Zur Bewertung des Anfang 2007 neu von der BirthlerBehörde vorgelegten Materials, das ausschließlich aus den Beständen der Hauptverwaltung Aufklärung stammt, erklärte ich, dass Teile meiner Akte zweifellos stärker innenpolitisch ausgerichtet waren, als es mir bis dahin erinnerlich und demzufolge auch mehr als bisher der Öffentlichkeit bekannt war.
Ich räumte ein, dass diesbezüglich offenkundig eine partielle Verdrängung stattgefunden hat, die meines Erachtens auf zwei wesentlichen Aspekten beruhte: a) auf der ab Beginn des Jahres 1989 offenkundig immer stärkeren Einbindung auch der HVA in die gesellschaftlichen Konflikte der DDR und damit in repressive Mechanismen des Umgangs mit Kritikern bzw. vermeintlichen Gegnern des Sozialismus. Dieses Umschwenken hatte ich bis
Sommer 1989 weitgehend mit vollzogen, wie ich heute selbstkritisch konstatieren muss. b) Der partielle Verdrängungsprozess hat aber wohl mehr noch mit meiner damaligen Sicht auf das MfS zu tun. In meinem seinerzeitigen Verständnis von Staatstreue und als überzeugter Sozialist wollte ich die DDR mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln schützen, da mein Land zunehmend in die Krise geriet. Ich wollte diesem Staat mit Parteilichkeit und Loyalität beistehen.
In dieser Perspektive hatte ich die Zusammenarbeit mit dem MfS gewissermaßen als Parteiarbeit mit anderen Mitteln verstanden und eine nicht unerhebliche Identifikation mit dem MfS und der HVA ausgewählt, die bekanntlich nicht ohne Erfolg einen gewissen Mythos pflegte; Stichwort Markus Wolf.
Nicht erst seit heute ist mir klar, dass ich nicht nur über den Charakter des MfS, sondern auch über seine vermeintliche Unabhängigkeit im Verhältnis zur SED viele Illusionen hatte. Darüber hinaus war ich damals in einem staatsfixierten und teilweise dogmatischen Denken gefangen, in dem individuelle Freiheits- und Bürgerrechte zu wenig zählten.
Vieles war von der prinzipiell falschen Überlegung beherrscht, dass der Zweck die Mittel heiligen dürfe. Dazu zähle ich den Vertrauensmissbrauch im privaten Bereich. In meinem Übereifer habe ich die vom menschlichen Anstand gebotenen Grenzen in einigen Fällen ganz klar überschritten.
Meine heutige, grundsätzlich kritische Position zu Geheimdiensten gründet auch in der persönlichen Erfahrung, dass ein an sich anständiges Ziel – der Schutz der eigenen Gesellschaftsordnung nach außen – durch die Regeln der Konspiration fast immer auch zu unanständigen Schnüffeleien führt. Wer die Akten allerdings vorurteilsfrei studiert, stellt fest, dass ich nicht – wie mir hier im Hause wider besseres Wissen mehrfach unterstellt wurde – aus materiellen Motiven oder aus Gründen des beruflichen Fortkommens handelte.
Für mein Engagement war die Grundidee der ostdeutschen Gesellschaft bestimmend, dass nicht mehr die soziale Herkunft über Bildungs- und Aufstiegschancen entscheiden darf und der wirtschaftlichen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen Schranken gesetzt werden.
Mit diesen Gedanken möchte ich es mit der direkten Bezugnahme auf meine Ausführungen im Februar 2007 bewenden lassen und noch auf das eingehen, was in den fünf Monaten geschah, die seitdem ins Land gegangen sind. Ich habe in dieser Zeit vor allem eine Vielzahl von öffentlichen Veranstaltungen bestritten, in denen ich offen und selbstkritisch zu allen Fragen Rede und Antwort stand. Darüber hinaus führte ich persönliche Gespräche mit insgesamt sieben Betroffenen, mit denen ich Kontakt herstellen konnte, um die damaligen Entwicklungen zu rekapitulieren und über das seinerzeitige Geschehen
gemeinsam mit ihnen nachzudenken. Ich bin sehr froh, dass alle sieben Gesprächspartner in diesen jeweils für beide Seiten nicht einfachen Treffen meine Bitte um Entschuldigung positiv beantwortet haben – nicht zuletzt auch deshalb, weil sich bis heute keiner meiner Gesprächspartner als „Opfer“ versteht, zu denen sie von interessierter Seite immer wieder gern stilisiert und damit parteipolitisch missbraucht werden.
