Protocol of the Session on May 19, 2010

Im Wesentlichen sind die Argumente ausgetauscht. Ich denke, wir verstehen uns doch, auch dann, wenn Sie natürlich – das ist eben so und darüber sind wir nicht verwundert – unsere Anträge ablehnen werden. Aber respektieren Sie doch wenigstens die Argumente.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Prof. Besier. – Ich frage nun die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Herr Dr. Gerstenberg, Sie hatten vorhin schon angekündigt, dass Sie in der zweiten Runde noch reden möchten. Nun haben Sie das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute tut es mir ausgesprochen leid, dass wir als Fraktion nicht mehr viel Zeit haben. Deshalb nur ganz kurz, Kollege Tippelt: Ich freue mich sehr für diese Stipendiatin. Sie hat sicher ein Stipendium aus den Landesstipendien oder aus einem Begabtenförderwerk erhalten. Ich freue mich deshalb für sie, dass sie nicht sagen muss: Ich hätte fast

ein Stipendium erhalten, nur fehlte leider der Wirtschaftspartner.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Sie haben im Ausschuss Ihr Stipendienprogramm als besonders innovativ bezeichnet. Das mag ja stimmen im Vergleich zum BAföG, aber nicht alles, was innovativ ist, funktioniert auch. Wir brauchen jetzt hier in Sachsen nicht den Umweg eines teuren unternehmensfinanzierten Stipendienprogramms. Wir brauchen einen gründlichen Umbau der individuellen Bildungsfinanzierung. Das steht fest. Wir brauchen eine größere öffentliche Verantwortung dafür. Wir müssen jedem Studierenden zumindest mittelfristig einen elternunabhängigen Unterhalt sichern, und das unabhängig vom Alter, vom gewählten Bildungsgang und von der Fachrichtung.

Kollege Prof. Schneider: Ich habe von Ihnen keine Argumente demgegenüber gehört, was aufgezählt wurde: die Fächerselektion, die im Stipendienprogramm liegt, die Schwäche der Wirtschaft hier in Sachsen und in anderen ostdeutschen Ländern und die soziale Selektion, die verstärkt wird. Wenn Sie mir das nicht glauben, fragen Sie bitte die Fachleute an der TU Dresden; Prof. Andrä Wolter ist gern zu Auskünften bereit. Sie sagten, lassen Sie es uns doch erst einmal versuchen. Ich halte es nicht für vorausschauende Politik, etwas zu versuchen und in einigen Jahren festzustellen: Es hat leider nicht geklappt.

(Beifall und Heiterkeit bei den GRÜNEN)

Es ist deshalb nicht sinnvoll, weil wir dieses Geld heute brauchen. Wir haben in der letzten Wissenschaftsausschusssitzung einen Antrag unserer Fraktion beraten, der Verbesserungen beim BAföG vorsieht. Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes hat diese Forderungen bestätigt. Es reicht nicht aus, Herr Tippelt, die Bedarfssätze, wie von der Bundesregierung geplant, um 2 bis 3 % zu erhöhen. Wir brauchen eine deutliche Erhöhung um 5 % und klare Verbesserungen in der Förderpraxis.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Sozialerhebung hat ein weiteres Mal gezeigt, dass für die Studierenden in den ostdeutschen Ländern das BAföG wesentlich wichtiger ist als in Westdeutschland. Demgegenüber droht das Stipendienprogramm, Studierende in den Westländern zu bevorzugen. Der Freistaat muss sich deshalb im sächsischen Interesse für eine deutliche Erhöhung des BAföG und für einen Verzicht auf das Stipendienprogramm einsetzen. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Ost-West-Gerechtigkeit. Wer Aufstieg durch Bildung will, der kann sich nicht auf Studiengebührenfreiheit in Sachsen ausruhen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Dr. Gerstenberg. – Ich frage die Fraktion der SPD. – Herr Mann, bitte. Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren, insbesondere die Kollegen von CDU und FDP! Ich muss feststellen, Sie haben hier in der Debatte nicht auf Argumente reagiert. Sie haben nicht auf das Argument der sozialen Benachteiligung reagiert. Sie haben das Argument des Bürokratieaufbaus nicht beantwortet. Sie haben das Argument nicht beantwortet, dass die sächsische Wirtschaft nicht die Leistungskraft hat. Sie haben das Argument nicht beantwortet, dass damit Umverteilungseffekte innerhalb der Bundesrepublik in die wirtschaftsstarken, insbesondere süddeutschen Regionen stattfinden, und Sie haben – meiner Meinung nach – Fehlfeststellungen getroffen.

Ich will auf Ihre Argumente eingehen. Herr Prof. Schneider, Sie haben Ihr Stipendienprogramm sozial genannt. Ich kann es nur zynisch nennen, wenn die Chancen eines Menschen aus einer weniger gut verdienenden Familie zehnmal schlechter sind als die aus einer gutverdienenden Familie, ein Leistungsstipendium zu bekommen. Das ein soziales Programm zu nennen, das nenne ich zynisch.

