Protocol of the Session on November 9, 2007

Noch einmal zu den Zahlen: Von den 182 aufgeführten Städten und Gemeinden über 5 000 Einwohner schrumpfen in der optimistischen, ersten Variante 163 zum Teil erheblich. Das sind 89 %!

Wenn man die Variante 3 nimmt – das ist die, bei der Kollege Zastrow so stolz darauf war, dass es 19 Gemeinden gibt, die wachsen, allerdings zwischen null und wenig –, dann werden die Zahlen dramatisch. Das war auch solch ein Punkt, wobei ich sage: Wenn so eine Analyse schon mehrere Varianten vorlegt, dann hat das einen guten Grund und dann kann man sich nicht hier hinstellen und sich die positiven heraussuchen und seine gesamte Argumentation ausschließlich auf die positive Variante aufbauen.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion, und Antje Hermenau, GRÜNE)

Solche optimistischen Dinge hat Herr Dulig noch in einem Maße gebracht, dass ich hin- und hergerissen war, mich zu fragen, ob er das wirklich ernst meint oder ob es Ironie am Freitagnachmittag ist. Ich bin mir nicht ganz klar darüber. Ich gehe einmal davon aus, dass er es ernst gemeint hat. Aber dann ist es eigentlich das Dramatischere. Wenn wir so an die Probleme herangehen, kommen wir mit Sicherheit niemals zu vernünftigen Schlussfolgerungen.

Was mich an dem Ganzen bewegt hat, ist die dokumentierte zunehmende Differenzierung in der Fläche. Das heißt, das nicht ganz so heftige Tempo des Rückgangs ist ungleichmäßig über das Land verteilt. Wir haben einerseits die beiden Großstädte – das ist wiederholt gesagt worden –, aber da muss man genauer hinschauen, denn es gibt auch Bewegungen innerhalb dieser Regionen. Schaut man sich die Großstädte an, macht man die Beobachtung, dass der Zuwachs im Wesentlichen von den Speckgürteln erbracht wird, was wiederum Folgen bei den Kosten hat. Wir müssen in diesen Städten den ÖPNV – als nur ein Beispiel – über eine größere Fläche verteilen, das heißt, er wird teurer, und zwar absolut wie auch spezifisch. Und das ist das Problem.

Dann kommt eine neuere Entwicklung dazu, die gerade in den letzten ein bis zwei Jahren zunehmend zu beobachten ist: Es gibt eine Rückwanderung aus den Speckgürteln in die Kernstädte. Das ist erfreulich, reicht aber bei Weitem nicht aus, um die Gegenläufigkeit der Entwicklungen zwischen Kernstädten und Speckgürteln und den Städten einschließlich Speckgürteln und dem flachen Land zu beschreiben. Diese Gegenläufigkeit ist es, was das Ganze so schwierig macht.

Herr Zastrow, Sie haben vorhin die Zahlen genannt. So stehen sie tatsächlich drin. Ich will nicht näher darauf eingehen, dass es im gleichen Bericht auch andere Zahlen gibt. Nehmen wir die von Ihnen genannten Zahlen. Man muss dazu sagen, dass das nur 5 % sind, verteilt über rund 15 Jahre. Ich halte es für leichtfertig zu sagen, dass es am Horizont leuchtet, weil wir alles so gut und richtig gemacht haben. Ich sage, umgekehrt wäre es schwieriger, aber es ist auch so schwierig genug. Der Wohnungsabriss wurde als Beispiel genannt, aber ich will nicht weiter darauf eingehen.

Wenn man über den Prognosehorizont hinausschaut – bei aller Problematik, die damit verbunden ist und die mir sehr wohl bewusst ist –, was nach 2020 in Leipzig und Dresden passiert, wird man feststellen, dass es aller Voraussicht nach dann auch dort bergab gehen wird.

(Holger Zastrow, FDP: Nein, das stimmt doch nicht!)

Ja, ja. Das wollen Sie wieder nicht wahrhaben. Das ist in Ordnung; müssen Sie auch nicht.

