Protocol of the Session on April 29, 2010

oder umgedreht – die Mindestschülerzahlen nicht erreicht worden sind. Das hat dazu geführt – das ist formell erst einmal richtig und notwendig –, dass das Kultusministerium Anhörungsschreiben an die betroffenen Schulträger mit der Bitte um Erläuterung des Sachverhalts geschickt hat, warum diese Klassenbildung nicht zustande gekommen ist bzw. nicht zustande kommen kann aufgrund der Unterschreitung der Vorgaben.

Frau Falken, es sind noch keine Entscheidungen gefällt worden. Wir befinden uns in einem Anhörungsverfahren, das heißt, wir könnten uns maximal, nachdem jetzt das Anhörungsverfahren gelaufen ist, über diese getroffenen Aussagen unterhalten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass damit eine neue Schulschließungswelle initiiert wird.

Ich gehe davon aus – diesbezüglich unterstütze ich die Aussage unseres ehemaligen Kultusministers und jetzigen Fraktionsvorsitzenden –, dass wir mittlerweile über ein bedarfsgerechtes Schulnetz verfügen. Gleichwohl kann es vorkommen, dass es innerhalb des vorhandenen mittlerweile bedarfsgerechten Schulstandortes zur Entwicklung von Schülerströmen kam, die möglicherweise den einen Schulstandort bevorteilt und einen anderen benachteiligt haben. Aber es muss vor Ort geklärt werden, wie man diesen Schülerströmen koordinierend gerecht wird, möglicherweise auch durch die Umlenkung von entsprechenden Schülerströmen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Aber nicht durch Mitwirkungsentzug! – Zuruf des Abg. Thomas Jurk, SPD)

Was die gesetzlichen Rahmenbedingungen anbelangt, möchte ich diese Verteufelung, wie Sie sie vorgenommen haben, Frau Falken, so nicht stehen lassen. Ich denke, die gesetzlichen Regelungen im Schulgesetz sind sowohl Fluch als auch Segen. Beginnen wir mit dem Positiven. Durch die Festschreibung von Mindestvorgaben war und ist es besonders im ländlichen Raum möglich geworden, Ausnahmetatbestände zu ermöglichen und damit Klassen- und Schulgrößen zu realisieren, die übrigens deutschlandweit, was die Größe anbelangt, einmalig sind.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Als Zweites, das sage ich ein Stück weit selbstkritisch, ist mit dieser gesetzlichen Verankerung eine Verlässlichkeit gegenüber der Schulverwaltung eingezogen, die in früherer Zeit teilweise zu restriktiv entschieden hat. Wir haben hier die Möglichkeit geschaffen, dass sich durch gesetzliche Vorgaben die Sicherheit bei den Schulträgern entwickeln konnte und dass die vorhandenen Strukturen Bestand haben können.

Das Problem der gesetzlichen Regelung ist im Umkehrschluss, dass damit gesetzliche Vorgaben entstanden sind, die für das Handeln der Staatsregierung und der Schulverwaltung bindend sind, und dass damit Ermessensspielräume nur bedingt auslotbar sind.

Ich möchte an dieser Stelle gleichwohl die Staatsregierung bitten, vor dem Hintergrund dessen, was sich an Rahmenbedingungen darstellt, dennoch das Ermessen maximal auszuloten. Wir haben in dieser Frage zwei wichtige Gründe zu bedenken: Einerseits kann es in der Tat sein, dass Schülerzahlen bzw. Mindestvorgaben für die Schülerzahlen nur temporär unterschritten werden und es diese Unterschreitung möglicherweise nur für ein Jahr gibt. Ich denke dabei insbesondere an die bisher existierende Bildungsempfehlung. Das hat sicherlich auch dazu geführt, dass Schüler von den Mittelschulen an die Gymnasien gegangen sind und damit diese Mindestschülerzahlen nicht mehr erreicht werden konnten. Das muss bei der jetzt anstehenden Entscheidung alles bedacht werden.

