht. Zur Erinnerung: Am 24. April 1998 stimmte der Bundesrat über die Einführung des Euro in den von der EU-Kommission festgelegten Ländern ab. Sachsen hat damals nicht zugestimmt, weil die Sächsische Staatsregierung schwere Bedenken gegen die Konstruktion der Währungsunion hegte. Diese Bedenken haben sich im Prinzip bewahrheitet. Dennoch gibt es keine Alternative als die Zustimmung zum jetzt vorliegenden Hilfspaket.

Viele Bürger fragen sich: Warum stimmt die Sächsische Staatsregierung in diesen Tagen dem Hilfspaket zu? Die Bürger haben Angst vor einer Inflation, vor Steuererhöhungen, vor Sozialabbau. Sie sehen ihren – oft bescheidenen – Wohlstand durch die Hilfe für Griechenland und die Verteidigung des Euro in Gefahr. Diese besorgten Bürger fragen zu Recht; denn Sachsens Markenzeichen ist seit vielen Jahren die solide Haushaltsführung. Unsere Philosophie ist, nicht mehr auszugeben als wir einnehmen. Das gilt gerade auch für die schwierigen Haushaltsjahre. Seit 2006 haben wir keine neuen Schulden aufgenommen. Auch in diesem schweren Jahr 2010 werden wir so viel tilgen, dass die Pro-Kopf-Verschuldung im Freistaat Sachsen konstant bleibt. Wir haben uns manches wünschenswerte Extra verkniffen, das sich andere – heute hoch verschuldete – Länder geleistet haben. Da lässt es mich genau wie alle anderen Bürger nicht kalt, wenn ein Schuldner wie Griechenland letztendlich auch mit den hart verdienten Steuer-Euros sächsischer Bürger unterstützt werden kann oder muss.

Aber es geht hier nicht mehr nur um Griechenland, sondern um den Euro und die Europäische Union selbst. Die Europäischen Gemeinschaften haben uns in Europa seit den Römischen Verträgen von 1958 die längste Friedensperiode unserer Geschichte gebracht. Diese Friedensordnung sicherte uns beispiellosen Wohlstand. Der Binnenmarkt brachte uns zusätzlich ein Europa ohne Zollgrenzen und Handelsschranken. Die deutsche Einheit war nur im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses

denk- und machbar. Die Europäische Union war solidarisch mit dem Freistaat Sachsen. Sie hat uns beim Wiederaufbau bis 2006 mit mehr als 10 Milliarden Euro unterstützt. In der Förderperiode 2007 bis 2013 erhalten wir weitere 4 Milliarden Euro aus Brüssel. Solidarität ist in der Europäischen Union keine Einbahnstraße.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Sächsische Exportfirmen verdienen jeden dritten Euro im Handel mit Partnern in der Eurozone – ohne jegliches Wechselkursrisiko. In diesen Tagen ist es unsere Aufgabe, den Euro zu stabilisieren.

Was aber wäre die Alternative? Der mögliche Bankrott des griechischen Staates. Das wäre sicherlich – zumindest nach Auffassung von einigen – die ordnungspolitisch sauberste Lösung. Aber die Konsequenzen wären auch für uns Sachsen fatal. Für die Länder, die noch im Euroverbund sind, würde sich die Kreditaufnahme erheblich verteuern. Die wachsenden Zinslasten würden die Spielräume in den öffentlichen Haushalten noch weiter einschränken. Wie im Domino wäre ein hoch verschuldetes Euroland nach dem anderen gefährdet. Es wäre das Ende des Euro, womöglich auch das Ende der europäischen Idee zu befürchten.

Das würde uns in Sachsen und in ganz Deutschland ebenso wie alle Europäer hart treffen. Tausende Arbeitsplätze in der Exportindustrie wären in Gefahr. Unsere Unternehmen wären einem immens wachsenden Wechselkursrisiko ausgesetzt. Die wirtschaftliche Entwicklung gerade in Osteuropa, aber auch bei uns im Osten Deutschlands käme ohne europäische Hilfen massiv ins Stocken. Wir wollen die sächsischen Bürger diesen Gefahren nicht aussetzen. Deshalb werden wir im Bundesrat – so hat es die Staatsregierung gestern beschlossen – keinen Einspruch einlegen.

(Jürgen Gansel, NPD: Verrat!)

Meine Damen und Herren! Kurt Biedenkopf hat damals bei der Entscheidung über den Euro gesagt – –

Entschuldigung, Herr Ministerpräsident! – Herr Abg. Gansel, ich erteile Ihnen einen Ordnungsruf.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie vereinzelt bei der Linksfraktion und der SPD – Holger Apfel, NPD: Das ändert aber nichts am Fakt!)

Meine Damen und Herren! Kurt Biedenkopf hat damals bei der Entscheidung über den Euro gesagt: „Ziel ist es, eine Stabilitätsgemeinschaft zu schaffen und eine Stabilitätskultur zu verwirklichen.“ – Die Europäische Union braucht starke, durchsetzbare Regeln für eine solide Haushaltsführung – in allen Mitgliedstaaten. Ein Fall wie der von Griechenland darf nicht wieder vorkommen. Deshalb unterstütze ich

ausdrücklich den Plan der Bundeskanzlerin zur Verbesserung der Stabilitätskultur, den sie soeben im Deutschen Bundestag vorgestellt hat.

