Es ist unsere Verpflichtung, diese Leistungen zu würdigen und die Werte, für die die Menschen damals gekämpft haben, hochzuhalten und daran zu erinnern.
Wenn wir der friedlichen Revolution und der Wiedergewinnung der deutschen Einheit gedenken, müssen wir auch jene würdigen, die 40 Jahre lang unter Repressionen ausgeharrt und ihr Land nicht aufgegeben haben, die dem SED-Unrecht die Stirn geboten haben. Ihre Lebensleistung ist umso höher zu würdigen, als sie ein von Krieg und Nationalsozialismus verwüstetes und nach dem Krieg ausgeplündertes Land wieder aufgebaut haben – unter schwierigeren Bedingungen als in Westdeutschland.
Der Herbst 1989 hat viele Wurzeln. Ich erinnere beispielhaft an die Sonntagsspaziergänge im März 1989 in Görlitz, an die vielen offenen Proteste gegen Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen Anfang Mai 1989, an die demokratische Plattform in Karl-Marx-Stadt, die Demonstrationen gegen das Reinstsiliziumwerk in Dresden-Gittersee, die regelmäßigen Gebete in der Nikolaikirche in Leipzig und die durch Sachsen fahrenden Züge mit den Botschaftsflüchtlingen, die die breite Solidarität der Menschen entlang der Bahnstrecke über Dresden bis Plauen bekamen. Sachsen ist ohne Zweifel das Land, von dem die friedliche Revolution ausgegangen ist.
Leipzig gab eindeutig die wichtigsten Impulse und ist deshalb die Stadt, deren Beitrag für die friedliche Revolution einzigartig war,
ja, sogar zu einem Mythos geworden ist. In Leipzig war es die internationale Presse, die die Nachricht von der friedlichen Revolution in die Welt hinaustrug. Die Menschen kamen zu jeder Montagsdemonstration nach Leipzig, weil hier die Zeichen am deutlichsten wahrgenommen wurden. Schließlich wurden es so viele, dass der Leipziger Ring nur noch als eine einzige Menschenmenge zu erkennen war. Die ganze Welt schaute auf diese Stadt.
Lassen Sie uns aber auch die Vielfalt der Orte und Ereignisse nicht vergessen, die es insgesamt gab. Die Staatsregierung hat im Jahr 1999, zehn Jahre nach den Geschehnissen, mit großem Aufwand und großer Sorgfalt Hunderte dieser Ereignisse für eine Chronik zusammengetragen.
Die Breite der Bewegung in Sachsen hat mich, der ich damals für diese Quellensammlung und für diese Arbeit zuständig war, stolz darauf gemacht, dass ich im Freistaat
Sachsen arbeiten durfte. Nur aus der damaligen intensiven Befassung mit diesen Quellen fühle ich mich übrigens auch einigermaßen dazu berechtigt, heute hier zu diesem Thema zu sprechen. Ich habe nämlich die friedliche Revolution nicht auf der Straße verbracht, sondern vor dem Fernseher, vom sicheren Wohnzimmersofa aus.
Wir wollen, dass die Erinnerung in unserem Land lebendig bleibt. Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir dieses Ziel erreichen und wie wir die Botschaft, die von der friedlichen Revolution in Sachsen ausging, auch an die kommenden Generationen weitergeben können.
Als sichtbares Zeichen für die Leiden der Menschen, die sich in der friedlichen Revolution von der Unterdrückung befreiten, wird es nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. November ein Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin geben. Das ist in Ordnung, denn Berlin ist der Ort der Einheit, der Ort des Mauerfalls und wird weltweit als solcher wahrgenommen.
Dieses Denkmal hat aber keinen Alleinvertretungsanspruch für die friedliche Revolution. Die Weltlage für diese historische Stunde wurde nicht von den Berliner Ereignissen getrieben, sondern global, unüberhörbar und unübersehbar von den sächsischen. Wir müssen zeigen, dass die Kraft zur Veränderung des menschenunwürdigen Zustandes in Berlin ihren umstürzenden Anfang bei den Bürgern in Leipzig und in anderen sächsischen Städten genommen hat.
