Protocol of the Session on March 31, 2010

Wenn wir es bis Juli im Bundestag und im Bundesrat schaffen, die Grundgesetzänderung und die einfachgesetzlichen Änderungen zu beschließen, dann wird eine der Aufgaben gelöst sein, für die wir seit sechs Jahren arbeiten und streiten. Es ist deutlich geworden, dass unser Verhandlungsmandat tatsächlich auch davon geprägt war, dass Ende dieses Jahres die Übergangsregelungen, die für die optierenden Kommunen bestanden, auslaufen würden und aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils von vor zwei Jahren die Weiterexistenz der ARGEn nicht mehr möglich wäre. Wir hätten zum 01.01.2011 ein Durcheinander, also einen Zustand gehabt, in dem Menschen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind und damit letztlich mit einer Situation klarkommen müssen, die uns in diesem Hohen Hause erspart geblieben und auch gegenwärtig erspart ist, in einer unsicheren Phase gewesen wären. Das ist uns Anlass genug gewesen, diesem Einigungsdruck zu entsprechen und nach einer Lösung zu suchen.

Meine Damen und Herren! Wir haben es in intensiven und nicht öffentlichen Beratungen geschafft, uns auf eine Lösung zu verständigen, die effektiv und erfolgreich ist. Die Präsidien der Parteien der CDU und CSU, der FDP und auch der SPD, die Bundesländer, nämlich in der Ministerpräsidentenkonferenz, und die Fraktionen der genannten Parteien haben diesem Verhandlungsergebnis der letzten Woche auch zugestimmt, sodass ich ganz deutlich sagen kann, dass hier die politisch breite Mehrheit Garantie dafür sein sollte, dass im Juli der Bundestag und der Bundesrat beiden Änderungen, nämlich des Grundgesetzes und der einfachgesetzlichen Regelung, zustimmen werden. Davon bin ich überzeugt. Deshalb möchte ich Ihnen im Konkreten die Ergebnisse vorstellen.

Meine Damen und Herren! Zum einen ist es uns mit der Einigung zur Zukunft der Grundsicherung gelungen, auch in schwierigen Zeiten über die Grenzen der Regierungskoalition gemeinsam mit der SPD Handlungsfähigkeit in der Politik zu unterstreichen bzw. zu beweisen. Uns ist es gelungen, für sechseinhalb Millionen Menschen eine langfristige Perspektive zu eröffnen, nämlich dass sie einen Bescheid sowohl als Sozialhilfeempfänger als auch als Arbeitsloser aus einer Hand bekommen. Dabei ist die Möglichkeit gegeben, nachdem jetzt grundgesetzlich einerseits die Arbeit der optierenden Kommunen und andererseits der Jobcenter verankert ist, auf der kommunalen Ebene selbst eine Auswahl zu treffen. Die Regel sind die Jobcenter. Die Ausnahme ist die optierende Kommune. Wir haben uns darauf verständigt, dass 110 Kommunen bzw. Aufgabenträger davon Gebrauch machen können, die Verantwortung in die eigenen Hände zu nehmen, das heißt ohne die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit. Grundsätzlich gilt, dass die Ortskenntnis des Arbeitsmarktes, die Kenntnis auch der einzelnen Schicksale der betroffenen Menschen eben durch eine Zusammenarbeit der Bundesagentur und der kommunalen Verantwortlichen gewährleistet ist und dass, wo optiert wird, die Verantwortung und diese Kenntnis in einer Hand liegend wahrgenommen werden.

