Wir müssen außerdem sehen: Eine asymmetrische Kriegsführung ist mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen, sondern es ist erkennbar, dass der Krieg dort weiter eskaliert und möglicherweise auch verstärkt den Terrorismus in den westlichen Ländern selbst stärkt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist 13:10 Uhr. Wir beginnen pünktlich nach der Mittagspause und ich rufe auf
1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Einführung eines Tages des Erinnerns und Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa am 8. Mai 1945 (Tag der Befreiung)
Es gibt keine allgemeine Aussprache, sondern nur die Einbringung. Ich bitte jetzt die einreichende Fraktion, das Wort zu nehmen. Herr Abg. Külow, bitte.
Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Sonnabend der kommenden Woche, am 8. Mai 2010, 65 Jahre nach der Befreiung der Völker Europas vom Hitlerfaschismus, 65 Jahre nach dem Ende der Shoa, gedenken wieder zahlreiche Staaten und Millionen von Menschen dieses Tages, der unstrittig Weltgeschichte schrieb.
In einigen Ländern ist der 8. oder 9. Mai staatlicher Feiertag, so unter anderem in Frankreich, Tschechien und der Slowakei. Anderswo ist er – wie beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern – gesetzlicher Gedenktag. In den Niederlanden heißt dieser Tag Bevrijdingstag und wird bereits am 5. Mai gefeiert.
Oder – um die Perspektive zu wechseln und den Blick zu schärfen –: Die Welt schaut genau hin, wie Deutschland und seine Bundesländer mit dem 8. Mai umgehen.
Auch in Sachsen wird dieses Tages von Bürgerinnen und Bürgern ganz unterschiedlicher politischer Prägung und religiöser Bekenntnisse in einer Vielzahl von Veranstaltungen gedacht. Bereits am 7. Mai wird beispielsweise der Landesrabbiner Sachsens, Herr Dr. Almekias-Siegl, mit dem geistlichen Oberhaupt der russisch-orthodoxen Gemeinde Leipzig, Herrn Erzpriester Tomjuk, bei einer Veranstaltung des Jüdischen Forums beim DeutschRussischen Zentrum Sachsen einen gemeinsamen Kranz am Ehrenmal der Roten Armee in Leipzig niederlegen. Das war im vergangenen Jahr noch ein weit beachtetes Novum. Daraus entwickelt sich in naher Zukunft vielleicht eine bemerkenswerte Tradition.
Im Unterschied zur Landeshauptstadt Dresden, die sich verdächtig zurückhält, findet in Leipzig am 8. Mai selbstverständlich auch eine offizielle Gedenkveranstaltung der Stadt Leipzig statt, einschließlich sieben einzelnen Kranzniederlegungen auf dem Ostfriedhof.
Einige bewegende Gedenkveranstaltungen haben entsprechend dem historischen Geschehen vor 65 Jahren im Vorfeld des diesjährigen 8. Mai bereits stattgefunden. Am vergangenen Freitag wurde beispielsweise auf dem Gelände der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain in würdiger Weise an die Befreiung des Kriegsgefangenenlagers durch sowjetische Truppen am 23. April 1945 erinnert. Auf diesem größten Friedhof sowjetischer Kriegsgefangener
in Deutschland sind mehr als 25 000 sowjetische und Hunderte italienische, serbische und polnische Kriegsgefangene bestattet.
In ihrer Ansprache betonte die Vizepräsidentin des Sächsischen Landtages, Andrea Dombois, dass der Nationalsozialismus – ich zitiere – „ein Verbrechen an der Menschheit und eine der tiefsten Zäsuren und Narben in der Geschichte der Welt war“.
Sie ergänzte die Feststellung mit einem Zitat des namhaften italienischen Schriftstellers und AuschwitzÜberlebenden Primo Levi: „Es ist geschehen, also kann es wieder geschehen.“ Die Wiederholung dieser Schreckenszeit mit aller Kraft zu verhindern ist der Auftrag und das Vermächtnis der Geschichte an uns alle.