Ein Denkmal, ein Ort des Gedenkens, kann dabei eine wichtige Funktion haben. Es kommt aber darauf an, dass dieser Ort ein Symbol für die Einigkeit der Menschen ist. Das verlangt nach einer ergebnisoffenen Diskussion, wie die Art und Weise des Gedenkens geschehen soll. Leipzig ist der Ort für ein Denkmal, das an die friedliche Revolution erinnert. Aber auch in Städten wie Dresden und Plauen oder an vielen anderen Orten ist ein sichtbares Zeichen der Erinnerung angebracht. Monumentales und vom Staat verordnetes Gedenken sollte aber definitiv ausgeschlossen sein.
Nicht von oben, sondern von unten sollten die Initiativen kommen, aus der Mitte der Bürgerschaft. Die Bürgerinnen und Bürger, die damals mutig und durchaus mit Angst auf die Straße gegangen sind, sind die geborenen Meinungsführer in dieser Frage. Herr Hahn, Sie und ich, wir beide sollten uns ein wenig zurückhalten.
Sie werden, darin bin ich mir sicher, Ihre Vorstellungen in den Städten und Gemeinden vortragen. Lassen wir uns auf diesen Prozess ein. Die Staatsregierung begrüßt deshalb alle Initiativen, die sich diesem Ziel verschreiben. Ein Denkmal für die Kollegen der Stasi, die mutig davon abgesehen haben, den Schießbefehl in Gang zu setzen, gehört zu diesem Ziel übrigens nicht. Dieses sichere Urteil traue ich mir auch als Westdeutscher zu.
Den Leipzigern sollte man in sächsischer Solidarität zurufen: Wenn der Bund sich nicht darauf verstehen mag, in Leipzig ein Denkmal der friedlichen Revolution zu errichten, dann bauen es die Leipziger mithilfe aller Sachsen eben selbst!
Herr Zastrow, ich bin mir ganz sicher, dass die von Ihnen angesprochenen traditionsdemokratischen Parteien – ein wunderbares Wort, wie ich finde –
alle ein wenig traurig sind, dass es nicht geklappt hat, dass wir bei diesen Anträgen in diesem Verfahren zusammengekommen sind. Spätestens dann, wenn wir dieses Denkmal in Leipzig unterstützen, beispielsweise mit Mitteln, sollten sich alle diese Parteien wieder zusammenraufen und gemeinsam daran mitwirken.
Meine Damen und Herren! Der Ministerpräsident hat sich auf der Konferenz der Ministerpräsidenten dafür eingesetzt, dass den anstehenden Jubiläen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt wird. Sachsen wurde beauftragt, dafür die Aktivitäten der Länder mit denen des Bundes zu koordinieren. In den Ressorts finden bereits erste Planungen statt. Wir wollen die Menschen anregen, die Initiative zu ergreifen, Vorschläge zu machen und sich, wie man heute sagt, zu vernetzen. Neben Vorhaben auf Landesebene wollen wir dabei die Initiativen vor Ort einladen, sich in den Prozess einzubringen. Wir wollen einen möglichst breiten Dialog im Freistaat. Das sind wir den historischen Ereignissen jener Tage schuldig.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zum Ausdruck bringen, dass auch ich ein wenig traurig bin, dass uns eine gemeinsame Initiative nicht gelungen ist.
Jetzt liegen zwei Änderungsanträge vor – einer der FDP und einer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –, die, wenn man sie betrachtet, im Großen und Ganzen das Gleiche wollen. Im Prinzip können wir das mittragen. Ich möchte nur auf zwei Kleinigkeiten, die jedoch entscheidend sind, hinweisen.
Zum Änderungsantrag der FDP-Fraktion. Unter dem Punkt 3, der hinzugefügt werden soll, steht dabei, für den
Fall, dass sich keine einvernehmliche Lösung mit dem Bund abzeichnet, rechtzeitig selbst die Initiative zu ergreifen. Wenn ich der Bund wäre, würde ich sagen: Leute, die wollen es ja ohnehin selbst machen; da werden wir also nicht sehr geneigt sein, dem Antrag Sachsens entgegenzukommen. – Das ist es, was uns ein wenig unsicher macht.
Wir sagen, wir lehnen das eher ab und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag, der ja das Gleiche will. Es ist die gleiche Ansicht, die wir gemeinsam vertreten. Ich denke, diese Nuancen muss man bei Anträgen, die man im Parlament verabschiedet, bedenken.