Meine Damen und Herren! Wir haben uns letztlich darum bemüht und gerungen, dass beide Möglichkeiten eröffnet werden, sodass wir auch einen Wettbewerb um die beste Vermittlung und beste Betreuung von Langzeitarbeitslosen und Arbeitsuchenden haben werden. Es ist mitnichten so, wie oft kritisiert, dass es hier einen Flickenteppich geben wird. Wir haben dafür gesorgt, dass Zielvereinbarungen gleichermaßen für die Jobcenter wie auch für die optierenden Kommunen gelten, dass es Prüfsteine – wie man neudeutsch sagt: Benchmarks – gibt, die miteinander vergleichbar sind und letztlich dazu beitragen werden, dass dem Bund gegenüber seiner Sorge Gerechtigkeit widerfährt, dass er auch weiß, wofür und wie effizient das Geld eingesetzt wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren! Mir war es in diesen Verhandlungen wichtig, Wert darauf zu legen, dass wir die regionale Kenntnis des Arbeitsmarktes, die regionale Kenntnis der Unternehmen und der persönlichen Schicksale der Arbeitsuchenden in die Betreuung der Langzeitarbeitslosen einbeziehen bzw. diese Kenntnis auch anwenden, wenn wir den Menschen neue Arbeitsplätze anbieten. Damit, meine Damen und Herren, ist sichergestellt, dass hier letztlich auch der Regionalität, die zwischen dem Bodensee und der Insel Rügen, wenn es um den Arbeitsmarkt, die Unternehmenslandschaft, aber auch die Betroffenheit in Form von Arbeitslosigkeit geht, besteht, Rechnung getragen wird. Da gibt es große Unterschiede. Es geht letztlich darum, dass es spezifische Antworten gibt, die entwickelt und eingesetzt werden können. Das ist uns gemeinsam gelungen.

Meine Damen und Herren! Wir haben aufgrund der Funktional- und Verwaltungsreform im Freistaat Sachsen natürlich eine besondere Bedingung, die auch in diesen Verhandlungen berücksichtigt worden ist. Wir haben ein Nebeneinander unterschiedlicher Träger in manch einem der größer gewordenen Landkreise. Wir haben uns nicht nur dafür eingesetzt, sondern auch das Ergebnis erreicht, dass über die optierenden Kommunen in einem vereinfachten Verfahren die Landkreise entscheiden können, ob die bisher bestehenden ARGEn in optierende Kommunen überführt werden oder ob umgekehrt aus einer optierenden Kommune ein flächendeckendes Betreuungssystem über Jobcenter gewährleistet wird. Das ist durch Antragsverfahren bis Ende August dieses Jahres möglich und kann mit Übergangsregelungen durch das Bundesarbeitsministerium im Laufe des nächsten Jahres umgesetzt werden.

Für diejenigen, die sich aus reinen Jobcentern entschließen zu optieren, gibt es ein Antragsverfahren bis zum Ende dieses Jahres, welches seine Wirksamkeit mit Beginn des Jahres 2012 erreicht, um auch den Mitarbeitern, die davon betroffen sind, sowohl in den Jobcentern als auch in den Einrichtungen der optierenden Kommunen, die Möglichkeit zu geben, sich auf die neuen Aufgaben vorzubereiten.

Wir haben Wert darauf gelegt, dass diejenigen, die bisher die Arbeitslosen und Arbeitsuchenden betreut haben, nicht von einem Teil des Schreibtisches auf den anderen wechseln. Deswegen gibt es die Vorgabe, dass die Beschäftigten zu 90 % von dem neuen Aufgabenträger übernommen werden. Damit haben diese Mitarbeiter eine langfristige Perspektive.

Insgesamt kann man von einem hervorragenden Ergebnis in diesen Verhandlungen sprechen,

(Beifall bei der CDU, der FDP und vereinzelt bei der SPD und der Staatsregierung)

das von einer breiten politischen Mehrheit getragen wird.

Ich möchte es in diesem Hohen Hause nicht versäumen, ausdrücklich denjenigen Dank zu sagen, die in den Vorberatungen dafür gesorgt haben, dass das Ergebnis am Mittwoch voriger Woche einigungsfähig war. Das ist einerseits natürlich der Deutsche Bundestag mit seinen Fraktionen, das ist andererseits das Bundesarbeitsministerium, aber vor allem sind es auch mein Chef der Staatskanzlei und die Mannschaft um ihn herum, die das hervorragend vorbereitet haben. Sie haben eine enge Abstimmung mit der kommunalen Familie gewährleistet, sodass wir heute feststellen können, dass – bis auf wenige, die Kritik geäußert haben – alle dieses Ergebnis begrüßen, das dazu führt, dass die Betreuung von Arbeitslosen und die Erteilung des Bescheides aus einer Hand langfristig grundgesetzlich verankert werden.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben zwar ein Ziel erreicht, aber eine der wichtigsten Aufgaben bleibt. Wir werden uns nämlich als Sächsische Staatsregierung mit Ihrer Unterstützung gemeinsam darum bemühen, dass wir weiterhin den Unternehmen im Freistaat Sachsen die Möglichkeit verschaffen, sich erfolgreich zu entwickeln und dabei Arbeitsplätze zu schaffen, um den Arbeitslosen einen sicheren, zukunftsfesten und gut bezahlten Job hier im Lande anzubieten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU, der Abg. Petra Köpping, SPD, der FDP und der Staatsregierung)