Ich bin kein Anhänger von irgendwelchen Katastrophenszenarien. Mir geht es auch gar nicht darum, ob hier viele oder wenige Menschen leben, sondern darum, dass wir für die Menschen, die sich entscheiden, hier zu leben, etwas tun müssen. Um dort sinnvoll agieren zu können, sind wir auf diese Analysen angewiesen. Ich bin dem Statistischen Landesamt richtig dankbar, dass es wieder etwas getan hat, ganz unaufgeregt und vernünftig, sodass wir wieder bessere Zahlen haben, um unsere Arbeit zu leisten.

Noch ein Wort zu den Dingen, die man sich überlegen kann. Es sollte nicht darum gehen, sich eine Bevölkerungszahl vorzunehmen, auf welcher Grundlage auch immer, und dann zu sagen, die müssen wir halten oder

wieder erreichen, sondern wir müssen von der Frage ausgehen, wie sie sich aller Voraussicht nach entwickeln wird und was wir tun müssen, um für die Menschen, die dann zu jedem beliebigen Zeitpunkt hier leben, vernünftige Lebensbedingungen zu sichern. Eine unverhüllte, wie von der NPD-Fraktion propagierte pronatalistische Bevölkerungspolitik ist überhaupt nicht hilfreich. Und nur nebenbei bemerkt: Mir ist nicht bekannt, dass sich die NPD und ihre Anhängerschaft sozusagen demoskopisch signifikant von der Normalbevölkerung unterscheiden würde, sodass das auch nur Gerede ist, sozusagen Aufgabenstellung an andere. Das halte ich für etwas unredlich.

Das heißt, um zum Schluss zu kommen, wir brauchen angemessene, passende Strategien, die nur entstehen können, wenn wir uns ernsthaft mit diesen Analysen beschäftigen. Dazu brauchen wir ein unaufgeregtes Klima. Das ist immer am nützlichsten. Parteipolitische Vorabfestlegungen behindern dieses Klima zumeist. Kollege Dr. Rößler könnte in der Enquete-Kommission viel dazu beitragen; denn am Anfang hatten wir dort ein Klima – das gestehe ich zu –, dass fraktionsübergreifend sehr genau auf das gehört wurde, was die Experten, die von allen Fraktionen eingeladen wurden, gesagt haben. In letzter Zeit hat sich dieses Klima etwas geändert. Parteipolitisch organisierte Abstimmungen gewinnen wieder die Oberhand. Das halte ich für bedauerlich. Wir sollten versuchen, das wieder abzuschaffen, weil es dort nicht auf Mehrheiten ankommt, sondern, wenn es geht, auf Wahrheit.

Ganz zum Schluss hoffe ich, dass die Kommission, nachdem der Abschluss schon einmal verschoben werden musste, nicht koalitionsbedingt ähnlich ins Schlingern gerät wie die Funktional- und Verwaltungsreform, sodass wir wenigstens zum heute geplanten Termin zu einem vernünftigen, untereinander abgestimmten und für die Öffentlichkeit interessanten Abschlussbericht kommen.

Bei aller Kritik an Ihrem Antrag – wir werden ihm im Gegensatz zu Frau Hermenau, die sich nur enthalten will, zustimmen, obwohl die Rede von Herrn Dulig schon geeignet gewesen sein könnte, mich davon abzuhalten. Ich werde es über mich bringen, trotzdem Ja zu sagen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird weiter von den Fraktionen das Wort gewünscht? – Das scheint nicht der Fall zu sein. Dann bitte ich Herrn Minister Sagurna.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sachsen werden älter und sie werden weniger. Dieses Faktum wird sich auch nach der neuen Regionalisierten Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes nicht ändern. Auch wenn die Zahlen etwas besser aussehen, als in der Vergangenheit zu erwarten war, sollten wir nicht dem Glauben unterliegen, es sei alles auf dem besten Wege.

Selbst wenn die Bevölkerung etwas langsamer zurückgeht, bleibt der demografische Wandel für den Freistaat eine wichtige politische Herausforderung, und zwar ein Megathema von seiner Bedeutung und ein Querschnittsthema von seiner Breite her, ähnlich wie das Klimathema, das wir im vorangegangenen Tagesordnungspunkt diskutiert haben. Wir können die demografische Entwicklung nicht einfach umkehren, schon gar nicht durch politische Beschlüsse oder noch so viele Debatten. Wir müssen uns aber mit den Folgen im Land befassen und die Chancen ergreifen, mit intelligenten Antworten auf das Unausweichliche unseren Freistaat weiter zu modernisieren.