Da diese Instrumentalisierung immer wieder öffentlich gegen mich vorgebracht wurde, erlaube ich mir, aus einem Brief zu zitieren, den eine der betroffenen Personen an den Bewertungsausschuss geschrieben und mir in Kopie zur Verfügung gestellt hat: „Ich habe Volker Külow verziehen – aus verschiedenen Gründen: Erstens ist mir nichts passiert, seine MfS-Berichte sind für mich folgenlos geblieben. Das war natürlich nicht sein Verdienst, sondern ein glücklicher Zufall. Dessen ist sich Volker Külow inzwischen bewusst. Es hätte auch anders kommen können, das wissen wir beide. Zweitens habe ich ihm verziehen, weil ich selbst ein Mensch bin, der Fehler macht, die ich später bereue. Wir alle sind auf Vergebung angewiesen, darum will auch ich vergeben. In diesem Sinne halte ich es mit dem Christus-Wort aus dem Johannesevangelium: ‚Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.’“ – So weit das Zitat aus diesem Brief.
Für einen derartigen Umgang mit dem Erbe des MfS für die Beurteilung menschlichen Fehlverhaltens mit moralischen Kategorien wie Reue, Vergebung und Gnade benötigt man keinesfalls ein religiös geprägtes Verständnis unserer Welt. Insbesondere die Mitglieder der SPD-Fraktion darf ich in diesem Zusammenhang auf die Erklärung des Willy-Brandt-Kreises zum weiteren Umgang mit den Stasi-Akten vom 17. Februar 2005 verweisen. Egon Bahr, Günter Grass, Daniela Dahn, Friedrich Schorlemmer und viele andere namhafte Intellektuelle fordern in diesem bemerkenswerten Papier, mit der MfS-Hinterlassenschaft „sensibel umzugehen“. Die Verfasser kritisieren vor allem eine von der BirthlerBehörde und anderen Einrichtungen auf „ostdeutsche Repressionsgeschichte eingeengte selektive Geschichtsschreibung“. Drei Absätze weiter lüftet dieser kluge Text im Übrigen das eigentliche Geheimnis unserer heutigen Zusammenkunft, die bekanntlich nicht im luftleeren Raum stattfindet – ich zitiere –: „Immer wieder hat die Behörde Personen der Zeitgeschichte demontiert, die sich dem herrschenden Zeitgeist nicht gebeugt haben, während einstige IM, die sich jetzt opportun äußern, in Ruhe gelassen wurden.“
Wer meint, diese Wertung des Willy-Brandt-Kreises sei zu abstrakt gefasst, der bekommt in diesen Wochen in Sachsen geradezu exemplarischen realpolitischen Anschauungsunterricht in Sachen selektive Wahrnehmung von Fakten.
Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner mittlerweile 30-jährigen politischen Biografie habe ich inzwischen
Ich habe mich weiterentwickelt, bekenne mich zu Grundgesetz sowie Rechtsstaat und beanspruche daher für mich, dass meine gesamte Entwicklung berücksichtigt und gewertet wird und nicht nur die anderthalbjährige Zusammenarbeit mit dem MfS, die mittlerweile 18 Jahre zurückliegt – ein Zeitabstand, bei dem nach meinem Kenntnisstand nahezu alle schweren Straftaten in der Bundesrepublik längst verjährt wären. Dies ist einer der Gründe, warum meine Partei und ich persönlich den § 118 für verfassungswidrig halten und strikt ablehnen.
Ich nehme in Anspruch – damit möchte ich zum Ende meiner Rede kommen –, gemeinsam mit vielen anderen Mitstreiterinnen und Mitstreitern in und außerhalb meiner Partei seit der Wende unumkehrbar den Weg vom dogmatischen zum demokratischen Sozialismus eingeschlagen zu haben.