Das war Ministerpräsident Stanislaw Tillich für die Staatsregierung. Er hat allerdings seine Redezeit von 10 Minuten bei diesem sicher wichtigen Thema leicht überschritten. Deshalb – und da erinnere ich an § 55 der Geschäftsordnung – erhält jede Fraktion, die das jetzt beantragt, für eines ihrer Mitglieder 5 Minuten zusätzliche Redezeit; allerdings nur auf Antrag. Das zur Geschäftsordnung.

Wir fahren jetzt in unserer Rednerrunde fort. Die weitere Reihenfolge in der ersten Runde ist: zunächst die beiden einbringenden Fraktionen, dann DIE LINKE, danach die SPD, GRÜNE und NPD; die Staatsregierung, wenn gewünscht. Die Staatsregierung hatten wir schon. Als Nächstes wäre die CDU

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Entschuldigung, die FDP an der Reihe. Kollege Herbst, bitte, für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns mit der CDU geeinigt, so machen wir es oft in der Koalition. Das funktioniert; vielleicht etwas anders als manchmal in Berlin.

(Stefan Brangs, SPD: Gelingt nicht immer, habe ich den Eindruck!)

Doch, doch!

Meine Damen und Herren! Es hat lange genug gedauert. Die Diskussion hat Jahre in Anspruch genommen, um zu einer Lösung für das Problem zu kommen, das durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil aufgeworfen wurde. Ich kann sagen: Das aktuelle Verhandlungsergebnis ist eine gute Lösung sowohl für die Arbeitsuchenden als auch für die Kommunen im Freistaat Sachsen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Abg. Martin Dulig, SPD)

Ich möchte ausdrücklich dem Ministerpräsidenten und der gesamten Staatsregierung danken; denn ich glaube, Sachsen hat einen großen Anteil daran, dass wir zu diesem hervorragenden Kompromiss gekommen sind. Und was noch viel wichtiger ist: Dabei wurden die sächsischen Interessen gewahrt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Es ist natürlich klar, dass man in schwierigen politischen Situationen oft auch taktiert. Das war nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil im Jahre 2007 der Fall. Es war in der Großen Koalition schlichtweg nicht möglich, zu einer vernünftigen Lösung zu kommen. Die Diskussion wurde dann zum Teil auf dem Rücken der Arbeitsuchenden ausgetragen.

Ich sage mal so: Einem Arbeitsuchenden ist es egal, ob der Behördenmitarbeiter bei einem Jobcenter, in der Kommune oder bei einer Arbeitsagentur beschäftigt ist; er will Beratung und Hilfe aus einer Hand. Das ist das Entscheidende, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die FDP-Fraktion möchte den Wettbewerb verschiedener Modelle bei der Arbeitsvermittlung. Deshalb ist es für uns wichtig, dass sowohl die Kommunen gestärkt wurden, es aber auch Rechtssicherheit für die Jobcenter gab, was es ermöglichte, am Ende Lösungen in der Arbeitsvermittlung zu finden, die Rücksicht auf regionale Arbeitsmärkte nehmen.

Der Ministerpräsident hat es gesagt: Es ist ein Unterschied, ob man Arbeitsvermittlung im Großraum Stuttgart macht oder in der Oberlausitz. Wir brauchen Lösungen für unsere Situation vor Ort.

(Beifall bei der FDP)

Über das Ergebnis wurde berichtet. Die Zahl der Optionskommunen wird von 69 auf 110 steigen. Die Sachsen werden es gern hören. Denn im Landkreis Görlitz haben wir zum Beispiel die Diskussion, dass durch die Kreisreform in dem neuen Großkreis eine Situation entstanden ist, in der unterschiedliche Modelle existieren, deren Rechtssicherheit auf Dauer nicht gewährleistet war.