Wir haben die Folgen des demografischen Wandels frühzeitig erkannt und rasch begonnen, darauf zu reagieren. Ich darf Ihnen als Beispiel die Ergebnisse der Expertenkommission „Demografischer Wandel“ nennen oder auch die Verwaltungs- und Funktionalreform, die schon allein deshalb ein gelungener Entwurf sein wird, weil sie mit ihren neuen Strukturen vorausschauend auf den Bevölkerungsrückgang reagiert. Sachsen ist das erste Land, das mit einem eigenen Landesprogramm die Gemeinden oder Vereine dabei unterstützt, nach für sie geeigneten Lösungen im Zuge der demografisch bedingten Veränderungen zu suchen. Wir sehen die Herausforderungen dieses Wandels als Chance an und sind bereit, rechtzeitig neue Wege zu gehen. Wir wissen, dass die Unterschiede der Bevölkerungsentwicklung im Land größer werden, und wollen das auch nicht verdrängen.

Deshalb lautet die Antwort der Staatsregierung: Mit einer an den demografischen Fakten orientierten vorausschauenden und ehrlichen Politik werden wir die landespolitischen Weichen neu stellen, sodass die von der demografischen Entwicklung besonders negativ betroffenen Regionen nicht abgekoppelt werden.

Dafür arbeitet die Staatsregierung an einer Strategie, wie mit den wesentlichen demografischen Folgen langfristig umgegangen werden soll und in welchen Politikbereichen wann dringender Handlungsbedarf besteht. Wie kann die Feuerwehr auch 2020 funktionieren? Wie können Sportvereine trotz Nachwuchsmangel gestärkt werden? Ist in 15 Jahren der Bus noch das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum? Welche Entscheidungen müssen zuerst fallen, wenn eine Gemeinde deutlich an Einwohnern verliert? Wie kann eine Gemeinde, die das schon durchgemacht hat, ein gutes Beispiel für Gemeinden werden, die noch folgen?

Auf diese und weitere Fragen müssen wir im Sinne einer vorausschauenden Politik, die gestaltet, gemeinsam mit den betroffenen Menschen Antworten finden. Wir wissen, dass unser Land weiterhin für Veränderungsprozesse offen sein muss. Deshalb ist es so wichtig, dass diese Prozesse mit einem vernünftigen eingängigen Leitbild begleitet werden. Unsere Politik hat zum Ziel, dass Sachsen auch in den kommenden Jahren ein moderner Wirtschafts- und Bildungsstandort bleibt und wir ein soziales und familienfreundliches Land sind.

Familienfreundlich heißt: Vorfahrt für alles, was die Entscheidung für Kinder erleichtert. Wir sollten uns auch nicht davor scheuen, als Politiker deutlich zu machen, dass unser Land mehr Kinder braucht. Das war jetzt eine vorsichtig pronatale Aussage. Auch wenn Kinder durchaus schon einmal Probleme verursachen – keine Kinder verursachen, wie wir jetzt erleben, auf Dauer noch mehr Probleme. Menschen mit einem gewissen Kinderreichtum – und ich zähle mich dazu – können die Entscheidung für mehr Kinder übrigens unmittelbar beeinflussen, denn ein Teil der Generation, die demnächst diese Entscheidung für sich zu treffen hat, sitzt bei uns heute schon an den Frühstückstischen.

Wer sich in einer Familie selbst wohlfühlt – egal welches Familienmodell die Erwachsenen gewählt haben –, der wird auch eher eine Entscheidung für Kinder treffen als gegen Kinder.

(Beifall der Abg. Rita Henke, CDU)

Wir brauchen für unsere Politik Menschen mit Veränderungswillen und Ideen, Menschen, die Sachsen weiter voranbringen wollen, und wir brauchen kreative und unkonventionelle Ansätze. Wir haben es mit Problemen zu tun, die die Politik in Deutschland lange nicht mehr oder vielleicht auch noch nie lösen musste: Ansätze, wie die Lebensqualität trotz des demografischen Wandels erhalten werden kann.