In diesen 17 Jahren, die neben Erfolgen auch Niederlagen und Rückschläge sahen, habe ich in vielen Funktionen, aber auch als Historiker und Journalist einen bescheidenen Beitrag zu diesem Transformationsprozess geleistet, der augenscheinlich von immer mehr Menschen anerkannt wird. Ich bin daher heute, im Jahr 2007, im Unterschied zu den Antragstellern keinesfalls der Auffassung, dass ich für ein Mandat im Sächsischen Landtag angeblich untragbar sei
für ein Mandat, das von immerhin fast 24 % der sächsischen Wählerinnen und Wähler verliehen wurde, die 2004 für die Landesliste unserer Partei votierten, auf der auch mein Name stand, bei dem die Zusammenarbeit mit dem MfS hinlänglich bekannt war.
Ich bitte Sie daher um nicht mehr, aber auch um nicht weniger, als diesen klaren Widerwillen zu respektieren. Wenn Sie bedauerlicherweise heute zu gegenteiligen Auffassungen gelangen sollten, bin ich bereit und willens, mich gemeinsam mit meiner Partei und meiner Landtagsfraktion der Prozedur der Abgeordnetenanklage mit allen rechtlichen und politischen Konsequenzen zu stellen und auf die abschließende Entscheidung des Landesverfassungsgerichtes zu vertrauen.
(Beifall bei der Linksfraktion – Peter Schowtka, CDU: Das gibt es nicht, so viel Frechheit! – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion – Heinz Eggert, CDU: Porsch sollte nichts dazu sagen! – Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion – Zuruf von der CDU: Unmöglich!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute hier um eine Abgeordnetenanklage und jeder unter uns hat die Möglichkeit, ans Mikrofon zu treten. Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir einander mit dieser Ruhe und Aufmerksamkeit zuhören wie am Mittwoch in der nicht öffentlichen Sitzung, auch wenn etliche Ausführungen für einige unter uns schwer erträglich sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, sich kurz an den November 1989 zu erinnern. Die Bürgerrechtsbewegung war damals mit ihren Forderungen zur Sprecherin der Bevölkerungsmehrheit geworden. In Leipzig demonstrierten zehntausende Menschen Montag für Montag das Ende der DDR ein Stück mehr herbei.
Die Ereignisse überschlugen sich fast. Am 04.11. demonstrierten eine halbe Million Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz. Am 09.11. fiel die Mauer. Am 13.11. hielt Mielke seine legendäre Rede vor der Volkskammer
und am 18.11. mussten er und sein MfS dem Amt für Nationale Sicherheit Platz machen, das wiederum nach der Besetzung der Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen drei Wochen später bereits sein Ende besiegelt sah.
In dieser Zeit arbeitete ein wissenschaftlicher Assistent der Universität Leipzig namens Dr. Volker Külow nicht nur an der Marx-Engels-Gesamtausgabe, sondern bis in diese Tage hinein lieferte auch IM „Ostap“ seine Berichte, nahm neue Weisungen des Führungsoffiziers entgegen und quittierte die Erstattung seiner Auslagen. Er war einer von schätzungsweise 170 000 inoffiziellen und gesellschaftlichen Mitarbeitern, und er war gewiss nicht der Einzige, der glaubte, damit seinen Beitrag zum Friedenskampf zu leisten, der den real existierenden Sozialismus schützen und vielleicht sogar ein wenig besser machen wollte. Aber die Staatssicherheit war keine wohltätige Organisation zur Herstellung der gerechten und solidarischen Gesellschaft, sondern das zentrale Instrument der SED zur Unterdrückung von Freiheit und Demokratie.
Jeder Beitrag zu ihren Machenschaften, ob groß oder klein, half, das Schild der Partei zu stärken und das Schwert zu schärfen.