Mit der Einbringung unseres Gesetzentwurfes zur Einführung eines gesetzlichen Tages des Erinnerns und Gedenkens an die Befreiung vom Nationalsozialismus und die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa möchte DIE LINKE einen Beitrag dazu leisten, dass wir in Sachsen dieser gemeinsamen historischen Verantwortung künftig noch besser gerecht werden. Dazu eignet sich kein Tag besser als der 8. Mai.
Alles andere als zufällig eröffnete Richard von Weizsäcker als damaliger Bundespräsident seine berühmte Rede am 8. Mai 1985 zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft daher mit der Forderung, wie man mit diesem Tag umgehen sollte.
„Der 8. Mai ist für uns vor allem ein Tag der Erinnerung an das, was Menschen erleiden mussten. Er ist zugleich ein Tag des Nachdenkens über den Gang unserer Geschichte. Je ehrlicher wir ihn begehen, desto freier sind wir, uns seinen Folgen verantwortlich zu stellen“. Einige Abschnitte später folgt dann diejenige Redepassage, die in besonderer Weise Geschichte schreiben sollte und heute fester Bestandteil der nationalen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik Deutschland ist: „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“
Und er setzte nur wenige Sätze später in geradezu apodiktischer Weise eine Feststellung hinzu, die bis heute – man
merkt es an den Zwischenrufen von Herrn Storr und seinen Kameraden – für Teile der politischen Elite keinesfalls selbstverständlich ist: „Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen.“ Diese Schonungslosigkeit und Offenheit, mit der Weizsäcker in seiner Rede die Ursachen, die zum Krieg, zum Holocaust, zur Vertreibung von Völkerstämmen und zum geteilten Europa führten, analysiert und daraus Konsequenzen für die Gegenwart zog, war bis dahin für eine öffentliche Rede eines bundesdeutschen Staatsoberhaupts ohne Beispiel. Noch heute, ein Vierteljahrhundert später, nötigt diese Klarheit Weizsäckers großen Respekt und Anerkennung ab.
In seiner Ansprache erinnerte Weizsäcker auch an die historische Begegnung amerikanischer und sowjetischer Soldaten an der Elbe. Am vergangenen Wochenende haben wieder rund 20 000 Torgauer und ihre Gäste des 65. Jahrestages dieses großartigen Handschlags zwischen den Soldaten beider Seiten gedacht. Die amerikanische Kotzebue-Patrouille vom 273. Regiment der 1. US-Army traf am 25. April 1945 auf die Vorausabteilung des sowjetischen Gardeschützenregiments Nr. 175. Die beiden siegreichen Armeen begegneten sich in Deutschland auf dem Territorium des heutigen Sachsen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass andere Länder stolz auf ein solches Ereignis der Zeitgeschichte wären und keine Gelegenheit ausließen, es angemessen und offiziell zu würdigen.
Die historische Begegnung an der Elbe war im Übrigen nicht nur Anlass für gleichlautende Presseerklärungen der Regierungen in London, Moskau und Washington. Dieser legendäre 25. April 1945 war auch gewiss ein sehr bemerkenswertes Zusammentreffen zweier epochaler Ereignisse. Es war nämlich auch der erste Tag der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen im Opernhaus in San Francisco. Es bietet sich daher an, auf die Resolution 59/26, verabschiedet am 22. November 2004 auf der 59. Plenarsitzung der UNO, zu verweisen. In ihr erklärt die UNO „… den 8. und 9. Mai zu Tagen des Gedenkens und der Versöhnung und bittet alle Mitgliedsstaaten und Organisationen des Systems der Vereinten Nationen, nichtstaatliche Organisationen und Einzelpersonen, jedes Jahr zu Ehren aller Opfer des Zweiten Weltkrieges entweder einen oder beide Tage in gebührender Weise zu begehen.“
Ganz im Geiste dieser UN-Resolution versteht DIE LINKE ihren heute eingebrachten Gesetzentwurf. Wir greifen mit dieser parlamentarischen Initiative zugleich auch aktuelle Bestrebungen in anderen Bundesländern auf. Zum Beispiel haben sich am Montag in Berlin die beiden Regierungsparteien auf eine gemeinsame Bundesratsinitiative geeinigt, mit der der 8. Mai anlässlich des bevorstehenden 65. Jahrestages der Befreiung zum nationalen Gedenktag erklärt werden soll.
