Protocol of the Session on November 9, 2007

dass man dort wohnen und leben kann und unter Umständen in den Wachstumspolen arbeitet.

Übrigens wird sich an der Binnenwanderung in Sachsen gar nichts ändern. Wir hoffen, dass die Abwanderung der jungen Menschen wirklich zum Stehen kommt, wie in der Prognose angenommen. Das wäre gut.

(Karl-Friedrich Zais, Linksfraktion: Im wahrsten Sinne des Wortes!)

Wir wollen im Prinzip davon ausgehen, dass die Binnenwanderung sicher anhält, aber dass sie nicht ausschließlich in die drei Wachstumszentren geht, sondern vielleicht doch auch in regionale Leuchttürme. Das wäre ein riesengroßer Erfolg.

Meine Damen und Herren! Alles wird uns nichts nützen, wenn wir die Abwanderung zum Stehen bringen. Wir fragen ja auch nach den Ursachen, wie es denn zu den Aussagen dieser 4. Prognose kommt – das ist der Sinn unseres Berichtsantrages. Alles wird uns nichts nützen, wenn wir von der Politik verlangen, dass sie sich an die älter werdende und schrumpfende Bevölkerung anpasst. Politik muss eigentlich mittel- und langfristig diesen Bevölkerungsrückgang, diese Alterung stoppen. Das ist

eine ganz schwierige Geschichte. Wir brauchen also am Schluss mehr Kinder in diesem Land.

(Dr. Martin Gillo, CDU: Ja!)

Wir brauchen gezielte Zuwanderung von Fachkräften, damit wir vielleicht – wir denken dabei über unsere eigene Lebensphase hinaus – irgendwann im Jahr 2050 oder 2060 wieder eine Stabilisierung dieses Bevölkerungsaufbaus erreichen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Darüber braucht man nicht zu reden, das muss man machen!)

Aber bis dahin müssen wir Infrastrukturen anpassen, Wasser- und Abwasserstrukturen anpassen und auch weiterhin Wohnungen rückbauen. Wir haben 20 % Wohnungsleerstand in Sachsen. Das wird uns niemand abnehmen. Wir müssen davon ausgehen, dass der Rückgang der Erwerbsfähigen dazu führt, dass es nicht nur an Fachkräften mangelt, sondern dass es trotzdem bei den Niedrigqualifizierten eine ziemlich hohe strukturelle Arbeitslosigkeit geben wird. Wir brauchen also Gegenstrategien. Die diskutieren wir auch in unserer EnqueteKommission ausführlich. Wir brauchen natürlich eine weitere Steigerung der Arbeitsproduktivität. Wir müssen das sogenannte Humankapital – ein fürchterliches Wort –, das Wertvollste, was wir in diesem Land haben, die Menschen, permanent qualifizieren, und zwar nicht nur im jugendlichen Alter. Wir brauchen lebenslanges Lernen.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Wir brauchen auch eine Flexibilisierung des Renteneintritts. Natürlich müssen wir über längere Arbeit sprechen, mittelfristig nicht nur bis 67 Jahre.

(Beifall der Abg. Dr. Martin Gillo, CDU, und Holger Zastrow, FDP)

Man muss ganz einfach Lebenszyklen entzerren. Viele Freiberufler und manch andere werden einfach länger arbeiten können und müssen. In anderen Berufen geht es sicher nicht so. Wir brauchen eine Flexibilisierung und einen familienfreundlichen Arbeitsmarkt,

(Beifall des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

der Frauen die Integration ins Berufsleben ermöglicht.