Noch viel wichtiger ist die Entfristung der Optionskommunen. Es ist kein Modell mehr, das nur über sechs Jahre läuft, sondern wir haben Rechtssicherheit für die kommenden Jahre geschaffen.

Interessant ist übrigens, sich einmal anzuschauen, wie die Kommunen selbst die Erfolge ihrer Arbeit sehen. Der Deutsche Landkreistag hat eine Umfrage gemacht. Alle bisherigen Optionskommunen, also 100 %, haben gesagt: Ja, wir würden genau dieses Modell wieder wählen. Bei den ARGEn waren es übrigens nur 44 %.

Aus unserer Sicht, aus Sicht der FDP-Fraktion, ist es richtig und sinnvoll, wenn die Arbeitsvermittlung und die Betreuung auf kommunaler Ebene stattfinden. Der Wettbewerb wird am Ende zeigen, welches Modell das richtige ist, aber auch, welche Kommune es vielleicht besser macht als andere. Das kann man nicht zentralistisch verordnen. Es ist aber zu früh, ein endgültiges Fazit zu ziehen.

Aber was wichtig ist: Wir haben ein ordentliches Verhandlungsergebnis. Es ist eine gute Lösung für Sachsen. Davon profitieren die Arbeitsuchenden, die Kommunen und der gesamte Freistaat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Vielen Dank. Für die Fraktion der FDP sprach Herr Kollege Herbst. – Als Nächstes ist die CDU-Fraktion mit Herrn Kollegen Krauß an der Reihe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in der vorigen Woche eine sehr positive Nachricht aus Berlin vernehmen können. Der Ministerpräsident hat uns das Verhandlungsergebnis dankenswerterweise heute vorgetragen.

Die Vorbereitungen und die Arbeit in den Arbeitsgruppen waren natürlich langwierig. Nach 13 Stunden harter Arbeit des Verhandlungsteams des Bundes und der Länder hat man einen Kompromiss gezimmert, wofür ich dem Ministerpräsidenten auch namens der CDU-Fraktion herzlich danken möchte.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Wie Sie wissen, meine Damen und Herren – das ist kein Geheimnis –, hat der Ministerpräsident für die Länder eine herausgehobene Rolle gespielt.

Wir haben jetzt Klarheit für die Arbeitsuchenden und deren Familien, also für 6,5 Millionen Menschen, dass sie

Leistungen aus einer Hand bekommen, dass es nicht zwei Ämter gibt, die zuständig sind. Aber es gibt eben auch Klarheit für die Beschäftigten, die bei der ARGE oder bei einer Optionskommune arbeiten. Denen ist es zu verdanken, dass wir wirklich einen deutlichen Schritt vorangekommen sind.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Was?!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Politik hat damit Handlungsfähigkeit bewiesen. Es gab einige Unkenrufe, dass uns das nicht zugetraut wird. Das Gegenteil ist eingetreten.

Wir haben mit dieser vorgesehenen Änderung des Grundgesetzes eine verfassungsrechtlich saubere Lösung. Die Landkreise, die kreisfreien Städte sind die Gewinner dieses Kompromisses. Die Optionskommunen können sich weiterhin um die Langzeitarbeitslosen kümmern und – ich will es noch einmal sagen – die Landkreise, die kreisfreien Städte sind nahe bei den Menschen. Sie kennen den Arbeitsmarkt vor Ort, sie kennen die Problemlagen vor Ort und sind deswegen ebenfalls geeignet, sich um die Arbeitsvermittlung zu kümmern.

Es können neue Kommunen hinzukommen. Herr Kollege Herbst hat es schon angesprochen. Wir haben in unserem Land derzeit fünf neue Landkreise, die in ihrem Gebiet die Option leben. Sie müssen sich jetzt entscheiden, was sie wollen, damit in einem Landkreis eine Regelung herrscht. Die Frage ist – das werden Detailverhandlungen in den kommenden Wochen zeigen –, ob es möglich ist, dass vielleicht noch ein, zwei Kommunen hinzukommen. Wir wissen, dass bei unseren Landkreisen, aber sicherlich auch bei der einen oder anderen kreisfreien Stadt ein großes Interesse daran besteht, sich selbst um die Langzeitarbeitslosen zu kümmern. Wenn wir das erreichen, wäre das ein noch größerer Erfolg als der, den wir ohnehin schon haben.