Noch aus einem weiteren Grunde hält DIE LINKE den vorgelegten Gesetzentwurf für notwendig und zeitgemäß. Beim Gedenken an den historischen Handschlag an der
Elbe waren in diesem Jahr neben den zahlreichen Einwohnern von Torgau, den vielen Touristen, den amerikanischen und russischen Kriegsveteranen, den Diplomaten und Vertretern nationaler und internationaler Medien leider auch ungebetene Gäste anwesend. Unter dem verlogenen Motto „Jugend kämpft für Deutschlands Zukunft“ versuchten Neonazis, das friedliche, auf Versöhnung und Völkerverständigung ausgerichtete Gedenken an den 25. April 1945 mit ihrem antisemitischen und rechtsradikalen Ungeist zu vergiften. Um der rechtsradikalen Missdeutung der Geschichte, dem wieder aufflammenden Rassismus und Antisemitismus in Sachsen noch energischer begegnen zu können, kann der vorliegende Gesetzentwurf einen wichtigen Beitrag leisten.
Einen weiteren Aspekt sollten wir heute nicht vergessen. Noch haben wir das Glück, mit den letzten Zeitzeugen sprechen zu können, ob mit dem zum Tode verurteilten ehemaligen Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann oder der Holocaust-Überlebenden und Trägerin des IgnatzBubis-Preises Trude Simonsohn. In absehbarer Zeit werden bald keine Überlebenden mehr authentisch von ihren damaligen Erlebnissen berichten und mit dem Zeugnis ihrer eigenen Erfahrung den neuen Verbrechen entgegentreten können.
Auch hier schafft die geschichts- und erinnerungspolitische Aufwertung des 8. Mai als Tag der Befreiung verschiedene Möglichkeiten, diese drohenden Lücken ansatzweise zu schließen.
Vor allem mit der verstärkten Einbeziehung der Jüngeren kann auf diesem Wege ein Bund der Generationen befördert werden, wie es beispielhaft der „Zug der Erinnerung“ auf neuartige Weise anstrebt, der auf seiner Fahrt an die schrecklichen NS-Deportationen durch die Deutsche Reichsbahn erinnert und mit seiner ungewöhnlichen Erinnerungsarbeit schon in vielen europäischen Ländern lebhaften Widerhall fand.
Lassen Sie uns von diesem Projekt lernen und die hier erprobte Gemeinschaft und Gemeinsamkeit auf die Erinnerungskultur in Sachsen übertragen.
Lassen Sie uns gemeinsam wirken, damit auch die nächsten Generationen, unsere Kinder und Enkel, dieses Gedenken an das unübersehbar große Heer von Toten und das Gebirge menschlichen Leids, das der von Deutschland ausgelöste Zweite Weltkrieg verursachte, bewahren und pflegen.
Das von unserer Fraktion heute eingebrachte Gesetz repräsentiert den Willen, das weltoffene und demokratische Sachsen in diesem Sinne zu stärken.
Wir würden uns sehr freuen, wenn unser Gesetzentwurf, dessen Überweisung an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss ich hiermit beantragen möchte, im Hohen Haus Ihre Zustimmung fände.
Meine Damen und Herren! Es ist vom Präsidium vorgeschlagen, diesen soeben eingebrachten Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Ich sehe einige Stimmenthaltungen und Stimmen dagegen. Dennoch wurde das mit Mehrheit so beschlossen.
Rückzahlung des Vermögens von Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR an den Freistaat Sachsen