Eines ist allerdings klar: Es wird nicht mehr alles und in der jetzt gewohnten Form an öffentlichen oder privaten Leistungen in allen Regionen gleichermaßen zur Verfügung stehen. Städte, die sich positiv entwickeln, werden auch weiterhin weniger von der Schließung oder Ausdünnung der Infrastruktur betroffen sein. Dagegen ist bereits heute in einigen weniger besiedelten Regionen die Grenze der Ausdünnung zum Beispiel in den Schulnetzen erreicht.

Bei unseren Entscheidungen lassen wir uns davon leiten, dass Wirtschaft plus Bildung plus Chancengerechtigkeit für die Menschen die Schlüsselfaktoren sind. Chancengerechtigkeit bedeutet, dass zum Beispiel der Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen auch weiterhin für alle gewährt wird und dass niemand in der Lausitz an einem Herzinfarkt sterben darf, weil der Notarzt länger als in der Großstadt unterwegs war.

In der Bildung bedeutet Chancengerechtigkeit, dass der Weg zur Schule nicht unzumutbar beschwerlich ist und die guten PISA-Platzierungen weiterhin auch in ganz Sachsen erzielt werden können.

Schließlich wollen wir unseren Bürgern durch Arbeit eine Perspektive geben. Gut bezahlte Jobs und eine stabile Lebensperspektive in Sachsen – da stimme ich Ihnen zu, Herr Zastrow – sind die besten Gründe, nach Sachsen zu kommen – als Zuwanderer oder als Rückkehrer. Es sind gleichzeitig die besten Gründe, sich für Kinder zu entscheiden.

Hinzu kommt eine solide Finanzpolitik. Sie schafft Generationengerechtigkeit und lebt nicht auf Pump und

zulasten der noch nicht einmal geborenen Kinder. Deshalb bleibt für die Staatsregierung eines der wichtigsten Ziele, auch langfristig die Pro-Kopf-Verschuldung höchstens auf dem jetzigen Niveau zu halten.

Meine Damen und Herren! Was wir verändern müssen, ist klar: Wir müssen die unterschiedlichen räumlichen Entwicklungen anerkennen und räumlich differenzierte bzw. flexible Antworten darauf endlich zulassen, zum Beispiel im Straßenbau oder bei der Organisation der Gesundheitsversorgung. Wir müssen das generationenübergreifende Denken zur Grundlage unserer Investitionsentscheidungen machen. Wir müssen eine Querschnittspolitik auf der Landes- und Kommunalebene einführen und überlegen, wo gegebenenfalls jetzt schon landesrechtliche Regelungen einer regionalen und flexiblen Problembewältigung im Wege stehen.

Schließlich brauchen wir mehr Autonomie und gleichzeitig mehr Kooperation, vor allem auf der kommunalen Ebene.

Diese Antworten können wir nur gemeinsam mit den Menschen vor Ort, mit der Kommunalpolitik und auch

parteiübergreifend, Herr Weckesser, mit den Mitgliedern dieses Hohen Hauses geben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Ich rufe noch das Schlusswort von CDU und SPD auf.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Die haben nichts mehr zu sagen! – Dr. Matthias Rößler, CDU: Wir verzichten!)

Gut. Dann kann ich jetzt zur Abstimmung kommen. Ich stelle die Drucksache 4/9948 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Die Stimmen dagegen? – Und die Enthaltungen? – Bei wenigen Enthaltungen ist dem Antrag mit großer Mehrheit zugestimmt worden. Ich beende den Tagesordnungspunkt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Sofortige Verhandlungen zum Abschluss eines „Tarifvertrages Verwaltungs- und Funktionalreform“ aufnehmen

Drucksache 4/9951, Antrag der Linksfraktion

Es beginnt die Linksfraktion und es folgen CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE; die Staatsregierung hat jederzeit das Wort, wenn sie es wünscht. Dann bitte die Linksfraktion, Herr Tischendorf.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Könnt ihr noch? – Es ist egal, ihr müsst!

(Torsten Herbst, FDP: Machen Sie es etwas spannend!)