Meine Damen und Herren, es werden die finanziellen Ressourcen schrumpfen, und zwar mit der Bevölkerung. Mit jedem Sachsen, den wir verlieren, haben wir 2 300 Euro weniger Länderfinanzausgleich. Daran wird sich nichts ändern, nicht einmal, wenn die Zahl langsamer zurückgeht. Wir müssen uns durch nachhaltige Haushaltspolitik darauf einstellen. Deshalb brauchen wir in diesem Land eine Null-Neuverschuldung – Kollege Zastrow, das wollen Sie ja auch. Aber dabei können wir nicht stehen bleiben; wir müssen auch zur Tilgung der aufgelaufenen über 12 Milliarden Euro Schulden allein in unserem Freistaat kommen. Wir müssen nicht nur die expliziten, die offensichtlichen Schulden sehen, sondern

auch die impliziten, die Pensionslasten, die in den letzten Jahren in kürzester Zeit angewachsen sind.

Meine Damen und Herren! Die Abnahme der Bevölkerung wird uns dazu zwingen, dass wir unterschiedliche Standards in Infrastruktur, Verwaltung und Daseinsvorsorge akzeptieren. Einheitliche Lebensverhältnisse und zentral gesteuerte Lösungen sind in Zukunft nicht mehr zu gewährleisten.

Wir brauchen eine unterschiedlich definierte Lebensqualität, beispielsweise zwischen den Ballungsräumen und den ländlichen Regionen. Wenn individuelle Nachteile entstehen sollten, dann müssen wir sie auch individuell ausgleichen, um einmal bei dem viel zitierten Beispiel Steinbach zu bleiben. Wenn man ein kleines Dorf halten will, dann können wir nicht noch zum letzten Gehöft einen Anschluss an die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung schaffen. Wir brauchen dann Lösungen wie Hausbrunnen oder Kleinkläranlagen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Das haben wir schon vor 15 Jahren verlangt!)

Das muss gefördert werden, damit wir zu unterschiedlichen Standards, zu unterschiedlichen Lebensqualitäten kommen, die auch akzeptiert werden.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Meine Damen und Herren, hier wird immer wieder nach mehr Geld gerufen – für Kinder und, und, und. Wenn es ums Geld ginge – Deutschland gibt für Kinder pro Kopf das meiste Geld aus –, müsste es in diesem Land vor Kindern nur so wimmeln. Und wenn es nur um die Kindergärten ginge, dann müsste es in Ostdeutschland einen regelrechten Geburtenboom geben.

Wir brauchen sichere Lebensperspektiven, einen familienfreundlichen Arbeitsmarkt und Angebote in Kinderbetreuungseinrichtungen: Was aber am allerwichtigsten ist: Diese Gesellschaft braucht einen Einstellungswandel – zu mehr Kindern und zum Alter.

(Beifall bei der CDU, der NPD und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Diesen grotesken Jugendwahn in den Magazinen mit diesen gegelten Typen, die immer jung und gebräunt sind, mit den Handys,

(Heiterkeit)

werden wir uns in Zukunft wegen des geringen Anteils dieser Spezies an der Bevölkerung einfach nicht mehr leisten können.

Auf der einen Seite sind Kinder das größte Geschenk und der unverzichtbare Wert für Familie, Staat und Nation, für unsere gesamte Gesellschaft, unsere Gemeinschaft – Kinder sind kein Kostenfaktor, sie sind auch keine Investition in Humankapital –; auf der anderen Seite müssen wir – Kollege Dulig ging darauf ein – starre Altersgrenzen auflösen zugunsten einer viel längeren Aktivität im

Erwerbsleben, aber auch in der Bürgergesellschaft. Unsere Bürgergesellschaft ist gerade auf die ehrenamtliche Arbeit der Älteren zwingend angewiesen.

Jetzt noch ein Appell an die Politiker: Politiker müssen über ihre eigene Legislaturperiode hinaus denken, wenn sie dieses Problem lösen wollen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und den GRÜNEN – Zurufe)

Dieses Land, diese Gesellschaft und diese Bevölkerung, die eigentlich heute leben will und möglichst viel konsumiert und genießt, muss lernen, über die eigene Lebensspanne hinaus zu denken, und zwar auch an ihre Kinder, Enkel und Urenkel. Wenn uns das gelingt, werden wir das Problem der Demografie nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und überall auf der Welt lösen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Holger Zastrow, FDP)

Wird von den Fraktionen weiter das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Abg. Weckesser.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle vorab erst einmal fest: Schrumpfung beginnt zuallererst hier im Saal und betrifft am meisten die beiden antragstellenden Fraktionen.