Die Währungsunion braucht eine starke, unabhängige Zentralbank. Wir sehen allerdings, dass die Europäische Zentralbank in ihrer Unabhängigkeit massiv bedroht ist – mit schweren Konsequenzen für die Stabilität des Euro.

Also: Wenn wir nicht bald diese Regeln bekommen, dann haben wir mit der Hilfe für Griechenland kurzfristig ein Problem gelöst, aber uns langfristig ein noch viel größeres eingehandelt. Das mahnen, meine Damen und Herren, auch die sächsischen Koalitionsfraktionen zu Recht an.

Die Sächsische Staatsregierung wird sich bei der Bundesregierung mit allem Nachdruck dafür einsetzen, die Stabilität der Währungsunion mit Blick auf das Regelwerk zu verbessern. Auch das gehört zu unserer gesamtstaatlichen Verantwortung.

Zwischenzeitlich sind es die harten Regeln des IWF, die die verschuldeten Länder zu drakonischen Konsolidierungsmaßnahmen zwingen.

Meine Damen und Herren! Ursache der Krise ist nicht die Spekulation allein, sondern zuvörderst die übermäßige Verschuldung Griechenlands und anderer Staaten.

(Andreas Storr, NPD: Wie zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland!)

Wenn Griechenland im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft so gering verschuldet wäre wie der Freistaat Sachsen, gäbe es mit Spekulationen keine Probleme. Anders herum formuliert: Sachsen ist mit seiner Haushaltspolitik eines der Länder, das zur Stabilität des Euro in der Europäischen Union beiträgt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Staatsregierung wird dazu beitragen, dass das auch weiterhin so bleibt. Wir hoffen, dass unser Kurs, den wir hier im Freistaat Sachsen verfolgen – nämlich nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen –, in den Staaten und Regionen zahlreiche Nachahmer findet. Dann wird die Erfolgsgeschichte Europas viele weitere Kapitel bekommen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Für die Staatsregierung sprach unser Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Die Fraktionen haben jetzt die Möglichkeit der Erwiderung. Zuerst erteile ich der Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte, Herr Fraktionsvorsitzender Dr. Hahn.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen zunächst für die Information, die Sie uns eben gegeben haben, auch was das absehbare Stimmverhalten des Freistaates Sachsen angeht. Zugleich

freue ich mich, dass Sie als Ministerpräsident noch da sind. Ich sage das ganz deutlich.

Sie haben nach der Regierungserklärung,

(Jürgen Gansel, NPD: Vielleicht überlebt er den Euro!)

die Sie gehalten haben, nur ein einziges Mal geredet, wenn ich mich richtig erinnere, nämlich zur Einführung der Jobcenter und zu den Vereinbarungen, die dort im Zusammenhang mit den Urteilen zu Hartz IV getroffen worden sind. Sie haben nichts zu den Lehrerprotesten gesagt. Sie haben sich hier nicht zu den sozialen Kürzungen geäußert. Sie haben hier als Ministerpräsident keine Stellung zur Situation der sächsischen Polizei und zu den wegbrechenden Steuereinnahmen genommen.

Ich erwarte, dass sich ein Ministerpräsident nicht nur zu internationalen Fragen, sondern auch zu den Problemen des eigenen Landes äußert, und zwar in erster Linie.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Heute nun die Information zur Bewältigung der Eurokrise, also über einen Bereich, in dem der Landtag im Wesentlichen – darauf haben Sie aufmerksam gemacht – nichts zu entscheiden hat. Trotzdem danke ich Ihnen dafür.

Parallel läuft auch die Debatte zu diesem Thema im Deutschen Bundestag. Die Kanzlerin hat dort von einer existenziellen Krise gesprochen und gesagt, wenn der Euro scheitere, dann scheitere auch Europa. Die Lage ist also ernst, ernster noch als bei der Wirtschafts- und Finanzkrise vor zwei Jahren. Allerdings sollten wir in dieser Situation nicht vergessen: Dass die Lage ernster geworden ist, hängt vor allem damit zusammen, dass in den Jahren 2008 und danach die notwendigen Konsequenzen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht gezogen worden sind.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der NPD)

Meine Damen und Herren! Ich darf daran erinnern. Die Hedgefonds wurden nicht verboten, Leerverkäufe waren weiterhin zugelassen, jetzt durch die BaFin für einige Monate wieder ausgesetzt. Alle spekulationsfördernden Gesetze und sämtliche Steuererleichterungen für Spekulationsgewinne sind nach wie vor in Kraft. Nichts hat sich seit 2008 substanziell geändert. Dazu allerdings hat der Ministerpräsident in seinen Ausführungen leider wieder einmal nichts gesagt. Zumindest hat er heute das Wort „Finanztransaktionssteuer“ in den Mund genommen,

(Beifall bei der SPD)

das CDU und FDP bislang gescheut haben wie der Teufel das Weihwasser.

Ihnen ist bekannt, meine Damen und Herren, dass wir eine solche Finanztransaktionssteuer seit Jahren gefordert haben. Inzwischen gibt es auch bei den Sozialdemokraten

und bei den GRÜNEN entsprechende Forderungen. Ich freue mich, dass hier Bewegung erkennbar ist.