Ein weiterer Punkt, der bedacht werden muss, ist die Frage der Gründung von freien Schulen. Ich habe vorige Woche gehört, dass es zum neuen Schuljahr mittlerweise 17 Anträge für die Gründung von freien Schulen gibt. Das ist eine Entwicklung, bei der wir nicht einfach zusehen können, indem wir weitere staatliche Schulen infrage stellen, sondern es muss meines Erachtens möglich sein, dass alternativ dort, wo eine freie Schule existiert, auch ein staatliches Angebot vorgehalten wird. Gerade in diesem Zusammenhang ist es wichtig, zwischen einem Schulstandort in freier Trägerschaft und der Notwendigkeit, ein staatliches Schulangebot vorzuhalten, den Blick stärker auf Ausnahmeregelungen zu richten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass wir uns alle der Sensibilität dieser Probleme bewusst sind und dass wir auch mit Blick auf die Auswertung der Anhörung davon ausgehen können, dass verantwortungsvolle und politisch nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Für die CDU-Fraktion sprach Kollege Colditz. – Als Nächste spricht für die SPD-Fraktion Frau Kollegin Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit einem Zitat beginnen: „Der Kultusminister hätte es in der Hand, die Debatte um Schulschließungen ganz schnell zu beenden. Er müsste nur versichern, dass künftig keine Schulen in Sachsen mehr geschlossen werden, den Beobachtungsstatus der 75 gefährdeten Schulen aufheben und die restriktiven Vorgaben zur Klassenbildung lockern.“

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Das war ein Zitat von Herrn Herbst vom 26. Juni 2009, zum damaligen Zeitpunkt bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das darf doch nicht wahr sein! Ich glaub’ es doch nicht!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was hat sich eigentlich in den drei Jahren verändert, seitdem Herr Flath die Zusage getroffen hat, dass keine Schulschließungen mehr stattfinden? Ich gebe Ihnen recht, Herr Colditz, wir sind noch nicht bei Schulschließungen und es gibt heute die Möglichkeit, dass sich jeder Abgeordnete dazu positionieren und Herrn Wöller vielleicht den Rücken stärken kann, dass er die Schulen nicht schließen muss bzw. auch Eingangsklassen gebildet werden.

Schon allein mit der Ankündigung bangen derzeit 37 Schulen, 682 Eltern und ihre Kinder, davon allein 235 Grundschüler, um ihre Zukunft. Meist kleine Kommunen sehen mit Sorge, dass Eltern weg- oder gar nicht erst hinziehen – Herr Zastrow, das hatten Sie vor einiger Zeit auch noch erkannt – und somit die Zukunft dieser Standorte, der Kommunen selbst, infrage gestellt ist.

Die Argumente sind seit Jahren ausgetauscht und man muss sie nicht mehr auf den Tisch legen. Sie wurden auch von der FDP vor nicht allzu langer Zeit noch anerkannt.

Herr Colditz, es ist eben nicht so, dass wir deutschlandweit einmalig in der Größe der Klassen sind. Wir sind deutschlandweit einmalig in der rigiden Darstellung unseres Schulnetzes. Kein anderes ostdeutsches Land – nur um diese geht es erst einmal – hat so rigide das Schulnetz ausgedünnt wie Sachsen –

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Richtig!)

weder Brandenburg noch Mecklenburg-Vorpommern, noch das Nachbarland Thüringen. Mehr als jede dritte allgemeinbildende Schule wurde geschlossen, davon allein 50 % der Mittelschulen.

Sehr geehrter Herr Zastrow, ich habe großes Verständnis für Ihre Situation, denn der Koalitionspartner CDU ist ein harter Brocken an dieser Stelle. Aber ich kann Ihnen sagen, dass es Instrumente gibt, die man auch im Rahmen einer Koalition nutzen kann, um den eigenen Willen durchzusetzen. Wir hatten damit gute Erfahrungen gemacht.

(Torsten Herbst, FDP: Das wollen wir hören!)

Es gibt einen Koalitionsausschuss. Es gab eine Vereinbarung mit der CDU, die geregelt hat, unter welchen Bedingungen es zu Schulschließungen kommt. Ich gebe zu, wir hätten uns wesentlich mehr gewünscht, aber wir haben – –

(Holger Zastrow, FDP: Wie viele sind geschlossen worden? – Zuruf des Abg. Torsten Herbst, FDP)

Herr Zastrow, ich bin vorbereitet! – Wir haben auf diese Art und Weise mindestens die Schließung von 100 Schulen verhindern können. Wenn Sie das am Ende Ihrer Legislaturperiode nachweisen können, dann gratuliere ich Ihnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Kollateralschäden, die durch die fiskalorientierte Schulpolitik in Sachsen in den letzten Jahren entstanden sind, sind erheblich und meines Erachtens hinlänglich bekannt. Der Kultusminister soll Kreativität beweisen, hat Herr Herbst 2006 gesagt. Man solle über jahrgangsübergreifenden Unterricht sowie die Senkung der Mindestzügigkeit nachdenken. Es darf keine Tabus geben.

Herr Zastrow sagte: „Koalitionspartner heißt nicht, den Kakao, durch den man vom großen Koalitionspartner gezogen wird, auch noch zu trinken.“ – Auch das gebe ich Ihnen gern mit auf den Weg.

(Beifall bei der SPD – Holger Zastrow, FDP: So etwas habe ich nie gesagt!)