Zum Antrag der GRÜNEN. Es ist nicht gut, wenn wir den Eindruck erwecken, als gebe es nun ein staatliches Denkmalförderprogramm. Staatlich verordnete Denkmale – das haben wir aus der Geschichte gelernt – fallen irgendwann einmal. Denkmale, die aus der Mitte des Volkes kommen, bei denen sich Bürgerinitiativen bereitfinden, materiell und ideell etwas dafür zu tun – das Völkerschlachtdenkmal ist dafür ein Beispiel –, haben möglicherweise länger Bestand.
Ich denke, wir sollten im Gespräch bleiben. Wenn sich eine andere Situation ergibt als die, die wir uns jetzt wünschen, dann muss es unsere Aufgabe sein, dass wir uns noch einmal zusammenfinden und gemeinsam beraten, wie wir es am besten formulieren können – auch mit etwas mehr Zeit. Ich gebe zu, dass wir Zeit gehabt hätten. Ich entschuldige mich auch bei der FDP-Fraktion, dass nicht rechtzeitig eine Antwort auf diese Initiative kam.
Aber ich denke, wir sind uns in diesem Plenum im Prinzip einig und wollen das zum Ausdruck bringen, was wir uns wünschen und vorstellen können.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, was in der bisherigen Debatte keine Rolle gespielt hat. Es gab neben den Aktionen und Demonstrationen auf der Straße auch etwas sehr Wichtiges, was man bedenken sollte: Es gab nämlich die Ökumenische Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Diese hat lange vor der friedlichen Revolution die geistigen Grundlagen geschaffen, die zu dieser Revolution geführt haben, und zwar unter Beteiligung aller 16 Kirchen in der DDR. Das war eine Initiative, an die sich der SED-Staat nicht herangetraut hat, weil es unter den Dächern der Kirchen geschehen ist. Auch diesen Beteiligten sollten wir heute unseren Dank aussprechen
und in ihrem Sinne sagen, dass wir auf die friedliche Revolution in der damaligen DDR stolz sind, an der sich viele beteiligt haben und die nicht das Eigentum einer Partei, sondern das Eigentum unseres Volkes ist.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin nochmals an dieses Rednerpult getreten, weil wir im zweiten Antrag einen Punkt 2 haben, den ich Ihnen gern noch einmal vorlesen möchte.
Als Parlament verlangen wir, dass im Herbst 2009 sowie am 3. Oktober 2010 die Bürgerinnen und Bürger, die in Bürgerrechtsinitiativen den friedlichen Wechsel von einer Diktatur zu einer Demokratie vorbereiten und durchführen halfen, in geeigneter Form zu würdigen sind. Und – das ist mir besonders wichtig – dabei soll in besonderer Weise derjenigen gedacht werden, die durch ihr Engagement in der DDR so diskriminiert wurden, dass sie nach der politischen Wende kaum eine Chance hatten, in Positionen zu gelangen, die entsprechende Ausbildungen oder Studienabschlüsse voraussetzten.
Ich denke, das ist eine nicht überwundene Ungleichbehandlung dieser friedlichen Revolution, die auch nicht überwunden werden kann. Man kann jemandem, der in dieser Zeit vielleicht 50 Jahre oder älter war, keinen Hochschulabschluss zuerkennen, den er vielleicht gemacht hätte, wenn er keine Konfirmation gehabt hätte oder wenn er nicht in einer Basisgruppe gewesen wäre oder was auch immer. Ich halte das für einen sehr wichtigen Punkt. Ich bin deshalb dem Koalitionspartner dankbar, dass wir diese Formulierung aufgenommen haben.
Ich möchte kurz, weil es wichtig ist, hier noch einmal darauf eingehen und etwas zu dem sagen, was Herr Hahn gesagt hat. Ich halte fest: Es tut manchmal richtig weh, sich zu erinnern. Ich bin der Meinung, dass viele, die in der DDR gelebt haben, auch mit sich selbst nicht bis zum Ende fertig sind, was ihre eigene Rolle in dieser Zeit war. Ich erinnere an die hervorragende Rede von Herrn Gauck vor zwei Monaten,