Die Ablehnung des verhassten Systems der Staatssicherheit durch die Menschen in der DDR galt in besonderem Maße den Informellen Mitarbeitern. Für mich ist das nicht verwunderlich; denn deren Zuträgerei aus Kreisen der Freunde, der Arbeitskollegen, ja selbst aus der eigenen Familie war ein solcher Vertrauensbruch, ein solch niede
Kein IM hatte Einfluss darauf, was mit seinen Berichten geschah, auch IM „Ostap“ nicht. Sie konnten folgenlos bleiben oder fünf Jahre Haft wegen staatsfeindlicher Hetze nach sich ziehen. Sie konnten auch Maßnahmen der Zersetzung auslösen, wie sie in der Richtlinie 1/76 des MfS nachzulesen sind: systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens, Erzeugen von Misstrauen und gegenseitige Verdächtigungen.
Das ist ein dunkles Kapitel unserer deutschen Geschichte; aber diese Geschichte ist nicht abgeschlossen. Sie ist höchst lebendig in den Opfern, die unter uns leben – mit gebrochenen Biografien und zerstörten Lebenschancen. Vor allem diesen Menschen sind wir es schuldig, dass wir uns auch heute noch, im Jahr 2007, mit denen kritisch beschäftigen, die auf der Seite der Täter standen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich nicht auf die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte berufen. Es ist auch meine persönliche Überzeugung, dass der Landtag und seine Mitglieder höchsten moralischen Ansprüchen genügen müssen. Nur dann kann unser Wirken auch denjenigen Bürgern des Freistaates zugemutet werden, die in der DDR Opfer politischer Willkür waren. Im Falle von Dr. Külow ist die Tatsache einer wissentlichen und willentlichen Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit unbestreitbar und von ihm auch unbestritten. Aus der Zeit seiner IM-Tätigkeit kann ich beim besten Willen keine Entlastungsgründe herauslesen. Er wurde weder im jugendlichen Alter noch unter Druck angeworben, sondern er ist diesen Pakt offenbar mit höchster Bereitwilligkeit eingegangen und er hat auch nicht versucht, sich aus eigener Kraft aus den Verstrickungen zu befreien, sondern der Auftraggeber Stasi ist ihm schlichtweg verloren gegangen.
Seit diesem Ende sind lange 17 Jahre vergangen und wir dürfen nicht vergessen, dass der Bundesgesetzgeber sich ursprünglich fraktionsübergreifend einig war, dass die Möglichkeit für Auskünfte nach dem Stasi-UnterlagenGesetz Ende 2006 auslaufen sollte. Umso wichtiger muss für unsere Abwägung das Verhalten nach der friedlichen Revolution des Jahres 1989, die persönliche Entwicklung sein. Dabei sind wir hier im Landtag aber weder in der Rolle eines Pfarrers noch der unmittelbaren Opfer. Kategorien wie Gnade und Vergebung sind deshalb hier fehl am Platz. Als Landtagsabgeordnete haben wir rechtsstaatliche Grundsätze zu beachten, die unsere Demokratie so stark machen. Deshalb gehört es zur Abwägung, die persönliche Entwicklung seit 1989 nachzuvollziehen, neue Positionen, Einsichten alter Fehler zur Kenntnis zu nehmen und das alles in unsere Bewertung einzubeziehen.
Einsicht oder gar Reue war von Herrn Dr. Külow für mich jedoch bis in dieses Jahr hinein nicht wahrzunehmen. Aufgefallen ist er mir durch das ungenierte Werben des durch ihn geführten Leipziger PDS-Kreisverbandes für Sprechstunden der sattsam bekannten Traditionsvereine der sogenannten bewaffneten Organe der DDR, nämlich ISOR und GRH, zu deren Vorstand der ehemalige Chef der Leipziger Stasi-Bezirksverwaltung Generalleutnant Hummitzsch zählt. Die Leipziger PDS unter Dr. Külow versteht sich offenbar als Scharnier zu den Milieus dieser alten Garden.
Im Februar 2007 war Herr Külow aus den Medien mit dem Satz zu vernehmen: „Ich war ein engagierter DDRBürger und kann auch heute noch alles tragen und verteidigen, was die HVA gemacht hat.“