Das steht sogar im Protokoll! – Setzen Sie sich dafür ein, dass die derzeitige Überprüfung der Schulen nicht zu einer Schließung führt.

(Zurufe der Abg. Holger Zastrow und Torsten Herbst, FDP)

Ich will kurz an das anschließen, was Herr Colditz gesagt hat: Die größte Gefahr sei, dass wir nicht nur die Abwanderung von Eltern und Schülern in den Regionen, sondern auch eine weitere Ausdehnung des Privatschulsystems haben.

Allein im Bildungsbericht von 2006/2007 waren es im Mittelschulbereich noch 8 % – heute liegen wir im Mittelschulbereich bereits bei 15 % – der Schulen, die sich in privater Trägerschaft befinden. Das ist eine ganz klare Reaktion auf die Schulschließungen, das ist eine ganz klare Reaktion der Eltern gegen das staatliche Schulsystem. Das sollten wir verhindern!

(Beifall bei der SPD und der Linksfraktion)

Für die SPD-Fraktion sprach die Abg. Stange. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Bläsner.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst bin ich Frau Falken dankbar, dass sie den etwas irreführenden Debattentitel zurechtgerückt hat; denn er ist in der Tat falsch, er ist irreführend und angstmachend.

Es geht um ein Anhörungsverfahren zum Mitwirkungsentzug. Beim Mitwirkungsentzug geht es eben nicht um Schulschließungen. Ich persönlich kenne eine Schule in Dohna, in die mein Neffe geht. Sie hatte zwei magere Jahre, in denen keine Klasse eingerichtet wurde. Jetzt hat sie keine Probleme mehr, hat ganz normale Anmeldungen und kann Klassen einrichten.

Es ist auch falsch, dass es eine neue Schulschließungswelle gibt. Es gibt zahlreiche Ausnahmen, bei denen Schulen kein Anhörungsschreiben bekommen haben, obwohl sie nicht die Mindestschülerzahl erreichen, zum Beispiel Rochlitz. Ich könnte noch weitere Beispiele nennen.

Wir haben 74 Schulen, die im letzten Jahr unter Beobachtung standen. Auch von denen haben einige Ausnahmegenehmigungen bekommen. Wir reden also jetzt von 37 Schulen, die ein Anhörungsschreiben bekommen haben und bei denen jetzt Tatsachen geschaffen werden könnten, um eine Ausnahme zu begründen. Bei diesen 37 Schulen handelt es sich um keine neuen Schulen. Wenn man sich das anschaut, stellt man fest, dass es sich um Schulen handelt, die leider schon seit Jahren mit den Problemen zu kämpfen haben, unter Beobachtung stehen und zum Teil schon einen Mitwirkungsentzug hatten. Darunter sind auch Schulen, bei denen die kommunale Ebene gesagt hat, sie sollen geschlossen werden, zum Beispiel die Grundschulen Falkenau und Freiberg oder die Mittelschule Kreischa.

(Kristin Schütz, FDP: Genau!)

Als Landespolitiker haben wir zu akzeptieren – das sage ich sehr deutlich –, wenn die kommunale Ebene in einem schwierigen Prozess so beschlossen hat. Dennoch ist es für die Verantwortlichen vor Ort schwierig, mit den Problemen umzugehen. Ich habe vollstes Verständnis, wenn man vor Ort für die Schule kämpft und für den Erhalt des Schulstandortes eintritt. Deshalb ist es unsere Pflicht, jede einzelne Schule genau anzuschauen und zu prüfen, was vor Ort beschlossen wurde, wie die Schülerzahlenentwicklung ist, welche Wege für die Schüler entstehen

(Beifall bei der FDP)

und welche Folgen ein Mitwirkungsentzug für den Ort und die Region hat. Wir sind – wie Herr Colditz sagte – in Kontakt. Wir sprechen über das Thema, auch mit dem Minister. Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen so viele Schulen wie möglich erhalten. Mit uns gibt es keine neue Schulschließungswelle.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Hannelore Dietzschold, CDU)

Wir müssen uns ansehen, was die Schulnetzplanung beeinflusst. Am meisten wird sie von der Demografie beeinflusst. Wenn man sich die Schülerzahlenprognosen für die eine oder andere Schule anschaut, die jetzt betroffen ist, dann muss man feststellen, dass in den kommenden Jahren die Mindestschülerzahl teilweise sogar erheblich übertroffen wird. Solche Prognosen lassen mich die

Diskussion, die wir heute führen, etwas zuversichtlicher betrachten. Es ist ganz klar: Wir müssen dort, wo eine Zukunft besteht, jetzt vielleicht nicht unbedingt den Mitwirkungsentzug durchsetzen, sondern die Schule dauerhaft sichern.