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Herr Kollege Tippelt, Sie haben hier gesagt, Ihr Stipendienprogramm würde nicht aufs BAföG angerechnet. Schauen Sie einmal in Ihren Gesetzentwurf. Das ist der Fall. Zumindest diese Sachen sollten stimmen. Sie haben auch gesagt, die Hochschulen wählen aus. Hier möchte ich zumindest ergänzen, die Hochschulen wählen eben nicht allein aus, sondern die Wirtschaft soll – auch das steht im Gesetz und in der Stellungnahme der Bundesregierung – ein Mitbestimmungsrecht bekommen, wer ausgewählt wird. Darüber wird es Lenkungseffekte geben, die bestimmte Fachbereiche und auch bestimmte soziale Gruppen aus diesem Förderprogramm ausschließen. Ich denke also, es gibt gute Argumente gegen dieses Stipendiatenprogramm.

Sie haben mehrfach wiederholt oder Ihre Ansicht kundgetan, dass das BAföG keine Leistungsanreize setzt. Ich weiß, dass das BAföG nur für die Dauer der Regelstudienzeit fördert. Ich halte es durchaus im heutigen Hochschulsystem für eine Leistung, sein Studium in der Regelstudienzeit zu vollenden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich weiß, dass das BAföG durchaus Erstattung und Erlasse bei guten Studienleistungen bereithält. Auch das ist ein Leistungsanreiz. Woher also diese Behauptung, dass es diese in dem bestehenden System bisher nicht geben sollte. Hier wünschte ich mir eine Erläuterung. Vor allen Dingen aber hätte ich gern von den Koalitionsfraktionen erklärt, warum in der Beratung des Bundesrates im Kultusausschuss zum Beispiel ein schwarz-gelb regiertes Land wie Schleswig-Holstein gegen das Stipendienprogramm gestimmt hat und auch Ihre Kollegen in Thüringen sich dagegen gewandt haben. Vielleicht haben sie erkannt, dass es hier eine Umverteilungswirkung gibt, die insbesondere auch Sachsen auf die Füße fallen wird.

Diese Reihe könnte ich durchaus fortsetzen. Diese Frage müssen Sie beantworten und ich hoffe, dass Sie in der zweiten Runde auf einzelne Argumente noch eingehen.

Vielen Dank, Herr Mann. – Ich frage die CDU-Fraktion. – Ich sehe schon, Herr Prof. Schneider, bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie von der Opposition haben ein Problem mit Elite – offensichtlich, ganz offensichtlich.

(Zuruf von der Linksfraktion)

Herr Besier, Sie haben eben ausgeführt, Sie hätten die Argumente genannt. Sie hätten überhaupt keine Polemik dargestellt. Wenn ich das richtig verstanden habe – wenn ich es nicht ganz wörtlich hinbekomme, korrigieren Sie mich –, aber die Ausführungen, die ich mir notiert habe, waren: Sie führten im ersten Redebeitrag aus, die Bundesregierung würde hier gleichsam eine Bildungsfassade aufbauen, weil man ja belegen müsse, etwas getan zu haben. Soll das ein Argument sein? Sie haben alle gesagt, es fehle die Auseinandersetzung mit Argumenten. Jetzt will ich Ihnen einmal die Frage stellen: Soll das ein Argument sein, dass Verwaltungsaufwand von vornherein so ein Popanz sei, der nicht zu bewältigen ist für dieses Stipendienmodell, das angedacht ist, das auf den Weg gebracht werden soll? Das ist nicht mehr und nicht weniger als eine Befürchtung, die Sie hier schüren.

(Zurufe der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, und Dr. Eva-Maria Stange, SPD – Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Argumente sind das nicht. Das sind allenfalls Thesen. Es sind Behauptungen, die noch zu beweisen wären. Aber den Beweis werden Sie nicht antreten können. Lassen Sie es uns doch einfach erst einmal machen.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE – Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Meine Damen und Herren! Es ist ausgeführt worden, es gehe doch darum, die Basis zu verbreitern. Natürlich. Aber es geht doch auch darum, zugleich einmal Exzellenz auf den Weg zu bringen. Soll das schlecht sein?

Herr Prof. Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Prof. Schneider! Wenn es um Argumente geht, möchte ich zumindest eine Frage stellen. Sie wissen ja mit Sicherheit, dass man in den Hochschulen für Fundraising ausreichendes und qualifiziertes Personal braucht, um dort erfolgreich zu sein. Können Sie mir beantworten, was Hochschulen, die unter Kürzungsandrohungen stehen, was

Personal und Finanzen betrifft, bewegen soll, zusätzliches Personal für das Akquirieren dieser Mittel aus der Wirtschaft einzustellen, qualifiziertes Personal, von dem die Hochschule eigentlich selbst nichts hat, nur einige Studierende?