(Beifall bei der Linksfraktion und der FDP)

Zweitens. Mir ist immer noch nicht so richtig klar geworden, wieso dieser Antrag Anlass sein kann, so ausschweifende Dinge darzustellen – die alle nicht falsch sind, das will ich damit nicht sagen –; aber mit Ihrem Antrag haben sie nichts zu tun

(Beifall bei der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

und mit dem Inhalt dieser 4. Regionalisierten Bevölkerungsprognose eigentlich nur am Rande.

(Heinz Lehmann, CDU: Es war aber kurzweilig!)

Ich habe überlegt, ob ich meine Rede zu Protokoll geben soll – es ist Freitagnachmittag –; aber nach dem, was ich mir hier habe anhören können, habe ich mich anders entschieden; tut mir leid, da müssen Sie jetzt durch.

Der eigentliche Neuwert besteht in zwei Punkten, und das geht auch aus der Kurzdarstellung hervor: erstens, die Einbindung der sächsischen Prognose in die 11. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung für Deutschland. Das ist nicht irgendetwas nebenher, sondern es ist ganz wichtig, dass wir koordiniert schauen können, was passiert, und dass damit die Möglichkeit entfällt, dass sich einzelne Länder zulasten anderer Länder schönrechnen. Es gab so einen Effekt, dass die Bilanz in jedem Land etwas positiv aussah und niemand darauf geschaut hat, dass sie insgesamt nicht aufgehen konnte. Das ist jetzt zu Ende; vielleicht hat es etwas mit den Veränderun

gen in den Prognosewerten selbst zu tun, also mit Ihrem Punkt 4 im Antrag.

Zum Zweiten gab es methodische Verbesserungen. Eine davon ist mir persönlich ganz wichtig: Es ist erstmalig möglich, regional kleinteiligere Zahlen zur Verfügung zu haben. Davon lebt dieser Bericht im hohen Maße.

Um auf das zu kommen, was mich angeregt hat, noch einmal darüber nachzudenken, war diese ominöse Zeitungsmeldung aus der „Bild“-Zeitung von vorgestern: „Erstes Dorf in Sachsen macht dicht.“ Nun ist die „Bild“Zeitung nicht gerade als seriöse Quelle zu bezeichnen, und wie zum Beweis hat sie heute nachgelegt und relativiert genau diesen Artikel, indem sie sagt, das ist alles nicht ganz so. Dafür bringt sie jetzt neue Beispiele; aber das ist nicht so wichtig.

Immerhin hat es die „Bild“-Zeitung bis in den Landtagspressespiegel geschafft und beides – Landtagspressespiegel wie auch „Bild“-Zeitung – wird von vielen Menschen gelesen und hat insofern eine gewisse Multiplikatorenwirkung. Wir sollten es also schon ernst nehmen. Mit dieser Multiplikatorenwirkung stehen beide Erzeugnisse im strikten Gegensatz zu den Broschüren des Statistischen Landesamtes, die nach meiner Erfahrung von niemandem ernst genommen werden, obwohl sie unheimlich wichtig wären; und gerade der Broschüre, über die wir heute sprechen, würde ich eine sehr viel größere Verbreitung wünschen.

Wenn man dort hineinschaut, stellt man fest, dass Steinbach vielleicht die erste Gemeinde ist, die diesen Weg eingeschlagen oder zumindest bedacht hat, dass es aber mit Sicherheit nicht die letzte sein wird.

Noch einmal zu den Zahlen: Von den 182 aufgeführten Städten und Gemeinden über 5 000 Einwohner schrumpfen in der optimistischen, ersten Variante 163 zum Teil erheblich. Das sind 89 %!