Danke, Herr Gerstenberg, für die Frage. Die ist gut. Super Frage; die beantworte ich gern. Schauen Sie sich einmal die Hertie School of Governance an. In dieser Universität funktioniert alles, sogar auf privater Basis, natürlich auch auf der Basis von Fundraising. Diese Universität darf zu Recht als Eliteuniversität bezeichnet werden. Sie hat immerhin kein geringerer als Kurt Biedenkopf gegründet. Sie funktioniert erstklassig.

Sie gestatten eine Nachfrage?

Wir werden uns gewiss über die Themenbereiche noch sehr viel auszutauschen haben, aber ich möchte nur darum bitten: Lassen Sie uns doch einfach den Weg gehen und reden wir ihn nicht hinweg.

Meine Damen und Herren! Sie sollten sich vielleicht auch einmal mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass wir in Deutschland momentan eher die Situation haben, dass teilweise auch Eliten, und zwar nicht im monetären Sinne, sondern intellektuelle Eliten hier abwandern. Kann man nicht einmal versuchen, mit einem neuen Modell einen neuen Weg zu gehen? Sie wollen das von vornherein wegdiskutieren. Herr Besier, Sie haben gesagt, es gehe darum, hier Klischees zu schaffen. Überhaupt nicht! Sie haben Klischees dargestellt. Klar, Sie haben das gemacht.

(Zuruf der Abg. Julia Bonk, Linksfraktion)

Meine Damen und Herren! Gegen Stipendienmodelle habe ich von Ihnen nichts gehört. Ich habe Thesen und Behauptungen gehört. Diese sind nicht geeignet, Ihre eigenen Anträge zu stützen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Da haben Sie nicht zugehört!)

Das war Prof. Schneider für die Fraktion der CDU. Ich frage die FDP. – Hier besteht kein Redebedarf mehr.

Von der NPD ist niemand da. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Frau Staatsministerin Prof. von Schorlemer, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In der vierzigjährigen Geschichte des BAföG haben Bund und Länder stets im Konsens zusammengewirkt, um Chancengerechtigkeit in der Bildung zu sichern. Diese Tradition gilt es fortzusetzen.

Dem Bund ist allerdings zuzustimmen, dass er bei der Förderung von Studierenden nicht mehr wie bisher nur

auf eine Verbesserung des BAföG setzt, sondern auf einen Dreiklang aus BAföG, Stipendium und Bildungsdarlehen zu rückzahlbaren Konditionen, kalkulierbar und tragbar. Damit sollen Studierwillige aus allen gesellschaftlichen Schichten erreicht und attraktive Lösungen zur Finanzierung ihrer Ausbildung geboten werden. Ein Studium darf nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Was hat der Bund vor? Mit dem 23. BAföG-Änderungsgesetz will die Bundesregierung noch im Jahr 2010 spürbare Verbesserungen in der BAföG-Struktur vornehmen. Junge Menschen aus einkommensschwächeren Familien erhalten durch das BAföG eine finanzielle Unterstützung als verlässliche Rahmenbedingung für ihre Studienentscheidung.

Der Bund will eine weitere Steigerung der Zahl der Studienanfänger in Deutschland unterstützen. Der Kreis der Förderberechtigten soll ausgeweitet werden, damit mehr junge Menschen ein Studium aufnehmen können. Deshalb sollen die Einkommensfreibeträge um 3 % angehoben werden. Um Studierenden verbesserte persönliche Bedingungen zu ermöglichen, sollen außerdem die Mittel für den Lebensunterhalt angepasst werden. Für die BAföG-Empfänger sollen daher die Bedarfssätze um 2 % angehoben werden.

Die Staatsregierung ist der Auffassung, dass das BAföG inhaltlich und strukturell weiterentwickelt werden muss. Wir bewerten die Reformvorhaben der Bundesregierung deswegen grundsätzlich positiv.

Besonders erwähnenswert erscheinen mir folgende Reformvorhaben: Die Altersgrenze von 30 Jahren für einen förderungswürdigen Masterstudiengang soll mit Rücksicht auf die Einführung der gestuften Studiengänge auf 35 Jahre angehoben werden. Bei einem erstmaligen Fachrichtungswechsel aus wichtigem Grund soll die bis zu diesem Termin absolvierte Studienzeit nicht auf die Höchstförderungsdauer angerechnet werden. Das Bewilligungsverfahren soll durch die Einführung einer Mietkostenpauschale für die auswärtige Unterbringung vereinfacht werden. Leistungsbezogene Stipendien sollen zumindest teilweise von der Anrechnung freigestellt werden.

Ich denke, das ist für die Studierenden ein tatsächlicher Vorteil, denn die bisherige volle Anrechnung leistungsbezogener Stipendien war doch demotivierend. Die bestehende dreijährige Orientierungsphase zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn der Kindererziehung soll aufgehoben werden. Das ist für Studierende, die aus familiären Gründen den Beginn des Studiums verschieben mussten, ebenfalls ein wesentlicher Fortschritt.